Einige Probleme in der deutschsprachigen Literaturszene

Die Literaturszene in Deutschland hat einige Probleme und hier und da zeigen sich dieselben Muster, z.B. dass so einige buchige Events keinen Safe Space für marginalisierte Menschen darstellen. Mit anderen Worten: Es gibt Veranstaltungen, auf denen sich marginalisierte Menschen nicht rundum sicher und wertgeschätzt fühlen können.

Dieser Blogbeitrag handelt von dem, was mir in den letzten Monaten so aufgefallen ist. Da ich natürlich bei weitem nicht die gesamte Literaturszene überblicke, handelt es sich um einen mehr oder weniger subjektiven Bericht.

Es gibt zum einen ein grundsätzliches Problem, das genreübergreifend ist. Manche Autor*innen sehen angesichts eines innovativen Umgangs mit Sprache, zum Beispiel gendergerechter Formulierungen, aber auch angesichts von Triggerwarnungen/Content Notes oder Sensitivity Reading (noch immer) den Untergang des Abendlandes heraufziehen und beklagen sich über angebliche Zensur. Sie pochen auf die Freiheit der Kunst. Und meinen damit meistens vor allem die Freiheit, verletzende, herabwürdige Formulierungen oder Handlungen in ihren Texten unterzubringen (Beispiel), oder generell problematische Inhalte. Sie meinen oft auch die Freiheit, vor entsprechenden Inhalten nicht mit Triggerwarnungen o.ä. zu warnen.

Funfact: In einigen Ländern sind Autor*innen und der Literaturbetrieb schon wesentlich weiter, wenn es um Diversität, Repräsentation und Inklusion in der Literatur geht. Da könnten wir uns im deutschsprachigen Raum die eine oder andere Scheibe abschneiden. Hier reden sich marginalisierte Menschen oft den Mund fusselig, leisten oftmals kostenlose Aufklärungsarbeit in Social Media oder Blogs und stoßen dabei immer wieder auf unbelehrbare Zeitgenoss*innen, denen die eigenen Privilegien nicht bewusst sind und auch nicht bewusst werden wollen und die Probleme oder problematische Inhalte kleinreden.

Der größte deutschsprachige Phantastikautor*innen Verein, das Phantastik Autoren Netzwerk e.V.(PAN e.V), hatte im Programm seiner Veranstaltung für 2020 (die wegen der Pandemie letztendlich abgesagt wurde) den Programmpunkt „Retten wir die Kunst vor den Moralaposteln“. Wohlgemerkt, nachdem sich mehrere Leute im Verein für Diversität und Inklusion stark gemacht hatten und sich nun fragten, warum eine solche kontroverse, polarisierende Position – anders formuliert: „Die Kunst ist frei und darf alles! Meinungsfreiheit!!“ – wieder und wieder zur Diskussion gestellt werde. Es hagelte Kritik in den Social Media, der Programmpunkt wurde gestrichen. Mehrere Leute traten aus dem Verein aus – ich ebenfalls, was in meinem Fall übrigens noch andere persönliche Gründe hatte, die nichts direkt mit dem Verein zu tun hatten.

Und es gab noch weitere Probleme, die ich persönlich nicht überblicke. Unter anderem kündigte die neue multimediale Phantastik-Veranstaltung MetropolCon an, für ihre erste Con im Jahr 2023 eng mit PAN e.V. zusammenarbeiten zu wollen. Auch das führte zu einiger Kritik auf Twitter, unter anderem gab es auch Bedenken, wie die MetropolCon mit ihrem Team ihre Veranstaltung diskriminierungssensibel gestalten möchte, angesichts ihrer Vision,
MetropolCon versteht sich als inklusive, barrierefreie, diverse und nachhaltige Veranstaltung. Sie ist ein safe space für alle Teilnehmenden. Austausch, Diskussion und Vernetzung finden auf Basis von Respekt, Offenheit und einem generell wertschätzenden Umgang miteinander statt.„(1)

Ich war sehr angetan, als ich von dieser Vision gelesen habe und hoffe, dass diesen guten Worten auch Taten folgen.

