Verleidete Nostalgie

Foto: Marc Pascual, Pixabay

Manchmal bin ich frustriert, dass Popkulturelles, was ich als Kind oder Jugendliche mochte, sich nun für mich als -istisch herausstellt. Rassistisch. Sexistisch. Queerfeindlich. Ableistisch, oder noch anders menschenverachtend oder zumindest verletzend.

Das Kinderlied „Drei Chinesen mit dem Kontrabass”? Rassistisch. Gründe dafür kann man hier nachlesen:

Ganz zu schweigen von all den vielen schon älteren Büchern, in denen vollkommen unreflektiert das N-Wort genannt wird. Ich erinnere auch daran, dass ein langjährig etablierter Fantasyautor kürzlich auf einer Veranstaltung davon sprach, er werde das N-Wort auch weiterhin verwenden.

Gefühlt eine Million romantischer Kömodien der letzten Jahrzehnte – frauenfeindlich, sexistisch, veraltete oder konservative Vorstellungen von Gender, heteronormativ. Oft sind auch toxische Tropes enthalten, wie Stalking (gern romantisch verklärt als „das Erobern einer Frau”) oder Gaslighting.

Dass die einzige queere Figur in einem Film auf dramatische Weise stirbt, war lange Zeit so Standard, dass ich es früher nicht mal hinterfragt habe.
https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/BuryYourGays

Ich könnte nun noch viele Beispiele nennen. Man schaue sich z.B. mal an, was Latinx und Bl_PoC in Hollywood häufig früher (und auch noch heute) für stereotype Nebenrollen angeboten bekommen (haben). Zum Beispiel: Raumpflegerin, Nanny, Kleinkriminelle, Gang-Mitglied, Service-Kraft, Drogensüchtige oder auch der funny Sidekick der weißen Protagonist:innen.

Ich bin frustriert. Filme/Serien, die älter als 10 – 20 Jahre sind, sind oft voll solcher problematischen Tropes. Bücher oft ebenso. Ich habe keine Lust mehr darauf, mir das anzusehen oder es zu lesen. Die Nostalgie, die ich dabei empfinden könnte, wird angesichts all solcher Tropes ganz schnell schal.

Aber eigentlich ist diese Frustration ein gutes Zeichen.

Denn ich bin nicht allein damit und es zeigt mir, wie sehr sich die Gesellschaft und der Zeitgeist verwandelt hat. Dass es immer mehr Menschen gibt, die solche -ismen, solche Tropes hinterfragen. Die das nicht mehr hinnehmen wollen. Die sich inklusiveres Entertainment wünschen, authentischer Repräsentation. Das kommt allmählich auch in den Köpfen der Kunstschaffenden an, bei Autor*innen, in der Filmindustrie und noch anderen Kunstgattungen.

Klar, es gibt noch immer die, die dann als erstes die Freiheit der Kunst mit Händen und Füßen verteidigen wollen. Das sind z.B. Leute, die verlangen, man müsse „die Kunst vor den Moralaposteln” retten. Nein, das muss man nicht. Und die Etablierten, die Privilegierten, die am Alten festhalten, weil es für sie bequemer ist, die werden nicht ewig kreativ sein. Machen wir es anders.

Muss man die Kunstschaffenden von ihrer Kunst trennen?

„Der Kuss der Muse“ von Félix Nicolas Frillié (1821-1863)
(public domain Abbildung)

Disclaimer: Im folgenden Text spreche ich von Kunst und Künstler*innen. Damit ist in diesem Fall nicht nur die bildende Kunst gemeint, sondern alle Kunstgattungen: Schriftstellerei, Musik, Schauspiel, Tanz, Bildhauerei, Film und andere.

Die Forderung nach der absoluten Freiheit der Kunst, das habe ich in den letzten Monaten, auch im Zusammenhang mit der viel diskutierten Meinungsfreiheit, immer wieder gehört.
Das Phantastik Autoren Netzwerk e.V. (PAN) hat kürzlich sein Programm für das diesjährige Branchentreffen veröffentlicht. Einer der Programmpunkte stieß teilweise auf Befremden, sowie mehrfach auf offenen Protest und wurde heftig diskutiert, hier auf Facebook und Twitter – der Vortrag „Rettet die Kunst vor den Moralaposteln!“ von dem Künstler Peter Kees. (Ein entsprechender Artikel von Kees ist auch online zu finden.)
Der Programmpunkt wurde nach längerer Diskussion, bei der sich sowohl Vereinsmitglieder als auch Externe zu Wort meldeten, schließlich abgesagt und durch einen anderen ersetzt.

Wie steht es um die Kunst heutzutage und vor allem die Trennung von Kunst und Kunstschaffenden?

