Konsens ist sexy

Ava Sol, Unsplash

CN: In diesem Text erwähne ich Sex, Alkohol, Drogen, Genitalien, BDSM, Übergriffigkeit, Rape Fiction

Konsens in der Literatur betrifft natürlich vor allem das Romance Genre. Romance und Erotik gibt es als Nebenhandlung aber auch in vielen anderen Genres, wie der Phantastik, im historischen Roman, in Krimis oder Thrillern. In Büchern zeigt sich immer wieder auch die Abwesenheit von Konsens. Ich habe im letzten Jahr einen Beitrag geschrieben über problematische Tropes im Romance Bereich und deren Romantisierung und gehe darin auch auf Rape Fiction ein.

Als ich vor vielen Jahren mit dem Schreiben angefangen habe, habe ich mir über Konsens relativ wenig Gedanken gemacht. Mir war die Relevanz dessen nicht wirklich bewusst, zumal mir aktiver Konsens in meinen Jahrzehnten als Leserin nur selten in der Literatur begegnet ist. Mittlerweile sehe ich das anders und mir ist bewusst: Übergriffigkeit kann schon im Kleinen anfangen. Ein Beispiel, das jede*r von uns schon mal gelesen haben dürfte: Eine Figur küsst eine andere einfach so zum ersten Mal und fragt nicht vorher, ob sie das darf. Mitunter ist das dann auch ein eher harter, rücksichtsloser Kuss, der anzeigt, dass hier gerade jemand „erobert“ worden ist. Küsse, bei denen nicht um Erlaubnis gefragt wird, sind in der Literatur, im Romance-Genre wie ein unverrückbarer Standard schon seit Jahrzehnten, nein, Jahrhunderten so geschrieben.
Besonders deutlich wird das auch in dem alten Grimmschen Märchen „Dornröschen“ – die Titelfigur wird hier vom Prinz ohne den Hauch einer Einwilligung geküsst, denn sie schläft.
Ein Kuss ohne aktive Einwilligung kann für die beteiligten Charaktere passen, aber es kann auch sein, dass das zu Unbehagen bei der geküssten Person führt.
Kommt dazu noch Alkohol ins Spiel, verschwimmen die Grenzen von Konsens meistens ziemlich schnell. Als Autor*in sollte man sich daher sehr gut überlegen, ob die eigenen Figuren angetrunken oder berauscht sind, und wie sie sich dann verhalten.
Konsens ist auch im Zusammenhang mit Verhütung wichtig. Dazu mehr weiter unten.

Berührungen sind generell eine Sache für sich. Im Romance Genre scheint das alles immer sehr selbstverständlich zu sein, dass jeder Charakter Berührungen in jeder Situation mag, also Küsse, Umarmungen, Streicheln oder auch das Händehalten und ähnliches. In Hetero-Romanzen sind die Rollenbilder oft sehr traditionell und auch da wird meist nicht viel hinterfragt. Ein Beispiel: Sex beinhaltet da praktisch immer Penetration und alles andere wird als quasi minderwertiger Ersatz betrachtet.

In Bereich Gay Romance entsteht oft der Eindruck, Analsex wäre die absolute Erfüllung für jede schwule Figur. Dem gegenüber steht die Tatsache, dass viele Schwule Analsex nicht sonderlich mögen oder sogar komplett ablehnen. (1)
In queeren Beziehungen sind die traditionellen heteronormativen Rollenbilder nicht gegeben, hier verhandeln und kommunizieren die Menschen viel eher, was sie mögen und was nicht – und das ist ein weites Spektrum. Entsprechend wäre es nur realistisch, dass in einer queeren Romanze sehr auf Konsens und Kommunikation gesetzt wird. Also dass Figuren, wenn sie sich berühren, ob nun beim ersten Kuss, beim Kuscheln, beim Vorspiel oder beim Sex, einander fragen oder erzählen, was ihnen gefällt und was nicht. Und dass die jeweils andere Figur auch darauf eingeht.

Gleiches gilt auch für BDSM-Beziehungen, die außerdem mit Safety Tools arbeiten, z.B. Safewords, unter anderem um deutlich anzuzeigen, wann für einen persönlich eine Grenze erreicht ist, die nicht überschritten werden soll. (2) BDSM ohne Konsens ist kein BDSM mehr, sondern eine höchstproblematische Grenzüberschreitung. Apropos: „Fifty Shades of Grey” zeigt keine BDSM- Beziehung mit Konsens und lasst euch bitte nichts anderes erzählen. Es gibt deutlich authentischere Romane mit BDSM-Thematik, die auch eine positivere Repräsentation dessen bieten. (3)

Und damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Auch heterosexuelle Menschen, die kein BDSM leben, mögen ganz unterschiedliche Dinge, wenn es um Romantik und Sexualität geht. Auch hier ist Konsens wichtig und das spiegelt sich leider nicht in jedem Buch wieder.

