Warum wird die LGBTIAQ*-Community von Verfechtern des Patriarchats so sehr als Bedrohung gesehen?

Die Disability Progressive Pride Flagge

Ein Beitrag für die Aktion #DiversityDienstag
Lesezeit: ca. 8 Minuten

Inhaltswarnung: Queerfeindlichkeit, auch Transfeindlichkeit, normative Vorstellungen, Gewalt gegenüber queeren Menschen in der Vergangenheit und heute.

Die kurze Antwort auf meine Ausgangsfrage lautet: Weil die LGBTIAQ*-Community mit traditionellen Rollenbildern/Genderrollen bricht.

Nun etwas ausführlicher:

Heteronormativität
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Heterosexualität als das „Normale“ betrachtet wird,
der „Standard“. Alles, was davon abweicht, wird von Verfechtern des Patriarchats häufig mit Misstrauen betrachtet, sanktioniert, lächerlich gemacht, diskriminiert oder Schlimmeres.
Auf dem Papier haben wir alle die gleichen Rechte, aber die sexuelle Orientierung und die Gender-Identität sind immer noch nicht entsprechend im Grundgesetz verankert. Ich zitiere aus einem aktuellen Artikel: „Die Grünen und der Bundesrat wollen Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der „sexuellen Identität“ ergänzt wissen. Eine Mehrheit dafür ist aber nicht in Sicht.“ (1)

Breaking the binary
Nichtbinäre Menschen sprengen nicht nur die althergebrachten Vorstellungen über Männer und Frauen, sondern auch das binäre System von „Mann“ und „Frau“. Einfach völlig unvorstellbar für viele cis Menschen, leider.

Smash the Cistem
Trans Menschen brechen ebenfalls aus diesem System aus, zum Beispiel, aber nicht nur, mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Sie fügen sich also, wie auch nichtbinäre Leute, nicht in die Geschlechterrolle, die das Patriarchat ihnen vorschreibt.
Ich wage mal die Vermutung zu äußern, dass viele TERFs (2) unbewusst oder bewusst sehr frustriert sind mit dem Ausleben ihrer starren Geschlechterrollen und was das für sie bedeutet – sie projizieren dann ihre Frustration auf andere und so suchen sie sich Sündenböcke, an denen sie sich abarbeiten können, insbesondere trans Frauen und trans Männer.

Feminine Männer, maskuline Frauen?
Der Ausdruck von Queerness ist vielfältig und viele Queers sind gender-nonconforming,
das heißt, sie präsentieren sich ihrer Umwelt nicht so, wie es traditionelle Genderrollen vorschreiben. Beispiele: Frauen und FLINTA* (3)-Personen mit kurzen Haaren und „maskulin“ erscheinender Kleidung, Männer, die langes Haar und Nagellack oder auch Make-up tragen, Röcke anziehen … Aber auch manche cis heterosexuelle Menschen sind auf diese oder andere Weise gender-nonconforming.

Von Verfechtern des Patriarchats (ich lasse das mal so gegendert) wird aber all das schon als eine Bedrohung betrachtet. Entsprechend geraten z.B. auch Drag Queens und Drag Kings unter Beschuss.

Und ich spreche hier nicht nur vom Äußeren, sondern auch vom Verhalten.
Männern, die weinen und sich nicht dafür schämen, sondern einen guten Zugang zu ihren Gefühlen haben? Frauen, die eine Kampfsportart machen oder aggressiv auftreten? Das gilt im Patriarchat als unmännlich bzw. unweiblich. Stattdessen versuchen uns Influencer*innen zu verkaufen, was ein „richtiger Mann“ sei oder wie Frauen zu sein hätten. In esoterisch-spirituellen Kreisen wird das dann auch als „devine feminine“ und „devine masculine“ angepriesen, aber mit einer tiefgründigen spirituellen Entwicklung haben die entsprechende Ratschläge wenig zu tun, sondern eher mit völlig überholten Rollenbildern wie aus den 1950ern.

