Jüngst gab es einen Skandal mit dem rechtskonservativ ausgerichteten „Aktionsbündnis Fantastik und Gesellschaft“. Die betreffende Webseite wurde mittlerweile vom Netz genommen wurde, aber das Manifest und die Erstunterzeichnenden sind immer noch auf einem Yopad und im Web Archive online lesbar – das Internet vergisst nicht.
Das alles hat mich zum Nachdenken gebracht und ich habe mir folgende Hashtag-Aktion überlegt: den #DiversityDienstag.
Ich schreibe seit 7.10. 2025 dienstags über progressive Phantastik, andere Genres sowie progressive Sachbücher und gebe Tipps oder teile Blogbeiträge von mir.
Nach dem Motto, wir müssen lauter sein als rechtskonservative und rechtsextreme Autor*innen, Verleger*innen und andere Leute mit diesen Einstellungen.
Aber ich möchte die Aktion gern noch weiter fassen. Von daher, wenn euch die Themen Diversität, Inklusion und Repräsentation in irgendeiner Form beschäftigen, macht gern ebenfalls dienstags mit und nutzt den Hashtag in euren Social Media.
Bitte beachten: Anders als bei mehreren Hashtag-Aktionen in Social Media gibt es KEIN vorgegebenes wöchentliches Thema. Schreibt bitte einfach dienstags mit dem Hashtag zu den Themen rund um Diversität, Inklusion, Repräsentation, progressive Bücher und Verwandtes, was euch in dieser Hinsicht bewegt.
Diesen Beitrag sehr gern teilen. Ihr könnt auch das Bild aus diesem Beitrag gern verwenden.
Update im Februar 2025. Lesezeit ca. 3 Minuten Ich habe mich lange gefragt, warum sich manche Menschen so gegen Diversität in der Literatur (oder anderen Medien) sperren. Warum sie das entweder nicht interessiert oder sie es sogar offen ablehnen. Oder warum sie sofort genervt reagieren, wenn jemand darauf hinweist, Teil einer marginalisierten Gruppe zu sein. Eigentlich sollte es doch mehr als willkommen sein, die ganze bunte Vielfalt des Lebens in Medien abzubilden. Sollte man eigentlich meinen …
Lasst uns in diesem Zusammenhang über Privilegien reden. Und das wird jetzt einigen Leuten möglicherweise wehtun. Und damit wir das Thema nicht zu weit aufmachen, beschränke ich mich auf den deutschsprachigen Raum.
Der rundum privilegierte Mensch im deutschsprachigen Raum ist weiß, cisgender, heterosexuell und männlich, er hat keine Behinderung. Er ist neurotypisch, dyageschlechtlich (das Gegenstück zu intergeschlechtlich) und allosexuell (auf dem Spektrum der Sexualität ganz am anderen Ende von Asexualität). Außerdem ist er nicht arm und hat auch sonst wenig Probleme.
Das gilt für eine Mehrheit an Menschen. Und diese Menschen bestimmen den Diskurs, auch in der Literatur. Sie sitzen in Feuilleton-Redaktionen und in den Jurys von Literaturpreisen. Sie sind im Journalismus tätig und pflegen die deutschsprachige Wikipedia. Viele von ihnen sind sehr gebildet, haben Karriere gemacht. Manche von ihnen sind in Vereinen, die sich um die deutsche Sprache sorgen, aber das ist ein Thema für sich und dieses Fass möchte ich nun nicht aufmachen.
Wenn sie keinen engeren Kontakt mit marginalisierten und/oder intersektionalen Menschen haben, besteht ihre Bubble, ihr Umfeld ebenfalls aus privilegierten Menschen. Und das ist ziemlich bequem. Viele dieser Männer (denn meistens sind es cis Männer, wie schon erwähnt) sind mit einer Literatur aufgewachsen, die mehrheitlich von Menschen geschrieben wurde, die ihnen gleichen: weiß, cis, heterosexuell … siehe die Auflistung oben. Sie sind damit aufgewachsen, selbst wieder und wieder in der Literatur und anderen Medien repräsentiert worden zu sein. Das hat sie geprägt, sie haben dadurch sicherlich auch einiges an Selbstbestätigung gefunden und dieses wunderbare einzigartige Gefühl, wenn man sich in sympathischen, coolen, fiktiven Figuren widergespiegelt findet. Und entsprechend erwarten viele von ihnen auch, immer wieder solche Repräsentationen in der Literatur und anderen Medien zu finden. Weil sie es so gewohnt sind, und weil es bequem ist.