Wie kann man Konsens also in seine Geschichten einbringen?

Das Zauberwort ist Kommunikation. Schreibt Dialoge, in denen eure Figuren darüber offen und ehrlich sprechen, was sie mögen und was nicht. Was sie wollen und was nicht. Macht am besten kein Riesendrama draus und auch keine Plottwists. Meistens lassen sich Kompromisse finden, wenn einem etwas an der anderen Person liegt und nicht nur am eigenen Vergnügen. Und lasst eure Figuren auf ihre Partner*innen und deren Wünsche/Bedürfnisse Rücksicht nehmen, ob nun bei einem One-Night-Stand oder in einer längeren Beziehung.
Überlegt euch sehr gut, wie ihr mit Figuren umgeht, die Alkohol getrunken oder z.B. Partydrogen genommen haben. Eine berauschte Person kann schneller übergriffig handeln oder selbst übergriffig behandelt werden. Von Konsens kann dann kaum noch die Rede sein und an dieser Stelle lauern allerhand problematische Tropes.
Schreibt Dialoge, in denen sich die Figuren über Verhütung und/oder den Schutz vor Geschlechtskrankheiten Gedanken machen. Das muss sich nicht in die Länge ziehen, meistens reichen schon ein, zwei Sätze, in denen z.B. Kondome (für Menschen mit Penis) oder Lecktücher (für Menschen mit Vagina) genannt werden und die dann auch zum Einsatz kommen.
Auch in der Phantastik gibt es Möglichkeiten in dieser Hinsicht: Ein fiktives Verhütungsmittel beispielsweise oder bestimmte sexuelle Praktiken.

Ja, es fällt vielen Menschen schwer, über ihre romantischen und sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Man macht sich dadurch verletzlicher, ist aber gleichzeitig authentischer. In euren Geschichten könnt ihr zeigen, dass man darüber ehrlich sprechen kann und dass es kein Beinbruch ist. Dadurch können auch eure Figuren in einem ganz anderen Licht erscheinen oder ein bisschen mehr Tiefe gewinnen. Beziehungen werden durch aktiven Konsens sehr bereichert, auch in der Fiktion.

1) Dazu ein englischsprachiger Artikel des amerikanischen Autors Jamie Fessenden:
https://jamiefessenden.com/2013/01/13/even-in-gay-romance-love-does-not-always-have-to-equal-anal-sex/

2) Im BDSM gibt es übrigens auch „consensual non-consent“ Praktiken, aber darum geht es mir nun nicht.

3) Ich kann z.B. den Erotikroman „The Boss“ von Abigail Barnette empfehlen
http://jennytrout.com/?page_id=9 – Die Autorin hatte sich vorgenommen, eine ähnliche Ausgangssituation wie in „Fifty Shades of Grey“ zu nehmen und daraus einen BDSM-Roman mit Konsens zu schreiben. Aus meiner Sicht ist ihr das bestens gelungen.

Ein weiterer Beitrag über Konsens:
https://wirliebenkonsens.wordpress.com/was-ist-konsens/


„Für eine gute Story?“ – Über Konsens im LARP

CN: Vergewaltigung

Ich spiele seit 14 Jahren LARP, als NSC und SC, überwiegend im Fantasy-Abenteuer-LARP. Gelegentlich habe ich auch Orgas mit Requisiten unterstützt. In den vergangenen Jahren habe ich vielfach Beiträge rund um LARP gelesen.

Kürzlich schrieb eine Bekannte von mir folgendes:
„ (Das erinnert mich daran) wie der LARP-Charakter (meiner Verwandten) einmal vergewaltigt werden sollte. Der Typ begründete es mit: „Für eine bessere Story.“ Und die Spielgruppe, Frauen inkludiert, hat sich auf seine Seite gestellt, sie solle sich nicht so haben.”

Ein solches Verhalten ist nicht in Ordnung. Egal, in welchem Setting. Leute, die so was ernsthaft in Erwägung ziehen („Vergewaltigungen spielen für eine bessere Story“) und kein Nein akzeptieren, haben in diesem Hobby meiner Meinung nach nichts verloren.