Küche, Kinder, Kirche?
Während es den wachsenden, toxischen Trend der „Trad Wives“ (vor allem, aber nicht nur, in USA) gibt, entziehen sich Queers auch hier den klassischen Rollenbildern. Einige gründen Regenbogenfamilien und das wird, ihr könnt es euch schon denken, auch als Bedrohung gesehen, denn wo kommen wir denn dahin, wenn zwei Frauen oder zwei Männer oder nichtbinäre Personen gemeinsam ein Kind aufziehen, oder ein trans Mann ein Kind gebärt? (Ja, das war Sarkasmus.)
Andere Queers wollen gar keine Kinder haben – und, Überraschung, es gibt auch cis heterosexuelle Menschen, die keine Kinder haben möchten oder generell lieber Single sein wollen. In authoritären Regimes und im Kapitalismus ist das unerhört, und ich werde nun polemisch – Regimes und der Kapitalismus brauchen schließlich ständigen Nachschub an Leuten, die sie ausbeuten können: z.B. als Soldat in Kriegen oder als billige Arbeitskraft und natürlich auch Menschen – häufig, nicht immer, cis Frauen –, die unbezahlte Care-Arbeit machen.
In der Popkultur wird die heteronormative, mononormative Kernfamilie – Mutter, Vater, Kind(er) –als das einzig Wahre propagiert. Immer wieder geht es in Filmen und Serien darum, dass die Familie das Wichtigste sei, dass sich Paare nach Konflikten wieder zusammenraufen, weil sie ihre Familie zusammenhalten „müssen“. Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien oder andere alternative Familienformen werden so gut wie nie gezeigt.

Internalisierte Queerfeindlichkeit
Einige queere Menschen, insbesondere cis Männer, haben eine so starke internalisierte Queerfeindlichkeit, dass sie gewalttätig oder aggressiv gegenüber anderen Queers werden. Das ist ein psychologisches Phänomen, zu dem sich ein eigener Blogbeitrag schreiben ließe. Als im Jahr 2016 im Club Pulse in Orlando, Florida 49 Menschen ermordet wurden, kam die Frage auf, ob der Täter möglicherweise seine internalisierte Queerfeindlichkeit durch dieses Verbrechen ausagierte. (4)

Amatonormativität
In einer Welt, in der Romantik als das höchste der Gefühle verkauft wird und als absolut erstrebenswert gilt, stellen aromantische Menschen den Status Quo in Frage. Und dass Romantik keineswegs nur eine private, sondern auch eine gesellschaftliche Angelegenheit ist, zeigt unter anderem dieses Video von Ace Dad Advice: „WTF is Romance anyway?“ (5)
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch ein Sachbuch lesen: „Entromantisiert euch“ von Beatrice Frasl. Darin wird u.a. aufgezeigt, wie stark Romantik und gesellschaftliche Normen verbunden sind.

Allosexualität bzw. Allonormativität
In einer Welt, in der angeblich alle Menschen ein starkes Interesse an Sex haben, bzw. eine starke Libido (solche Menschen werden auch als allosexuell bezeichnet) … ihr könnt es euch schon denken, Leute auf dem asexuellen Spektrum stellen auch hier den Status Quo in Frage.
Und dass etwas so Privates wie Sex auch eine gesellschaftliche und politische Dimension hat, zeigt sich unter anderem an Fragen wie: Wer darf Sex mit wem haben? Ich erinnere daran, dass queere Sexualität, insbesondere cis-männliche Homosexualität, in vielen Ländern lange Zeit als Straftat galt oder bis heute gilt. Oder entsprechende Strafen wurden wieder eingeführt. Weitere Fragen könnten sein: Wie darf Sexualität dargestellt werden? Wie sind die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen – falls sie überhaupt dieser Tätigkeit nachgehen dürfen? Zu diesem Thema gibt es ganze Bücher.

Mononormativität
Für Verfechter des Patriarchats wird alles als Bedrohung betrachtet, dass das Konzept „Eine (Liebes-)Beziehung oder Ehe besteht aus zwei Personen“ in Frage stellt. Alles andere – offene Beziehungen, Polyamorie, Beziehungsanarchie ist im Patriarchat undenkbar und wird dahingehend sanktioniert, dass Menschen z.B. nur eine Person heiraten können.

Toxische Maskulinität
Im Patriarchat wird an toxischer Maskulinität festgehalten. Dabei schadet diese allen, nicht nur Frauen und FLINTA*s, sondern auch den Männern selbst. Einen guten Beitrag über dieses Thema gibt es z.B. von Rising Gaze auf Instagram. (6)

Und leider wird toxische Maskulinität immer noch in der Popkultur massiv beworben sozusagen: In der Dark Romance und in anderen Genres werden toxische Beziehungen (oft mit Stalking, Entführung und ähnliches) oft ohne differenzierte Betrachtung romantisiert (7). Im weiten Feld von Thrillern, Actionfilmen und entsprechenden Games wird praktisch immer Gewalt, bis hin zu Mord, als das oftmals einzige Lösungsmittel für Konflikte dargestellt.

Auch werden Männer in der Popkultur häufig als hypermaskulin dargestellt. Schauspieler, die sich wochenlang quälen müssen, damit sie Muskeln aufbauen bzw. einen Sixpack bekommen, können vermutlich ein Lied davon singen. Dass dieses hypermaskuline Aussehen in den meisten Fällen ein unrealistisches Bild zeichnet, muss ich hoffentlich nicht erklären. Männer hingehen, die irgendwie „feminin“ wirken, sei es im Verhalten, innerliche Befindlichkeit oder Aussehen, werden als unmännlich betrachtet und ihnen wird häufig mit queerfeindlichen Slurs begegnet.