Dieses von mir erwähnte wunderbare Gefühl ist eines, das viele Frauen und nichtbinäre Menschen aus ihrer Kindheit kaum oder gar nicht kennen. Ein einzelnes Beispiel: Ich kann die Euphorie kaum beschreiben, die ich verspürte, als ich zum ersten Mal ever einen Film mit einer Superheldin in der Hauptrolle sah. Das war 2017 und ich war 39. Damals wusste ich noch nicht, dass ich agender bin, aber ich bin afab (assigned female at birth) und habe mich dementsprechend mit dem „Frausein“ einigermaßen identifiziert.
Kommen wir wieder zurück zu den Menschen mit den Privilegien. Die meisten von ihnen konnten es sich im Laufe ihres Lebens so richtig gemütlich damit einrichten – sie mussten sich nie persönlich mit Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und anderen menschenverachtenden -ismen auseinandersetzen. Viele von ihnen umgeben sich auch gern vor allem mit Menschen, die ähnlich sind wie sie selbst, also auch ähnlich privilegierte Erfahrungen gemacht haben.
Und dann kam das Internet und ab ca. 2007 verschiedene Social Media. Man kann über beides viel Negatives sagen, aber zugleich bieten diese virtuellen Räume marginalisierten und intersektionalen Menschen den Platz, öffentlich oder halb öffentlich von ihren Erfahrungen zu erzählen, von ihren Wünschen und Bedürfnissen, und ja, auch von Wut und Enttäuschung angesichts von Diskriminierungserfahrungen.
Und das zu lesen, ist unbequem für all die Privilegierten da draußen. Denn während sie es sich in ihrer privilegierten Bubble gemütlich eingerichtet haben, werden nun andere Stimmen laut, die von ganz anderen Erfahrungen erzählen – wie ich schon erwähnte, Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und andere menschenverachtende -ismen. Darüber hinaus auch von einem Mangel an Diversität und Repräsentation in der Literatur und anderen Medien, aber auch in der Berufswelt, in Communities aller Art und noch anderen Umgebungen.
Es dürfte für die meisten privilegierten Menschen ein unangenehmes Gefühl sein, von Perspektiven weniger privilegierter Menschen zu erfahren. Viele Privilegierte gehen dann schnell in eine Art Abwehrhaltung oder leugnen sogar das, was sie von Betroffenen hören oder reden es klein. Sie sagen vielleicht, »Du stellst dich zu sehr an.« Oder »Du willst nur Aufmerksamkeit.« Oder sie sagen von sich, »Natürlich bin ich gegen Rassismus«, oder gar »Ich wurde/werde auch diskriminiert« – bei Letzterem ist es aber keine systemische Diskriminierung, was ihnen nicht bewusst ist. Zugleich hören sie Menschen, die von rassistischen Erfahrungen betroffen sind, gar nicht erst zu, sondern belehren diese stattdessen, was denn Rassismus sei und was nicht.
Man könnte dies zusammenfassend privilegierte Zerbrechlichkeit nennen (in Anlehnung an Begriffe wie White Fragility, also englisch: Privileged Fragility) – dies beschreibt das Phänomen, dass manche privilegierte Menschen sich schnell angegriffen fühlen, wenn man sie auf menschenverachtende, destruktive -ismen hinweist, oder dass sie diese und damit verbundene Probleme leugnen, weil sie sie nicht wahrhaben wollen.
Oft kommt es in entsprechenden Gesprächen und in Social-Media-Kommentarspalten zu Derailing (Vom Thema ablenken) oder zu Whataboutism (»Ja, aber was ist mit …, das ist doch auch ganz schlimm!«). Denn es ist für viele privilegierte Menschen offenbar zu schmerzhaft oder unangenehm, sich einzugestehen, wie privilegiert sie selbst sind, während andere Menschen in einigen oder sogar mehreren Lebensbereichen immer wieder Diskriminierungen erleben.
Ich vermute, entsprechend ist es zumindest manchen dieser privilegierten Menschen auch sehr unangenehm, über marginalisierte Figuren in der Literatur zu lesen oder sie in anderen Medien zu finden. Denn die sind ja erstens so anders als sie selbst, zweitens schlagen sich diese Figuren womöglich mit unangenehmen -ismen herum und drittens finden die privilegierten Leute sich darin nicht repräsentiert. (Welcome to my world.)
