Privilegierte Zerbrechlichkeit

Kira Hoffmann, Pixabay

Ich habe mich lange gefragt, warum sich manche Menschen so gegen Diversität in der Literatur (oder anderen Medien) sperren. Warum sie das entweder nicht interessiert oder sie es sogar offen ablehnen. Oder warum sie sofort genervt reagieren, wenn jemand darauf hinweist, Teil einer marginalisierten Gruppe zu sein. Eigentlich sollte es doch mehr als willkommen sein, die ganze bunte Vielfalt des Lebens in Medien abzubilden. Sollte man eigentlich meinen …

Lasst uns in diesem Zusammenhang über Privilegien reden. Und das wird jetzt einigen Leuten möglicherweise wehtun. Und damit wir das Thema nicht zu weit aufmachen, beschränke ich mich auf den deutschsprachigen Raum.

Der rundum privilegierte Mensch im deutschsprachigen Raum ist weiß, cisgender, heterosexuell und männlich, er hat keine Behinderung. Er ist neurotypisch, dyageschlechtlich (das Gegenstück zu intergeschlechtlich) und allosexuell (Auf dem Spektrum der Sexualität ganz am anderen Ende von Asexualität). Außerdem ist er nicht arm und hat auch sonst wenig Probleme.

Das gilt für eine Mehrheit an Menschen. Und diese Menschen bestimmen den Diskurs, auch in der Literatur. Sie sitzen in Feuilleton-Redaktionen und in den Jurys von Literaturpreisen. Sie sind im Journalismus tätig und pflegen die deutschsprachige Wikipedia. Viele von ihnen sind sehr gebildet, haben Karriere gemacht. Manche von ihnen sind in Vereinen, die sich um die deutsche Sprache sorgen, aber das ist ein Thema für sich und dieses Fass möchte ich nun nicht aufmachen.

Wenn sie keinen engeren Kontakt mit marginalisierten und/oder intersektionalen Menschen haben, besteht ihre Bubble, ihr Umfeld ebenfalls aus privilegierten Menschen. Und das ist ziemlich bequem. Viele dieser Männer (denn meistens sind es cis Männer, wie schon erwähnt) sind mit einer Literatur aufgewachsen, die mehrheitlich von Menschen geschrieben wurde, die ihnen gleichen: weiß, cis, heterosexuell … siehe die Auflistung oben. Sie sind damit aufgewachsen, selbst wieder und wieder in der Literatur und anderen Medien repräsentiert worden zu sein. Das hat sie geprägt, sie haben dadurch sicherlich auch einiges an Selbstbestätigung gefunden und dieses wunderbare einzigartige Gefühl, wenn man sich in sympathischen, coolen, fiktiven Figuren widergespiegelt findet. Und entsprechend erwarten viele von ihnen auch, immer wieder solche Repräsentationen in der Literatur und anderen Medien zu finden. Weil sie es so gewohnt sind, und weil es bequem ist.

Dieses von mir erwähnte wunderbare Gefühl ist eines, das viele Frauen und nichtbinäre Menschen aus ihrer Kindheit kaum oder gar nicht kennen. Ein einzelnes Beispiel: Ich kann die Euphorie kaum beschreiben, die ich verspürte, als ich zum ersten Mal ever einen Film mit einer Superheldin in der Hauptrolle sah. Das war 2017 und ich war 39.

Kommen wir wieder zurück zu den Menschen mit den Privilegien. Die meisten von ihnen konnten es sich im Laufe ihres Lebens so richtig gemütlich damit einrichten – sie mussten sich nie persönlich auseinandersetzen mit Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und anderen menschenverachtenden -ismen. Viele von ihnen umgeben sich auch gern vor allem mit Menschen, die ähnlich sind wie sie selbst, also auch ähnlich privilegierte Erfahrungen gemacht haben.

Und dann kam das Internet und ab ca. 2007 verschiedene Social Media. Man kann über beides viel Negatives sagen, aber zugleich bieten diese virtuellen Räume marginalisierten und intersektionalen Menschen den Platz, öffentlich oder halb öffentlich von ihren Erfahrungen zu erzählen, von ihren Wünschen und Bedürfnissen, und ja, auch von Wut und Enttäuschung angesichts von Diskriminierungserfahrungen.

Und das zu lesen, ist unbequem für all die Privilegierten da draußen. Denn während sie es sich in ihrer privilegierten Bubble gemütlich eingerichtet haben, werden nun andere Stimmen laut, die von ganz anderen Erfahrungen erzählen – wie ich schon erwähnte, Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und andere menschenverachtende -ismen. Darüber hinaus auch von einem Mangel an Diversität und Repräsentation in der Literatur und anderen Medien, aber auch in der Berufswelt, in Communities aller Art und noch anderen Umgebungen.

