Über Diversität und Repräsentation in meiner Buchreihe „Hexen in Hamburg“

Mir liegen Diversität und Repräsentation am Herzen, aber ich stoße damit bei meinen eigenen Geschichten auch an Grenzen. Für »Hexen in Hamburg« habe ich nach reiflicher Überlegung festgelegt, dass die sechs Hauptfiguren (jede von ihnen wird jeweils in einem Band zur Hauptfigur) meine eigenen Marginalisierungsthemen oder eng damit verwandte bekommen. Dass ich diese nun nenne, ist übrigens kein Spoiler für die Handlung:

Henny ist dick, bisexuell und polyamor.
Fabian hat die Diagnose bipolare Störung.
Cedric ist schwul.
Alannah ist auf dem asexuellen Spektrum.
Jannis hat von Geburt an eine leichte Behinderung und ist ein bisschen gender-nonconforming.
Dani hat soziale Ängste.

Sie alle sind auf unterschiedliche Weise pagan. Es gibt viele verschiedene pagane Traditionen und Strömungen, die pluralistisch sind; pagan ist eigentlich ein Umbrella-Begriff dafür.

Ein Gruppenportrait, von mir gemalt und digital bearbeitet.

Aber es gibt auch Diversitätsthemen, an die ich mich in diesem Fall nicht gewagt habe. Niemand dieser Hauptfiguren ist eine BI_PoC (Die Abkürzung steht für Black, Indigenous, Person of Color). Wie kommt das? Die Intersektionalität von BI_PoC und paganer Hexe kann ich persönlich nicht gut repräsentieren. Die deutsche pagane Szene ist ziemlich weiß. Darüber denkt auch Henny in »Hexen in Hamburg: Verflucht« nach. Was natürlich an sich noch kein Grund wäre, nicht doch eine BI_PoC zur Hauptfigur zu machen. Aber ich glaube nicht, dass ich für diese spezielle Form von Intersektionalität jemanden für ein Sensivity Reading gefunden hätte.

Der andere Grund ist, dass ich schlichtweg kulturelle Aneignung vermeiden wollte und dafür muss ich ein bisschen ausholen: Es gibt offene pagane Traditionen, die jeder Person unabhängig von ihrer Herkunft, Geschlechtsidentität, Hautfarbe, sexueller Orientierung etc. offen stehen. Aber es gibt auch geschlossene Traditionen, viele davon sind auch verbunden mit spirituellen Einweihungen, die man erst durch ein intensives, mitunter langjähriges Training erlangen kann, wenn überhaupt.

Viele BI_PoC sind Anhänger*innen solcher geschlossenen Traditionen, z.B. da ihre Ahn*innen es ebenfalls waren. Ich meine z.B. die Religion Vodun (auch bekannt als Voudou, Voodoo und noch mit anderen Schreibweisen) oder die afroamerikanische Volksmagie Hoodoo, die teilweise von versklavten Menschen aus ihren jeweiligen Kulturen in Afrika und der Karibik mitgebracht und dann weiterentwickelt wurde. Hoodoo und Voodoo werden übrigens oft verwechselt, das ist aber nicht ein und dasselbe.

Ein weiteres Beispiel ist die Religion Santería aus Lateinamerika, bzw. aus der afrikanischen Diaspora. Sie entstand in Kuba im 19. Jahrhundert, durch einen Prozess des Synkretismus zwischen der traditionellen Yoruba-Religion aus Westafrika, der römisch-katholischen Form des Christentums und dem Spiritismus. Und auch die spirituellen Traditionen der meisten Native Americans und anderer indigener Völker sind geschlossen.

Ich als außenstehende weiße Person habe in all diesen Kulturen absolut nichts verloren. Mit anderen Worten: Wenn ich darüber schriebe, wäre das aus meiner Sicht kulturelle Aneignung. Hinzu kommt außerdem, dass ich persönlich keine Leute aus diesen Kulturkreisen kenne und ich aus offensichtlichen Gründen viel zu wenige Kenntnisse über diese geschlossenen Traditionen habe.