Ich möchte diesen Beitrag schließen mit einem Zitat des Historikers Patrice Poutus: „Leute, die privilegiert sind, empfinden Gleichberechtigung als eine Art Unterdrückung“
Weiterführendes: „Die meisten Weißen sehen nur expliziten Rassismus“ Warum reagieren Weiße so abwehrend, wenn es um Rassismus geht? Weil sie es nicht gewohnt sind, sich mit ihrem Weißsein zu befassen, sagt die Soziologin Robin DiAngelo.
Manchmal bin ich frustriert, dass Popkulturelles, was ich als Kind oder Jugendliche mochte, sich nun für mich als -istisch herausstellt. Rassistisch. Sexistisch. Queerfeindlich. Ableistisch, oder noch anders menschenverachtend oder zumindest verletzend.
Das Kinderlied „Drei
Chinesen mit dem Kontrabass”? Rassistisch. Gründe dafür kann man
hier nachlesen:
Ganz zu schweigen von all den vielen schon älteren Büchern, in denen vollkommen unreflektiert das N-Wort genannt wird. Ich erinnere auch daran, dass ein langjährig etablierter Fantasyautor kürzlich auf einer Veranstaltung davon sprach, er werde das N-Wort auch weiterhin verwenden.
Gefühlt eine
Million romantischer Kömodien der letzten Jahrzehnte –
frauenfeindlich, sexistisch, veraltete oder konservative
Vorstellungen von Gender, heteronormativ. Oft sind auch toxische
Tropes enthalten, wie Stalking (gern romantisch verklärt als „das
Erobern einer Frau”) oder Gaslighting.
Ich könnte nun noch viele Beispiele nennen. Man schaue sich z.B. mal an, was Latinx und Bl_PoC in Hollywood häufig früher (und auch noch heute) für stereotype Nebenrollen angeboten bekommen (haben). Zum Beispiel: Raumpflegerin, Nanny, Kleinkriminelle, Gang-Mitglied, Service-Kraft, Drogensüchtige oder auch der funny Sidekick der weißen Protagonist:innen.
Ich bin frustriert.
Filme/Serien, die älter als 10 – 20 Jahre sind, sind oft voll
solcher problematischen Tropes. Bücher oft ebenso. Ich habe keine
Lust mehr darauf, mir das anzusehen oder es zu lesen. Die Nostalgie,
die ich dabei empfinden könnte, wird angesichts all solcher Tropes
ganz schnell schal.
Aber eigentlich ist diese Frustration ein gutes Zeichen.
Denn ich bin nicht allein damit und es zeigt mir, wie sehr sich die Gesellschaft und der Zeitgeist verwandelt hat. Dass es immer mehr Menschen gibt, die solche -ismen, solche Tropes hinterfragen. Die das nicht mehr hinnehmen wollen. Die sich inklusiveres Entertainment wünschen, authentischer Repräsentation. Das kommt allmählich auch in den Köpfen der Kunstschaffenden an, bei Autor*innen, in der Filmindustrie und noch anderen Kunstgattungen.
Klar, es gibt noch immer die, die dann als erstes die Freiheit der Kunst mit Händen und Füßen verteidigen wollen. Das sind z.B. Leute, die verlangen, man müsse „die Kunst vor den Moralaposteln” retten. Nein, das muss man nicht. Und die Etablierten, die Privilegierten, die am Alten festhalten, weil es für sie bequemer ist, die werden nicht ewig kreativ sein. Machen wir es anders.
Heute möchte ich gern wieder mal über ein Thema schreiben, das mir persönlich am Herzen liegt: Diversität und Inklusion in der Literatur, in der Phantastik.
Der Weltenbau, das ist ein zentraler Bestandteil jeglicher Phantastik. Gerade die Phantastik hat in all ihren vielen Subgenres (Fantasy, Science-Fiction, Steampunk, Horror, Dystopien, Hopepunk und viele mehr) die wortwörtlich phantastische Möglichkeit, Gesellschaft(en), politische Systeme, ja ganze Welten oder Universen anders zu denken.
Manche
Phantastikautor*innen orientieren sich sehr nah an realen
historischen Vorbildern und übernehmen dann auch gleich als das
Negative, was es in der Geschichte der Menschheit gegeben hat und
häufig noch immer gibt, z.B. Frauenfeindlichkeit,
Queerfeindlichkeit, Rassismus, Unterdrückung von Minderheiten.
Manche Phantastikautor*innen tun dies reflektiert, mit entsprechender
immanenter Gesellschaftskritik, indem sie zum Beispiel aufzeigen, was
Unterdrückung und menschenverachtende Verhaltensmuster so alles
anrichten kann.