Der Betreffende hat offenbar nicht verstanden oder keine Ahnung, dass Rape-Play (im BDSM) auf Konsens basiert und dass das auch fürs LARP gilt. Dass sich dann die ganze Spieler*innengruppe mit drangehängt hat, anstatt das Nein der Spielerin zu akzeptieren, das ist unverzeihlich.

Liebe Larper*innen: Wenn euch in einer Spielsituation eine Person out-time deutlich macht, dass sie etwas nicht spielen möchte, dann akzeptiert das bitte. Und fangt nicht an, darüber zu diskutieren. Akzeptiert es bitte auch, wenn sich Leute aus einer Spielsituation herausziehen. Wenn ihr die Person nicht gut kennt, wisst ihr nicht, was sie mit einer gespielten Situation verbindet. Ihr wisst auch nicht, was sie in ihrem realen Leben für Erfahrungen gemacht hat, z.B. mit sexueller Belästigung, Gewaltandrohungen, Mobbing oder anderen höchst problematischen Verhaltensweisen. Ihr wisst auch nicht, wie psychisch stabil/gesund die Person ist.

Um bei dem Beispiel mit der Vergewaltigung zu bleiben: In der Realität ist so etwas ein traumatisierendes Erlebnis. Das entsprechend auch schwer zu spielen ist für eine Person, die fiktiv vergewaltigt wird. Ja, es gibt Menschen, die Vergewaltigungsfantasien haben und andere, die Rape-Play in einem BDSM-Kontext mögen. Es gibt Menschen, die belastende oder traumatisierende Situationen im LARP spielen können und wollen. Darauf komme ich noch weiter unten. Aber das gilt nicht für alle und kann auf gar keinen Fall als gegeben vorausgesetzt werden.

Generell gilt für alles, was in der Realität traumatisierend wirken kann (z.B. Folter, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung) – fragt die betreffende Person out-time, ob sie einverstanden ist, eine solche Szene zu spielen. Man kann immer kurz ins Out-Time wechseln, es dauert ja nur wenige Sekunden, eine entsprechende Frage zu stellen.
Und hinzu kommt noch etwas anderes: Das Spiel ist meistens mit einer solchen Szene nicht beendet. Aber die wenigsten Personen können vermutlich eine sexuell traumatisierte Person glaubwürdig verkörpern. Und wenn sie das nicht tun, wirkt es auf tatsächlich Betroffene möglicherweise sehr unangenehm, zu sehen, wie leichtfertig die Figur IT mit der Vergewaltigung umgeht.

Und akzeptiert ein Nein ohne Wenn und Aber. Nein heißt Nein. Das gilt auch im LARP, auch für fiktive Spielsituationen.

Manche von euch werden nun sicherlich einwerfen, Krieg und Kämpfe können doch auch traumatisierend sein in der Realität, und werden im LARP trotzdem nicht weiter abgesprochen. Allerdings gelten im LARP klare Regeln für Kämpfe. (Und ja, auch da kann leider einiges schiefgehen, wenn z.B. Schwerthiebe voll durchgezogen werden oder Treffer an Stellen landen, die eigentlich verboten sind.)

Wer sich in LARP-Kämpfe begibt, weiß in der Regel, worauf er*sie sich einlässt. Auf vielen LARPs ist es die Regel, das Menschen, die bereit sind für in-fights, also stärker ausgespielte Kämpfe oder auch Szenen mit Prügeleien, eine entsprechende Markierung sichtbar tragen, z.B. ein farbiges Band. Auch kann man auf vielen LARPs, wenn man z.B. aus gesundheitlichen Gründen, Behinderung, Schwangerschaft u.a. nicht in Kämpfe verwickelt werden will, um eine entsprechende Kenntlichmachung bitten.

Konsens ist der Schlüssel zu einem positiven Spielerlebnis. Das gilt für alle Settings.

Es gibt bewusst harte, z.B. im Horror-Bereich, wo im Vorfeld vieles abgeklärt wird, wo die SL zum Beispiel Safety Words und anderen Safety Tools anbietet. Es wird also bereits vorher deutlich gemacht, was auf einen zukommen kann, ohne dass die eigentliche Handlung gespoilert wird. Auch Fragen in punkto Konsens werden dort im Vorfeld besprochen. Es gibt nicht selten auch spezielle OT-Räume, in die man sich zurückziehen kann. Oder auch intensive Gespräche nach dem Out-time, die erlauben, das Erlebte zu reflektieren und zu verarbeiten.

Eine solche Heransgehensweise ist aus meiner Sicht vorbildhaft. Denn auch in anderen Settings können Ideen zu Spielszenarien auftauchen, die eine starke Belastung darstellen können.

