Was macht uns Hoffnung?

Foto: Marc-Olivier Jodoin, Unsplash

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Wir leben in einer Real Life Dystopie, aber ich möchte gern ein bisschen Hoffnung verbreiten. Zunächst ein paar eigene Gedanken. Hoffnung ist aus meiner Sicht nicht einfach eine Empfindung, die kommt und geht, sondern kann eine Haltung sein, etwas, zu dem man sich aktiv entschließt, um sich nicht der Angst und Verzweiflung zu überlassen.

Ich habe mich gefragt, was anderen Menschen Hoffnung macht in diesen Zeiten, also habe ich im Fediverse/auf Mastodon um Hilfe gebeten. Dort habe ich geschrieben: „Schildert mir doch mal bitte, was euch trotz allem (Weltlage, Kriege, Krisen, Klimakrise …) Hoffnung macht. Das kann etwas kleines Persönliches sein, etwas Größeres aus eurer Community, oder was euch sonst so einfällt.“

Hier einige der Antworten, die ich erhalten habe und zitieren darf:

„Danke für die Initiative. Habs schon mal hier gepostet, aber die 2 Dinge, die mir gelegentlich Hoffnung machen, sind 1. der Gedanke an mein eigenes Kind, & seine gesamte Generation & dass ich uns in der Pflicht sehe, ihnen eine gute Welt zu hinterlassen & ein gutes Leben zu ermöglichen & 2. das Wissen, dass Hoffnung Widerstand ist gegen die Feinde der offenen Gesellschaft, welche uns verzweifelt sehen wollen. Also ein Plädoyer für Hoffnung als Pflicht & Waffe gegen Hass & Verzweiflung.“


„Bei mir geht leider zurzeit nicht viel Hoffnung, durfte aber letztes Jahr bei https://42.ccc.de/mitmachen, da sind sehr viele tolle Dinge entstanden.“


„Philosophie, Theologie, meine Freund*innen, das Kultivieren und einstehen für Philanthropie … Musik, Kunst, das Singen der Vögel“


So kitschig es klingen mag: Kunst. Und zwar vor allem kleine, nischige, eigensinnige Projekte, die ohne große Gewinnabsicht entstehen. Menschen müssten diese Zeit und Mühe nicht aufwenden, aber es ist ein Grundbedürfnis, Begeisterung zu teilen und andere zu erreichen. Zweitens: Zirkel, Gruppen, Vereine, Netzwerke. Ob Sport, Rollenspiel, Schule oder Baugruppe: viele Leute machen gemeinsam was, oft ohne politischen Anspruch. Ich sehe dort Offenheit und Vielfalt gelebt.“


„Es gibt tatsächlich noch kleine, zwischenmenschliche Momente, in denen Gutes passiert, die mich hoffen lassen, dass die Menschheit nicht gänzlich verloren ist.
– Die Angehörige eines Patienten, die mitbekommt, dass der andere Mann im Zimmer niemanden hat und ihm ein Stück Kuchen oder eine Flasche Apfelsaft mitbringt, damit er eine Freude hat.
– Die Vorsorgebevollmächtigte eines Patienten mit angeborener Intelligenzminderung, mit der man gemeinsam Gespräche führt, wie es danach wirklich am besten für alle Beteiligten weitergehen könnte und ernsthaftes Interesse daran hat, dass er dann auch sicher UND zufrieden ist.
– „Die ältere Generation“ die offen sagt „Wir hatten das schon mal und es war Scheiße und es tut mir leid, dass ihr Jungen jetzt da auch wieder durchmüsst“, weil sie es eben doch wahrnimmt und die Empathie mitbringt und darauf schaut, was man besser machen könnte.“


„Mir gibt das Wissen Hoffnung, dass positive Änderungen immer möglich sind und dass jeder Krieg, jede Krise irgendwann endet. Kein Diktator lebt ewig. Und die meisten Menschen haben das Potenzial gut zu sein und sozial zu handeln, wenn man ihnen nur die Chance dazu gibt.“


„Immer wenn ich momentan, sei es im Netz oder auf Vernissagen oder in Ausstellungen oder per Mail, mit anderen Künstler*innen kommuniziere, sagen die von sich aus, dass die AfD eine große Gefahr ist und dass sie gerade, weil Kunst und Kultur bedroht sind, jetzt gar kein Verständnis für das Gatekeeping großer Häuser oder Verlage haben und noch so vielen unbekannten Leuten Sichtbarkeit wie möglich geben wollen.
Die Omas [gegen Rechts]. Es ist gerade in Brennpunkten mutig sich auf den Marktplatz zu stellen und mit Leuten zu reden: „Was sind die Probleme hier im Stadtteil? Warum glauben Sie sind Nazis die Lösung?“ Die machen das nicht verkleidet, die sind identifizierbar. Ich glaube, gerade weil die Generation aus der die kommen oft als politisch passiv oder rückwärtsgewandt wahrgenommen wird, kann das einen großen Impact haben. Dann sieht Brigitte (Stellvertretername), die sich nie was getraut hat, „Boah, ich KANN was machen“.
In dem Sinne auch: Mein Tantken. Zeit ihres Lebens: „Politik interessiert mich nicht“. Dann als die Correctiv-Recherche kam und die Demos losgingen: „Ich demonstriere auch. Ich lass mir meine Familie nicht weg deportieren!“ und die hat jede erreichbare Demo mitgenommen. Zwar aus Verzweiflung, aber sie „wehrt“ sich mit ihren Mitteln und diese „Ich kann was tun“-Attitüde bei vorher passiven Menschen gibt Hoffnung.“


„Mir gibt Hoffnung, dass es selbstverständlicher geworden ist, über Krisen zu sprechen. Ich meine nicht die mediengemachten Aufregerthemen, sondern im direkten Kontakt mit Menschen. Wo geredet wird, kann man auch zusammen denken und zusammen Dinge bewegen. Mir machen alle Projekte Hoffnung, die Solidarität leben und erlebbar machen.“


„Hoffnung machen mir im Alltag Gesten der Solidarität und Liebe: Personen, die anderen selbstverständlich und ohne Eigennutz ihre Hilfe anbieten, ob online oder offline; Rücksichtnahme; politisches Engagement für jene, die weniger privilegiert sind; Zuneigungsbekundungen. Diese Momente zeigen immer wieder, greifbar, dass es auch gute Menschen gibt, die ihr Umfeld prägen und formen.“


„Mir macht Hoffnung, Empathie zu pflegen und zu fördern. In einer Gemeinschaft (z.B. einem Chor) meinen Teil dazu beizutragen, einen Raum zu schaffen, in dem alle mit ihren Eigenheiten akzeptiert werden, aber verletzendes Verhalten nicht toleriert wird.
Mir macht Hoffnung, Menschen zu sehen, die bereit sind, sich verletzlich zu zeigen, und die sich miteinander freuen.“


„Neben meinen Kindern ist es das Open Mic, das ich seit 9 Jahren veranstalte. Dort kommen so tolle Menschen mit wunderbaren Texten und Liedern. Das Publikum ist aufmerksam und genießt den bunten Abend. Es ist eine Gemeinschaft für diese paar Stunden, die sich jedes Mal wieder neu zusammensetzt. Es ist jedes Mal ein bisschen Seelestreicheln für mich.“


„Was mir Hoffnung macht: Die Überzeugung, dass das alles Rückzugsgefechte sind, auch wenn sie gerade Geländegewinne machen. Der Gedanke, dass Frauen, LGBTQA+ und Flüchtlinge Menschen mit Rechten sind, wird sich nie wieder ganz in Pandoras Box stopfen lassen, wie Rebecca Solnit in ihrem heute gelesenen Buch „Wenn Männer mir die Welt erklären“ so schön darlegt. Dass ich als Trans*Frau selbstverständlich die zweite Frau im Bass eines Gospelchors sein darf neben einer CisFrau. Einst undenkbar.“


„Was mir Hoffnung macht: Dass die meisten Menschen nicht so dumm und verbohrt sind, wie man uns gerne glauben machen lässt. Habe in den letzten Tage tolle Dokus über grünes Gold ohne Ausbeutung der Einheimischen, Palmblätter statt Plastik auf Sansibar und andere coole Initiativen gesehen. Es sind halt nur die gierigen Schreihälse, die von den Nachrichten zuerst bedient werden.“


Danke an alle, die ich zitieren durfte.

Was mir selbst Hoffnung macht?