Die #metoo-Bewegung hat vieles ins Rollen gebracht, nicht nur in Hollywood. Kevin Spacey, der sexuellen Missbrauchs angeklagt wurde, wurde aus einem Film herausgeschnitten, der noch nicht fertig gedreht war. Mehr und mehr Menschen (vor allem, aber nicht nur, Frauen) aus dem Showbusiness meldeten sich zu Wort, bericheten von Missbrauch, sexueller Belästigung, Vergewaltigungen. Auch bislang mehr oder wieder unangetastet gebliebene Filmgrößen wie Woody Allen und Roman Polanski gerieten dadurch stark (bzw. noch stärker als bisher) in Kritik. Der Prozess gegen den Film-Mogul Harvey Weinstein läuft noch. (1) Die Autorin J K Rowling erntete einen Shitstorm, als sie transfeindliche Äußerungen von TERFs mehrfach unterstützte. (2) Die Vergabe des Literaturnobelpreises an den Österreicher Peter Handke geriet zum Politikum, da dieser auch in seinem Werk umstrittene politischen Haltungen äußerte. (3)

Aber wer sagt eigentlich, dass man die Kunstschaffenden von der Kunst trennen muss? Ich gehe davon aus, dass diese These besonders gern in den Kultur- und Geisteswissenschaften gesehen wird. Dass sie von Kunstkritiker*innen genutzt wird, um sich allein auf das Werk einer Person zu konzentrieren, ganz unabhängig von deren Leben. Das erleichtert sicherlich auch die Analyse eines Werks, denn für eine solche gibt es in den entsprechenden Wissenschaften klare Vorgaben.

Allerdings wird bei solchen Analysen von Kunstkritiker*innen oft sehr klar unterschieden, ob es sich bei der kunstschaffenden Person um einen Mann oder eine Frau (oder nonbinäre Person) handelt. Ist es ein Mann, so sprechen Kritiker gern davon, welche künstlerischen Vorbilder dieser offenbar hatte (oder auch nicht), bei wem er seine Kunst gelernt hat und ähnliches. Auf das Privatleben der Person wird eher selten eingegangen und das ist ja auch nicht notwendig, wenn man die Kunst ganz klar von ihrem Schöpfer trennt.

Ist die Kunstschaffende allerdings eine Frau oder nonbinäre Person, gehen Kritiker oft stark auf deren Biografie ein, im Sinne von „in ihrer Kunst spiegelt sich ihre Biografie in diesen/jenen Punkten wieder…” Auch auf Lebensgefährt*innen oder andere Beziehungen der kunstschaffenden Frau oder nonbinären Person (oder andere wichtige Personen in ihrem Leben) wird oft wesentlich stärker eingegangen als bei männlichen Kunstschaffenden. Das als solches zeigt deutlich die noch immer nicht vollständige Gleichberechtigung der Geschlechter, auch im Kulturbereich.

Natürlich erleichtert es die Analyse und die Kritik an einem Werk, wenn man sich dieses ganz unabhängig von der Person dahinter anschaut. Man könnte sogar sagen, es ist deutlich bequemer, das zu tun.

Aber wir leben nicht mehr im 20. Jahrhundert, in dem die Aufgabe der Kunstkritik größtenteils allein beim Feuilleton großer Zeitschriften lag, bei entsprechend gebildeten Journalist:innen und Kulturwissenschaftler:innen.

Wir müssen die Kunstschaffenden nicht von ihrer Kunst trennen – weder die noch Lebenden, noch die Toten.

Wir leben in einer Zeit, in der sich viele Kunstschaffende direkt öffentlich zu Wort melden, in den social media. Dort wird anhand von Äußerungen oder auch einfach Likes meist recht schnell klar wird, was für Lebenshaltungen und Weltanschauungen die Kunstschaffenden vertreten – in Bezug auf Kultur, Politik und noch anderes. Viele Künstler*innen sind heutzutage öffentlich wie nie zuvor. Das hat alles seine Vor- und Nachteile, das steht außer Frage.
Und so wie sich Kunstschaffende öffentlich zu Wort melden, können das auch die Kunstkonsument*innen tun. Und das sind nicht nur Kulturexpert*innen und Kulturwissenschaftler*innen sondern auch Laien, – z.B. Buchblogger*innen und andere Menschen, die Rezensionen schreiben. Heutzutage kann jede Person ihre persönliche Meinung zu einem Kunstwerk öffentlich teilen. Entsprechend müssen Kunstschaffende heutzutage auch mit deutlich mehr kritischen Rückmeldungen rechnen, als wenn ihre Werke nur (wenn überhaupt) wie vor Jahrzehnten, in entsprechend spezialisierten Publikationen rezensiert werden würden.

Ich bin keine Kulturwissenschaftlerin, aber ich schreibe und illustriere. Meine persönliche Erfahrung damit zeigt mir: Ich kann meine Kunst nicht von meiner Person trennen. Meine persönliche Lebenserfahrung, auch Haltungen und Überzeugungen, Wahrnehmungen und Empfindungen, all das fließt in mein Werk mit ein.

Kunst entsteht nicht in einem luftleeren Raum. Es ist nicht so, dass ich mich – wie es der ziemlich deutsche Genie-Gedanke gern heraufbeschwört – hinsetze und mir eine Muse (siehe Abbildung oben), die absolut und vollkommen unabhängig von meiner Person ist, Dinge einflüstert, die ich dann zu Papier bringe.

Ein Teil des kreativen Schaffensprozesses ist immer bewusst. Dieser Teil hat mit dem erlernten künstlerischen Handwerk zu tun. Dies ist auch der Teil, der in einer Kunstanalyse oder in Rezensionen nach klaren Kriterien recht objektiv bewertet kann. Bei Autor*innen geht es an dieser Stelle darum, wie sie die Sprache verwenden, ob und wie sie zum Beispiel Metaphern, Vergleiche, Elipsen und/oder die vielen anderen Stilmittel einsetzen, die es gibt. Bei einem Musiker kann ganz klar die Technik bewertet werden, mit der er sein Instrument spielt.

