Inhaltswarnung: Satanic Panic, kriminelle, mörderische Aktivitäten wie Tieropfer, Vergewaltigungen, düstere Messen (alles nur erwähnt, keine expliziten Schilderungen)
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Ich befasse mich seit mehreren Jahren mit Paganismus und Hexenkunst und möchte gern ein wenig aufklären und Vorurteile abbauen. Oft werden moderne Hexen nicht ernst genommen oder belächelt, es wird sich über sie lustig gemacht. Manche Leute, die keine Ahnung von modernen Hexen haben, behaupten, dass es Hexen und Magie ja nur in der Phantastik oder in Märchen, Mythen, Sagen gäbe.
Ich möchte gern vorwegschicken, dass ich mich in diesem Blogbeitrag mit Hexen in westlichen Gesellschaften und Ländern beschäftige. Wenn ich hier von „Hexen“ schreibe, meine ich das völlig genderneutral: Es gibt auch trans, nichtbinäre, genderqueere und männliche Hexen.
Fangen wir an mit Wicca.
Das ist eine eigenständige Religion, die von Gerald Gardner und weiteren Mitstreiter*innen ab den 1940ern in England gegründet wurde. Hexenkunst spielt darin eine wichtige Rolle, ein weiterer Fokus liegt außerdem auf einem paganen Gott und einer Göttin. Entgegen mancher Aussagen basiert diese Religion aber nicht auf einer jahrhundertealten überlieferten Hexentradition, stattdessen gibt es viele Einflüsse aus unterschiedlichen historischen magischen Systemen. Mittlerweile gibt es im Wicca viele verschiedene Strömungen/Traditionen, z.B. Gardnerian Wicca, Alexandrian Wicca, Traditional British Wicca und noch weitere.
Wer Wicca lernen möchte, muss sich auf eine lange Lehrzeit einstellen und eine Initiation, traditionellerweise in einem Coven (Hexenzirkel). Dabei wird auch vieles nach außen hin streng geheim gehalten. Es gibt im Wicca keine übergeordnete Autorität, wie z.B. den Papst im Katholizismus. Stattdessen gibt es zahlreiche kleinere Gruppierungen, bis hin zu den genannten Covens, viele davon haben Hohepriester*innen. Wicca ist eine sogenannte geschlossene Tradition: Nur Eingeweihte, also Leute, die eine entsprechende Initiation durchlaufen haben, dürfen sich als Wicca bezeichnen.
Es gibt allerdings viele Einflüsse aus dem Wicca, die auch auf andere Hexen einen Einfluss hatten oder haben, z.B. der Jahreskreis (englisch „Wheel of the Year“) mit seinen acht Festen. Aber, und das ist wichtig: Nicht jede Hexe ist eine Wicca. Und nicht jede Hexe strebt es an, eine Wicca zu werden.
Hexen und magisch Praktizierende sind vielfältig.
Es gibt pagane Hexen, atheistische und agnostische (ja, wirklich) und Folk-Hexen, englisch „folk witches“. Das sind Leute, die sich mit folkloristischen Überlieferungen beschäftigen und diese in ihren magischen Aktivitäten verwenden. Es gibt monotheistische und polytheistische Hexen. Es gibt auch christliche Hexen (ja, wirklich). In anderen Ländern und Kulturen gibt es weitere magisch Praktizierende, z.B. die lateinamerikanischen Brujas. Viele magische Traditionen sind geschlossen, wie das haitianische Vodou. Außenstehende haben dort keinen Zutritt und da besteht auch schnell die Gefahr kultureller Aneignung. Das sollte respektiert werden. Entsprechend habe ich wenig Kenntnis über geschlossene magische Kulturen/Traditionen. Einige Leute, die Magie praktizieren, lehnen den Begriff Hexe für sich übrigens ab und bezeichnen sich anders. Auch das sollte respektiert werden.
Und was ist mit New-Age-Esoterik?
Die meisten Hexen, die ich kenne, sind bodenständig, sie vertrauen auf evidenzbasierte Medizin, schätzen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und anderer Wissenschaften. Entsprechend lehnen sie New-Age-Esoterik ganz oder größtenteils ab, denn darin werden beispielsweise esoterische Heilversprechen gemacht, mit zweifelhaften oder sehr schädlichen „Heil“-Methoden. Und, ihr könnt es euch schon denken, solche Heilversprechen sind brandgefährlich. (Es gibt Berichte über Menschen mit potentiell tödlichen Erkrankungen wie Krebs, die sich auf solche Heilversprechen eingelassen haben, evidenzbasierte Behandlungsmethoden ablehnten und daraufhin gestorben sind.) Es gibt sicherlich auch Hexen, die sich mit New-Age-Esoterik befassen, aber es ist ein Vorurteil, dass alle Hexen das befürworten.
