Erwartungshaltungen beim Lesen

Was mir immer mal wieder bei Feedback zu meinen Büchern aufgefallen ist: manche Leser*innen hatte eine ganz bestimmte Erwartungshaltung. Und ich meine damit nicht die Erwartung, ein fehlerfreies Buch zu lesen. Das ist eine selbstverständliche Erwartung, darüber müssen wir gar nicht weiter reden. Was ich meine, sind bestimmte Erwartungen an den Plot, an die Figurenentwicklung oder noch andere Dinge.

Ein Beispiel: Bei meinem High Fantasy Roman „Vanfarin – Von Untoten und Totems“ bemängelte ein Rezensent, es fände darin keine Charakterentwicklung statt. Nun war eine Charakterentwicklung der Hauptfiguren von mir aber gar nicht beabsichtigt (bzw. bei zwei Charakteren ansatzweise schon, aber sie steht nicht im Fokus). Ich vergleiche das immer gern mit Figuren wie Indiana Jones und James Bond – sie erleben Abenteuer, bzw. müssen Aufträge erledigen, aber beide verändern sich nicht grundlegend. Gerade in Abenteuergeschichten dreht sich oft alles um das Abenteuer, sowie die damit verbundenen Gefahren und Konflikte. Eine tiefgreifende Charakterentwicklung gibt es in solchen Geschichten nicht immer.
Entsprechend habe ich bei meinen Figuren in jenem Roman keine bzw. nur ansatzweise eine Charakterentwicklung beschrieben – und damit die Erwartungshaltung dieses Rezensenten enttäuscht. (Andere Leute dagegen waren sehr angetan von dem Buch und die fehlende Charakterentwicklung hat sie nicht gestört.)

Wenn ich selbst lese, versuche ich ganz unvoreingenommen an eine Geschichte heranzugehen. Mir gelingt das nicht immer – oft sehe ich Dinge aus Autorinnensicht. Ich denke mir dann zum Beispiel, dieses und jenes hätte ich als Autorin anders gelöst, wäre anders an etwas herangegangen oder würde Figuren anders schreiben. Aber dann sage ich mir, das ist meine Sicht. Und dann lege ich diese Sicht beiseite und betrachte die Geschichten als die Visionen ihrer Autor*innen, und das finde ich spannend. Entsprechend gehe ich ohne eine bestimmte Erwartung daran, ein Buch zu lesen, sondern lasse mich darauf ein, was die Autor*innen mir präsentieren.

Das Hobby Lesen ist kein Wunschkonzert – Bücher sind keine maßgeschneiderten Produkte, die speziell für einen bestimmten Leser angefertigt werden. Es ist ja auch nicht so, dass es allgemein üblich ist, dass sich Lesende an Autor*innen wenden und ihnen sagen: „Schreib bitte das und das und beachte dabei folgende Punkte, weil diese mir wichtig sind … “
Was sie schreiben, und wie sie es schreiben, ist Sache der Autor*innen und gegebenenfalls ihrer Verlage.