Edit am 14.12.:
Die MetropolCon hat folgendes Statement veröffentlicht:
https://www.metropolcon.eu/2021/12/14/statement-diversitaet-pan-und-unsere-vision/

PAN e.V. hat übrigens in einer Kurzstellungnahme am 13.12. 2021 auf Twitter angekündigt:

Wir haben die Diskussionen der letzten 24 Stunden aufmerksam verfolgt. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Vorwürfe an den Verein aufzuarbeiten und Lösungen für vorhandene Probleme zu entwickeln. Für konkrete Hinweise zu rassistischen Übergriffen wären wir sehr dankbar, denn ein solches Verhalten wird von PAN nicht geduldet. Es war unser Versäumnis, dass die Betroffenen der im Raum stehenden Vorfälle sich nicht sicher genug gefühlt haben, um sich direkt bei uns zu melden. Wir stehen für ein vielfältiges Miteinander und Diversität. Dass uns nicht gelungen ist, das auch deutlich zu kommunizieren, tut uns aufrichtig leid. Wir wollen es besser machen. Informationen zu weiteren Schritten folgen in den nächsten Tagen.“ (2)

Ich hoffe, das sich dieses Vorhaben konstruktiv und positiv entwickelt.

Die Aktion „Fair Lesen“

… führte zu zahlreichen Diskussionen um Bibliotheken und die Onleihe. Dazu hat sich auch der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) geäußert und ist darin auf einige Fehlinformationen der Aktion eingegangen:

https://dbv-cs.e-fork.net/sites/default/files/2021-10/PM_dbv%20zur%20Kampagne%20Fair%20Lesen_20210118_final_1.pdf

Ein deutscher Literaturpreis sorgte mehrfach für Kritik angesichts eines queerfeindlichen Beitrags und es wurde nicht besser, als es im September 2021 um das Thema Trennung von Werk und Autor ging. (3)

Bereits 2017 kam es auf der Frankfurter Buchmesse zu Gewalt, die in Zusammenhang mit Rechtsextremismus stand. (4)

In diesem Jahr sagten mehrere Schwarze Autor*innen, der Aktivist Raul Krauthausen und weitere marginalisierte Personen ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ab, weil dort an prominenter Stelle ein rechtsextremer Verlag ausstellen durfte und generell unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit dort rechtsextremen, menschenverachtenden Verlagen der Zugang gewährt wird.

Die Mitteilung der Buchmesse dazu liest sich aus meiner Sicht recht fadenscheinig und zeigt, dass hier offenbar privilegierte weiße Menschen nicht verstehen, was das eigentliche Problem ist: Dass diese Haltung dazu führt, dass sich marginalisierte Menschen auf der Messe nicht wohl, geschweige denn sicher fühlen können. (5)

Ich zitiere einen Tweet von mir:

„Man stelle sich nur mal vor, es gäbe eine Buchmesse dieser Größe, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, inklusiv zu sein und zwar so, dass sich auch marginalisierte Menschen dort uneingeschränkt sicher fühlen können. Das wäre doch mal was. (Utopischer Gedanke, ich weiß.)“

Um diesen Blogbeitrag nicht völlig pessimistisch enden zu lassen, möchte ich auch auf einige positive Entwicklungen eingehen. Mittlerweile kommt es auch in großen Verlagen an, dass die Repräsentation von marginalisierten Menschen von der Leserschaft erwünscht ist, z.B. gibt es mehr Romane mit queeren Figuren, die nicht nur eine Nebenrolle spielen. Einige Verlage arbeiten bereits mit Sensitivity Readern zusammen, das finde ich sehr gut. Ebenso gibt es engagierte Kleinverlage (und auch einige größere Verlage), die ganz selbstverständlich Content Notes/Triggerwarnungen in ihre Bücher einbinden. Der Publikumspreis „Goldener Stephan“ verfügte in diesem Jahr über sehr viele nominierte Bücher mit Diversitätsthemen. Engagierte Kleinverlage und auch Selfpublisher*innen machen sich wie schon seit mehreren Jahren oft besonders stark in Sachen Diversität, das ist klasse.

(1) https://www.metropolcon.eu/vision/

(2) https://twitter.com/PAN_eV_DE/status/1470362885847146499

(3) https://skoutz.de/autor-und-werk-ist-das-wirklich-unzertrennlich/

(4) https://www.zeit.de/kultur/literatur/2017-10/frankfurt-am-main-buchmesse-bjoern-hoecke-rechte-gewalt

(5)
Die Statements von Jasmina Kuhnke und Raul Krauthausen zu ihren Absagen:

und

https://twitter.com/raulde/status/1450874151691034628

Das Statement der Messe:

Eine lesenswerte Kolumne zu diesem Thema von Margarete Stokowski: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/frankfurter-buchmesse-boykott-wir-muessen-gar-nichts-aushalten-kolumne-a-b28c47c0-9d03-45f6-bf29-27de62d83bc3