Es dürfte für die meisten privilegierten Menschen ein unangenehmes Gefühl sein, von Perspektiven weniger privilegierter Menschen zu erfahren. Viele Privilegierte gehen dann schnell in eine Art Abwehrhaltung oder leugnen sogar das, was sie von Betroffenen hören oder reden es klein. Sie sagen vielleicht, »Du stellst dich zu sehr an.« Oder »Du willst nur Aufmerksamkeit.« Oder sie sagen von sich, »Natürlich bin ich gegen Rassismus«, aber sie hören zugleich Menschen, die von rassistischen Erfahrungen betroffen sind, gar nicht erst zu, sondern belehren diese stattdessen, was denn Rassismus sei und was nicht.

Man könnte dies zusammenfassend privilegierte Zerbrechlichkeit nennen (in Anlehnung an Begriffe wie White Fragility, also englisch: Privileged Fragility) – dies beschreibt das Phänomen, dass manche privilegierte Menschen sich schnell angegriffen fühlen, wenn man sie auf menschenverachtende, destruktive -ismen hinweist, oder dass sie diese und damit verbundene Probleme leugnen, weil sie sie nicht wahrhaben wollen.

Oft kommt es in entsprechenden Gesprächen und in Social-Media-Kommentarspalten zu Derailing (Vom Thema ablenken) oder zu Whataboutism (»Ja, aber was ist mit …, das ist doch auch ganz schlimm!«). Denn es ist für viele privilegierte Menschen offenbar zu schmerzhaft oder unangenehm, sich einzugestehen, wie privilegiert sie selbst sind, während andere Menschen in einigen oder sogar mehreren Lebensbereichen immer wieder Diskriminierungen erleben.

Ich vermute, entsprechend ist es zumindest manchen dieser privilegierten Menschen auch sehr unangenehm, über marginalisierte Figuren in der Literatur zu lesen oder sie in anderen Medien zu finden. Denn die sind ja erstens so anders als sie selbst, zweitens schlagen sich diese Figuren womöglich mit unangenehmen -ismen herum und drittens finden die privilegierten Leute sich darin nicht repräsentiert. (Welcome to my world.)

Ich möchte diesen Beitrag schließen mit einem Zitat des Historikers Patrice Poutus:
„Leute, die privilegiert sind, empfinden Gleichberechtigung als eine Art Unterdrückung“

Weiterführendes:

„Die meisten Weißen sehen nur expliziten Rassismus“
Warum reagieren Weiße so abwehrend, wenn es um Rassismus geht? Weil sie es nicht gewohnt sind, sich mit ihrem Weißsein zu befassen, sagt die Soziologin Robin DiAngelo.

https://www.zeit.de/campus/2018-08/rassismus-dekonstruktion-weisssein-privileg-robin-diangelo

Podcast-Episode: „Weiße Zerbrechlichkeit und weiße Tränen“
von den Journalisten Marcel Aburakia und Malcolm Ohanwe
https://kanackischewelle.podigee.io/21-weisse-zerbrechlichkeit-weisse-traenen

Blogbeitrag von mir: Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

https://uebermedien.de/57222/eigentlich-ist-es-ganz-leicht-nicht-ueber-menschen-sprechen-sondern-mit-ihnen/
Tipp zum Anschauen: Youtube-Reihe „Uncomfortable Conversations With A Black Man“ mit Emmanuel Acho

Druckkostenzuschussverlage und andere Methoden, Autor*innen zur Kasse zu bitten

Druckkostenzuschussverlage arbeiten grob gesagt nach dem Motto: »Wir bringen dein Buch heraus – aber du musst in Vorkasse gehen.« Je nach Verlag, der dies anbietet, muss man als Autor*in für eine einzige Veröffentlichung mehrere hundert oder tausende Euro bezahlen.

Das ist ein Missstand. Seriöse Verlage verlangen kein Geld von ihren Autor*innen – sie bezahlen Buchcover, Lektorat, Korrektorat, Buchsatz, Marketing/Werbung und die Druckauflage. Das gilt sowohl für Romane als auch Anthologien.

Joshua Hoehne, Unsplash

Mehr über Druckkostenzuschussverlage könnt ihr hier nachlesen und dort gibt es auch eine Liste mit entsprechenden Verlagen, um die man besser einen großen Bogen machen sollte:

https://neinzudruckkostenzuschussverlagen.blogspot.com/

Aber das ist noch nicht alles, worüber ich heute schreiben möchte. Kürzlich las ich eine Ausschreibung für eine Anthologie. Diese, so hieß es, würde von einer Autorin herausgegeben, ein Selfpublishing-Projekt ohne einen Verlag. In der Ausschreibung war zu lesen, jede Autor*in würde ein E-Book als Belegexemplar erhalten. Das Lektorat für die angenommenen Geschichten würde den Autor*innen in Rechnung gestellt werden, nach Seitenanzahl berechnet. Wie sich diese Kosten genau berechnen würden, also der Preis pro Seite, wurde nicht erwähnt. Später erfuhr ich, dass eine Gewinnbeteiligung der Autor*innen geplant sei – davon stand allerdings nichts im Ausschreibungstext.