Aber es gibt auch einen unbewussten Anteil im kreativen Prozess, der unter anderen auf das Kollektive Unbewusste zurückgreift. Das alles gilt sowohl für die schriftstellerische Tätigkeit, als auch für Musik, Kunstmalerei, Schauspiel, die Bildhauerei und möglicherweise auch für den Tanz. Und bei diesem Anteil speist sich vieles nicht nur aus dem Kollektiven Unbewussten, sondern auch aus der persönlichen Lebenserfahrung der kunstschaffenden Person, und die muss nicht immer positiv sein. Auch seelische Verletzungen, Frustrationen, Kummer, Agressionen oder destruktive Züge können in einem künstlerischen Prozess verarbeitet werden.

Ich wiederhole es noch einmal: Ich kann meine Kunst nicht von meiner Person trennen. Das, was ich in meine Kunst lege, dafür gibt es z. B. den Begriff „Herzblut”. Ich leide mit meinen Protagonist*innen, versetze mich in sie hinein, folge ihnen bis hin zu Gedankengängen und Empfindungen, die mir persönlich fremd sind, und dennoch vertraut, weil vieles davon im Kollektiven Unbewussten verankert ist. Oder auch durch persönliche Beobachtungen oder weil ich durch andere Geschichten oder durch Austausch und Interaktion mit real existierenden Menschen die Beweggründe, Motivationen und ähnliches bei diesen fiktiven Figuren nachvollziehen kann.

Wenn mir also durch meine persönliche Erfahrung bewusst ist, dass ich meine Kunst nicht von mir selbst trennen kann, wage ich zu fragen: Warum sollte ich das bei anderen Kunstschaffenden tun?

Zumal wenn sie noch leben und im Licht der Öffentlichkeit stehen, sich vielleicht auch öffentlich in Social Media austauschen und dort präsentieren? Wie ich schon weiter oben schrieb, wer sich öffentlich zeigt, der muss immer auch mit Kritik rechnen. Natürlich ist das unkomfortabel und natürlich kann man sich darüber aufregen, aber es ändert nichts daran. Wenn jemand kontroverse, provozierende Meinungen oder Geisteshaltungen vertritt, muss diese Person mit Gegenwind rechnen, vielleicht auch mit Shitstorms.

Mir ist durchaus bewusst, dass die „Cancel”-Kultur problematisch sein kann – wenn z.B. Äußerungen von Prominenten aus dem Zusammenhang gerissen werden oder wenn es unbewiesene Anschuldigungen gibt, die sich später als falsch herausstellen. Im Zweifel für die Angeklagten.
Wenn es allerdings zu Anschuldigungen kommt, die sich als wahr erweisen – auch Kunstschaffende stehen nicht über dem Gesetz. Auch nicht, wenn sie renommierte Genies auf ihrem Gebiet sind.

Wer hat etwas davon, die Kunstschaffenden von der Kunst zu trennen? Diese These wird vor allem dann genannt, wenn es um Künstler*innen geht, die Kontroversen auslösen, aus welchem Grund auch immer. Es dient dazu, deren Kunst (und auch ihre damit erworbenen Privilegien) zu verteidigen, gegen die Kritik an der jeweiligen Person.

Tod dem Autor?

Der französische Philosoph, Schriftsteller und Literaturkritiker Roland Barthes (1915 – 1980) vertrat die Auffassung, „Tod dem Autor”. Man solle quasi beim Lesen literarischer Werke Absicht und Biografie des Autors ausblenden. Der Autor sei dahingehend „tot“ und was er mit seinem Werk ausdrücken wolle, sei unwichtig. Das ist eine aus meiner Sicht ziemlich radikale Forderung. Ich frage mich, ob dieser Philosoph dieselbe These auch in einer so medialen Welt wie der unseren formuliert hätte, aber das ist reine Spekulation.

Ich bin so sehr an Menschen interessiert, dass es mir nicht gelingt, die Kunst vom Kunstschaffenden zu trennen. Und das liegt auch gar nicht in meinem Interesse. Aus meiner Sicht ist die Kunst ist für die Menschen da, nicht die Menschen für die Kunst. Ich bin keine Kulturwissenschaftlerin, die nach rein rationalen, objektiven Bewertungskriterien Kunstwerke analysiert. Apropos Objektivität: Die ist bei der Betrachtung von Kunst ohnehin nie vollständig gegeben, ein Teil davon ist immer subjektiv. Weil Kunstkritiker*innen auch nur Menschen sind und ihre persönlichen Lebenserfahrungen haben. Es sind keine Maschinen, die ausschließlich rational-logisch handeln (und denken).

Wenn ich persönlich erfahre, dass Künstler*innen sich sehr destruktiv, menschenverachtend oder gar kriminell verhalten (haben), vermindert sich bei mir das Interesse an ihrer Kunst signifikant. Ich bin übrigens auch nicht interessiert an rein provozierender oder menschenverachtender Kunst.

Und wer in seiner Kunst nach Minderheiten, nach marginalisierten Menschen, tritt, kann bei mir nichts gewinnen, sondern nur alles verlieren.