Ich schreibe übrigens in der Buchreihe auch nicht über Wicca, was größtenteils eine initiatorische Tradition ist, mit der ich mich ebenfalls nicht auskenne. Genauer gesagt, gibt es mittlerweile mehrere verschiedene Wicca-Strömungen in diversen Ländern. Stattdessen beschränke ich mich in »Hexen in Hamburg« auf offene pagane Traditionen, und die Verehrung der verschiedenen Gottheiten in der Buchreihe steht allen Menschen offen.

In dieser Buchreihe gibt es auch keine transidenten oder nichtbinären Hauptfiguren, denn auch hier war wieder die Frage, ob ich für diese Form von spezieller Intersektionalität eine Person für das Sensitivity Reading finde.

Hinzu kommt, dass ich als von Armut betroffene Person kein Sensitivity Reading bezahlen kann und stattdessen auf einen Arbeitstausch oder ähnliches angewiesen wäre. Stattdessen schreibe ich also »nur« über Marginalisierungsthemen, mit denen ich selbst viel Erfahrung habe, als Own Voice.

Hier geht es zur Buchreihe: https://amalia-zeichnerin.net/hexen/

Sensitivity Reading

Inhaltswarnung: Erwähnung von Queermisia und Rassismus

Dieser Essay stammt aus meinem Essayband »Diversity in der Literatur«

Zunächst einmal: Was ist das eigentlich?

Fangen wir mit einem fiktiven Beispiel an. Susanne ist eine deutsche Autorin. Sie ist weiß, heterosexuell, cisgender und lebt in der Mittelschicht, ist auch darin aufgewachsen. Susanne möchte gern einen Roman über Naomi schreiben, eine Schwarze Frau in Deutschland, eine Afrodeutsche, die lesbisch und cisgender ist und ebenfalls zur Mittelschicht zählt. Die einzigen Lebenswelten, die Susanne und ihre fiktive Naomi gemeinsam haben: Sie sind beide cisgender Frauen und in der Mittelschicht heimisch. Aber Susanne weiß nicht, wie es sich anfühlt und was es mit sich bringt, eine Afrodeutsche zu sein. Sie hat auch keine Lebenserfahrung als lesbische Frau.

Nun könnte Susanne einfach drauflos schreiben und dabei respektvoll mit der fiktiven Naomi umgehen. Aber ihr Bild dieser Frau wäre sehr ausgedacht und wenig an den Lebenswelten lesbischer, cisgender afrodeutscher Frauen orientiert. Vielleicht kennt Susanne eine lesbische Afrodeutsche und hat sich intensiv mit ihr ausgetauscht. Das wäre ganz klar ein Vorteil für ihr schriftstellerisches Projekt. Vielleicht hat sie Own-Voices-Romane oder Artikel von lesbischen afrodeutschen Frauen gelesen oder Podcasts gehört oder auf andere Weise die entsprechenden Lebenswelten recherchiert. Aber ihre fiktive Naomi und deren Leben mag zwar ähnlich sein, aber es ist immer noch eine ausgedachte Figur, die gewissermaßen durch eine „weiße Brille” gesehen wird.

Und hier kommt Sensitivity Reading ins Spiel. Susanne könnte sich an eine lesbische Schwarze Frau wenden, die bereit ist, ihren Roman über Naomi zu lesen. Sie könnte sich auch zum einen an eine Schwarze Frau und zum anderen an eine lesbische Frau wenden, die bereit sind, ein Sensitivity Reading zu übernehmen.

Beim Sensitivity Reading werden Texte testgelesen, mit einem bestimmten Fokus. Wer über marginalisierte Menschen schreibt, mit deren Lebenswelt aber keine eigene Erfahrung hat, für den sind Sensitivity Readings eine gute Möglichkeit, auf möglicherweise verletzende Formulierungen und Stereotypen über diese marginalisierten Menschen aufmerksam gemacht zu werden. So etwas kann sich übrigens auch ganz ohne böse Absicht in einen Text schleichen, einfach aus Unwissen – das gilt bei weißen Menschen zum Beispiel für unabsichtlich rassistische Aussagen.

