#DiverserDonnerstag: Inklusiver ins Neue Jahr

Die Aktion #DiverserDonnerstag ist von @equalwritesde ins Leben gerufen worden, mit dem Thema „Inklusiver ins Neue Jahr“

(Diesen Blogbeitrag schreibe ich schon am 23. Dezember.)
Ich blicke erst einmal zurück. Ich sehe mittlerweile klar eine Entwicklung bei mir. Vieles, was mir heute bewusst ist in Sachen Diversität, Repräsentation und Inklusion, gab es in meinen ersten Büchern noch nicht, einfach weil ich das nötige Wissen damals noch nicht hatte. Wer also z.B. noch nie ein Buch von mir gelesen hat und mit meinem Debütroman „Der Stern des Seth“ (von 2015, überarbeitete Neuauflage 2018) anfängt, wird dort wohl einiges vermissen, worüber ich heute so oft in Social Media und in meinem Blog schreibe.

Ich habe leider nicht die zeitlichen Kapazitäten, um sämtliche meiner bisher veröffentlichen Bücher zu überarbeiten. Stattdessen schreibe ich lieber neue Bücher, in denen ich Diversität, Inklusion und Repräsentation berücksichtige. Ich verwende mittlerweile auch zunehmend gendergerechte Sprache, soweit es mir möglich ist.

Seit 2019 pflege ich die Buchliste „Phantastik mit Diversität“ Die Liste ist ein erster Versuch, Diversitätsthemen in Phantastikbüchern sichtbarer zu machen, denn Klappentexte verrate diese oft nicht oder nur in Andeutungen. Mittlerweile sind über 230 Bücher/Buchreihen auf dieser Liste, von deutschsprachigen und internationalen Autor*innen (bei letzteren nur Bücher, die ins Deutsche übersetzt wurden). Wenn ihr ein Buch veröffentlicht habt, das auf diese Liste passt, und ihr darauf vertreten sein wollt, schreibt mich gern an.

Übrigens, wer englischsprachige Phantastik mit Diversität sucht, dem sei diese starke Datenbank mit zahlreichen Suchfunktionen empfohlen: https://queersff.theillustratedpage.net/

Wenn ihr gern mit mehr Diversität und Inklusion schreiben möchtet und Tipps für den Einstieg sucht, schaut gern mal in diese Linksammlung: https://diversitaetinderliteratur.carrd.co/

Falls ihr ein kurzes Buch mit Essays zu diesem Thema lesen mögt, schaut euch gern einmal „Diversity in der Literatur“ an.

Ich biete mittlerweile Sensitivity Reading an, für folgende Themen:

Queerness (panromantisch, grauasexuell, gender-nonconforming)
Polyamorie
bipolare Störung (Depressionen, Manien, Psychosen)
Angststörung, soziale Ängste
Erfahrung mit Armut, Klassismus
Dicksein (z.B. Erfahrungen mit Fatshaming)

Falls jemand von euch in der Hinsicht Bedarf hat, schreibt mich gern an.

Ich habe auch schon mehrfach selbst Sensitivity Reading für eigene Manuskripte genutzt und ich kann das einfach nur immer wieder empfehlen, wenn man diskriminierungssensibel schreiben möchte, für ein bestimmtes Thema oder mehrere aber keine eigene Lebenserfahrung mitbringt. Meine Erfahrung damit? Die Sensitivity Readings waren eine große Bereicherung für meine Texte, ich wurde z.B. auf problematische Plotpoints oder verletzende Formulierungen hingewiesen, die mir vorher nicht bewusst waren.

Einige Probleme in der deutschsprachigen Literaturszene

Die Literaturszene in Deutschland hat einige Probleme und hier und da zeigen sich dieselben Muster, z.B. dass so einige buchige Events keinen Safe Space für marginalisierte Menschen darstellen. Mit anderen Worten: Es gibt Veranstaltungen, auf denen sich marginalisierte Menschen nicht rundum sicher und wertgeschätzt fühlen können.

Dieser Blogbeitrag handelt von dem, was mir in den letzten Monaten so aufgefallen ist. Da ich natürlich bei weitem nicht die gesamte Literaturszene überblicke, handelt es sich um einen mehr oder weniger subjektiven Bericht.