(1) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-02/harvey-weinstein-prozess-zeugin-gericht

https://www.sueddeutsche.de/panorama/weinstein-verteidigung-zeugen-1.4788493

(2) https://www.vox.com/culture/2019/12/19/21029852/jk-rowling-terf-transphobia-history-timeline

(3)
https://www.spiegel.de/kultur/literatur/peter-handke-ueber-den-literaturnobelpreis-milosevic-und-jugoslawien-a-1297415.html

https://www.zeit.de/kultur/literatur/2019-10/sasa-stanisic-deutscher-buchpreis-rede-kritik-peter-handke

Weiterführende Texte

Update 30.09.2021: Die Autorin Elea Brandt hat zu diesem Thema einen lesenswerten Beitrag verfasst:
https://eleabrandt.de/2021/09/30/trennung-werk-autor/

Auch June T. Michael hat einen Blogbeitrag zu diesem Thema:

Warum Kunst und Künstler*in untrennbar zusammengehören – und ein Versuch, zu rekonstruieren, woher diese Idee überhaupt kommt

https://ze.tt/warum-man-kunst-nicht-von-der-person-trennen-kann-die-sie-erschaffen-hat/

Über inklusive Phantastikwelten

Abbildung: Ольга Бережна, Boaphotostudio

Heute möchte ich gern wieder mal über ein Thema schreiben, das mir persönlich am Herzen liegt: Diversität und Inklusion in der Literatur, in der Phantastik.

Der Weltenbau, das ist ein zentraler Bestandteil jeglicher Phantastik. Gerade die Phantastik hat in all ihren vielen Subgenres (Fantasy, Science-Fiction, Steampunk, Horror, Dystopien, Hopepunk und viele mehr) die wortwörtlich phantastische Möglichkeit, Gesellschaft(en), politische Systeme, ja ganze Welten oder Universen anders zu denken.

Manche Phantastikautor*innen orientieren sich sehr nah an realen historischen Vorbildern und übernehmen dann auch gleich als das Negative, was es in der Geschichte der Menschheit gegeben hat und häufig noch immer gibt, z.B. Frauenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Unterdrückung von Minderheiten. Manche Phantastikautor*innen tun dies reflektiert, mit entsprechender immanenter Gesellschaftskritik, indem sie zum Beispiel aufzeigen, was Unterdrückung und menschenverachtende Verhaltensmuster so alles anrichten kann.

Andere Autor*innen machen dies nicht, sie zeigen all solche negativen, destruktiven gesellschaftlichen Verhältnsse, ohne daran immanent Kritik zu üben, und verkaufen das dann als historisch inspirierten Realismus („Das war halt so im Mittelalter!” wird dann gern gesagt – ja, auch wenn es sich um Fantasy handelt). Zu diesem Thema hat Aurelia vom Blog „Geekgeflüster“ einen interessanten Essay geschrieben, den ich unten bei den weiterführenden Texten verlinkt habe.

Aber es gibt auch ganz andere Phantastik. Phantastik, die vollkommen ohne Queerfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenhass, Sexismus, Ableismus oder andere schädliche, menschenverachtende -ismen auskommt.
Ich habe in den letzten Jahren Fantasyromane gelesen, in denen Männer ganz selbstverständlich andere Männer heiraten konnten (1). Ich habe einen dystopischen Steampunk Roman gelesen, in dem die lesbische Protagonistin ganz einfach lesbisch sein kann, ohne dass dies zu dramatischen Verwicklungen führte oder als Plotdevice eingesetzt wurde (2). Zurzeit lese ich einen mit Preisen ausgezeichneten, fünfzig Jahre alten Science-Fiction Roman, in dem Gender und Sexualität vollkommen anders gedacht werden und auch ganz andere Auswirkungen auf Politik, Kultur und Gesellschaft haben (3).
Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen um Polyamorie kein Drama gemacht wird, sondern sie einfach als eine alternative Beziehungsform etabliert ist (4).
Ich habe einen Hopepunk-Roman und einen Science-Fiction-Zweiteiler gelesen, in dem Neopronomen und nonbinäre Personen ganz selbstverständlich in die Handlung einbezogen wurden (5). Und das sind nur einige Beispiele für inklusive Phantastik.

Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen Menschen, oder auch humanoide Aliens und Fantasykreaturen, mit verschiedenen Hautfarben und Herkünften, oder auch als Anhänger verschiedener Glaubensgemeinschaften, ganz selbstverständlich und ohne Drama zusammen an Aufgaben, Rätseln, Fällen oder anderen Problemen arbeiten, ohne Rassismen oder Diskussionen um ihre verschiedenen Religionen.

Es gibt Phantastik, die inklusiv ist, die Protagonist*innen und/oder Nebenfiguren mit Behinderungen, Neurodiversität, psychischen Erkrankungen (von Betroffenen oft als Neurodivergenzen bezeichnet) oder chronischen Erkrankungen als Handlungsträger*innen hat und zwar ohne, dass sich diese Leute ständig mit Ableismus konfrontiert sehen, wie es viele Betroffene ganz real im Alltag erleben.

Menschen, die von all solchen Dingen nicht im Geringsten betroffen sind, können sich vielleicht gar nicht vorstellen, was es für Betroffene, für Menschen aus marginalisierten Gruppen bedeutet, wenn sie sich selbst in der Literatur, in der Phantastik, oder auch in Filmen, Serien, Spielen etc. repräsentiert finden – und zwar auf eine Weise, die nicht in erster Linie das real immer wieder erlebte (Alltags-)Leid mit all den Diskriminierungen und -ismen widerspiegelt, sondern als Held*in einer Geschichte – oder wenigstens als starke Nebenfigur.

Dafür gibt es im englischsprachigen Raum den Hashtag #RepresentationMatters

Phantastik bietet wie kein anderer Bereich der Literatur die Möglichkeit, Welten zu erschaffen. Wenn du selbst als Autor*in solche Welten erschaffen willst – bitte geh in dich und frage dich, was für eine Welt soll es sein? Was soll sie widerspiegeln? Können die Kulturen, die Gesellschaften dort ganz anders sein als in unserer realen Welt? Was würde sich dadurch verändern? Phantasie kann eine Menge Macht haben, denn du kannst mit ihr ganze Welten kreieren. Nutze sie weise.

Weiterführende Texte:

Das Märchen von der unpolitischen Fiktion
https://geekgefluester.de/das-maerchen-von-der-unpolitischen-fiktion

Fantastisch Politisch
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-politisch/

Weltenbau 101: Fantastische Genderrollen?
https://alpakawolken.de/weltenbau-101-fantastische-genderrollen/

„Historische Korrektheit“ von Fantasy-Welten ist Quatsch
https://geekgefluester.de/historische-korrektheit-fantasy

(1) Die „Inselreich“-Reihe von Jona Dreyer
(2) „Berlin: Rostiges Herz“ von Sarah Stoffers
(3) „Die linke Hand der Dunkelheit“ (auch veröffentlich als „Winterplanet“) von Ursula K. Le Guin
(4) z.B. in „An Accident Of Stars“ von Foz Meadows
(5) „Wasteland“ von Judith Vogt und Christian Vogt sowie die „Sternenbrand“-Dilogie von Annette Juretzki

Alles ist politisch

Heute ein politischer Beitrag von mir. In Deutschland gibt es seit wenigen Jahren eine Partei, die sich bürgerlich-konservativ gibt und die eigentlich am rechtsäußeren Rand des politischen Spektrums angesiedelt ist. In dieser Partei gibt es Menschen, die die Demokratie abschaffen wollen. Diese Partei mischt mittlerweile in der Politik mit. (1) Wenn andere Parteien sie nicht daran hindern.

Zeitgleich gibt es in der Kultur die Debatte um Meinungsfreiheit – und die Freiheit der Kunst.

Der Konzeptkünstler Peter Kees schreibt in „Meinungsfreiheit – Rettet die Kunst vor den Moralaposteln”(2):

Kunst ist per se nicht demokratisch. Sie muss frei sein und bleiben dürfen, wie in unserer Verfassung verankert. Dabei darf sie durchaus auch undemokratisch und moralisch nicht integer sein.”

Eine Kunst, die undemokratisch sein darf? Schauen wir uns einmal den Begriff Demokratie genauer an.

Die Demokratie, (vom altgriechischen δημοκρατία ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘) steht für politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen. Und damit ist das gesamte Volk gemeint. Nicht nur eine privilegierte Mehrheit. Sondern auch Minderheiten und marginalisierte Menschen (auch wenn letztere häufig genug noch strukturell diskriminiert werden, aber das ist ein eigenes Thema für sich, auf das ich in diesem Beitrag nicht weiter eingehen werde). Die Demokratie steht letztendlich auch für eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben.

Ein Gegenstück zur Demokratie sind Diktaturen, totalitäre Systeme, wie z.B. der Faschismus. Diesen Systemen ist bei aller Unterschiedlichkeit immer gemeinsam, dass sie bestimmte Menschengruppen für „höherwertig” erachten und andere Gruppen als minderwertig betrachten. Es sind Systeme, die systematisch Menschenverachtung betreiben, eine Menschenverachtung, die bereits zu Millionen Todesopfern geführt hat.

Eine Kunst, die sich nicht um Demokratie schert, nicht um eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Diskurs, ist fatal in einer Zeit, in der seit langem Unsagbares wieder sagbar gemacht wird, in der sich Diskurse erschreckend verschieben. In einer Zeit, in der sich neue undemokratische Gruppierungen bilden.

In einer Zeit, in der Phrasen wie „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen” oder auch „Ich bin nicht gegen (marginalisierte Menschen), aber…” salonfähig gemacht werden.

Eine Zeit, in der sich manche Mörder offen zu Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bekennen. (3, 4)

Und was fällt unter die Meinungsfreiheit, könnte man fragen?
Rassismus und Antisemitismus sind keine Meinungen, sondern Menschenverachtung.
Queerfeindliches Verhalten ist keine Meinung, sondern Menschenverachtung.
Gleiches gilt auch für Ableismus, Sexismus, Anti-Femininismus und andere -ismen, die sich gegen marginalisierte Menschen richten.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das sollte anhand der deutschen Geschichte eigentlich vollkommen klar sein und keinerlei Optionen für eine Diskussion offen lassen.

Alles ist politisch. Auch die Kunst. Auch die Literatur, ja sogar die Phantastik.

Wer dafür eintritt, dass die Kunst alles darf, dass in der Kunst alles getan und gesagt werden darf, auch unmoralisches, undemokratisches (und das möglicherweise auch ganz unreflektiert, unkritisch), der muss mit Kritik rechnen. Der muss damit rechnen, dass sich Menschen von dieser Kunst abwenden.