Sensitivity Reader zählen selbst zu einer oder mehreren marginalisierten Gruppen, z.B. Menschen mit Behinderung, queere (LGBTIAQ*) Menschen, BI_PoC (Black, Indigenous, People of Color), Menschen mit Neurodiversität, einer psychischen oder chronischen Erkrankung, Menschen, die in Armut leben oder noch andere. Sensitivity Reader sind somit gewissermaßen Expert*innen für die entsprechenden Lebenswelten und -erfahrungen. Das Beispiel oben mit Naomi ist intersektional – das bedeutet, diese Figur ist zweifach marginalisiert, als Schwarze Frau und als lesbische Frau.

Das heißt natürlich nicht, dass ein Sensitivity Reader allein für die gesamten Lebenserfahrungen aller aus seiner marginalisierten Gruppe sprechen kann. Aber Sensitivity Reading kann zumindest Tendenzen aufzeigen und gröbste Fehler oder Probleme in der Beschreibung marginalisierter Menschen ausmerzen.

Wozu dient es nicht?

Entgegen so manchem Vorurteil gegenüber Sensitivity Reading ist es keine Zensur und will auch nicht die Freiheit der Kunst beschneiden. Ganz im Gegenteil hilft Sensitivity Reading dabei, authentischer, vorurteilsfreier und lebensechter über Menschen aus ganz unterschiedlichen Kulturen und/oder aus marginalisierten Gruppen zu schreiben und das sollte doch eigentlich im Interesse aller Autor*innen sein.


Warum sollte man Sensitivity Reading nutzen?

Das hat mehrere Gründe. Es sensibilisiert zum einen für einen Umgang mit nicht-diskriminierender, nicht-herabwürdigender, inklusiver Sprache. Das geht übrigens auch, ohne dass man um die Freiheit der Kunst bangen muss. Ein weiterer wichtiger Grund: Menschen aus marginalisierten Gruppen, die mithilfe von einem Sensitivity Reading bearbeitete Texte lesen, werden sich darin wahrscheinlich positiver und authentischer repräsentiert finden, in Figuren, die ihrer marginalisierten Gruppe angehören.

Sprache hat einen großen Einfluss darauf, wie wir die Welt sehen. Vorurteile, Diskriminierung und Stereotypen finden nicht nur auf dem Papier statt, wenn wir sie lesen, sie finden auch einen Weg in unsere Köpfe, wenn wir immer wieder darüber lesen. Das zeigen auch psychologische Studien. (1)

Sensitivity Readings können letztendlich nicht nur helfen, Vorurteile, Diskriminierungen und Stereotypen in Texten zu vermindern, sondern auch in den Köpfen der Lesenden abzubauen, weil sie helfen, authentischere Figuren abseits von Vorurteilen und Stereotypen zu erschaffen.

Meine eigenen Erfahrungen mit Sensitivity Reading

Ich habe selbst ein Sensitivity Reading für eine andere Autorin gemacht, das war für einen großen Publikumsverlag. Die Zusammenarbeit lief über das Lektorat, war sehr professionell und freundlich, außerdem wurde mir meine Tätigkeit auch mit einem fest vorgegebenen, nicht verhandelbaren Betrag vergütet. Ob alle meine Anmerkungen oder die mir wichtigsten umgesetzt wurden, weiß ich allerdings noch nicht, da ich das veröffentlichte Buch noch nicht gelesen habe. Und letztendlich liegt diese Entscheidung natürlich beim Verlag.

Als Autorin habe ich mehrfach mit Sensitivity Readern zusammengearbeitet. Bei zwei Sensitivity Readern lief die Zusammenarbeit reibungslos. In einem Fall hatte der Sensitivity Reader ganz andere Vorstellungen als ich zur Geschichte, was einige inhaltliche Fragen betraf. Dieser Reader ist selbst Autor und hätte meine Ausgangsbasis der Geschichte vielleicht lieber anders umgesetzt.

Aber Sensitivity Reading ist in der Regel kein inhaltliches Lektorat. Sensitivity Reader helfen einem eher dabei, auf problematische Beschreibungen und Formulierungen zu verzichten. Ihre Aufgabe ist es nicht, Geschichten komplett inhaltlich zu verändern – es sei denn, dass sich darin ein sehr problematisches Handlungsmuster befindet, das beispielsweise auf rassistischen oder queerfeindlichen Stereotypen beruht. Ein sehr negatives Trope ist beispielsweise Bury your gays (2), das so oft in der Vergangenheit eingesetzt wurde, dass manche Rezensent*innen von Filmen, Büchern etc. extra hervorheben, wenn dieses Trope nicht verwendet wird.