Es gibt zum einen ein grundsätzliches Problem, das genreübergreifend ist. Manche Autor*innen sehen angesichts eines innovativen Umgangs mit Sprache, zum Beispiel gendergerechter Formulierungen, aber auch angesichts von Triggerwarnungen/Content Notes oder Sensitivity Reading (noch immer) den Untergang des Abendlandes heraufziehen und beklagen sich über angebliche Zensur. Sie pochen auf die Freiheit der Kunst. Und meinen damit meistens vor allem die Freiheit, verletzende, herabwürdige Formulierungen oder Handlungen in ihren Texten unterzubringen (Beispiel), oder generell problematische Inhalte. Sie meinen oft auch die Freiheit, vor entsprechenden Inhalten nicht mit Triggerwarnungen o.ä. zu warnen.

Funfact: In einigen Ländern sind Autor*innen und der Literaturbetrieb schon wesentlich weiter, wenn es um Diversität, Repräsentation und Inklusion in der Literatur geht. Da könnten wir uns im deutschsprachigen Raum die eine oder andere Scheibe abschneiden. Hier reden sich marginalisierte Menschen oft den Mund fusselig, leisten oftmals kostenlose Aufklärungsarbeit in Social Media oder Blogs und stoßen dabei immer wieder auf unbelehrbare Zeitgenoss*innen, denen die eigenen Privilegien nicht bewusst sind und auch nicht bewusst werden wollen und die Probleme oder problematische Inhalte kleinreden.

Der größte deutschsprachige Phantastikautor*innen Verein, das Phantastik Autoren Netzwerk e.V.(PAN e.V), hatte im Programm seiner Veranstaltung für 2020 (die wegen der Pandemie letztendlich abgesagt wurde) den Programmpunkt „Retten wir die Kunst vor den Moralaposteln“. Wohlgemerkt, nachdem sich mehrere Leute im Verein für Diversität und Inklusion stark gemacht hatten und sich nun fragten, warum eine solche kontroverse, polarisierende Position – anders formuliert: „Die Kunst ist frei und darf alles! Meinungsfreiheit!!“ – wieder und wieder zur Diskussion gestellt werde. Es hagelte Kritik in den Social Media, der Programmpunkt wurde gestrichen. Mehrere Leute traten aus dem Verein aus – ich ebenfalls, was in meinem Fall übrigens noch andere persönliche Gründe hatte, die nichts direkt mit dem Verein zu tun hatten.

Und es gab noch weitere Probleme, die ich persönlich nicht überblicke. Unter anderem kündigte die neue multimediale Phantastik-Veranstaltung MetropolCon an, für ihre erste Con im Jahr 2023 eng mit PAN e.V. zusammenarbeiten zu wollen. Auch das führte zu einiger Kritik auf Twitter, unter anderem gab es auch Bedenken, wie die MetropolCon mit ihrem Team ihre Veranstaltung diskriminierungssensibel gestalten möchte, angesichts ihrer Vision,
MetropolCon versteht sich als inklusive, barrierefreie, diverse und nachhaltige Veranstaltung. Sie ist ein safe space für alle Teilnehmenden. Austausch, Diskussion und Vernetzung finden auf Basis von Respekt, Offenheit und einem generell wertschätzenden Umgang miteinander statt.„(1)

Ich war sehr angetan, als ich von dieser Vision gelesen habe und hoffe, dass diesen guten Worten auch Taten folgen.

Edit am 14.12.:
Die MetropolCon hat folgendes Statement veröffentlicht:
https://www.metropolcon.eu/2021/12/14/statement-diversitaet-pan-und-unsere-vision/

PAN e.V. hat übrigens in einer Kurzstellungnahme am 13.12. 2021 auf Twitter angekündigt:

Wir haben die Diskussionen der letzten 24 Stunden aufmerksam verfolgt. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Vorwürfe an den Verein aufzuarbeiten und Lösungen für vorhandene Probleme zu entwickeln. Für konkrete Hinweise zu rassistischen Übergriffen wären wir sehr dankbar, denn ein solches Verhalten wird von PAN nicht geduldet. Es war unser Versäumnis, dass die Betroffenen der im Raum stehenden Vorfälle sich nicht sicher genug gefühlt haben, um sich direkt bei uns zu melden. Wir stehen für ein vielfältiges Miteinander und Diversität. Dass uns nicht gelungen ist, das auch deutlich zu kommunizieren, tut uns aufrichtig leid. Wir wollen es besser machen. Informationen zu weiteren Schritten folgen in den nächsten Tagen.“ (2)

Ich hoffe, das sich dieses Vorhaben konstruktiv und positiv entwickelt.