Der muss aber auch damit rechnen, dass unmoralische, undemokratische Menschen solche Kunst feiern, weil diese ihnen auf die metaphorische Schulter klopft, weil diese sie bestärkt in ihren unmoralischen, undemokratischen Weltanschauungen.
Es gibt Studien, die zeigen, dass sich auch fiktive Inhalte nachhaltig auf Menschen und deren Handeln, Fühlen, Empfinden und deren Weltanschauungen auswirken können. (5)

In den letzten Monaten beobachte ich die öffentliche Debatte um Meinungsfreiheit und was die Kunst alles darf mit zunehmender Sorge. Außerdem bin ich der Ansicht, dass man nicht allem und jedem eine Bühne bieten sollte, und das gilt sowohl im politischen Bereich als auch in der Kunst.

(1) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-die-fdp-hat-sich-von-faschisten-ins-amt-waehlen-lassen-a-12efca47-e6ab-4d93-9e4b-e74a6c849f9e

(2) https://www.deutschlandfunkkultur.de/meinungsfreiheit-rettet-die-kunst-vor-den-moral-aposteln.1005.de.html

(3) https://www.spiegel.de/panorama/justiz/walter-luebcke-stephan-ernst-was-wir-ueber-den-taeter-wissen-a-1274385.html

(4) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-10/jeremy-borovitz-halle-anschlag-synagoge-antisemitismus-ueberlebender

(5) Mehr darüber in Eleas Brandt Essay „Fantastisch politisch“:
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-unpolitisch/

Natscha Strobel: „Warum man nicht mit Rechten reden sollte“
https://mosaik-blog.at/strategien-neue-rechte-mit-rechten-reden/

„Du kommst hier nicht rein!“ – Gatekeeping in Hobbys

Abbildung: Lothar Dieterich, Creative Commons Lizenz

Ich möchte heute ein bisschen über Hobbies, schreiben z.B. Cosplay. Larp. Steampunk. Fandoms. Games. Wer als enthusiatischer Newbie neu in eine entsprechende Community einsteigt, wird früher oder später auf die Gatekeeper stoßen. Der Begriff leitet sich u.a. ab von jener mystisch-mythologischen Torwächterin, die Reisenden Rätsel oder Aufgaben stellt, ehe sie den Weg (vielleicht) freigibt.

Wikipedia schreibt über Gatekeeper im Bereich der Nachrichtenforschung:
„Als Gatekeeper (deutsch: Torwächter, Schleusenwärter oder Türsteher) bezeichnet man in den Sozialwissenschaften metaphorisch einen (meist personellen) Einflussfaktor, der eine wichtige Position bei einem Entscheidungsfindungsprozess einnimmt. ”

Gatekeeper, das sind Leute, die das Hobby schon seit Annodazumal betreiben oder schon seit Urzeiten im Fandom sind und die als selbsternannte Expert*innen genau wissen, wie es geht, was nicht geht, was „man darf”, was nicht und so weiter. Und die auch ungefragt anderen Leuten ihre Meinung aufdrängen, wie sie ihr Hobby zu betreiben haben oder wie sie ihr Fansein ausleben sollten.

Vielen Hobbyist*innen ist eines gemeinsam: Ihre einzige Gemeinsamkeit ist das Hobby. Darüber hinaus können sie als Menschen sehr, sehr unterschiedlich sein und dank Internet auch quer über den Globus verteilt sein. Sie haben unterschiedliche politische Ansichten und Weltanschauungen, verschiedene Glaubenszugehörigkeiten (oder auch keine), sind straight oder queer, cis oder trans, weiß oder Schwarz, People of Color, sind wohlhabend oder eher weniger, haben Kinder oder auch nicht, sind Single oder in Beziehungen und so weiter.
Und so verschieden, wie sie im Alltagsleben sind, so verschieden sind auch die Heransgehensweisen der einzelnen Individuen an ihr Hobby.

Nicht jede Person, die ein Hobby betreibt, erhebt dies zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens.

Nicht jede Person verbringt Stunden und Tage damit, Kostüme zu nähen, Accessoires und Requisiten zu gestalten, nicht jede spielt jeden Tag ihre Lieblingsgames rauf und runter oder besucht Game-Conventions. Nicht jeder Mensch verbringt täglich Zeit in Online-Fandom-Foren oder hat die Zeit oder das Talent, um Fanart zu gestalten oder Fanfictions zu schreiben oder zu lesen. Nicht jede Person reist mehrfach jährlich zu vielen Veranstaltungen (z.B. am Wochenende), die mit dem Hobby zu tun haben.

Gatekeeper erwecken allerdings gern den Eindruck, all das sei aber zwingend notwendig, weil man ja sonst das Hobby nicht ernsthaft betreibe.

Gatekeeper maßen sich auch gern die Deutungshoheit darüber an, was ein gelungenes Outfit ist und was nicht – besonders wichtig bei Cosplay, Larp, Steampunk. In der deutschsprachigen Steampunk Community wird immer wieder darüber diskutiert – ist das Steampunk? Was ist Steampunk? Ist mein gekauftes Kleid, weil ich nicht nähen kann, Steampunk? Sind die aufgeklebten Zahnräder und die Goggles Steampunk, oder muss das alles auch eine Funktion haben, wie manche Geräte von Steampunk-Makern? Wie historisierend muss Steampunk sein? Muss er das überhaupt sein? Und wie ist es eigentlich mit Überschneidungen zu Cyberpunk, Gothic, Science-Fiction und anderen?