Liebe angehende Autor*innen, oder auch schon erfahrene, bitte lasst euch nicht auf solche Angebote ein, das wäre in den meisten Fällen ein Verlustgeschäft, bei dem ihr nur draufzahlt. Und wie gesagt: Seriöse Verlage verlangen kein Geld von Autor*innen – und es gibt tolle Verlage da draußen mit interessanten Ausschreibungen für Anthologien. (Hier übrigens eine Liste mit deutschsprachigen Kleinverlagen: https://bit.ly/listedeutschsprachigerkleinverlage) Das ist übrigens keine Einzelmeinung von mir, und auch keine „unpopular opinion“; andere erfahrene Autor*innen sehen das auch so.
Die Autorin Annette Juretzki hat darüber übrigens diesen Blogbeitrag geschrieben:
„Auch Kurzgeschichten verdienen Bezahlung“

Und diese Ausschreibung ist kein Einzelfall: Mir sind in den letzten Monaten immer mal wieder Ausschreibungen begegnet, in denen von keinerlei Gewinnbeteiligung die Rede war. Es handelte sich dabei um Selfpublishing-Projekte von verschiedenen Autor*innen.

Nun ist es ja so: Wer unbezahlt veröffentlichen möchte, der braucht dafür keine Anthologien. Es gibt zig online Plattformen, wo das möglich ist, für Fanfictions und auch Originalfiktion, u.a. Wattpad, fanfiktion.de, archiveofourown.org und noch andere. Vor allem aber muss man dort nicht auch noch draufzahlen, eine Veröffentlichung ist kostenlos. Überlegt euch also bitte gut, ob ihr etwas bezahlen wollt, nur um eine Kurzgeschichte in einer Anthologie veröffentlichen zu können. Ich wiederhole noch einmal meinen Rat: Lasst das lieber sein.

Es geht aber auch anders, was (Selfpublishing-)Anthologien angeht – hier drei Beispiele:

Benefizanthologien
Ich kenne mehrere Anthologien, die ausschließlich für Benefizzwecke veröffentlicht wurden – die beteiligten Autor*innen und auch das Lektorat, Korrektorat und Buchcoverdesigner*innen verzichten hier für den guten Zweck auf ein Honorar. Ein Beispiel dafür ist die aktuelle Ausschreibung der Autor*innengruppe „Münchner Schreiberlinge“:
Das Thema: „Weihnachten und Rauhnächte in München und im Alpenvorland“. Es handelt sich um eine Selfpublishing-Veröffentlichung, die Erlöse werden für einen Charityzweck gespendet. Der Einsendeschluss: 28.02.2021. Weitere Infos dazu gibt es hier: http://muenchner-schreiberlinge.de/ausschreibungen

Gemeinschaftsprojekte mit Kostenteilung
Eine andere Autorin auf Twitter schrieb, sie hätte zusammen mit ihrer Autor*innengruppe ein Gemeinschaftsprojekt gestaltet, eine Anthologie, bei der sich alle die anfallenden Kosten geteilt hätten. Mit den Einnahmen hätten sie später eine weitere Anthologie finanziert. Solche Gemeinschaftsprojekte sind eine feine Sache und vermutlich können die einzelnen Beteiligten sich auch mehr in den kreativen Prozess einbringen als bei einer fragwürdigen Ausschreibung.

Crowdfunding-Kampagne
Das ist etwas, das viele Künstler*innen und auch Selfpublishing-Autor*innen nutzen: Mithilfe einer Crowdfunding-Kampagne, z.B. auf Startnext oder Kickstarter, wird ein bestimmter Betrag an Geld von einer Crowd gesammelt: eine Menge Leute, jede Person gibt eine kleine oder größere Summe. Dies dient dann der Finanzierung eines künstlerischen Projektes, also z.B. ein Buch. So wurde beispielsweise die Anthologie „Aeronautica – Logbuch der Lüfte“ aus dem Art Skript Phantastik Verlag finanziert. Als Dankeschön gibt es für die Crowd verschiedene Produkte, z.B. das fertige Buch als E-Book oder Taschenbuch. Crowdfunding ist also nicht mit Spendenkampagnen vergleichbar, stattdessen wird hier gewissermaßen etwas vorfinanziert, so dass es realisiert werden kann.