Über inklusive Phantastikwelten

Abbildung: Ольга Бережна, Boaphotostudio

Heute möchte ich gern wieder mal über ein Thema schreiben, das mir persönlich am Herzen liegt: Diversität und Inklusion in der Literatur, in der Phantastik.

Der Weltenbau, das ist ein zentraler Bestandteil jeglicher Phantastik. Gerade die Phantastik hat in all ihren vielen Subgenres (Fantasy, Science-Fiction, Steampunk, Horror, Dystopien, Hopepunk und viele mehr) die wortwörtlich phantastische Möglichkeit, Gesellschaft(en), politische Systeme, ja ganze Welten oder Universen anders zu denken.

Manche Phantastikautor*innen orientieren sich sehr nah an realen historischen Vorbildern und übernehmen dann auch gleich als das Negative, was es in der Geschichte der Menschheit gegeben hat und häufig noch immer gibt, z.B. Frauenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Unterdrückung von Minderheiten. Manche Phantastikautor*innen tun dies reflektiert, mit entsprechender immanenter Gesellschaftskritik, indem sie zum Beispiel aufzeigen, was Unterdrückung und menschenverachtende Verhaltensmuster so alles anrichten kann.

Andere Autor*innen machen dies nicht, sie zeigen all solche negativen, destruktiven gesellschaftlichen Verhältnsse, ohne daran immanent Kritik zu üben, und verkaufen das dann als historisch inspirierten Realismus („Das war halt so im Mittelalter!” wird dann gern gesagt – ja, auch wenn es sich um Fantasy handelt). Zu diesem Thema hat Aurelia vom Blog „Geekgeflüster“ einen interessanten Essay geschrieben, den ich unten bei den weiterführenden Texten verlinkt habe.

Aber es gibt auch ganz andere Phantastik. Phantastik, die vollkommen ohne Queerfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenhass, Sexismus, Ableismus oder andere schädliche, menschenverachtende -ismen auskommt.
Ich habe in den letzten Jahren Fantasyromane gelesen, in denen Männer ganz selbstverständlich andere Männer heiraten konnten (1). Ich habe einen dystopischen Steampunk Roman gelesen, in dem die lesbische Protagonistin ganz einfach lesbisch sein kann, ohne dass dies zu dramatischen Verwicklungen führte oder als Plotdevice eingesetzt wurde (2). Zurzeit lese ich einen mit Preisen ausgezeichneten, fünfzig Jahre alten Science-Fiction Roman, in dem Gender und Sexualität vollkommen anders gedacht werden und auch ganz andere Auswirkungen auf Politik, Kultur und Gesellschaft haben (3).
Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen um Polyamorie kein Drama gemacht wird, sondern sie einfach als eine alternative Beziehungsform etabliert ist (4).
Ich habe einen Hopepunk-Roman und einen Science-Fiction-Zweiteiler gelesen, in dem Neopronomen und nonbinäre Personen ganz selbstverständlich in die Handlung einbezogen wurden (5). Und das sind nur einige Beispiele für inklusive Phantastik.

Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen Menschen, oder auch humanoide Aliens und Fantasykreaturen, mit verschiedenen Hautfarben und Herkünften, oder auch als Anhänger verschiedener Glaubensgemeinschaften, ganz selbstverständlich und ohne Drama zusammen an Aufgaben, Rätseln, Fällen oder anderen Problemen arbeiten, ohne Rassismen oder Diskussionen um ihre verschiedenen Religionen.

Es gibt Phantastik, die inklusiv ist, die Protagonist*innen und/oder Nebenfiguren mit Behinderungen, Neurodiversität, psychischen Erkrankungen (von Betroffenen oft als Neurodivergenzen bezeichnet) oder chronischen Erkrankungen als Handlungsträger*innen hat und zwar ohne, dass sich diese Leute ständig mit Ableismus konfrontiert sehen, wie es viele Betroffene ganz real im Alltag erleben.

Menschen, die von all solchen Dingen nicht im Geringsten betroffen sind, können sich vielleicht gar nicht vorstellen, was es für Betroffene, für Menschen aus marginalisierten Gruppen bedeutet, wenn sie sich selbst in der Literatur, in der Phantastik, oder auch in Filmen, Serien, Spielen etc. repräsentiert finden – und zwar auf eine Weise, die nicht in erster Linie das real immer wieder erlebte (Alltags-)Leid mit all den Diskriminierungen und -ismen widerspiegelt, sondern als Held*in einer Geschichte – oder wenigstens als starke Nebenfigur.

Dafür gibt es im englischsprachigen Raum den Hashtag #RepresentationMatters

Phantastik bietet wie kein anderer Bereich der Literatur die Möglichkeit, Welten zu erschaffen. Wenn du selbst als Autor*in solche Welten erschaffen willst – bitte geh in dich und frage dich, was für eine Welt soll es sein? Was soll sie widerspiegeln? Können die Kulturen, die Gesellschaften dort ganz anders sein als in unserer realen Welt? Was würde sich dadurch verändern? Phantasie kann eine Menge Macht haben, denn du kannst mit ihr ganze Welten kreieren. Nutze sie weise.

Weiterführende Texte:

Das Märchen von der unpolitischen Fiktion
https://geekgefluester.de/das-maerchen-von-der-unpolitischen-fiktion

Fantastisch Politisch
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-politisch/

Weltenbau 101: Fantastische Genderrollen?
https://alpakawolken.de/weltenbau-101-fantastische-genderrollen/

„Historische Korrektheit“ von Fantasy-Welten ist Quatsch
https://geekgefluester.de/historische-korrektheit-fantasy

(1) Die „Inselreich“-Reihe von Jona Dreyer
(2) „Berlin: Rostiges Herz“ von Sarah Stoffers
(3) „Die linke Hand der Dunkelheit“ (auch veröffentlich als „Winterplanet“) von Ursula K. Le Guin
(4) z.B. in „An Accident Of Stars“ von Foz Meadows
(5) „Wasteland“ von Judith Vogt und Christian Vogt sowie die „Sternenbrand“-Dilogie von Annette Juretzki