Gatekeeper reißen auch hier gern die Deutungshoheit an sich: So, wie sie Steampunk sehen, so ist es und nicht anders. Es gab mal eine Social Media Gruppe mit dem Namen „Ich mag meinen Steampunk undefiniert” und auch das Gegenstück dazu, „Ich mag meinen Steampunk definiert” existierte.

Genau das ist das Lieblingshobby der Gatekeeper: Sie definieren, was das Hobby ausmacht. Sie sind die selbsternannten Expertinnen.

Und vergessen gern darüber eines: Dass es hier nicht um eine exakte Wissenschaft geht. Auch nicht um geschichtliche Fakten oder um ein möglichst authentisches Reenactment. Ein Hobby ist ein Hobby ist ein Hobby. Es soll Spaß machen. Auch wenn dieser Spaß für unterschiedliche Leute nicht exakt gleich aussieht. Weil Menschen nun mal unterschiedlich sind. Auch die Geschmäcker sind verschieden. Was dir im Hobby Spaß macht, das ist vielleicht nichts für mich. Und was mir gefällt, damit kannst du vielleicht nichts anfangen. Trotzdem ist es für uns beide ein Hobby.

Mittels (erfolgreichem) Gatekeeping wird aus eine Gruppe von Hobbyist*innen allerdings schnell ein elitärer Club, der nur andere Mitglieder akzeptiert, wenn sie das Gatekeeping und die damit verbundenen, selbst auferlegten Normen verinnerlicht haben.

Im Cosplay-Bereich sagen einem manchen Gatekeeper, richtiges Cosplay setze immer eine Eins-zu-Eins-Umsetzung von Kostümen voraus und am besten eine besondere hohe persönliche Ähnlichkeit mit dem dargestellten Charakter. Wer in dieses enge Bild nicht hineinpasst, aufgrund von Hautfarbe, Haarfarbe, Körpertyp oder gar Behinderungen und ähnliches, oder wer einfach schlichtweg nicht den Geldbeutel hat, um ein perfektes Cosplay sein Eigen zu nennen, dem werden Gatekeeper möglicherweise die Freude an diesem Hobby schnell vermiesen. Neulich las ich außerdem ein Interview, dass sich mit Mobbing im Cosplay beschäftigt, was teilweise auch wieder mit Gatekeeping-Haltungen zu tun hat:
https://www.teilzeithelden.de/2020/01/08/interview-eine-kampagne-gegen-mobbing-im-cosplay/

Im Gaming kenne ich mich persönlich nicht aus, aber ich habe einiges durch meinen Bekanntenkreis gehört. Auch hier gibt es Gatekeeper, die schon seit Annodazumal gamen und zum Beispiel alles, wirklich alles über Spiel XYZ wissen. Anfänger*innen werden da schon mal belächelt, oft auch ob der Wahl ihrer Spiele, manche von ihnen dürfen sich Mansplaining anhören und können froh sein, wenn sie überhaupt in der Gamingcommunity akzeptiert werden. Zu diesem Thema hat Aurelia in ihrem Blog Geekgeflüster vieles geschrieben:
https://geekgefluester.de/category/alle-themen/gaming

Zum Beispiel hier: https://geekgefluester.de/von-gamer-girls-romance-und-internalisierter-misogynie

Ich kenne einige Leute, die in Fandoms unterwegs sind und die sich aus entsprechenden Social Media Gruppen komplett zurückgezogen haben, weil sie den Umgang der Gruppenmitglieder untereinander als toxisch empfunden haben. Ob das dann auch mit Gatekeeping zu tun hatte, mag sein, aber in dem Bereich fehlen mir die entsprechenden Erfahrungen, deshalb kann ich dazu wenig sagen. Ich habe allerdings einen englischsprachigen Text von Rachael Lefler gefunden, der teilweise nahelegt, dass auch hier Gatekeeping eine Rolle spielt:
https://reelrundown.com/misc/5-Factors-that-Can-Cause-Toxic-Fandom-to-Arise

Ein Zitat daraus (von mir übersetzt):

„Es gibt dieses Gefühl von Überlegenheit. Toxische Fans können sich gegenüber anderen Fans, die weniger intensiv/obsessiv sind und oft als „Casuals” bezeichnet werden, überlegen fühlen. Wehe, wenn du ein Shirt von einer Serie trägst, aber nicht obsessiv über diese Serie nachdenkst. (…) Toxische Fankultur entwickelt sich in einem Bereich, der als Internet Echokammer bekannt ist. Eine Echokammer ist ein Raum (oft in Internet-Foren oder Social Media Gruppen), in dem widersprechende Meinungen nicht geduldet werden. Das bedeutet, die Gruppe hat eine konformistische, herdenartige Mentalität. Alles was sie sagen und tun, füttert ihre Vorlieben und ihre Voreingenommenheit gegenüber Outsidern. Wenn eine Außenseiterin hereinkommt und versehentlich einen Fauxpas in einer solchen Gruppe begeht, wird sie in der Regel unhöflich darüber aufgeklärt oder sogar einfach aus der Gruppe verbannt.
Das heizt den oftmals fast kultischen Fanatismus toxischer Fans an. Es empowert sie und ermutigt sie, denn sie fühlen sich als große Gruppe an Leuten, die mit ihren Ansichten übereinstimmen. Und egal wie klein diese Ansichten innerhalb eines Fandoms sind, wird man darin Nischen finden mit Menschen, die derselben Ansicht sind.”