In einem anderen Fall hatte ich Pech, was die Umsetzung betraf: Zuerst sagte mir eine Sensitivity Readerin ab wegen zu starker Arbeitsbelastung im Brotjob, ein anderer Sensitivity Reader ließ mich mehrere Monate auf sein Feedback warten, da er ebenfalls viel zu tun hatte. Das bringt mich allerdings zu einem wichtigen Punkt: Sensitivity Reading ist nicht unbedingt eine berufliche Tätigkeit – manche Sensitivity Reader übernehmen diese Tätigkeit in ihrer Freizeit und es kann sein, dass jemand wenig Zeit dafür erübrigen kann. Deshalb ist es gut, wenn beide Seiten, also Autor*innen und Sensitivity Reader, sich gegenseitig absprechen, auch wenn möglich, über den zeitlichen Rahmen. Und auch über eine mögliche Vergütung oder andere Gegenleistungen sollte man im Vorfeld sprechen, damit es nicht zu Unstimmigkeiten oder Enttäuschungen kommt.

Fußnoten

(1) Einige Studien zu diesem Thema:

https://numerons.files.wordpress.com/2012/04/14psychology-of-entertainment-media.pdf

https://www.researchgate.net/publication/254084523_The_Impact_of_Stereotypical_Versus_Counterstereotypical_Media_Exemplars_on_Racial_Attitudes_Causal_Attributions_and_Support_for_Affirmative_Action

https://www.researchgate.net/publication/240699945_Processing_Social_Information_in_MessagesSocial_Group_Familiarity_Fiction_Versus_Nonfiction_and_Subsequent_Beliefs

(2)

Bury your gays ist ein Handlungsmuster, bei denen die einzigen queeren Charaktere (oder der einzige queere Charakter) in einem Buch, Film, etc. sterben, oft auf dramatische Weise, während die heterosexuellen Charaktere überleben.

Hier eine sehr empfehlenswerte Website:


Ein weiterer Blogbeitrag, in dem ich auch auf Sensitivity Reading eingehe: »Was darf ich denn überhaupt noch schreiben?«
https://amalia-zeichnerin.net/was-darf-ich-denn-ueberhaupt-noch-schreiben/

Eine Podcast-Folge, in der ich zum Thema Sensitivity Reading interviewt wurde:
https://dernerdigetrashtalk.podigee.io/b44-sensitivity-reading4-sensitivity-reading

#DiverserDonnerstag: Inklusiver ins Neue Jahr

Die Aktion #DiverserDonnerstag ist von @equalwritesde ins Leben gerufen worden, mit dem Thema „Inklusiver ins Neue Jahr“

(Diesen Blogbeitrag schreibe ich schon am 23. Dezember.)
Ich blicke erst einmal zurück. Ich sehe mittlerweile klar eine Entwicklung bei mir. Vieles, was mir heute bewusst ist in Sachen Diversität, Repräsentation und Inklusion, gab es in meinen ersten Büchern noch nicht, einfach weil ich das nötige Wissen damals noch nicht hatte. Wer also z.B. noch nie ein Buch von mir gelesen hat und mit meinem Debütroman „Der Stern des Seth“ (von 2015, überarbeitete Neuauflage 2018) anfängt, wird dort wohl einiges vermissen, worüber ich heute so oft in Social Media und in meinem Blog schreibe.

Ich habe leider nicht die zeitlichen Kapazitäten, um sämtliche meiner bisher veröffentlichen Bücher zu überarbeiten. Stattdessen schreibe ich lieber neue Bücher, in denen ich Diversität, Inklusion und Repräsentation berücksichtige. Ich verwende mittlerweile auch zunehmend gendergerechte Sprache, soweit es mir möglich ist.

Seit 2019 pflege ich die Buchliste „Phantastik mit Diversität“ Die Liste ist ein erster Versuch, Diversitätsthemen in Phantastikbüchern sichtbarer zu machen, denn Klappentexte verrate diese oft nicht oder nur in Andeutungen. Mittlerweile sind über 230 Bücher/Buchreihen auf dieser Liste, von deutschsprachigen und internationalen Autor*innen (bei letzteren nur Bücher, die ins Deutsche übersetzt wurden). Wenn ihr ein Buch veröffentlicht habt, das auf diese Liste passt, und ihr darauf vertreten sein wollt, schreibt mich gern an.