Das Sonderregister
In den letzten paar Jahren gab es weltweit einen massiven rechten Backlash gegenüber queerem und queerfeministischem Aktivismus, da erzähle ich euch nichts Neues. Patriarchale Strukturen sind gewalttätig, sie drehen sich sehr stark um Macht und Kontrolle. Eine Form dieser Kontrolle war das von der Bundesregierung ursprünglich geplante Sonderregister. Ich zitiere aus einer Campact-Petition, die sich gegen das Sonderregister wandte und über eine Viertelmillion Unterschriften erzielte:

Hallo, ich bin Penelope Alva Frank, Transfrau, queerfeministische Aktivistin und Gründerin der queerfeministischen Bewegung Queermany.

Ich weiß, wie es ist, jeden Tag Blicke, Sprüche und Angriffe auszuhalten, nur weil ich trans bin. Ich erlebe Queerfeindlichkeit auf der Straße, online und sogar in meinem Aktivismus wie bei, Polizei Gewahrsam 2023 und ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn falsche Polizisten oder Behördenmitarbeiter Zugriff auf mein früheres Geschlecht haben.

Die geplante Verordnung bedeutet: Trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sollen dauerhaft markiert bleiben – bei jeder Behörde, bei jeder Abfrage, unabhängig davon, ob wir das wollen. Während bei Heirat oder Adoption der frühere Name oft keine Rolle mehr spielt, soll hier ein Sonderregister etabliert werden, das gezielt Informationen speichert und weiterleiten darf. 

Wir wissen aus der deutschen Geschichte:

  • Jüdinnen und Juden wurden systematisch erfasst, um sie sichtbar zu machen, auszugrenzen und zu verfolgen.
  • Queere Menschen standen jahrzehntelang auf Listen, wurden mit § 175 kriminalisiert, eingesperrt und erpresst.
  • Listen machen Minderheiten verletzlich – damals wie heute.

Mir ist wichtig: Ich setze diese grausamen Verbrechen nicht gleich mit heute. Aber ich weiß, wohin Sonderregister führen können, wenn Gesellschaften kippen und Hass stärker wird. Und gerade jetzt, in Zeiten täglicher queerfeindlicher Hetze, macht mir das Angst: Solche Listen könnten Missbrauch ermöglichen und als Transfrau wäre ich dann noch weniger sicher.“ (8)

Im rechten Backlash und von den Verfechtern des Patriarchats werden gezielt Feindbilder aufgebaut, Sündenböcke gesucht und queeren Menschen, die einfach nur friedlich auf ihre persönliche Weise existieren wollen, werden ihre Menschenrechte abgesprochen.

Und deshalb brauchen wir weiterhin Pride-Demos und müssen weiter für unsere Rechte kämpfen. Danke fürs Lesen. Dieser Beitrag darf gern geteilt werden.

Fußnoten

(1) siehe: https://www.das-parlament.de/inland/recht/sexuelle-identitaet-soll-ins-grundgesetz

(2) TERF ist eine Abkürzung für Trans Exclusionary Radical Feminist, also Feminist*innen, die trans Menschen aus ihrem Feminismus ausschließen. Ein sehr prominentes Beispiel dafür ist die Autorin und anti-trans Aktivistin JK Rowling.

(3) Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Trans, Agender. Der Genderstern steht für weitere Identitäten, die nicht cis-männlich sind.

(4) siehe zum Beispiel:
„Orlando Shooting Raises Questions About Internalized Homophobia and Violence
von April Dembosky
https://www.kqed.org/stateofhealth/199502/orlando-shooting-raises-questions-about-internalized-homophobia-and-violence

(5) https://www.youtube.com/watch?v=KC8i6buRMJ4

(6) siehe https://www.instagram.com/p/DPru2FFCIXn/ oder meinen Thread auf Mastodon:
https://mastodon.social/@amalia12/115368656708375210

(7) Zu diesem Thema habe ich einen eigenen Blogbeitrag:
https://amalia-zeichnerin.net/ueber-die-fatale-romantisierung-von-toxischen-beziehungen-und-anderen-problematischen-tropes-in-der-fiktion/

(8) siehe: https://weact.campact.de/petitions/kein-sonderregister-fur-trans-personen-nie-wieder-listen-gegen-minderheiten

Weiteres:
„Archaische Männerbilder als Kriegstreiber“ interessantes Interview mit Alexander Yendell, Soziologe. Audiobeitrag ca. 12 min:

https://www.deutschlandfunk.de/archaische-maennerbilder-als-kriegstreiber-alexander-yendell-soziologe-100.html

© Amalia Zeichnerin