Die Aktion „Fair Lesen“

… führte zu zahlreichen Diskussionen um Bibliotheken und die Onleihe. Dazu hat sich auch der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) geäußert und ist darin auf einige Fehlinformationen der Aktion eingegangen:

https://dbv-cs.e-fork.net/sites/default/files/2021-10/PM_dbv%20zur%20Kampagne%20Fair%20Lesen_20210118_final_1.pdf

Ein deutscher Literaturpreis sorgte mehrfach für Kritik angesichts eines queerfeindlichen Beitrags und es wurde nicht besser, als es im September 2021 um das Thema Trennung von Werk und Autor ging. (3)

Bereits 2017 kam es auf der Frankfurter Buchmesse zu Gewalt, die in Zusammenhang mit Rechtsextremismus stand. (4)

In diesem Jahr sagten mehrere Schwarze Autor*innen, der Aktivist Raul Krauthausen und weitere marginalisierte Personen ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ab, weil dort an prominenter Stelle ein rechtsextremer Verlag ausstellen durfte und generell unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit dort rechtsextremen, menschenverachtenden Verlagen der Zugang gewährt wird.

Die Mitteilung der Buchmesse dazu liest sich aus meiner Sicht recht fadenscheinig und zeigt, dass hier offenbar privilegierte weiße Menschen nicht verstehen, was das eigentliche Problem ist: Dass diese Haltung dazu führt, dass sich marginalisierte Menschen auf der Messe nicht wohl, geschweige denn sicher fühlen können. (5)

Ich zitiere einen Tweet von mir:

„Man stelle sich nur mal vor, es gäbe eine Buchmesse dieser Größe, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, inklusiv zu sein und zwar so, dass sich auch marginalisierte Menschen dort uneingeschränkt sicher fühlen können. Das wäre doch mal was. (Utopischer Gedanke, ich weiß.)“

Um diesen Blogbeitrag nicht völlig pessimistisch enden zu lassen, möchte ich auch auf einige positive Entwicklungen eingehen. Mittlerweile kommt es auch in großen Verlagen an, dass die Repräsentation von marginalisierten Menschen von der Leserschaft erwünscht ist, z.B. gibt es mehr Romane mit queeren Figuren, die nicht nur eine Nebenrolle spielen. Einige Verlage arbeiten bereits mit Sensitivity Readern zusammen, das finde ich sehr gut. Ebenso gibt es engagierte Kleinverlage (und auch einige größere Verlage), die ganz selbstverständlich Content Notes/Triggerwarnungen in ihre Bücher einbinden. Der Publikumspreis „Goldener Stephan“ verfügte in diesem Jahr über sehr viele nominierte Bücher mit Diversitätsthemen. Engagierte Kleinverlage und auch Selfpublisher*innen machen sich wie schon seit mehreren Jahren oft besonders stark in Sachen Diversität, das ist klasse.

(1) https://www.metropolcon.eu/vision/

(2) https://twitter.com/PAN_eV_DE/status/1470362885847146499

(3) https://skoutz.de/autor-und-werk-ist-das-wirklich-unzertrennlich/

(4) https://www.zeit.de/kultur/literatur/2017-10/frankfurt-am-main-buchmesse-bjoern-hoecke-rechte-gewalt

(5)
Die Statements von Jasmina Kuhnke und Raul Krauthausen zu ihren Absagen:

und

https://twitter.com/raulde/status/1450874151691034628

Das Statement der Messe:

Eine lesenswerte Kolumne zu diesem Thema von Margarete Stokowski: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/frankfurter-buchmesse-boykott-wir-muessen-gar-nichts-aushalten-kolumne-a-b28c47c0-9d03-45f6-bf29-27de62d83bc3

Privilegierte Zerbrechlichkeit

Kira Hoffmann, Pixabay

Ich habe mich lange gefragt, warum sich manche Menschen so gegen Diversität in der Literatur (oder anderen Medien) sperren. Warum sie das entweder nicht interessiert oder sie es sogar offen ablehnen. Oder warum sie sofort genervt reagieren, wenn jemand darauf hinweist, Teil einer marginalisierten Gruppe zu sein. Eigentlich sollte es doch mehr als willkommen sein, die ganze bunte Vielfalt des Lebens in Medien abzubilden. Sollte man eigentlich meinen …

Lasst uns in diesem Zusammenhang über Privilegien reden. Und das wird jetzt einigen Leuten möglicherweise wehtun. Und damit wir das Thema nicht zu weit aufmachen, beschränke ich mich auf den deutschsprachigen Raum.