Ist Hexenkunst eine Religion?
Das kommt darauf an, wen man fragt. Einige Leute bezeichnen es als Religion oder als den „Hexenglauben“, für andere ist es eine spirituelle bzw. magische Praxis. Da es keine übergeordneten Authoritäten und viele verschiedene Traditionen und Strömungen gibt, gibt es dazu keine allgemeingültige Aussage (vergleiche bei Interesse das von mir unten verlinkte englischsprachige YouTube Video mit Ivy Corvus und Thorn Mooney, in dem diese Frage diskutiert wird).
Magie und Wissenschaft, ist das nicht ein Widerspruch?
Skeptiker*innen lehnen gern alles ab, was nicht wissenschaftlich beweisbar ist. Oft sind sie auch Atheist*innen. Der britische Physiker und Science-Fiction Autor Arthur C. Clarke hat einmal gesagt: „Magie ist nur eine Wissenschaft, die wir noch nicht verstehen.“
Natürlich ist Hexen und magisch Praktizierenden klar, dass sie mit Magie nicht die Naturgesetze aushebeln können. Teleportation? Telekinese? Fliegen ohne ein Fluggerät – und nein, ich meine keinen Besen? Das ist den Hexen und Magier*innen in der Phantastik, in der Fiktion, vorbehalten.
Stattdessen heißt es unter magisch Praktizierenden gern, dass Magie dem Weg des geringsten Widerstandes folgt. Entsprechend kann eine Hexe oder magisch praktizierende Person die Magie gewissermaßen in eine erwünschte Richtung schubsen, aber es gibt keine Garantie, dass sie so wirkt, wie gewünscht.
Hier ein Beispiel: Nehmen wir an, Hexe Anne aus Berlin ist in Celebrity Jordan aus USA verknallt und möchte mit dieser Person zusammenkommen. Anne wirkt einen Liebeszauber.
Aber Magie folgt, wie gesagt, dem Weg des geringsten Widerstandes. Und bei diesem Liebeszauber steht einfach viel zu viel im Weg: Celebrity Jordan wohnt auf einem anderen Kontinent, ist glücklich verheiratet, kennt Anne nicht, sie hatten noch nie Kontakt und Anne hat auch keine Möglichkeit, Celebrity Jordan zu kontaktieren.
Außerdem hat Anne kein Geld für ein Flugticket in die USA. Und für Celebrity Jordan wäre Anne bestenfalls ein Fan, nicht mehr. Da wird auch der beste Zauberspruch nicht das gewünschte Ergebnis bringen.
Nun ein anderes Beispiel: Felix möchte einen bestimmten Job haben, also macht er einen Erfolgszauber. Außerdem bereitet er sich so gut wie möglich vor: sein Bewerbungsschreiben ist super, er zieht sich entsprechend passend zum Anlass an und ist pünktlich, als er beim Bewerbungsgespräch erscheint. Außerdem hat er sich überlegt, was er sagen wird und mit einem Verwandten Bewerbungsgespräche geübt. Eine Woche später erhält Felix die Zusage für den Job.
Nun werden Skeptiker*innen sicherlich einwenden, den Job hätte Felix in jedem Fall erhalten, weil er sich doch so gut vorbereitet hat, auch abseits dieses Zaubers. Aber wer weiß … vielleicht ist die Magie hier ein zusätzlicher Funke gewesen, der das erwünschte Feuerwerk mit entfacht hat.
Es ist wie mit dem Glauben in einer Religion: So wie die Existenz einer Gottheit nicht wissenschaftlich beweisbar ist, so ist auch die Existenz von Magie nicht beweisbar. Die Nicht-Existenz von Gottheiten oder Magie ist aber ebenfalls nicht beweisbar.
Allein oder in einem Hexenkreis?
Auch hier gibt es eine große Vielfalt: Manche Hexen schließen sich zu einem Coven/Hexenkreis zusammen, andere wirken allein Magie („freifliegende Hexe“, englisch: „solitary witch“) oder in losen Gruppierungen, manche Hexen organisieren Hexenstammtische oder Veranstaltungen in Hexenläden, bis hin zu größeren Events, letztere vor allem in UK und USA. Ob es in anderen Ländern auch größere Events gibt, entzieht sich meiner Kenntnis, u.a. aufgrund der Sprachbarrieren.
Was ist magischer Aktivismus? (1)
Das ist mir vor allem aus dem englischsprachigen Raum bekannt. Manche Aktivist*innen für Social Justice, Climate Justice oder andere Aktivismus-Themen (z.B. die bekannte amerikanische Hexe Starhawk) verstärken ihre weltlichen aktivistischen Aktivitäten mit Magie. Teilweise kann das auch die betreffende Community moralisch stärken, durch gemeinsame Zusammenkünfte, Rituale und anderes. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Magischer Aktivismus kann niemals weltlichen Aktivismus ersetzen, sondern wird lediglich ergänzend eingesetzt.