Übrigens, wer englischsprachige Phantastik mit Diversität sucht, dem sei diese starke Datenbank mit zahlreichen Suchfunktionen empfohlen: https://queersff.theillustratedpage.net/

Wenn ihr gern mit mehr Diversität und Inklusion schreiben möchtet und Tipps für den Einstieg sucht, schaut gern mal in diese Linksammlung: https://diversitaetinderliteratur.carrd.co/

Falls ihr ein kurzes Buch mit Essays zu diesem Thema lesen mögt, schaut euch gern einmal „Diversity in der Literatur“ an.

Ich biete mittlerweile Sensitivity Reading an, für folgende Themen:

Queerness (panromantisch, grauasexuell, gender-nonconforming)
Polyamorie
bipolare Störung (Depressionen, Manien, Psychosen)
Angststörung, soziale Ängste
Erfahrung mit Armut, Klassismus
Dicksein (z.B. Erfahrungen mit Fatshaming)

Falls jemand von euch in der Hinsicht Bedarf hat, schreibt mich gern an.

Ich habe auch schon mehrfach selbst Sensitivity Reading für eigene Manuskripte genutzt und ich kann das einfach nur immer wieder empfehlen, wenn man diskriminierungssensibel schreiben möchte, für ein bestimmtes Thema oder mehrere aber keine eigene Lebenserfahrung mitbringt. Meine Erfahrung damit? Die Sensitivity Readings waren eine große Bereicherung für meine Texte, ich wurde z.B. auf problematische Plotpoints oder verletzende Formulierungen hingewiesen, die mir vorher nicht bewusst waren.

Was darf ich denn überhaupt noch schreiben?

Foto: Pixabay

Diese und ähnliche Aussagen machen gerade mal wieder die Runde in den Autor_innenbubbles in Social Media, zum Beispiel auch „Ich traue mich gar nicht mehr zu schreiben…“

Im Grunde ist es ganz einfach: Die Kunst ist frei, dazu zählt auch die Literatur. Hier übrigens das entsprechende Gesetz in Deutschland. Du darfst über (fast) alles schreiben. Es gibt einige Grenzen dabei, z.B. können volksverhetzende Texte strafrechtlich verfolgt werden. Deshalb das „fast“.

Mit der Freiheit, über alles schreiben zu können, geht aber auch eine Verantwortung einher.
Du bist für das, was du schreibst, verantwortlich. Diese Verantwortung kannst du auch nicht an ein Lektorat oder einen Verlag abwälzen. Du musst außerdem immer damit rechnen, dass dein Text, dass deine Geschichte auf Kritik stößt – nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich. Wer damit nicht umgehen kann, sollte sich stark überlegen, ob das Veröffentlichen von Geschichten das Richtige für einen ist.

Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der Kritik an Belletristik allein in den Zeitungsspalten, z.B. in einem Feuilleton, in Literaturmagazinen, oder in literarischen TV-Sendungen zu finden ist. Jede Person, die Zugang zum Internet und Social Media hat, kann ihre Meinung zu einem Buch oder einer Kurzgeschichte kundtun. Entsprechend gibt es auch generell mehr Kritik (und sei es lediglich eine reine Sterne-Bewertung bei Amazon).

Marginalisierte Menschen hat es schon immer gegeben, aber erst seit dem Aufkommen der Social Media sind ihre Stimmen weithin hörbar. Aus diesen Stimmen spricht oft eine Menge Wut, Ärger, Traurigkeit, Verzweiflung oder Frustration. Und ja, das kann sich auch auf eine schlechte, unrealistische oder destruktive Repräsentation ihrer marginalisierten Gruppe in fiktiven Werken beziehen. Manche von ihnen outcallen solche Werke, oft laut und verärgert.