Im LARP gibt es für physische Gefahren Sicherheitsvorkehrungen. Zum Beispiel: Kämpfen nur ohne Alkoholeinfluss. Nächtliche Kämpfen nur in ausgeleuchteten Bereichen. Den sofortigen und nicht diskutierten Spielstopp in einer Out-Time Gefahrensituation. Safety Tools wie Safewords können auch psychischen Gefahren vorbeugen.

Auf manchen Cons gibt es z.B. auch bestimmte im Vorfeld vereinbarte Sätze, die anderen Spieler*innen verdeutlichen, „ich ziehe mich aus dieser Spielsituation zurück”, „diese Spielsituation überfordert mich” oder ähnliches.

Denkt bitte daran: LARP ist ein Hobby und es soll nicht nur euch, sondern auch anderen Freude machen.

Ihr spielt nicht für euch allein, sondern mit und für die anderen. Dinge, die in-time geschehen, sind zwar fiktiv. Aber Fiktion im LARP kann schnell ins Out-Time, ins wahre Leben übergreifen (das wird auch „bleed” genannt) Weil die Gefühle, die man spielt, von einem selbst nun mal empfunden werden. Und nicht jede Person kann immer klar und in jeder Situation die Gefühle des gespielten Charakters vom eigenen Ich trennen. Manchen Leute sprechen dann von einem „IT/OT-Problem”, vielleicht habt ihr das schon mal gehört. Bitte denkt bei belastenden Spielsituationen daran. Die Spieler*innen sind immer wichtiger als das Spiel.

Ich habe immer mal wieder von (Film-)Schauspieler*innen gehört, die anstrengende Rollen spielten, die an die Substanz gingen und wie sehr das manche mitnahm. Das gilt übrigens nicht nur für Method Actors oder für Schauspieler*innen, die für Rollen stark zu- oder abnehmen oder sich anderweitig optisch stark verändern. Die Schauspielerin Jessica Chastain brauchte, nachdem sie eine mörderische, psychisch kranke Frau in einem Horrorfilm spielte, eine Auszeit von Schauspiel. Heath Ledger berichtete in Interviews davon, wie sehr ihn die Rolle des Jokers in „The Dark Knight” belastete. Das sind nur zwei Beispiele.

Profi-Schauspieler*innen haben den Vorteil, dass ihre Rolle durch Text und Regieanweisungen ziemlich stark vorgegeben ist und dass sie diese in einem geschützten Rahmen (Theaterbühne, Filmset) darstellen. Sie können die Rolle in Pausen und abends ablegen. Ein bisschen ähnlich ist es mit NSCs im LARP.
Für Scs sieht es dagegen oft anders aus: Man ist viele Stunden lang, bis in die Nacht hinein oder sogar die Nacht hindurch, oft ohne Pause, in der Rolle. Beziehungsweise, dass sich Pausen oftmals auf einen kurzen Gang zum WC beschränken (und dass dieser Weg zum WC mitunter aus Spielgründen nicht möglich ist oder in-time gefährlich). Je nach Setting kann es auch sein, dass man zu wenig trinkt oder nicht zum Essen kommt, weil gerade wieder mal eine Welle Gegner hereinrollt.

Entsprechend ist LARP auch Stress – in der Regel ist es ein positiver („Eu-Stress”), aber wenn man dazu genötigt wird, ohne Konsens etwas sehr Belastendes zu spielen, dann wird aus diesem positiven Stress ganz schnell ein negativer, destruktiver. An dieser Stelle wiederhole ich noch einmal: LARP ist ein Hobby, das von sozialer Interaktion lebt. Eine Freizeitbeschäftigung. Und: Die Spieler*innen sind immer wichtiger als eine „gute Story”.

Und davon mal abgesehen hier noch etwas anderes: Um noch mal auf das Thema Vergewaltigung zurückzukommen, das angeblich im Spiel für eine bessere Story gesorgt hätte. Auch Grimdark-Mittelalter-Fantasy-Geschichten werden durch Vergewaltigungen nicht automatisch besser. Unter Autor*innen der Phantastik gilt das Schreiben von häufigen Vergewaltigungen übrigens oft als „faules Schreiben” – man braucht eine dramatische Szene? Ist schnell geschrieben, so eine Vergewaltigung. Man braucht ein düsteres Geheimnis, ein Trauma in der Biografie einer Protagonistin? Rückblende: Sie wurde vergewaltigt.

Dieser englischsprachige Artikel zeigt, was man anstelle von Vergewaltigungen als Plot Device alles nutzen kann. Vielleicht ist das eine oder andere ja auch eine Inspiration fürs LARP: