Content Note: In diesem Beitrag nenne ich einige ableistische Ausdrücke
Zu diesem Thema habe ich einiges gesammelt, das findet ihr unten bei der weiterführenden Literatur. Ableismus, also die Feindlichkeit gegenüber bzw. Diskriminierung von behinderten Menschen, ist ein weites Feld, allein schon, weil es so viele unterschiedliche Behinderungen gibt. Manche davon sind unsichtbar oder nicht auf den ersten Blick erkennbar. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Erfahrungen und Bedürfnisse behinderter Menschen.
In der Literatur und in anderen Medien werden Menschen mit Behinderung oft klischeehaft dargestellt (siehe dazu das unten verlinkte Interview), oder aber ihre Geschichte definiert sich allein über ihr »Leid«. Ich schreibe »Leid« hier absichtlich in Anführungszeichen, da nicht Betroffene meistens davon ausgehen, dass Menschen mit einer Behinderung ganz furchtbar unter dieser leiden. Das mag im Einzelfall tatsächlich der Fall sein, ist aber bei weitem nicht bei allen so. Hier wird also mitunter ein falscher Eindruck von behinderten Menschen erreicht.
In anderen Geschichten erreichen Figuren mit Behinderung etwas Besonderes oder schaffen es einfach, ihr Leben und ihren Alltag zu meistern – aber solche Geschichten dienen viel zu oft nicht Betroffenen als »Inspiration Porn« (siehe den Beitrag, der unten verlinkt ist).
In einigen Fällen gibt es leider sehr problematische Darstellungen von Behinderungen, ein Beispiel dafür ist der Bestseller »Ein ganzes halbes Jahr« von Jojo Moyes, das auch verfilmt wurde. Siehe dazu die unten verlinkte Filmkritik Behindert sein = Sterben wollen? Filmkritik “Ein ganzes halbes Jahr” von Judyta Smykowski.
Ich selbst habe eine Gehbehinderung und eine chronische psychische Erkrankung, habe mich aber erst in den letzten Jahren zunehmend mit dem Thema Ableismus auseinandergesetzt und lerne immer noch dazu. Hier ein sprachliches Thema, das mir bis vor einigen Monaten gar nicht bewusst war: Begriffe wie »dumm«, »Idiot«, »Blödmann«, »schwachsinnig«, also jede Menge Schimpfworte, sind ableistisch und ich versuche mittlerweile, sie als Autorin und auch in meiner Alltagssprache komplett zu vermeiden. Diese Begriffe sind ableistisch, weil sie der so genannten Person (oder einer ganzen Personengruppe) das Denkvermögen absprechen, sich also über deren Intelligenz lustig machen. Und das wiederum stigmatisiert zum Beispiel Menschen mit geistigen Behinderungen. Hinzu kommt noch verschärfend, dass einige dieser Begriffe, z.B. »Idiotie« und »Schwachsinn« eine unrühmliche Geschichte haben: In der Zeit des Nationalsozialismus wurden sie abwertend für Menschen mit geistigen Behinderungen verwendet. Und ich hoffe, ich muss nun nicht extra erklären, dass auch die Bezeichnung »behindert« als Schimpfwort ein absolutes No-Go ist.
Inspiration Porn: Wenn behinderte Menschen als Motivationskick dienen. Konrad Wolf erklärt, warum nicht-behinderte Menschen aufhören müssen, Menschen mit Behinderung für alltägliche Dinge zu bewundern:
online Magazin “Die neue Norm” Eigenbeschreibung: “Das Magazin für Vielfalt, Gleichberechtigung und Disability Mainstreaming. Wir denken Inklusion weiter.”
Bücher mit nichtbinären oder trans Figuren gibt es auch auf der Buchliste »Phantastik mit Diversität«. Bitte am PC mit den Tasten Strg, F die Suchfunktion einschalten und ins Suchfeld »trans« bzw. »nichtbinär« oder »nonbinary« eingeben, dann werden euch entsprechende Bücher angezeigt. http://bit.ly/phantastikmitdiversität
Das von der Regierung geplante Selbstbestimmungsgesetz wird ja zurzeit stark diskutiert. Emma Kohler (auf Instagram: @_emmanzipation_) hat unter anderem diese Petition erstellt, die bereits von zahlreichen Menschen unterzeichnet wurde: #Selbstbestimmung2022 – TSG abschaffen https://www.change.org/p/selbstbestimmung2022-tsgabschaffen
Ich selbst war diese negative Repräsentation leid und das war einer der Gründe, warum ich eine lesbische trans Frau als Protagonistin in meiner viktorianischen Cosy Krimi Reihe »Die mysteriösen Fälle der Miss Murray« geschrieben habe. Da ich selbst cis bin, habe ich dafür auch mit Sensitivity Readern zusammengearbeitet.
Apropos Transfeindlichkeit: Vielleicht habt ihr den Begriff TERF (trans exclusionary radical feminist) gehört und fragt euch, was damit gemeint ist. Dieser Artikel erklärt das gut:
Bildbeschreibung: Die Titelzeile dieses Blogbeitrages auf grün-blauem Hintergrund.
Inhaltswarnung: In diesem Blogbeitrag gibt es zahlreiche ableistische und/oder klassistische Aussagen, einige davon sind beleidigend oder können sehr schmerzhaft wirken. Bitte achtet auf euch, wenn ihr diesen Beitrag lest.
Kursiv gesetzte Schrift in diesem Text sind Zitate von anderen Personen, die mir freundlicherweise in Social Media geantwortet haben auf meine Frage nach klassistischen oder ableistischen Aussagen/Fragen, die sie nicht mehr hören wollen.
Zunächst einmal, worum geht es hier?
Ableismus ist Behindertenfeindlichkeit bzw. Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, chronischen Erkrankungen und/oder Neurodivergenz
Klassismus ist eine Feindlichkeit gegenüber armen Menschen, bzw. Diskriminierung von Armutsbetroffenen.
Oftmals tritt Klassismus und Ableismus auch in Kombination auf, denn einige Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen oder Neurodivergenz können nicht oder nur eingeschränkt arbeiten, verdienen entsprechend weniger Geld oder sind ganz oder teilweise auf staatliche Leistunggen angewiesen. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, in diesem Beitrag über beide Themen zu schreiben.
Warum teile ich das hier in meinem Autorenblog? Ich bin sowohl von Klassismus als auch Ableismus selbst betroffen. Ich möchte nicht nur allgemein darauf aufmerksam machen, sondern außerdem Autor*innen, die über diese Themen schreiben wollen, aufzeigen, was sie lieber NICHT in ihren Geschichten oder Sachtexten schreiben sollten, um abwertende und verletzende Aussagen zu vermeiden.
Beide marginalisierte Gruppen – Armutsbetroffene und behinderte Menschen (bzw. Menschen mit chronischen Erkrankungen oder Neurodivergenz) werden oft im Alltag nicht mitgedacht. Dann fallen oft Sätze, die auf Außenstehende möglicherweise harmlos wirken, die aber ableistisch, klassistisch oder beides sind. Im Laufe der Zeit habe ich eine ganze Menge solcher Sätze gelesen oder gehört. Ich zähle zunächst einige auf und kommentiere es, teilweise auch mit Alternativvorschlägen.
„Online Einkaufen ist schlecht für die Umwelt! Der Verkehr, die Verpackungen! Und: Support your local dealer!“ Grundsätzlich ist das richtig. Aber je nach persönlichen Umständen kann diese Aussage klassistisch und ableistisch sein. Denn viele Armutsbetroffene finden online günstigere oder deutlich günstigere Angebote. Viele Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen können z.B. wegen Barrieren oder Reizüberflutung manche Geschäfte oder Einkaufszentren gar nicht oder nur schwer betreten. Oder sie haben Probleme, sperrige Einkäufe zu transportieren, die ihnen bei online Einkäufen direkt an die Haustür oder in die Wohnung geliefert werden.
„Radfahren ist besser als Autofahren/mit den Öffis fahren.“ Auch diese Aussage ist grundsätzlich richtig, mit Hinblick auf den Umweltschutz. Aber hier werden viele Menschen mit Behinderung nicht mitgedacht, die auf den Transport mit Öffis oder einem Auto angewiesen sind.
„Zu schade für den Müll.“ Das ist klassistisch. Es impliziert: „Das hier ist nicht mehr gut genug für mich – aber noch gut genug für dich.“ Bitte streicht diesen oder ähnliche Sätze aus eurem Wortschatz.
„Du solltest mehr lesen.“ Manche Menschen mit Behinderung (z.B. Sehbehinderung) oder Legasthenie haben generell Probleme mit dem Lesen. Und nicht jedes Buch gibt es als Audiobook zum Anhören. Manche neurodiverse Menschen haben Schwierigkeiten, Audiobooks zu hören. Armutsbetroffene können sich Bücher oft nur gebraucht oder gar nicht leisten.
„Du hattest Urlaub? Wie schön! Wo bist du hingereist?“ Die Frage nach der Reise impliziert, dass die Angesprochene Person sich eine Urlaubsreise leisten kann. Oder dass sie als behinderter Mensch barrierefrei oder barrierearm verreisen kann. Diese Frage kann für manche Menschen, denen das nicht möglich ist, sehr schmerzhaft sein. Besser wäre stattdessen die neutralere Frage: „Was hast du in deinem Urlaub gemacht, wenn ich fragen darf?“
„Lass uns mal telefonieren, ja?“ Für manche Menschen mit chronischen Erkrankungen, Behinderungen oder Neurodivergenz stellt Telefonieren eine mehr oder weniger starke Barriere dar. Das kann unterschiedliche Gründe haben. Neutraler wären hier diese Fragen:
„Wie kann ich dich am besten erreichen?“ „Wie können wir uns mal austauschen?“ „Wie möchtest du mit mir in Kontakt treten/bleiben?“
Manche Menschen haben übrigens Schwierigkeiten mit dem Tippen von Textnachrichten und möchten vielleicht lieber Sprachnachrichten versenden oder auch erhalten.
„Das ist ja voll behindert, haha!“ Ihr ahnt es schon: Behinderung ist weder ein Witz, noch ein Schimpfwort. Wenn man etwas als behindert bezeichnet, ohne eine echte Behinderung zu meinen, ist das für Betroffene nie lustig. Streicht diese Verwendung von „behindert“ bitte aus eurem Wortschatz.
Ungefragt gegenüber einer Person mit Behinderung, z.B. mit Rollstuhl oder Sehbehinderung: „Ich helfe Ihnen.“/ “Ich mache jetzt (dieses und jenes) für Sie.“
Das ist zwar nett gemeint, z.B. einer blinden Person eine Tür zu öffnen oder ähnliches, kann aber auch als übergriffig empfunden werden, denn behinderte Menschen können vieles selbst tun, was Außenstehende sich manchmal nicht vorstellen können. Deshalb wäre hier die Frage besser: „Soll ich Ihnen helfen?“ Um bei dem Beispiel zu bleiben: „Soll ich Ihnen die Tür öffnen?“
Tipps und Vorschläge für praktische Anschaffungen aller Art oder den Kauf von Dienstleistungen: Armutsbetroffene können ein Lied davon singen, wenn Menschen ihnen vorschlagen, sich dieses oder jenes zu kaufen, was ihren Alltag erleichtern würde. Das ist natürlich nett gemeint, aber oftmals können arme Menschen sich entsprechende Dinge nicht leisten und es kann sehr schmerzhaft sein, daran erinnert zu werden. Hilfreich kann hier unter Umständen die Frage sein, wieviel eine Person ausgeben könnte, also wie hoch ihr Budget ist.
Ein genereller Tipp gegenüber Armutsbetroffenen: Wenn ihr von eigenen Anschaffungen erzählt, nennt nicht den Preis mit, sondern lieber nur auf Nachfrage. Es kann zermürbend für arme Menschen sein, wenn sie Preise mit ihren eigenen finanziellen Möglichkeiten vergleichen.
„Hast du schon [naheliegende Sache XY] ausprobiert?“ und „Probier doch mal [naheliegende Sache XY]!“ und generell ungebetene Ratschläge in allen Variationen; „Und wann wird das wieder besser?“ und „Das muss doch mal besser werden!“ usw. Chronisch Kranke möchten eher keine guten Ratschläge von Laien hören, was sie alles tun könnten, damit es ihnen besser geht (oft sind das Ratschläge wie Sport, gesunde Ernährung, spezielle Körpertherapien, Entspannungsmethoden oder Physiotherapie oder oder oder…) Die meisten chronisch kranken Menschen haben nämlich schon eine ganze Menge ausprobiert, um etwas zu finden, dass ihnen persönlich auf Dauer hilft mit ihrer chronischen Erkrankung zu leben.
„Bleiben Sie gesund!“ Sehr beliebter Wunsch in diesen Pandemiezeiten und natürlich nett gemeint. Allerdings stößt er vielen chronisch Kranken sauer auf, denn sie sind nun einmal nicht gesund.
„Ich sehe deine Behinderung gar nicht mehr / Für mich bist du normal.“ Das ist eine ähnlich problematische Aussage wie „Ich sehe keine Hautfarben.“ Sie ist auch ähnlich wie folgende Aussage in Bezug auf queere Menschen: „Love is Love.“ „Ich sehe deine Behinderung nicht“ ist vielleicht freundlich gemeint, aber macht Behinderungen im Grunde unsichtbar. Damit wird auch letztendlich ausgeblendet, dass es marginalisierte Menschen und dass es deutliche Unterschiede zwischen Menschen gibt, die für diese im Alltag/in ihrem Leben auch starke Konsequenzen mit sich bringen. Wir sind alle verschieden und haben unterschiedliche Bedürfnisse und Probleme. Es ist wichtig, dies anzuerkennen und mitzudenken.
Weitere Aussagen und Fragen, die mir betroffene Personen in Social Media genannt haben, die sie nicht mehr hören wollen (siehe Inhaltswarnung oben):
Ableistisches
„Wieso machst du nicht ‚EINFACH‘ mehr XYZ“. Egal ob Sport. Gesunde Ernährung. Mehr Schlafen, besser Planen. Etc. Oder: „Warum bist du schon wieder so sensibel?“ oder „Warum stellst du dich so an? Wir alle haben Probleme.“ Und Klassiker: „Wieso entschuldigst du dich immer?“
„Du willst ja nur nicht“/“Du strengst dich einfach nicht an“/“Das musst Du doch mal kapieren“/“Jeder andere kann das doch auch“ … die Liste nimmt kein Ende. Fragen … ich wünschte, es würde mal jemand fragen, anstatt zu meinen, es besser zu wissen.
Oh und auch ganz toll: “Super, Sie sind ja ein total interessanter Lehrbuchfall!” Da könnte ich mittlerweile Galle spucken.
„Du bist immer krank.“ An das eine Mal kann ich mich noch sehr gut erinnern. Ich konnte nicht beim gemeinsamen Sport mitmachen, weil ich mal wieder mit Gehhilfen angehumpelt kam.
Fibromyalgie: „Du tust doch nur so“/“Du willst doch nur Aufmerksamkeit.“ (höre ich zum Glück mittlerweile nicht mehr so oft) “Ich glaube, ich weiß jetzt, wie du dich fühlst.“ wenn jemand einmalig (starke) Schmerzen hat. Das ärgert mich besonders, obwohl ich weiß, dass es nicht ganz fair von mir ist, weil es wirklich schwierig ist, sich vorzustellen, wie es ist, immer Schmerzen zu haben und dass für mich das Schlimmste an chronischem Schmerz nicht der Schmerz, sondern das Chronische ist.
„Hast du schon mal überlegt, ob dir dein Unterbewusstsein damit etwas sagen will?“
„Mir geht’s ja auch manchmal nicht so gut“ „Mir tut auch mal … weh“ „Du/Ihr immer mit…“
„Sie haben einen Wasserkopf und haben Abitur gemacht?“ Ein Hydrocephalus (Punkt 1, was mich an dieser Aussage stört) hat primär nichts mit Intelligenz und Lernfähigkeit zu tun (Punkt 2).
Also welche Aussagen ich so leid bin, sind Sachen dazu, wie ich mich kostengüstiger ernähren könnte. Ich ernähre mich schon billig, aber ich bin halt auch chronisch krank und auf bestimmte Sachen kann ich nicht verzichten.
„Probiere es doch mal mit [Tipp für Ernährungsumstellung, gerne mit Link zu einem YouTube-Video von random dude, der meint, mit seiner Ernährung wären sämtliche Stoffwechselerkrankungen Geschichte]“
“Reiß dich zusammen!” “Stell dich nicht so an.” Aber noch schlimmer sind eigentlich die, denen man seine Grenzen sagt und die sie wortlos überschreiten.
„Was hast du denn gemacht/gegessen, dass es wieder so schlimm geworden ist?“ Das hat nachhaltig Narben hinterlassen. Und natürlich der Klassiker, ungefragt Heilpraktiker etc. empfohlen zu kriegen oder sogar „Hausmittelchen“ migebracht zu kriegen, die man auch noch bezahlen soll.
„Man muss sich halt auch mal zusammenreißen…“, „Hast du schonmal Yoga probiert?“ „Aber wie haben Sie denn dann zwei Master-Abschlüsse gemacht, wenn Sie solche Probleme haben?“ (letzeres von einem Neuropsychologen (!) bei dem ich wegen meiner ADHS-Abklärung war….)
Und dann noch ein paar Klassiker, vor allem wenn man über chronische Depressionen spricht… „Ist doch alles nicht so wild,“ „Lach halt mal, dann ist das Leben schon viel einfacher,“ „Wenn du öfter rausgehen würdest, wärst du nicht immer so müde“
“ Das kannst du doch lernen.“ “ So schwer ist das doch nicht.“ “ Konzentrier dich doch mal.“ “ Das sind doch alles Scheinargumente.“
„Du wirst ja wohl Mal eben…“ Entweder kann ich es (gerade) nicht, oder der Preis dafür ist zu hoch. „Du bist ja wohl alt genug um…“ „Vielleicht solltest du eine Therapie machen“ ob ich meine psychische Erkrankung behandeln lassen möchte oder nicht das entscheide ICH.
Ja, ich habe eine Therapie angefangen und abgebrochen, weil das für mich nicht passt. Ja, ich habe psychische Altlasten. Ich arbeite daran. Jeden Tag. Auch wenn das nicht jede Person sehen kann. Mein Tempo. Ich bin keine Gefahr für mich oder eine „Zumutung für Andere“
Man sieht mir das nicht an, genauso wenig wie mein handwerkliches Geschick oder dass ich gerne zocke.
Chronisch Erkrankter hier: „Warst du damit schon mal beim Arzt?“ …no sh*t, sherlock, woher hab ich wohl die Diagnose… Oder: „Nimm doch mal [xy], das hat mir geholfen.“ Ja, du bist ja auch Nicht-Chronisch-Erkrankt…
„Für mich bist Du nicht so behindert, wie die Föten, die wegen einer Behinderung abgetrieben werden.“
„Das ist doch nicht so schlimm, andere Menschen haben auch ihr Päckchen zu tragen.“
„Dir sieht man das ja gar nicht an. Du kannst lachen/lächeln, du kannst nicht depressiv sein. Situation xy ist für normale Menschen auch anstrengend.“
„Bist du IMMER NOCH krank? Ach, DAS hast du jetzt also auch noch?“
Ich möchte nie wieder einen getextmarkerten Apotheken-Umschau-Artikel in die Hand gedrückt bekommen. Bitte.
[In Bezug auf eine Essstörung:] Was mich mehr als alles abfuckt, mehr als Kommentare zur Depression oder sonstige Dinge, sind diese Kommentare á la „Probier doch einfach mal“ oder „wenn man xy richtig zubereitet, schmeckt es aber voll gut, dann machst du das falsch“.