Der rundum privilegierte Mensch im deutschsprachigen Raum ist weiß, cisgender, heterosexuell und männlich, er hat keine Behinderung. Er ist neurotypisch, dyageschlechtlich (das Gegenstück zu intergeschlechtlich) und allosexuell (Auf dem Spektrum der Sexualität ganz am anderen Ende von Asexualität). Außerdem ist er nicht arm und hat auch sonst wenig Probleme.

Das gilt für eine Mehrheit an Menschen. Und diese Menschen bestimmen den Diskurs, auch in der Literatur. Sie sitzen in Feuilleton-Redaktionen und in den Jurys von Literaturpreisen. Sie sind im Journalismus tätig und pflegen die deutschsprachige Wikipedia. Viele von ihnen sind sehr gebildet, haben Karriere gemacht. Manche von ihnen sind in Vereinen, die sich um die deutsche Sprache sorgen, aber das ist ein Thema für sich und dieses Fass möchte ich nun nicht aufmachen.

Wenn sie keinen engeren Kontakt mit marginalisierten und/oder intersektionalen Menschen haben, besteht ihre Bubble, ihr Umfeld ebenfalls aus privilegierten Menschen. Und das ist ziemlich bequem. Viele dieser Männer (denn meistens sind es cis Männer, wie schon erwähnt) sind mit einer Literatur aufgewachsen, die mehrheitlich von Menschen geschrieben wurde, die ihnen gleichen: weiß, cis, heterosexuell … siehe die Auflistung oben. Sie sind damit aufgewachsen, selbst wieder und wieder in der Literatur und anderen Medien repräsentiert worden zu sein. Das hat sie geprägt, sie haben dadurch sicherlich auch einiges an Selbstbestätigung gefunden und dieses wunderbare einzigartige Gefühl, wenn man sich in sympathischen, coolen, fiktiven Figuren widergespiegelt findet. Und entsprechend erwarten viele von ihnen auch, immer wieder solche Repräsentationen in der Literatur und anderen Medien zu finden. Weil sie es so gewohnt sind, und weil es bequem ist.

Dieses von mir erwähnte wunderbare Gefühl ist eines, das viele Frauen und nichtbinäre Menschen aus ihrer Kindheit kaum oder gar nicht kennen. Ein einzelnes Beispiel: Ich kann die Euphorie kaum beschreiben, die ich verspürte, als ich zum ersten Mal ever einen Film mit einer Superheldin in der Hauptrolle sah. Das war 2017 und ich war 39.

Kommen wir wieder zurück zu den Menschen mit den Privilegien. Die meisten von ihnen konnten es sich im Laufe ihres Lebens so richtig gemütlich damit einrichten – sie mussten sich nie persönlich auseinandersetzen mit Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und anderen menschenverachtenden -ismen. Viele von ihnen umgeben sich auch gern vor allem mit Menschen, die ähnlich sind wie sie selbst, also auch ähnlich privilegierte Erfahrungen gemacht haben.

Und dann kam das Internet und ab ca. 2007 verschiedene Social Media. Man kann über beides viel Negatives sagen, aber zugleich bieten diese virtuellen Räume marginalisierten und intersektionalen Menschen den Platz, öffentlich oder halb öffentlich von ihren Erfahrungen zu erzählen, von ihren Wünschen und Bedürfnissen, und ja, auch von Wut und Enttäuschung angesichts von Diskriminierungserfahrungen.

Und das zu lesen, ist unbequem für all die Privilegierten da draußen. Denn während sie es sich in ihrer privilegierten Bubble gemütlich eingerichtet haben, werden nun andere Stimmen laut, die von ganz anderen Erfahrungen erzählen – wie ich schon erwähnte, Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und andere menschenverachtende -ismen. Darüber hinaus auch von einem Mangel an Diversität und Repräsentation in der Literatur und anderen Medien, aber auch in der Berufswelt, in Communities aller Art und noch anderen Umgebungen.