Viele Menschen, die privilegierter sind, verstehen das oft nicht und dazu zählen oft auch Autor_innen. Einige von ihnen fangen dann in Diskussionen mit Tone Policing an (1) oder wehren kategorisch alle Kritik ab, fühlen sich persönlich angegriffen und sind nicht zu einem Dialog bereit. Sie fragen sich dann, woher kommt all diese Wut oder andere als negativ gesehene Reaktionen marginalisierter Menschen? Diese Frage kommt meistens dann auf, wenn sie keine entsprechenden Diskriminierungserfahrungen selbst erlebt haben und sich nicht vorstellen können, wie sehr betroffene Menschen unter solchen Erfahrungen leiden. (2)

Was heißt das nun? Wer über sensible Themen, über marginalisierte Menschen oder über gesellschaftskritische Themen (wie Rassismus, Sexismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus, Saneismus, Klassismus oder noch andere Formen von Diskriminierung) schreiben möchte, der tut gut daran, gründlich zu recherchieren und mit Menschen zu sprechen, die davon betroffen sind. Idealerweise sollte man sich entsprechend erfahrene Sensitivity Reader suchen.

Ich wiederhole es noch einmal. Du darfst (fast) alles schreiben. Hier ein persönliches Beispiel.
Ich habe vor kurzem eine Kurzgeschichte geschrieben, in der BDSM eine wichtige Rolle spielt. Aus meiner Sicht ist das ein Diversitätsthema. (3) Ich kenne Menschen, die in der BDSM-Community aktiv sind, bin selbst aber kein Teil dieser Community. In dieser Kurzgeschichte gibt es einen Teil der Handlung, der mit dem Thema BDSM direkt verbunden ist und den ich schwierig fand. Im Sinne von, ist das problematisch? Aber ich konnte nicht genau den Finger darauf legen, ob oder wie das problematisch sein könnte. Vor kurzem habe ich ein sehr ausführliches Feedback von meiner Sensitivity Reader-Person erhalten, die mir in deutlichen Einzelheiten erklärt hat, warum diese Sache in der Kurzgeschichte in der Tat problematisch und ein No-Go ist. Bald werde ich das alles überarbeiten und alle ihre Vorschläge dabei berücksichtigen.

Mit diesem Beispiel möchte ich gern zeigen: Du kannst erst einmal wirklich frei heraus schreiben, was du möchtest. Und es danach am besten von entsprechend erfahrenen Personen auf sensible Themen hin überprüfen lassen, wenn du über solche Themen schreibst.

Eine weitere Möglichkeit ist es natürlich, mit betroffenen Personen schon vorab deine Plotidee durchzusprechen, um herauszufinden, ob es darin etwas Problematisches gibt. In manchen Fällen wird das bereits beim Plot an sich deutlich, z.B. destruktive Tropes wie „Bury your gays“ (4), in anderen Fällen erst im Verlauf der individuellen Ausarbeitung, also erst nach dem Schreiben.

Zensur?

Ich habe mehr als einmal das Vorurteil gehört, Sensivity Reader würden Texte zensieren. Das stimmt nicht. Ich habe nun mehrfach Erfahrungen mit Sensitivity Readern sammeln dürfen und auch selbst schon mehrere Sensitivity Readings durchgeführt. Sensitivity Reader machen Verbesserungsvorschläge. Sie schreiben nicht vor, wie man seinen Text zu gestalten hat. Wie Autor*innen oder Verlage diese Vorschläge umsetzen, bleibt diesen überlassen.

Wenn du keine Lust oder keine Kapazitäten hast, sensible Themen zu recherchieren, mit Betroffenen zu sprechen, dir Sensitivity Reader zu suchen – dann überlege dir am besten, worüber du schreiben kannst und möchtest, in dem all das nicht notwendig ist.

Wenn du gern mit mehr Diversität schreiben möchtest und Tipps für den Anfang suchst, schau gern mal auf diese Linksammlung, da findest du viele Anregungen.

Fußnoten:

(1) Ein Artikel über Tone Policing:
https://feminismus-oder-schlaegerei.de/2019/02/09/tone-policing-lasst-mich-verdammt-noch-mal-wuetend-sein/

(2) Hier dazu ein weiterführender Blogbeitrag von mir:
Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

(3) BDSM wird noch heute pathologisiert und oftmals in Medien der Popkultur verfälscht dargestellt.