„Es ist ja soooo einfach, sich gesund zu ernähren.“ „Jede*r kann sich vegan ernähren!“ „Iss doch einfach mal mehr XY“
Klassistisches
„Ach komm, die 5/10/50€ im Monat hat jede*r übrig, das ist eine Ausrede, wenn du das nicht zahlen willst.“
„Wenn du auch arbeiten würdest, wäre es finanziell halt nicht so eng.“ Von meinem Mann. Kam einmal. Tut immer noch weh.
Mit dem Hinweis, dass es anderen noch viel schlechter geht, bringt man mich erfolgreich auf die Palme.
„Ab einem gewissen Bildungslevel spielt die soziale Herkunft doch keine Rolle mehr. Das ist dann doch bloß faule Ausrede. Da muss man sich halt auch mal anpassen an die Welt, in die man reinwill.“
Für mich besonders „ALG2 ist ja nur überbrückend gedacht“. Ich krieg das jetzt seit Jahren, weil ich zu behindert zum Arbeiten bin und zu wenig behindert für die Rentenkasse. Grundsicherung (kriegen Leute, die keinen Rentenanspruch haben) ist so hoch wie ALG2 und NICHT überbrückend. das heißt, selbst wenn ich behindert genug für die Rentenkasse bin, hab ich dann nur das, was „ja nur überbrückend“ gedacht ist. Aber dauerhaft. Das sorgt für sehr viel emotionale Belastung und eine sehr beschissene finanzielle Situation. Was ich also nicht mehr hören will, ist die Rechtfertigung von Geldbeträgen, die erwiesen unter dem Existenzminimum liegen. Vor allem, wenn diese Rechtfertigung auf die (vermeintliche) zeitliche Begrenzung des Bezugs abstellt, das ignoriert die Lebensrealitäten vieler Betroffener.
Unter Umständen Klassimus und Ableismus in Kombination:
„Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“/„Wenn du wirklich wollen würdest, würdest du xy auch können…“
„Ach was, echt? Sieht man dir gar nicht an! „
“Du musst halt sparen, ich schaffe das doch auch” “Man kann nicht immer nur traurig sein” “Kauf dir doch einfach XY neu” Bin solche Aussagen so leid, weil sie von Menschen kommen, die eine finanziell stabile Position haben und weniger Probleme dadurch.
„Das müssen deine Kinder aber noch lernen!“ „Du hast bestimmt XY! Ganz eindeutig.“ „Schon mal daran gedacht, K1 [Kind 1] ins Internat zu geben?“
Selbst schuld. Kann ich doch nix für (v.a. Sachbearbeitende). Stell Dich nicht so an. Sie müssen doch einfach nur … Das geht nicht ohne Diagnose. Oder wenn Bedürfnisse zu Wünschen abgewertet werden
„Da ist ja nur ein bisschen xy drin, das merkst du bestimmt gar nicht“ „Wieso haben dir deine Eltern denn nicht finanziell geholfen?“ Und der Klassiker: „Ach komm, stell dich doch jetzt nicht so an“ geht für alles, zu teuer, zu anstrengend, zu viele Menschen,…
„Kannst du nicht einfach…[irgendein Tipp, den ich nicht „einfach“ umsetzen kann]“
Vielen Dank von mir an alle, die sich beteiligt haben und die ich zitieren durfte.
Diesmal mit dem Thema Hautfarben. Mir ist immer wieder aufgefallen, dass Hautfarben gar nicht beschrieben werden, wenn es um weiße Figuren geht. Vielleicht ist da der Gedanke, dass müsse nicht sein, weil Lesende automatisch davon ausgehen, dass die nicht näher beschriebenen Figuren weiß sind. „Weiß als Default“, sozusagen – aber das ist keine gute Einstellung. Ich muss gestehen, dass ich lange Zeit die Hautfarben weißer Figuren auch nicht näher beschrieben habe. Erst in den letzten Jahren ist mir dieses Problem überhaupt bewusst geworden.
Wer Tipps haben möchte, wie man Hautfarben diskriminierungsfrei beschreiben kann, dem empfehle ich die folgenden Texte:
“Warum Hautfarbe allein nichts aussagt” von Victoria Linnea
Und der zweiteilige „Hautfarben-Guide“, eine Übersetzung von Victoria Linnea zu einem Text aus dem Tumblr-Blog „Writing with Color“ Teil 1:
Teil 2:
Und wenn ihr euch gern in diesem oder anderen Bereichen rund um Diversität weiterbilden möchtet, schaut gern mal in meine Literatur- und Linksammlung „Literatur/Links über Diversität, Inklusion und Repräsentation“, diese findet ihr hier (ein Google Doc): http://bit.ly/literaturundlinksdiversität
CN: Fatshaming (auch internalisiert), Abnehmen, Food (erwähnt in einem Buchtitel)
Bodyshaming ist ein Thema, das mich beschäftigt, seit ich dick bin, seit ungefähr 2008, in meinem Fall also Fatshaming. Während viele Autor*innen mittlerweile Diversität und Repräsentation „auf dem Schirm“ haben und mit mehr Vielfalt schreiben, gilt das immer noch nur in seltenen Fälle für Figuren, die nicht normschön sind, also beispielsweise sehr dünn oder eben dick. Im folgenden beziehe ich mich nur auf Fatshaming, denn mit anderen Formen von Bodyshaming habe ich persönlich keine Erfahrung.
Wie kommt es, dass es so wenig sympathische, authentisch dargestellte Figuren gibt, die dick sind? Vielleicht ist ein Grund dafür, dass auch in Filmen und Serien normschöne Menschen dominieren. Dicke Figuren dagegen sind oft der „funny sidekick“. Oder sie werden negativ dargestellt, zum Beispiel als undiszipliniert, „verfressen“, ungepflegt oder ähnliches. In vielen Fällen sind dicke Figuren auch als – teilweise besonders ekelhaft dargestellte – Antagonist*innen – ein Beispiel dafür ist Jabba the Hutt aus Star Wars (zugegeben, das ist ein Alien, aber dennoch) oder auch mehrere Figuren aus den Geschichten von Stephen King. (1)
Ein Problem für Betroffene, das ich selbst kenne: internalisiertes Bodyshaming. Also die ständige Abwertung des eigenen Körpers, oder auch ein entsprechender Selbsthass, weil dieser Körper nicht den gesellschaftlichen Schönheitsidealen entspricht. Ich würde sogar noch einen Schritt weitergehen und sagen, dass die meisten Menschen, auch schlanke, nicht zu 100% mit ihrem Körper zufrieden sind. Einige Leute geraten schon in Panik, wenn sie zwei oder drei Kilo mehr auf die Waage bringen als ihr Wunschgewicht. Und nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, ich habe entsprechendes in Social Media gelesen. Gründe dafür sind wie gesagt die vorherrschenden, überall in Medien verbreiteten Schönheitsideale und auch ein ständiges Streben nach Selbstoptimierung. Diese sind zum Beispiel verbreitet unter Menschen, die aktiv sind in den Bereichen Lebensberatung/Coaching, Sport, Mindfulness, Diäten, Yoga und Wellness.