Da fallen mir mehrere Dinge ein, aber ich beschränke mich auf drei.
1. Der Blick in die Geschichte zeigt wieder und wieder, dass selbst höchst zerstörerische Regimes (wie das des Nationalsozialismus und mehrere Diktaturen) sich nicht ewig halten. Wir befinden uns zwar gerade fast weltweit in einem Rechtsruck, aber auch das wird nicht ewig so bleiben, zumal viele Menschen dagegen aufbegehren, mit Demos, Petitionen, Initiativen, Politik und noch mehr. Alles ist ständig im Wandel.

2. Kürzlich las ich ein Interview mit Hannah Ritchie, Autorin des Sachbuchs „Hoffnung für Verzweifelte: Wie wir als erste Generation die Erde zu einem besseren Ort machen | Faktenbasierte und optimistische Lösungsansätze für den Klimawandel“. Im Interview ging sie darauf ein, dass es in den vergangenen Jahrzehnten auf der ganzen Welt viele Verbesserungen gegeben hat, z.B. in Sachen Social Justice und Umweltschutz. Auch wenn es teilweise leider wieder Rückschritte gibt, besteht auf der anderen Seite vielfach Anlass zu Hoffnung. Das geht aber angesichts der multiplen Krisen, die die Nachrichten (und unser Doomscrolling) beherrschen, häufig unter.

3. Was mir außerdem Hoffnung macht, ist die Kunst. Kunst kann vielleicht nicht die Welt retten, aber sie ist immer auch politisch, sie kann Menschen Kraft geben, Zerstreuung und Entspannung bieten und die menschliche Existenz erforschen. Aber das ist noch nicht alles: Sie kann Themen, Motive, ganze Gesellschaften und/oder Welten erdenken und einen Vorbildcharakter haben, also inspirieren, bis hin zu Utopien. Denn was nicht in irgendeiner Form zunächst erdacht, erforscht, erprobt wurde, das kann nicht umgesetzt werden.
In diesem Sinne zitiere ich gern die Phantastik-Autorin Ursula K. Le Guin. Ihr Zitat bezieht sich auf den Kapitalismus, lässt sich aber auch auf andere Systeme, Gesellschaften und Politisches übertragen:
„“We live in capitalism. Its power seems inescapable. So did the divine right of kings. Any human power can be resisted and changed by human beings. Resistance and change often begin in art, and very often in our art, the art of words.”

(„Wir leben im Kapitalismus. Seine Macht scheint unausweichlich. So war es einst auch mit dem göttlichen Recht von Königen. Jeglicher menschlicher Macht kann widerstanden werden, sie kann durch Menschen verändert werden. Widerstand und Veränderung beginnen oft in der Kunst – und sehr oft in unserer Kunst, der des geschriebenen Wortes.“)

Zum Abschluss noch einige Zitate über Hoffnung, die ich inspirierend finde.

„When you do nothing you feel overwhelmed and powerless. But when you get involved you feel the sense of hope and accomplishment that comes from knowing you are working to make things better.“
(„Wenn du nichts unternimmst, fühlst du dich überwältigt und machtlos. Aber wenn du dich engagierst, fühlst du Hoffnung und dass du etwas erreicht hast – weil du weißt, dass du daran arbeitest, etwas zu verbessern.“)
– Maya Angelou

„Hope is being able to see that there is light despite all of the darkness.“
(„Hoffnung bedeutet, zu sehen, dass da Licht ist, trotz aller Dunkelheit.“)
– Desmond Tutu

„Hope has two beautiful daughters; their names are Anger and Courage. Anger at the way things are, and Courage to see that they do not remain as they are.“
(Die Hoffnung hat zwei wunderbare Töchter: Ihre Namen sind Wut und Mut. Die Wut darüber, wie die Dinge sind und der Mut, etwas zu unternehmen, sodass sie nicht so bleiben, wie sie sind.“)
– Saint Augustine

„Hope sees the invisible, feels the intangible, and achieves the impossible.“
(„Die Hoffnung sieht das Unsichtbare, fühlt das nicht Greifbare und erreicht das Unmögliche.“)
– Helen Keller

„May your choices reflect your hopes, not your fears.“
(„Mögen deine Entscheidungen deine Hoffnung reflektieren, nicht deine Ängste.“)
– Nelson Mandela

„Most of the important things in the world have been accomplished by people who have kept on trying when there seemed to be no hope at all.“
(„Die meisten wichtigen Dinge in der Welt wurden von Menschen erreicht, die es immer weiter versucht haben, selbst als es schien, als ob es absolut keine Hoffnung gäbe.“)
– Dale Carnegie