(4) Einen lesenswerten Beitrag zu diesem Trope hat Elea Brandt geschrieben:
https://eleabrandt.de/2020/12/09/dont-bury-your-gays/

Empfehlungen für Buchcoverdesign, Lektorat, Sensitivity Reading und einen Impressumsservice

In Social Media lese ich oft Fragen von Selfpublisher*innen nach Buchcoverdesigner*innen und Lektor*innen. Damit ich nicht immer von Neuem Links etc. heraussuchen muss, dachte ich mir schreibe ich stattdessen einfach einen Blogbeitrag. Ich erhalte von allen genannten Leuten übrigens kein Geld oder Vergünstigungen dafür, dass ich sie nenne.
Ob sie gerade Kapazitäten frei haben, kann ich nicht sagen, bitte bei Interesse selbst anfragen.

Foto: Pixabay

Buchcoverdesign und Premades

Yola Stahl Design
https://yola-stahl.de/design
Arbeitsproben und Premades: https://www.instagram.com/yola.stahl_design

Casandra Krammer
https://casandrakrammer.de/

Juliana Fabula

https://julianafabula.de/grafikdesign/

Christian Günther
(auch Illustration)
https://www.tag-eins.de/portfolio-buecher-und-cds/

Sameena Jehanzeb
https://www.saje-design.de/

Alexander Kopainski
https://kopainski.com/home/

Regina Mars
https://www.reginamars.de/coverpremades/

Marie Grasshoff
https://marie-grasshoff.de/portfolio-item/coverdesign/

Claudia Toman
https://traumstoffdesign.wordpress.com/

Catherine Strefford
https://design.catherine-strefford.de/buchdesign/

Tom Jay
http://www.tomjay.de/

Tala Jacob
tala-jacob.de

DaylinArt
https://daylinart.webnode.page/

Madeleine Puljic
https://www.madeleinepuljic.at/grafikdesign/

Christin Giessel
https://www.giessel-design.de/

Melanie Woicke (Illustration, spezialisiert auf Kinder-/Jugendliteratur)
http://farbklecks.net/portfolio/index.htm

Infos zu meinen eigenen Illustrationen (Fantasylandkarten und Portraits) gibt es hier:
https://amalia-zeichnerin.net/illustrationen/

Abbildung: Pixabay

Lekorat
Einige der genannten Personen bieten auch Korrektorate an, bitte bei Bedarf im Einzelfall schauen.

Juri Pavlovic
https://www.textehexe.com/

Victoria Linnea
https://linktr.ee/VictoriaLinnea


Melanie Vogltanz (in 2021 ausgebucht)
https://lektoratvogltanz.wordpress.com/

Noah Stoffers
https://www.textpfade-lektorat.de/

Birgit Rentz
http://www.fehlerjaegerin.de/

Sandra Florean
https://sandraflorean-autorin.blogspot.com/p/lektorate.html

Julia Fränkle
https://svealundberg.net/lektorat-korrektorat

Steffi Foitzik (zur Zeit wird die Webseite umgebaut)
https://stefaniefoitzik.jimdofree.com/needful-thinks-lektorat/

Rabea Güttler
https://lektoratpageturner.net/

Tino Falke
https://www.tinofalke.de/lektorat/

Lena Richter
Lena bietet folgendes an: Lektorat, Korrektorat, Übersetzungen aus dem Englischen ins Deutsche, Sensitivity Reading.
http://lenarichter.com/lektorat-und-uebersetzung/

Katherina Ushachov
Katharina bietet an: Lektorat, Korrektorat und Sensitivity Reading, für deutsche Originaltexte und für deutschsprachige Übersetzungen aus dem Englischen.
https://phoenixlektorat.com/

Antje Bremer
They bietet Korrektorate und Sensitivity Reading an.
https://www.antjebremer.com/

Lektorat Dunkelfunkel (Daniela Umlauf)
Daniela bietet Lektorate und Sensitivity Readings an.
https://lektoratdunkelfunkel.com/


Sensitivity Reading

Was das ist, könnt ihr hier nachlesen:
https://sensitivity-reading.de/was-machen-sensitivity-reader


Falls ihr eine Person für ein Sensitivity Reading sucht, schaut bitte einmal auf dieser Seite:
https://sensitivity-reading.de/themen

Impressumsservice
Fakriro GbR, von Sabrina Schuh und Mary Cronos, selbst Autor*innen
https://fakriro.de/alias/