In Romance-Genre ist folgendes schädliche Trope sehr verbreitet: „Die Protagonistin ist dick und muss erst mal abnehmen, denn erst dann ist sie ihres Mister Rights würdig.“ Das suggeriert eine in der Gesellschaft verbreitete Ansicht: „Du bist als dicker Mensch nicht okay, so wie du bist. Du musst erst all die Schönheitsideale erreichen, die wir haben, dann erst gehörst du auch mit dazu.“ Dabei gibt es viele Gründe, warum einige dicke Menschen nicht abnehmen können, oder nur wenig, hier drei Beispiele: – chronische (Stoffwechsel-)Erkrankungen, zum Beispiel an der Schilddrüse – vorübergehende oder ständige Einnahme von Medikamenten, die eine Gewichtszunahme als Nebenwirkung haben. – Veranlagung Oft sind es unsichtbare Gründe, aber dicke Menschen sehen sich oft mit Vorurteilen oder Diskriminierung konfrontiert. „Dicke Menschen seien selbst schuld an ihrem Übergewicht – ein gängiges Vorurteil.“ (2)
Das oben genannte Trope von der Figur, die erst mal abnehmen muss, bevor sie Glück in der Liebe haben darf, hat mich irgendwann so genervt, dass ich einen Kurzroman mit Body Positivity (3) geschrieben habe: „Orangen und Schokolade“. Die Protagonistin Sarah ist dick, aber genießt einfach ihr Leben und betreibt einen Back-Blog. (Mehr Details dazu hier: Liebesromane)
Ich bin jetzt seit rund 7 Jahren als Autorin unterwegs und dabei ist mir eines aufgefallen: Ich tue mich sehr schwer mit dem Schreibratgebertipp: „Jedes Kapitel (oder jede Szene) muss einen Konflikt beeinhalten.“ Weil es sonst angeblich langweilig sei.(1)
Ich zähle nicht zu den Autor*innen, die ihre Figuren gern quälen. Einer meiner Grundsätze lautet, dass es bei mir kein „Bury your gays“ (2) gibt: Das heißt, gibt es in einer Geschichte von mir nur eine oder wenige queere Figuren, werden diese nicht sterben.
Ich lese immer wieder, dass Leute gern beim Lesen auf eine „emotionale Achterbahnfahrt“ gehen wollen: Sie wollen mit den Figuren mitfiebern, mitleiden, mitzittern und ganz viel Dramatisches miterleben. Das ist natürlich auch ein Nervenkitzel und ich kann diesen Wunsch verstehen.
Aber im Grunde meines Herzens neige ich zu Wohlfühl-Eskapismus. Mein Alltag steckt voller Probleme, die mit meinen intersektionalen Marginalisierungen zu tun haben. Schreiben wirkt für mich letzendlich therapeutisch, aber nicht in dem Sinne, dass ich über all meine Probleme in einer fiktionalisierten Form als Own Voices Autorin berichten möchte, um sie zu verarbeiten. Stattdessen ist Schreiben für mich ein „Happy Place“ – ein Ort zum Wohlfühlen. Die Autorin Louisa May Alcott wird übrigens zu Beginn der Neuverfilmung von „Little Women“ so zitiert: „Ich hatte viel Kummer in meinem Leben, also schreibe ich heitere Geschichten.“
Von mir wird es auch in Zukunft eher Wohlfühl-Eskapismus geben. Was meine ich damit? Ich möchte über Folgendes schreiben und habe das auch schon immer mal in der Vergangenheit gemacht:
Freundschaft und „found families“
Zusammenhalt einer Gruppe, auch unter schwierigen Bedingungen oder Konflikten, die von außerhalb kommen
… und so einige Diversitätsthemen, z.B. Queerness, Body Positivity, Polyamorie und noch manches mehr
Und natürlich werde ich in kommenden Geschichten nicht ganz auf Konflikte oder Probleme verzichten. Aber wenn ihr gern ganz viel „Drama“ lesen möchtet, seid ihr bei mir an der falschen Stelle.
Fußnoten (1) Dass es auch andere Erzählkulturen und Geschichten gibt, die nicht von einem Konflikt zum nächsten führen, zeigt das japanische Kishōtenketsu, siehe diesen englischsprachigen Artikel:
Ich sage es heute mal ganz offen: Ich bin seit einigen Jahren eine pagane Polytheistin, d.h. ich verehre einige Gottheiten, die bereits in der Antike verehrt wurden.
Neulich kam auf Twitter eine Unterhaltung auf dazu, wenn sich Autor*innen an antiken Mythologien bedienen, z.B. an der nordischen, keltischen, altägyptischen, römischen, griechischen oder noch anderen. Ich schreibe dazu nun etwas aus meiner pagan Perspektive, das ich bereits auf Twitter in einem Thread geschrieben habe und hier noch um einige Überlegungen ergänze.
Für viele pagane oder polytheistische Menschen sind antike Mythologien nicht einfach nur alte Geschichten, die man nach Belieben nehmen und nach eigenem Gutdünken verändern kann. Diese alten Mythen haben für viele pagane Menschen eine religiöse Bedeutung.
Wenn sich nun Autor*innen daran machen, diese Mythen neu zu interpretieren, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten:
Methode 1 Die Autor*innen bleiben dicht am Original. Oder an einem der Originale, denn oft ist es so, dass es unterschiedliche Mythen zu ein und derselben Gottheit oder einem Wesen gibt, je nach regionaler (oft zunächst mit mündlicher und erst Jahrzehnte oder Jahrhunderte später schriftlich festgehaltener) Überlieferung, und ja, manche dieser Mythen widersprechen sich auch.
Die Autor*innen adaptieren dann den vorhandenen Stoff so, dass das Original gewissermaßen noch durchscheint, aber neu interpretiert wird. Damit erweist man den historischen Überlieferungen und der Kultur, in der diese Mythen entstanden sind, einen gewissen Respekt aus meiner Sicht.
Methode 2 Die Autor*innen nehmen sich, was sie wollen aus der mythologischen Vorlage und drehen ihr ganz eigenes Ding draus, ohne Rücksicht auf die Eigenschaften der verwendeten Wesen/Gottheiten oder der historischen Quellen. Zum Beispiel nehmen sie den Namen einer Gottheit und verleihen diesen einem Dämon.
Oder sie versetzen Figuren aus einer bestimmten Region oder einem bestimmten Pantheon ganz ans andere Ende der Welt, ohne das näher zu begründen. Im schlimmsten Fall werden hier historische Mythen gewissermaßen ausgebeutet und das geht in Richtung kulturelle Aneignung.