Im LARP gibt es in Social Media Gruppen und Foren, in denen man seine Outfits (im LARP „Gewandung” genannt) vorstellen oder auch Fragen rund um die Gestaltung stellen kann. Und auch da stehen oft die Gatekeeper ganz schnell vor dem virtuellen Tor und erklären auch enthusiatischen Newbies gern ungefragt, was sie alles mit ihrer Gewandung verkehrt machen und wie sie es gefälligst besser machen (mit dem Subtext: „Wenn das nicht besser wird, wirst du hier bei uns nicht als ernsthafte LARPer*in akzeptiert“). Mit anderen Worten: Hier wird, ähnlich wie im Cosplay und Steampunk, nicht selten Costume-Shaming betrieben.

Gatekeepern ist dabei meistens auch egal, ob die betreffende Person vielleicht gar nicht nähen kann, nicht die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten hat, sich ein (hochwertiges, aber teures) Outfit zu leisten oder ähnliche Schwierigkeiten bestehen.

LARP ist übrigens tendenziell ein teures Hobby, denn nicht nur Outfits, Requisiten, Accessoires, sondern in vielen Fällen auch eine Camping-Ausstattung mit Zelt und natürlich die Con-Gebühr sowie die Anreise wollen finanziert werden. In vielen Fällen ist es schwierig, ohne eigenes Auto überhaupt anzureisen, da entsprechende Veranstaltungen meistens auf dem Land bzw. eher an abgelegenen Orten stattfinden. Es gibt zwar auch LARP-Formen, die den Einstieg einfacher machen, auch kann man quasi als Nichtspieler*incharakter, (abgekürzt NSC) auf Cons fahren, aber grundsätzlich sind die Hürden für Neueinsteiger*innen nicht gerade niedrig.

Ich war längere Zeit Admin in einigen Gruppen bei Facebook, darunter auch Hobbygruppen zu LARP und Steampunk. Immer wieder fragen dort Neueinsteigerinnen nach Tipps für den Anfang. Dahinter steckt natürlich zum einen Neugier, zum anderen aber vielleicht auch die Angst, etwas falsch zu machen, anzuecken, weil man das Hobby nicht „richtig” betreibt.

Aber wer bestimmt das denn bitte schön? In den Social Media bestimmen es die Gatekeeper, die am lautesten sind. Oder zumindest versuchen sie es, indem sie Neulinge mitunter solange in Diskussionen zutexten, bis diese mit dem metaphorischen Rücken zur Wand stehen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Interessierte sich enttäuscht aus einem Hobby zurückgezogen haben, weil sie an solche Gatekeeper geraten sind.

Deshalb möchte ich gern zu folgendem aufrufen:
Auch wenn du ein Hobby schon seit Annodazumal betreibst, überlege dir bitte gut, ob du Neulingen wirklich ungebetene Ratschläge geben möchtest. Erinnere dich bitte einmal daran, wie du selbst in das Hobby oder Fandom eingestiegen bist.

Frag Einsteigerinnen bitte erst mal, ob sie deinen Rat hören möchten, oder nicht. Und wenn nicht, das akzeptiere das bitte. Vielleicht haben sie auch einfach gerade keine Zeit für eine längere Diskussion.

Akzeptiere bitte, dass Menschen Hobbies unterschiedlich betreiben, je nach ihren Möglichkeiten und ja, auch nach Lust und Laune. Das gilt auch für Fandoms.
Du musst dich ja nicht mit jeder Person beschäftigen, die zufällig dasselbe Hobby hat wie du oder die im selben Fandom ist.

Und wenn dir etwas Kritisches gegenüber anderen auf der Zunge liegt, denk bitte daran: Hobbys sind Freizeitbeschäftigungen, die Spaß und Erholung bieten sollen. Für dich und für andere.

Und wenn du trotzdem allem Kritik anbringen möchtest, dann bitte konstruktiv, so dass
die Kritisierte etwas damit anfangen kann. Damit hilfst du der Person sicher mehr, als z.B. mit einem „Dein Outfit ist sch***ße!“

Denk bitte inklusiv: Alle dürfen mitmachen. Nicht nur die mit langjährigen Erfahrungen, sondern auch diejenigen, die gerade erst anfangen. Auch diejenigen, die nur hin und wieder das Hobby betreiben. Auch diejenigen, die aufgrund von Aussehen, Körpertyp, Behinderungen nicht in die gängigen Schönheitsnormen passen. Oder um es ganz allgemein zu sagen: Auch diejenigen, die anders sind als du.

Mit Gatekeeping in Medien und der Rollenspielcommunity befasst sich auch eine Episode des Genderswapped Podcast:
https://genderswapped-podcast.podigee.io/35-episode-26

Sehenswertes Video auf YouTube: „Feedbackkultur am Arsch? Das 2. GESICHT vom LARP / Ninas LARP Guide“
https://www.youtube.com/watch?v=4pTLXc31YBY