Andere Autor*innen machen dies nicht, sie zeigen all solche negativen, destruktiven gesellschaftlichen Verhältnsse, ohne daran immanent Kritik zu üben, und verkaufen das dann als historisch inspirierten Realismus („Das war halt so im Mittelalter!” wird dann gern gesagt – ja, auch wenn es sich um Fantasy handelt). Zu diesem Thema hat Aurelia vom Blog „Geekgeflüster“ einen interessanten Essay geschrieben, den ich unten bei den weiterführenden Texten verlinkt habe.
Aber es gibt auch ganz andere Phantastik. Phantastik, die vollkommen ohne Queerfeindlichkeit, Rassismus, Fremdenhass, Sexismus, Ableismus oder andere schädliche, menschenverachtende -ismen auskommt. Ich habe in den letzten Jahren Fantasyromane gelesen, in denen Männer ganz selbstverständlich andere Männer heiraten konnten (1). Ich habe einen dystopischen Steampunk Roman gelesen, in dem die lesbische Protagonistin ganz einfach lesbisch sein kann, ohne dass dies zu dramatischen Verwicklungen führte oder als Plotdevice eingesetzt wurde (2). Zurzeit lese ich einen mit Preisen ausgezeichneten, fünfzig Jahre alten Science-Fiction Roman, in dem Gender und Sexualität vollkommen anders gedacht werden und auch ganz andere Auswirkungen auf Politik, Kultur und Gesellschaft haben (3). Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen um Polyamorie kein Drama gemacht wird, sondern sie einfach als eine alternative Beziehungsform etabliert ist (4). Ich habe einen Hopepunk-Roman und einen Science-Fiction-Zweiteiler gelesen, in dem Neopronomen und nonbinäre Personen ganz selbstverständlich in die Handlung einbezogen wurden (5). Und das sind nur einige Beispiele für inklusive Phantastik.
Es gibt Fantasy und Science-Fiction, in denen Menschen, oder auch humanoide Aliens und Fantasykreaturen, mit verschiedenen Hautfarben und Herkünften, oder auch als Anhänger verschiedener Glaubensgemeinschaften, ganz selbstverständlich und ohne Drama zusammen an Aufgaben, Rätseln, Fällen oder anderen Problemen arbeiten, ohne Rassismen oder Diskussionen um ihre verschiedenen Religionen.
Es gibt Phantastik,
die inklusiv ist, die Protagonist*innen und/oder Nebenfiguren mit
Behinderungen, Neurodiversität, psychischen Erkrankungen (von
Betroffenen oft als Neurodivergenzen bezeichnet) oder chronischen
Erkrankungen als Handlungsträger*innen hat und zwar ohne, dass sich
diese Leute ständig mit Ableismus konfrontiert sehen, wie es viele
Betroffene ganz real im Alltag erleben.
Menschen, die von all solchen Dingen nicht im Geringsten betroffen sind, können sich vielleicht gar nicht vorstellen, was es für Betroffene, für Menschen aus marginalisierten Gruppen bedeutet, wenn sie sich selbst in der Literatur, in der Phantastik, oder auch in Filmen, Serien, Spielen etc. repräsentiert finden – und zwar auf eine Weise, die nicht in erster Linie das real immer wieder erlebte (Alltags-)Leid mit all den Diskriminierungen und -ismen widerspiegelt, sondern als Held*in einer Geschichte – oder wenigstens als starke Nebenfigur.
Dafür gibt es im englischsprachigen Raum den Hashtag #RepresentationMatters
Phantastik bietet wie kein anderer Bereich der Literatur die Möglichkeit, Welten zu erschaffen. Wenn du selbst als Autor*in solche Welten erschaffen willst – bitte geh in dich und frage dich, was für eine Welt soll es sein? Was soll sie widerspiegeln? Können die Kulturen, die Gesellschaften dort ganz anders sein als in unserer realen Welt? Was würde sich dadurch verändern? Phantasie kann eine Menge Macht haben, denn du kannst mit ihr ganze Welten kreieren. Nutze sie weise.
(1) Die „Inselreich“-Reihe von Jona Dreyer (2) „Berlin: Rostiges Herz“ von Sarah Stoffers (3) „Die linke Hand der Dunkelheit“ (auch veröffentlich als „Winterplanet“) von Ursula K. Le Guin (4) z.B. in „An Accident Of Stars“ von Foz Meadows (5) „Wasteland“ von Judith Vogt und Christian Vogt sowie die „Sternenbrand“-Dilogie von Annette Juretzki