Diese Gefahr besteht auch, wenn man sich an den Mythen einer Kultur bedient, in der man nicht selbst aufgewachsen ist. Zum Beispiel wenn eine Autorin aus Deutschland sich mit japanischer Mythologie oder Folklore befasst und dann Methode 2 anwendet.
Und man kann es sich schon denken, ich würde immer zur ersten Methode raten.
In der Twitter Unterhaltung kam das Gegenargument zu meiner Position, dass ja auch zahlreiche Motive aus der christlichen Religion auf unterschiedlichste Weise Einzug in die Popkultur gefunden haben und da auch viele Autor*innen einfach machen, was ihnen gefällt (z.B. in der Phantastik Engel, Teufel, Dämonen, im Horror-Genre Exorzismen, oder auch neue Interpretationen biblischer Geschichten in verschiedenen Genres).
Ich möchte allerdings zu Bedenken geben, dass die christliche Religion im Gegensatz zu heutigen paganen Glaubensgemeinschaften seit Jahrhunderten weltweit bestens etabliert ist. Christ*innen werden eher nicht diskriminiert (oder in einigen Fällen nur dort, weltweit gesehen, wo sie eine Minderheit bilden). Von daher haben Christ*innen größtenteils, zumindest was ihren Glauben betrifft, eine privilegierte Position.
Insofern tut man aus meiner Sicht als Autor*in diesen Menschen einen großen Gefallen, wenn man die alten Mythen, die vielen von ihnen heilig sind, mit Respekt behandelt. Und deshalb würde ich wie gesagt, immer zur ersten Methode raten.
Diese und ähnliche Aussagen machen gerade mal wieder die Runde in den Autor_innenbubbles in Social Media, zum Beispiel auch „Ich traue mich gar nicht mehr zu schreiben…“
Im Grunde ist es ganz einfach: Die Kunst ist frei, dazu zählt auch die Literatur. Hier übrigens das entsprechende Gesetz in Deutschland. Du darfst über (fast) alles schreiben. Es gibt einige Grenzen dabei, z.B. können volksverhetzende Texte strafrechtlich verfolgt werden. Deshalb das „fast“.
Mit der Freiheit, über alles schreiben zu können, geht aber auch eine Verantwortung einher. Du bist für das, was du schreibst, verantwortlich. Diese Verantwortung kannst du auch nicht an ein Lektorat oder einen Verlag abwälzen. Du musst außerdem immer damit rechnen, dass dein Text, dass deine Geschichte auf Kritik stößt – nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich. Wer damit nicht umgehen kann, sollte sich stark überlegen, ob das Veröffentlichen von Geschichten das Richtige für einen ist.
Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der Kritik an Belletristik allein in den Zeitungsspalten, z.B. in einem Feuilleton, in Literaturmagazinen, oder in literarischen TV-Sendungen zu finden ist. Jede Person, die Zugang zum Internet und Social Media hat, kann ihre Meinung zu einem Buch oder einer Kurzgeschichte kundtun. Entsprechend gibt es auch generell mehr Kritik (und sei es lediglich eine reine Sterne-Bewertung bei Amazon).
Marginalisierte Menschen hat es schon immer gegeben, aber erst seit dem Aufkommen der Social Media sind ihre Stimmen weithin hörbar. Aus diesen Stimmen spricht oft eine Menge Wut, Ärger, Traurigkeit, Verzweiflung oder Frustration. Und ja, das kann sich auch auf eine schlechte, unrealistische oder destruktive Repräsentation ihrer marginalisierten Gruppe in fiktiven Werken beziehen. Manche von ihnen outcallen solche Werke, oft laut und verärgert.
Viele Menschen, die privilegierter sind, verstehen das oft nicht und dazu zählen oft auch Autor_innen. Einige von ihnen fangen dann in Diskussionen mit Tone Policing an (1) oder wehren kategorisch alle Kritik ab, fühlen sich persönlich angegriffen und sind nicht zu einem Dialog bereit. Sie fragen sich dann, woher kommt all diese Wut oder andere als negativ gesehene Reaktionen marginalisierter Menschen? Diese Frage kommt meistens dann auf, wenn sie keine entsprechenden Diskriminierungserfahrungen selbst erlebt haben und sich nicht vorstellen können, wie sehr betroffene Menschen unter solchen Erfahrungen leiden. (2)
Was heißt das nun? Wer über sensible Themen, über marginalisierte Menschen oder über gesellschaftskritische Themen (wie Rassismus, Sexismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus, Saneismus, Klassismus oder noch andere Formen von Diskriminierung) schreiben möchte, der tut gut daran, gründlich zu recherchieren und mit Menschen zu sprechen, die davon betroffen sind. Idealerweise sollte man sich entsprechend erfahrene Sensitivity Reader suchen.
Ich wiederhole es noch einmal. Du darfst (fast) alles schreiben. Hier ein persönliches Beispiel. Ich habe vor kurzem eine Kurzgeschichte geschrieben, in der BDSM eine wichtige Rolle spielt. Aus meiner Sicht ist das ein Diversitätsthema. (3) Ich kenne Menschen, die in der BDSM-Community aktiv sind, bin selbst aber kein Teil dieser Community. In dieser Kurzgeschichte gibt es einen Teil der Handlung, der mit dem Thema BDSM direkt verbunden ist und den ich schwierig fand. Im Sinne von, ist das problematisch? Aber ich konnte nicht genau den Finger darauf legen, ob oder wie das problematisch sein könnte. Vor kurzem habe ich ein sehr ausführliches Feedback von meiner Sensitivity Reader-Person erhalten, die mir in deutlichen Einzelheiten erklärt hat, warum diese Sache in der Kurzgeschichte in der Tat problematisch und ein No-Go ist. Bald werde ich das alles überarbeiten und alle ihre Vorschläge dabei berücksichtigen.
Mit diesem Beispiel möchte ich gern zeigen: Du kannst erst einmal wirklich frei heraus schreiben, was du möchtest. Und es danach am besten von entsprechend erfahrenen Personen auf sensible Themen hin überprüfen lassen, wenn du über solche Themen schreibst.
Eine weitere Möglichkeit ist es natürlich, mit betroffenen Personen schon vorab deine Plotidee durchzusprechen, um herauszufinden, ob es darin etwas Problematisches gibt. In manchen Fällen wird das bereits beim Plot an sich deutlich, z.B. destruktive Tropes wie „Bury your gays“ (4), in anderen Fällen erst im Verlauf der individuellen Ausarbeitung, also erst nach dem Schreiben.
Zensur?
