(Update im Juni 2024)
In diesem Beitrag schreibe ich über das Thema Bisexualität, da ich mich selbst mit diesem Umbrella-Term identifiziere, und wie diese in Medien wie Büchern, Filmen, Serien dargestellt wird.
Zunächst ein paar persönliche Worte: Ich selbst habe erst mit Mitte Dreißig herausgefunden, dass ich bisexuell (bzw. genaugenommen panromantisch) bin, weil ich bis dahin populären Irrtümer über die sexuelle Orientierung geglaubt habe, z.B. die folgenden:
„Das ist nur eine Phase. Früher oder später wird einem klar, dass man eigentlich hetero- oder homosexuell ist”
„Man muss sich zu gleichen Teilen zu Männern und Frauen hingezogen fühlen, um als bisexuell zu gelten.”
„Man muss mindestens einmal eine Beziehung/und/oder Sex zu einem Mann und einer Frau gehabt haben, um sich als bisexuell identifizieren zu können.”
Erst ein Artikel der amerikanischen Organisation GLAAD hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet, der leider nicht mehr online ist.
Nun ist es so, dass auch heute noch immer mal wieder Vorurteile über Bisexuelle in Medien verbreitet werden, was früher noch ausgeprägter war. Zum Beispiel gab es lange Zeit den Trope des „depraved bisexual”, in dem entsprechende Charaktere oft mit Stereotypen dargestellt werden, z.B. als hypersexuell, promiskuitiv, manipulativ oder, um des Dramas willen, sogar als gefährlich oder mörderisch.
Ein weiteres negatives Trope ist „Bury your gays” , von dem nicht selten auch bisexuelle Figuren betroffen sind. An dieser Stelle möchte ich gern den „Lexa Pledge” erwähnen, der sich seit 2016 im englischsprachigen Raum für eine bessere Repräsentation von lesbischen und bisexuellen Frauen einsetzte. Diese Initiative geht zurück auf den Tod des Charakters Lexa aus „The 100”. Dieser wiederum steht in der traurigen Tradition des oben genannten Tropes. Das bedeutet, dass queere Figuren in Filmen, Serien und anderen Medien häufig gewaltsam sterben, in erster Linie, um Drama zu erzeugen. Oftmals wird dieses Handlungsmuster auch verwendet, um die Charakterentwicklung des (heterosexuellen) Protagonisten voranzutreiben. Dieser Trope ist besonders dann schädlich, wenn in einer Geschichte ausschließlich einer oder mehrere queere Figuren sterben, während die heterosexuellen Charaktere überleben. Denn wer selbst queer ist, kann angesichts solcher Geschichten fast den Eindruck bekommen, dass queere Menschen meistens ein besonders schweres Schicksal haben, das selten gut endet.
Bisexuelle müssen sich von Heterosexuellen oft anhören, sie seien zu queer. Von Homosexuellen wiederum kommt häufig der Vorwurf, sie seien zu feige, um sich als homosexuell zu outen. Letzteres basiert auf den Vorurteilen, dass Bisexualität eigentlich gar nicht existiere oder lediglich eine Phase sei. Ein weiteres Problem, mit dem Bisexuelle oft zu kämpfen haben, ist ihre relative Unsichtbarkeit: Eine Person in einer gegengeschlechtlichen Beziehung wird als heterosexuell gelesen. Eine Person, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung ist, wird von ihrem Umfeld als homosexuell gesehen. Wer also von sich aus nicht erklärt, er sei bisexuell, wird so u. U. gar nicht als solcher wahrgenommen.
Diese Form von Unsichtbarkeit ist auch in vielen Medien zu finden und wird im englischsprachigen Raum auch als „Bisexual erasure” bezeichnet: Also ein Ausradieren der eigentlichen sexuellen Orientierung.
Ein Beispiel hierfür: Willow aus „Buffy – Im Bann der Dämonen” ist zunächst mit einem Mann (Oz) zusammen, später mit einer Frau (Tara). Das Wort Bisexualität wird in diesem Zusammenhang nie erwähnt, Willow äußert auch nie entsprechende Gedanken gegenüber anderen. Stattdessen beschreibt sie sich selbst als lesbisch. Nun gibt es durchaus Menschen, die sich zunächst unsicher sind, was ihre Sexualität betrifft, aber in Willows Fall würde das quasi bedeuten, dass die längerfristige Romanze mit Oz nicht echt war, wenn sie sich eigentlich als lesbisch sieht.