Es dürfte für die meisten privilegierten Menschen ein unangenehmes Gefühl sein, von Perspektiven weniger privilegierter Menschen zu erfahren. Viele Privilegierte gehen dann schnell in eine Art Abwehrhaltung oder leugnen sogar das, was sie von Betroffenen hören oder reden es klein. Sie sagen vielleicht, »Du stellst dich zu sehr an.« Oder »Du willst nur Aufmerksamkeit.« Oder sie sagen von sich, »Natürlich bin ich gegen Rassismus«, aber sie hören zugleich Menschen, die von rassistischen Erfahrungen betroffen sind, gar nicht erst zu, sondern belehren diese stattdessen, was denn Rassismus sei und was nicht.

Man könnte dies zusammenfassend privilegierte Zerbrechlichkeit nennen (in Anlehnung an Begriffe wie White Fragility, also englisch: Privileged Fragility) – dies beschreibt das Phänomen, dass manche privilegierte Menschen sich schnell angegriffen fühlen, wenn man sie auf menschenverachtende, destruktive -ismen hinweist, oder dass sie diese und damit verbundene Probleme leugnen, weil sie sie nicht wahrhaben wollen.

Oft kommt es in entsprechenden Gesprächen und in Social-Media-Kommentarspalten zu Derailing (Vom Thema ablenken) oder zu Whataboutism (»Ja, aber was ist mit …, das ist doch auch ganz schlimm!«). Denn es ist für viele privilegierte Menschen offenbar zu schmerzhaft oder unangenehm, sich einzugestehen, wie privilegiert sie selbst sind, während andere Menschen in einigen oder sogar mehreren Lebensbereichen immer wieder Diskriminierungen erleben.

Ich vermute, entsprechend ist es zumindest manchen dieser privilegierten Menschen auch sehr unangenehm, über marginalisierte Figuren in der Literatur zu lesen oder sie in anderen Medien zu finden. Denn die sind ja erstens so anders als sie selbst, zweitens schlagen sich diese Figuren womöglich mit unangenehmen -ismen herum und drittens finden die privilegierten Leute sich darin nicht repräsentiert. (Welcome to my world.)

Ich möchte diesen Beitrag schließen mit einem Zitat des Historikers Patrice Poutus:
„Leute, die privilegiert sind, empfinden Gleichberechtigung als eine Art Unterdrückung“

Weiterführendes:

„Die meisten Weißen sehen nur expliziten Rassismus“
Warum reagieren Weiße so abwehrend, wenn es um Rassismus geht? Weil sie es nicht gewohnt sind, sich mit ihrem Weißsein zu befassen, sagt die Soziologin Robin DiAngelo.

https://www.zeit.de/campus/2018-08/rassismus-dekonstruktion-weisssein-privileg-robin-diangelo

Podcast-Episode: „Weiße Zerbrechlichkeit und weiße Tränen“
von den Journalisten Marcel Aburakia und Malcolm Ohanwe
https://kanackischewelle.podigee.io/21-weisse-zerbrechlichkeit-weisse-traenen

Blogbeitrag von mir: Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

https://uebermedien.de/57222/eigentlich-ist-es-ganz-leicht-nicht-ueber-menschen-sprechen-sondern-mit-ihnen/
Tipp zum Anschauen: Youtube-Reihe „Uncomfortable Conversations With A Black Man“ mit Emmanuel Acho

Verleidete Nostalgie

Foto: Marc Pascual, Pixabay

Manchmal bin ich frustriert, dass Popkulturelles, was ich als Kind oder Jugendliche mochte, sich nun für mich als -istisch herausstellt. Rassistisch. Sexistisch. Queerfeindlich. Ableistisch, oder noch anders menschenverachtend oder zumindest verletzend.

Das Kinderlied „Drei Chinesen mit dem Kontrabass”? Rassistisch. Gründe dafür kann man hier nachlesen:

https://interculturecapital.de/drei-chinesen-mit-dem-kontrabass-rassismus-chinesisch-deutschland/

Ganz zu schweigen von all den vielen schon älteren Büchern, in denen vollkommen unreflektiert das N-Wort genannt wird. Ich erinnere auch daran, dass ein langjährig etablierter Fantasyautor kürzlich auf einer Veranstaltung davon sprach, er werde das N-Wort auch weiterhin verwenden.