Ich habe mehr als einmal das Vorurteil gehört, Sensivity Reader würden Texte zensieren. Das stimmt nicht. Ich habe nun mehrfach Erfahrungen mit Sensitivity Readern sammeln dürfen und auch selbst schon mehrere Sensitivity Readings durchgeführt. Sensitivity Reader machen Verbesserungsvorschläge. Sie schreiben nicht vor, wie man seinen Text zu gestalten hat. Wie Autor*innen oder Verlage diese Vorschläge umsetzen, bleibt diesen überlassen.
Wenn du keine Lust oder keine Kapazitäten hast, sensible Themen zu recherchieren, mit Betroffenen zu sprechen, dir Sensitivity Reader zu suchen – dann überlege dir am besten, worüber du schreiben kannst und möchtest, in dem all das nicht notwendig ist.
Wenn du gern mit mehr Diversität schreiben möchtest und Tipps für den Anfang suchst, schau gern mal auf diese Linksammlung, da findest du viele Anregungen.
Teile dieses Textes habe ich bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht, anlässlich der Aktion „Seelenoktober“ auf Facebook.
Am 10. Oktober ist jedes Jahr Tag der mentalen Gesundheit (Mental Health Day). Dieses Thema geht mir schon seit rund zwei Jahrzehnten nah, denn ich habe die bipolare Störung. Was das ist und was für Erfahrungen ich damit gemacht habe, davon handelt dieser Beitrag.
Zuerst einmal zum Begriff: Früher wurde dies als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet. Manche Betroffene sprechen heute gern von bipolarer Neurodivergenz oder Neurodiversität (ähnliches gilt auch z.B. für AD(H)S, Asperger Syndrom, Autismus). Mir ist dieser Begriff übrigens auch lieber als „Störung”, weil letzteres zu sehr an das Schimpfwort „gestört” erinnert. Der Begriff „Neurodivergenz” soll das Phänomen zum einen aus einem ausschließlich medizinischen Blickwinkel lösen, zum anderen zeigen, dass das Gehirn der entsprechenden Personen gewissermaßen dauerhaft anders funktioniert als bei neurotypischen Menschen. Von einer Neurodivergenz zu sprechen, macht auch insofern Sinn, da die Erkrankung als unheilbar gilt. Mit Therapien und passenden Medikamenten kann man im günstigsten Fall lernen, damit langfristig zu leben.
Die Erkrankung äußert sich sehr unterschiedlich, es gibt verschiedene Formen, darunter das sogenannte „Rapid Cycling”, bei dem sich depressive und manische Phasen sehr schnell ablösen. Bei anderen Menschen sind eher die manischen Phasen ausgeprägt, bei einigen stehen die depressiven im Vordergrund. Übergänge zu anderen psychischen Erkrankungen sind hier oft fließend, bzw. manche Menschen mit der bipolaren Störung haben auch noch zusätzliche psychiatrische Diagnosen. Einige mit dieser Erkrankung neigen zu Suizidalität, andere eher nicht. Ich gehöre zu letzteren, auch wenn mir suizidale Gedanken ebenfalls nicht fremd sind.
Es gibt übrigens mehrere Kunstschaffende, die diese Erkrankung haben/hatten und offen darüber sprechen/sprachen. Dazu zählen die Musikerinnen und Singer-Songwriterinnen Emilie Autumn, Macy Gray, Mary Lambert (die darüber auch in ihrem Song „Secrets” offen singt), Maria Carey, Stephen Fry (u.a. tätig als Schauspieler, Autor, Quizshow-Host), die Schauspielerinnen Carrie Fisher und Linda Hamilton, der Schauspieler Richard Dreyfuss, Demi Lovato (Schauspieler*in, Sänger*in, Autor*in), die Musiker*innen und Singer-Songwriter*innen Lou Reed und Amy Winehouse, der Comedian, Schauspieler, Radio-Host, Aktivist und Autor Russell Brand, der Künstler und Fotograf David LaChapelle und noch viele andere.
Auch einige bekannte historische Persönlichkeiten litten höchstwahrscheinlich unter dieser Erkrankung, darunter Ernest Hemingway, Vincent van Gogh, Zelda Fitzgerald, Ada Lovelace, Gustav Mahler, Virginia Woolf, möglicherweise auch Sylvia Plath und Edgar Allan Poe.
Ich war jahrelang in Psychotherapie, früher auch mit Klinikaufenthalten, und ich nehme Medikamente. Aber auch das alles ist kein Heilmittel. Wenn es in meinem Leben zu einer größeren Krise kommt, kippe ich höchstwahrscheinlich aus einer stabilen Phase in eine instabile, ich werde dann entweder manisch oder depressiv. Mittlerweile meistens letzteres, aber nicht nur.
Ich habe einmal von einem Künstler gelesen, der schrieb, dass er seine manischen Phasen nicht missen möchte, da sie ihm zu kreativen Schüben verhelfen würden. Diese Erfahrung habe ich selbst ebenfalls gemacht, z.B. über einen längeren Zeitraum sehr wenig Schlaf zu haben und dennoch ein Gefühl, als ob ich Bäume ausreißen könnte. Oder mich stundenlang ohne Pause mit kreativen Tätigkeiten beschäftigen zu können und dabei alles um mich herum zu vergessen. Von daher würde ich persönlich aufgrund dieser Erfahrungen sagen, diese Neurodivergenz bringt nicht ausschließlich Negatives mit sich, zumindest nicht bei mir. Aber auch das ist ganz individuell unterschiedlich. Die Kehrseiten von Manien können die folgenden sein: ein völlig sorgloser Umgang mit Geld, wortwörtlich ver-rückte Ideen, ständige Gedankensprünge, Verlust der Konzentrationsfähigkeit, zunehmende Gereiztheit, die bei manchen Betroffenen auch zu Aggressionen führen kann und noch andere Probleme.
Die Frage ist, wie bei allen psychischen Erkrankungen und Beschwerden, wie hoch ist der persönliche Leidensdruck? Den manischen Phasen gegenüber stehen die depressiven, und die kommen bei mir mit allem daher, was Depressionen ausmachen: Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen, Existenz- und Versagensängste, bis hin zu suizidalen Gedanken, krampfhaftes Weinen schon aus dem geringsten Anlass heraus. Auch alltägliche Dinge nicht mehr oder kaum noch bewältigen können: Hausarbeit, Körperpflege, einkaufen gehen, das Haus verlassen.
Bei mir kamen außerdem noch Psychose-Erfahrungen hinzu, die letzte hatte ich vor dreizehn Jahren. Psychosen sind durch einen Realitätsverlust gekennzeichnet, mitunter gibt es auch das Gefühl, mit allem verbunden zu sein, die eigenen Grenzen scheinen sich aufzulösen, außerdem kann es auch Halluzinationen aller Art geben, die als real empfunden werden. Psychosen können sehr verstörend wirken, manchmal sind sie auch mit starker Paranoia verbunden. Und wem das im Zusammenhang mit Schizophrenie bekannt vorkommt: Ja, auch bei dieser Erkrankung sind Psychosen häufig. Aber nicht jeder Mensch mit der bipolaren Neurodivergenz erlebt Psychosen.