Weitere Filme, in denen Figuren nie auch nur ansatzweise über Bisexualität sprechen, obwohl es dazu einige Gründe gebe, sind z.B. „The kids are alright”, „Freier Fall” und „Chasing Amy”. Und noch ein Beispiel: Der Comic-Charakter Constantine ist in den Comics offen bisexuell, jedoch nicht in der Verfilmung von 2005 und auch nicht in der Adaption von NBC aus dem Jahr 2014. In beiden wird er als heterosexuell dargestellt. Ähnliches gilt für den Comic-Charakter Deadpool (der in den Comics offiziell pansexuell ist). Einige englischsprachige Artikel zum Thema Bisexual erasure sind am Ende des Artikels verlinkt.
Gelegentlich wird Bisexual erasure auch für Queerbaiting ausgenutzt, so zum Beispiel in der Serie „Supernatural”. Dean Winchester ist auf der einen Seite mehr oder weniger ein Womanizer, auf der anderen Seite hat er eine so innige Freundschaft mit dem Engel Castiel, dass diese schon als deutlich mehr erscheint. Zumindest wird entsprechendes immer wieder angedeutet und sei es nur über den Subtext. Aber dabei bleibt es, aus ihrer Beziehung wird nie eine richtige Romanze und keiner von ihnen outet sich. (Spoiler Alert: Am Ende der 15. Staffel erklärt Castiel schließlich dann doch seine Liebe zu Dean, aber das geht nicht gut aus.)
An der Frage, ob Dean bi ist, scheiden sich die Geister im entsprechenden Fandom und das Shipping „Destiel” war oder ist so beliebt, dass es nicht nur unzählige Fanfictions zu diesem Thema gibt, sondern 2016 sogar eine Destiel-Convention.
Im Artikel „Supernatural’s Scariest Monster: Bi Erasure” (nicht mehr online) schreibt der Verfasser: „In gewisser Weise zieht die Serie Vorteile aus dem bi erasure und benutzt es als Brennstoff für ihr Queerbaiting-Feuer”.
Und wie sieht es in der Literatur aus?
Bei einer Suche nach Büchern, in denen Bisexuelle vorkommen, stieß ich als erstes auf Erotik-Literatur, die häufig Dreiecksbeziehungen oder -Affären abbildet, wie schon auf den Covern zu sehen ist. Also ein weiteres Klischee über Bisexuelle – dass sie nur in einer Dreiecksbeziehung mit beiden Geschlechtern glücklich sein könnten.
In der Belletristik fand ich den Begriff „bisexuell” fast nie direkt im Klappentext, obwohl das eigentlich hilfreich wäre oder zumindest Andeutungen in dieser Richtung. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert, da viele Autor*innen ihre Bücher mit Tags und Tropes versehen, in denen dann auch Bisexualität oder andere Formen von Queerness erwähnt wird.
Im Bereich der deutschsprachigen Lesbian und Gay (bzw. Sapphic und Achillean) Romance Bücher tauchen hin und wieder offen bisexuelle Charaktere auf, aber im Vergleich mit lesbischen oder schwulen Charakteren sind sie noch immer eher selten.
Wie kann denn nun eine gute Repräsentation von Bisexualität aussehen?
Eine gute Repräsentation würde meiner Meinung nach damit anfangen, dass entsprechende Charaktere offen bisexuell sind und auch darüber mit anderen sprechen. Oder sich – für den Anfang – zumindest schon mal darüber Gedanken machen, was ja auch in Form innerer Monologe geschehen kann. Ebenso wäre ein Verzicht auf Vorurteile und eine klischeefreie Darstellung wünschenswert. Oder aber, dass bisexuelle Figuren auf Vorurteile, mit denen sie konfrontiert werden, adäquat reagieren.
Außerdem sollten sie nicht allein über ihre Sexualität definiert werden und, wie andere Charaktere auch, über einzigartige Eigenschaften, Stärken, Schwächen, Macken etc. verfügen, so dass es keine blassen Figuren sind, sondern lebensechte Menschen.
Leider kenne ich selbst nur wenige Beispiele, bei denen diese Repräsentation gut gelungen ist. Das ist zum Beispiel der Fall in der in der Serie „Crazy Ex-Girlfriend”, in dem ein bisexueller Charakter (Darryl Whitefeather) sogar ein Lied über seine Orientierung singt und dabei auch gleich mit einigen Vorurteilen aufräumt: https://www.youtube.com/watch?v=5e7844P77Is
Selbst in Serien, in denen es mehrere queere Charaktere gibt, sind offen bisexuelle eher selten zu finden. Da mir selbst so wenige positive Beispiele eingefallen sind, habe ich 2019 bei Twitter eine Umfrage gemacht nach offen bisexuellen Figuren, die möglichst klischeefrei dargestellt werden.