Gefühlt eine Million romantischer Kömodien der letzten Jahrzehnte – frauenfeindlich, sexistisch, veraltete oder konservative Vorstellungen von Gender, heteronormativ. Oft sind auch toxische Tropes enthalten, wie Stalking (gern romantisch verklärt als „das Erobern einer Frau”) oder Gaslighting.

Dass die einzige queere Figur in einem Film auf dramatische Weise stirbt, war lange Zeit so Standard, dass ich es früher nicht mal hinterfragt habe.
https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/BuryYourGays

Ich könnte nun noch viele Beispiele nennen. Man schaue sich z.B. mal an, was Latinx und Bl_PoC in Hollywood häufig früher (und auch noch heute) für stereotype Nebenrollen angeboten bekommen (haben). Zum Beispiel: Raumpflegerin, Nanny, Kleinkriminelle, Gang-Mitglied, Service-Kraft, Drogensüchtige oder auch der funny Sidekick der weißen Protagonist:innen.

Ich bin frustriert. Filme/Serien, die älter als 10 – 20 Jahre sind, sind oft voll solcher problematischen Tropes. Bücher oft ebenso. Ich habe keine Lust mehr darauf, mir das anzusehen oder es zu lesen. Die Nostalgie, die ich dabei empfinden könnte, wird angesichts all solcher Tropes ganz schnell schal.

Aber eigentlich ist diese Frustration ein gutes Zeichen.

Denn ich bin nicht allein damit und es zeigt mir, wie sehr sich die Gesellschaft und der Zeitgeist verwandelt hat. Dass es immer mehr Menschen gibt, die solche -ismen, solche Tropes hinterfragen. Die das nicht mehr hinnehmen wollen. Die sich inklusiveres Entertainment wünschen, authentischer Repräsentation. Das kommt allmählich auch in den Köpfen der Kunstschaffenden an, bei Autor*innen, in der Filmindustrie und noch anderen Kunstgattungen.

Klar, es gibt noch immer die, die dann als erstes die Freiheit der Kunst mit Händen und Füßen verteidigen wollen. Das sind z.B. Leute, die verlangen, man müsse „die Kunst vor den Moralaposteln” retten. Nein, das muss man nicht. Und die Etablierten, die Privilegierten, die am Alten festhalten, weil es für sie bequemer ist, die werden nicht ewig kreativ sein. Machen wir es anders.

Über inklusive Phantastikwelten

Abbildung: Ольга Бережна, Boaphotostudio

Heute möchte ich gern wieder mal über ein Thema schreiben, das mir persönlich am Herzen liegt: Diversität und Inklusion in der Literatur, in der Phantastik.

Der Weltenbau, das ist ein zentraler Bestandteil jeglicher Phantastik. Gerade die Phantastik hat in all ihren vielen Subgenres (Fantasy, Science-Fiction, Steampunk, Horror, Dystopien, Hopepunk und viele mehr) die wortwörtlich phantastische Möglichkeit, Gesellschaft(en), politische Systeme, ja ganze Welten oder Universen anders zu denken.

Manche Phantastikautor*innen orientieren sich sehr nah an realen historischen Vorbildern und übernehmen dann auch gleich als das Negative, was es in der Geschichte der Menschheit gegeben hat und häufig noch immer gibt, z.B. Frauenfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Rassismus, Unterdrückung von Minderheiten. Manche Phantastikautor*innen tun dies reflektiert, mit entsprechender immanenter Gesellschaftskritik, indem sie zum Beispiel aufzeigen, was Unterdrückung und menschenverachtende Verhaltensmuster so alles anrichten kann.

Andere Autor*innen machen dies nicht, sie zeigen all solche negativen, destruktiven gesellschaftlichen Verhältnsse, ohne daran immanent Kritik zu üben, und verkaufen das dann als historisch inspirierten Realismus („Das war halt so im Mittelalter!” wird dann gern gesagt – ja, auch wenn es sich um Fantasy handelt). Zu diesem Thema hat Aurelia vom Blog „Geekgeflüster“ einen interessanten Essay geschrieben, den ich unten bei den weiterführenden Texten verlinkt habe.