Kommen wir zu zwei Vorurteilen.
Nein, Hexen sind nicht automatisch Satanist*innen.
Es gibt aber auch satanische Hexen. Bitte unbedingt beachten: Satanismus ist in der Regel nicht das, wie er in der Satanic Panic der 1990er reißerisch dargestellt wurde. (kriminelle, mörderische Aktivitäten wie Tieropfer, Vergewaltigungen, düstere Messen …) (2) Siehe Fußnoten am Ende.
Hexen betreiben nicht automatisch schwarze (destruktive) Magie.
Unter Hexen gibt es eine große Vielfalt an ethischen Grundsätzen. Im Wicca beispielsweise das Threefold Law: Was du aussendest, kehrt dreifach zu dir zurück. Oder auch: Tue was du willst, aber schade niemandem.
Je nach Tradition oder eigener Ethik überlegen sich Hexen, ob sie destruktive Magie anwenden wollen oder nicht. Manche Hexen lehnen es übrigens auch vollständig ab, andere Menschen als sich selbst mit Magie zu beeinflussen.
Es gibt häufig die Bezeichnungen „weiße“ (positive, konstruktive), „schwarze“ (negative, destruktive) Magie, aber auch „graue“ (wortwörtlich eine Grauzone). Im englischsprachigen Raum lehnen manche Hexen diese Farbbezeichnungen ab, da sie als rassistisch betrachtet werden können (im Sinne von weiß = gut, schwarz = schlecht). Ich spreche mittlerweile auch lieber von konstruktiver oder destruktiver oder Schadensmagie, oder einer Grauzone.
Es gibt Hexen, die destruktive Magie (Bannzauber, Bindezauber, Flüche …) gegen Menschen einsetzen, die anderen schaden, z.B. Vergewaltiger, Serienmörder oder anderweitig Kriminelle. Es gibt sicherlich auch moralisch graue Hexen, die auch bei eher kleineren Konflikten und Problemen sofort zu destruktiver Magie greifen, aber das sind wohl eher Ausnahmen.
Ihr möchtet gern Belletristik mit modernen Hexen lesen?
Diese englischsprachige Buchreihe von T. Thorn Coyle kann ich sehr empfehlen:
„The Witches of Portland“. Darin geht es nicht nur um moderne Hexen, wie sie Magie erleben und praktizieren, sondern auch um mehrere aktivistische Themen (unter anderem Kampf gegen Korruption und White Supremacists). Die Buchreihe enthält außerdem viel Diversität, auch was die magischen Traditionen betrifft. T. Thorn Coyle praktiziert selbst Magie, they ist aktivistisch tätig und das merkt man auch their Buchreihe an.
https://www.thorncoyle.com/series/the-witches-of-portland
Wie wäre es mit modernen Hexen in Hamburg? Mehr über meine Buchreihe gibt es hier: Hexen in Hamburg
Fußnoten:
(1) auf Englisch z.B. bezeichnet als „magical activism“ oder „Resistance Magick“
(2) Moderner Satanismus: Es gibt verschiedene satanische Organisationen, die ethische Grundsätze vertreten. Siehe z.B. die Grundsätze (Tenets) der Organisation Satanic Temple:
https://thesatanictemple.com/blogs/the-satanic-temple-tenets/there-are-seven-fundamental-tenets
Weiterführende Literatur (auf Englisch)
Bitte beachten: Ich habe diese drei Bücher (noch) nicht gelesen, sie wurden mir aber empfohlen.
Die Wicca-Hohepriesterin Thorn Mooney, die einen PhD in Religionswissenschaften hat, hat ein Buch über Hexen für Außenstehende geschrieben, „Witches Among Us“.
„The Triumph of the Moon“ von dem englischen Historiker Ronald Hutton, über die Geschichte und Entwicklung verschiedener Hexenströmungen, von Wicca über feministische Hexerei und Göttinnenspiritualität über Traditional Witchcraft bis hin zu freifliegenden Hexen.
Ebenfalls von Ronald Hutton: „The Witch: A History of Fear, from Ancient Times to the Present“. Ein ausführliches Buch über die Geschichte magisch Praktizierender aus zahlreichen Kulturen, von der Antike bis heute, die historische Hexenverfolgung und noch mehr.
Und auf Youtube …
Sehenswertes Video (auf Englisch) mit Ivy Corvus und Thorn Mooney
„What It Means To Be A Witch: The Rise of Witchcraft, The „Witch“ Label, Religion & MORE“
Ebenfalls sehenswert:
„13 Kommentare und Vorurteile gegenüber Hexen“ von Anika, Magischer Pfad
https://www.youtube.com/watch?v=kvYqigHRQDw