Diese hier wurden mir genannt – eine Liste, die natürlich nicht vollständig sein kann:
Jack Harkness aus „Doctor Who” und „Torchwood” (er könnte auch pan sein)
Stella Gibson in „The Fall“
Kelly in „Black Mirror: San Junipero“
Edie und Russell aus „Six Feet Under“
Sadie im gleichnamigen Thriller von Courtney Summers
Leliana und Zevran Arainai aus „Dragon Age: Origins“
In „Dragon Age 2“: alle vier Companions (Anders, Fenris, Isabela und Merrill)
In „Dragon Age: Inquisition“: Iron Bull (bzw. eigentlich pansexuell) und Josephine Montilyet
Kyra Hare aus „Der Schleier der Welt” von R.A. Prum und S.C. Kreuer mehrere Charaktere im geschriebenen Webserien-Projekt „Mosaik”, ebenfalls von R.A. Prum und S.C. Kreuer
Toni Topaz aus der Serie „Riverdale”
Korra und Asami aus „Legend of Korra”
Amalia in der Sookie Stackhouse-Reihe, sowie Pam in der TV-Adaption „True Blood”
H.G. Wells in der Serie „Warehouse 13”
Bo aus „Lost Girl”
Magnus Bane aus „Shadowhunters”
Zeyn aus der „Sternenbrand”-Dilogie von Annette Juretzki
Askar und die Rote Dame aus „Opfermond” von Elea Brandt.
Rosa aus der Serie „Brooklyn 99”
Myoujin Araya aus dem Manga „Act-Age”
Mitsuri Kanroji aus „Kimetsu No Yaiba“
Sara Lance aus „Arrow“/ „Legends Of Tomorrow“
Waverly Earp aus „Wynonna Earp“
Henry Marley aus dem Manga „Java Bonds“ von Nana Yaa Kyere
Stephen Stills aus den „Scott Pilgrim“-Comics
Leah aus „Leah on the Offbeat“
Viola Davis in „How to get away with murder“
Amy aus „Faking it“
Zakia aus „Sense8“
Außerdem wurde das Spiel „Mass Effect” in diesem Zusammenhang erwähnt.
In meinen eigenen Büchern gibt es ebenfalls mehrere bisexuelle Figuren.
Gerade in den letzten Jahren ist das Thema Bisexualität deutlich präsenter geworden und das lässt hoffen, in der Zukunft mehr bisexuelle Charaktere in Filmen, Serien, Büchern etc. vertreten zu finden, die ohne die gängigen Klischees und Stereotypen dargestellt werden.
Übrigens: In den USA gibt es mittlerweile einen jährlichen Preis für die Repräsentation von bisexuellen Menschen in der Literatur, den „Lambda Literary Award for Bisexual Literature” siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Lambda_Literary_Award_for_Bisexual_Literature
So etwas wäre auch im deutschsprachigen Raum wünschenswert, nicht nur für bisexuelle, sondern generell für queere Charaktere in der Literatur.
Wie sieht es in Sachmedien aus?
Mittlerweile gibt es zahlreiche Artikel und auch einige Sachbücher, die mit Vorurteilen und Klischees über Bisexualität aufräumen, z.B. das Buch „Bi – Vielfältige Liebe entdecken“ von Julia Shaw. Ein Own Voices Medium ist das Magazin Bijou. Blogger*innen und Youtuber*innen befassen sich ebenfalls mit dem Thema.
Vor wenigen Jahren noch konnte man stattdessen hier und da den Eindruck gewinnen, Bisexualität sei ein neuer „Trend“. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich eine Reihe an Prominenten als bisexuell geoutet haben und damit diese sexuelle Orientierung öffentlicher gemacht haben.
Einige Links:
https://www.zeit.de/lebensart/partnerschaft/2012-12/leserartikel-bisexualitaet-comingout
https://www.zeitjung.de/bisexualitaet-liebe-menschen-vorurteile-bisexualitaet/
https://gleichheitunddifferenz.wordpress.com/2015/10/28/bisexuelle-sind-das-nicht-die-die-alles-vogeln/
https://sexualitaetundmedien.wordpress.com/2018/06/15/das-ist-nur-eine-phase-%c2%ad-bisexual-erasure-in-orange-is-the-new-black/
https://www.theodysseyonline.com/bisexual-erasure-in-media-needs-to-stop