Ich habe einen Großteil meines Lebens über all das geschwiegen. Ich habe mich selbst lange Zeit stigmatisiert, mich bei jeder kleinsten Gefühlsregung gefragt: Ist das nun ein „normales” Gefühl, oder ist es depressiv oder manisch? Irgendwann habe ich damit aufgehört. Ich akzeptiere mich nun mehr so wie ich bin, mit dieser Erkrankung. Mit allem, was dazu gehört. Ich bin nachsichtiger mit mir selbst geworden. Wenn ich mal eine Nacht schlecht schlafe, mache ich mir weniger Sorgen als früher, dass nun wieder eine instabile Phase anbricht. Ich mache mir auch selbst weniger Druck. Einfach ist es dennoch nicht, das zeigt auch mein beruflicher Patchwork-Lebenslauf.
Ich habe mir vorgenommen, weniger über meine Erkrankung zu schweigen. Ich bin auch als Sensitivity Reader aktiv geworden und helfe Autor*innen aus Sicht einer Betroffenen, über diese Erkrankung zu schreiben. Im vergangenen Jahr habe ich eine intersektionale Kurzgeschichte über eine Frau geschrieben, die an der bipolaren Störung leidet. Diese Geschichte, „Kein Allheilmittel“, findet ihr in der Anthologie „Urban Fantasy: going intersectional“.
Ich habe gelernt, mit meiner Erkrankung zu leben. Sie ist ein Teil von mir und wird mich wohl mein gesamtes Leben lang begleiten. Und ich hoffe, etwas gegen Stigmatisierung tun zu können, u.a. indem ich in jener Kurzgeschichte und den unten genannten Romanen aufzeige, dass es möglich ist, trotz einer psychischen Erkrankung und all der Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, ein erfülltes Leben zu führen.
Und wie sieht es mit der Repräsentation aus?
In Medien aller Art, auch in der Literatur, kommen Figuren mit psychischen Erkrankungen meistens nicht gut weg: Sie leiden viel, werden oft einzig und allein auf ihre Erkrankung reduziert, alles dreht sich nur darum. Oft wird die betreffende Erkrankung auch für sehr viel „Drama“ oder Schockeffekte verwendet, z.B. einen dramatisch inszenierten Suizid oder entsprechende Versuche.
In Krimis und Thrillern sind oft Menschen mit psychischen Erkrankungen die Täter*innen und die Darstellung von psychiatrischen Einrichtungen sorgen mitunter für Grusel. Dabei sieht die Realität anders aus, nur ein geringer Anteil an psychisch erkrankten Menschen wird gewalttätig. In vielen Fällen ist eine psychische Erkrankung so belastend für Körper und Geist, dass die Betroffenen eine Gewalttat gar nicht planen und durchführen könnten.***
Immer wieder habe ich außerdem Bücher gelesen, in denen psychisch erkrankte Nebenfiguren den Protagonist*innen das Leben schwer machen oder ihnen im Weg stehen, z.B. Elternteile oder Menschen im Bekanntenkreis. Sie dienen damit im Grunde als Plotdevice ohne eigene Agenda, um die Entwicklung der Protagonist*innen voranzutreiben.
Ich habe bisher kaum Beispiele für eine positive Repräsentation von Menschen mit psychischen Erkrankungen gefunden. Ein gelungenes Beispiel ist aus meiner Sicht die männliche Hauptfigur aus „Wasteland“ von Judith und Christian Vogt. Zeeto hat die bipolare Störung/Neurodivergenz und hat gelernt, damit zu leben. Er hat ganz praktische Bewältigungsstrategien gefunden, um mit dem Auf und Ab von Depressionen und manischen Phasen gut umgehen zu können. Er hat auch Unterstützung in seinem Umfeld. Und trotz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten unternimmt er allerhand Dinge, die ich nun wegen Spoilergefahr nicht verraten möchte. Und all das sendet eine gute Message: Betroffene sind mehr als ihre Erkrankung. Und man kann lernen, mit einer psychischen Erkrankung zu leben.
Ich wollte ebenfalls eine positive Repräsentation kreieren. Deshalb habe ich die Romane „Die Rolle seines Lebens“ und „An seiner Seite“ geschrieben.
Der Protagonist Esteban hat Depressionen, aber das führt in seiner Geschichte nicht zu einem Riesendrama. Stattdessen lernt er in Oliver jemanden kennen, der ihn unterstützt, der wortwörtlich an seiner Seite ist und zu ihm hält. Für beide ist das ein Lernprozess. Und nein, Liebe oder eine Liebesbeziehung ist kein Heilmittel gegen Depressionen, wie es in manchen Geschichten gern heraufbeschworen wird. Das mag eine schöne Fantasie sein, aber es geht an der Realität vorbei. Eine stabile Beziehung oder andere unterstützende Beziehungen können einem Menschen mit Depressionen allerdings sehr helfen, mit der Erkrankung besser zurechtzukommen, zumindest habe ich diese Erfahrung in meinem eigenen Leben machen dürfen, denn ich bin seit 2010 in einer stabilen Beziehung. Mein Protagonist Esteban holt sich Hilfe, er macht eine Therapie. Und erkennt am Ende, dass die Depression immer ein Teil seines Lebens sein wird. Und dass man damit leben kann.
Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) erzählt gemeinsam mit dem Schriftsteller und Zeichner Matthew Johnstone die Geschichte „I had a black dog, his name was depression“. Hier das kurze Video in deutscher Übersetzung: „Ich hatte einen schwarzen Hund, sein Name war Depression“
Weiterführende Literatur „Achterbahn der Gefühle – Mit Manie und Depression leben lernen“ von Thomas Bock, 2007
„Meine ruhelose Seele: Die Geschichte einer bipolaren Störung“ von Kay Redfield Jamison, 2014
„Die bipolare Störung: Ein Ratgeber aus Angehörigensicht“ von Rolf Wenzel, 2015
„Ratgeber Bipolare Störungen: Hilfe für den Alltag“ von Daniel Illy, 2021
Dieses Thema gibt es im Rahmen des #Autor_innensonntags von Justine Pust.
Wenn ihr gern Phantastik lest, schaut gern mal auf diese Liste – die dort aufgelisteten Autor*innen sind queer, BI_PoC oder auf andere Weise divers, zum Teil auch intersektional (Teil mehrerer marginalisierter Gruppen): https://bit.ly/diversePhantastikAutor_innen (oder den QR Code im Bild nutzen).