Aber es gibt auch ganz andere Phantastik. Phantastik, die vollkommen ohne Queerfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenhass, Sexismus, Ableismus oder andere schädliche, menschenverachtende -ismen auskommt.
Ich habe in den letzten Jahren Fantasyromane gelesen, in denen Männer ganz selbstverständlich andere Männer heiraten konnten (1). Ich habe einen dystopischen Steampunk Roman gelesen, in dem die lesbische Protagonistin ganz einfach lesbisch sein kann, ohne dass dies zu dramatischen Verwicklungen führte oder als Plotdevice eingesetzt wurde (2). Zurzeit lese ich einen mit Preisen ausgezeichneten, fünfzig Jahre alten Science-Fiction Roman, in dem Gender und Sexualität vollkommen anders gedacht werden und auch ganz andere Auswirkungen auf Politik, Kultur und Gesellschaft haben (3).
Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen um Polyamorie kein Drama gemacht wird, sondern sie einfach als eine alternative Beziehungsform etabliert ist (4).
Ich habe einen Hopepunk-Roman und einen Science-Fiction-Zweiteiler gelesen, in dem Neopronomen und nonbinäre Personen ganz selbstverständlich in die Handlung einbezogen wurden (5). Und das sind nur einige Beispiele für inklusive Phantastik.

Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen Menschen, oder auch humanoide Aliens und Fantasykreaturen, mit verschiedenen Hautfarben und Herkünften, oder auch als Anhänger verschiedener Glaubensgemeinschaften, ganz selbstverständlich und ohne Drama zusammen an Aufgaben, Rätseln, Fällen oder anderen Problemen arbeiten, ohne Rassismen oder Diskussionen um ihre verschiedenen Religionen.

Es gibt Phantastik, die inklusiv ist, die Protagonist*innen und/oder Nebenfiguren mit Behinderungen, Neurodiversität, psychischen Erkrankungen (von Betroffenen oft als Neurodivergenzen bezeichnet) oder chronischen Erkrankungen als Handlungsträger*innen hat und zwar ohne, dass sich diese Leute ständig mit Ableismus konfrontiert sehen, wie es viele Betroffene ganz real im Alltag erleben.

Menschen, die von all solchen Dingen nicht im Geringsten betroffen sind, können sich vielleicht gar nicht vorstellen, was es für Betroffene, für Menschen aus marginalisierten Gruppen bedeutet, wenn sie sich selbst in der Literatur, in der Phantastik, oder auch in Filmen, Serien, Spielen etc. repräsentiert finden – und zwar auf eine Weise, die nicht in erster Linie das real immer wieder erlebte (Alltags-)Leid mit all den Diskriminierungen und -ismen widerspiegelt, sondern als Held*in einer Geschichte – oder wenigstens als starke Nebenfigur.

Dafür gibt es im englischsprachigen Raum den Hashtag #RepresentationMatters

Phantastik bietet wie kein anderer Bereich der Literatur die Möglichkeit, Welten zu erschaffen. Wenn du selbst als Autor*in solche Welten erschaffen willst – bitte geh in dich und frage dich, was für eine Welt soll es sein? Was soll sie widerspiegeln? Können die Kulturen, die Gesellschaften dort ganz anders sein als in unserer realen Welt? Was würde sich dadurch verändern? Phantasie kann eine Menge Macht haben, denn du kannst mit ihr ganze Welten kreieren. Nutze sie weise.

Weiterführende Texte:

Das Märchen von der unpolitischen Fiktion
https://geekgefluester.de/das-maerchen-von-der-unpolitischen-fiktion

Fantastisch Politisch
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-politisch/

Weltenbau 101: Fantastische Genderrollen?
https://alpakawolken.de/weltenbau-101-fantastische-genderrollen/

„Historische Korrektheit“ von Fantasy-Welten ist Quatsch
https://geekgefluester.de/historische-korrektheit-fantasy

(1) Die „Inselreich“-Reihe von Jona Dreyer
(2) „Berlin: Rostiges Herz“ von Sarah Stoffers
(3) „Die linke Hand der Dunkelheit“ (auch veröffentlich als „Winterplanet“) von Ursula K. Le Guin
(4) z.B. in „An Accident Of Stars“ von Foz Meadows
(5) „Wasteland“ von Judith Vogt und Christian Vogt sowie die „Sternenbrand“-Dilogie von Annette Juretzki