Interview mit Autorin Melanie Dommenz

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Melanie Dommenz hat ihren Debütroman „Saitenumbruch – ein richtig mieses Date“ im Dead Soft Verlag veröffentlicht. Davon handelt er:
„Versuch mal, schwul zu sein, wenn du wie ich in einem kleinen Ort in Bayern lebst. Meine Chancen, Gleichgesinnte in der Umgebung zu finden, waren gleich Null. Was bleibt dann noch? Klar, das Internet. Nur leider lief ein Date völlig aus dem Ruder und dann mein Leben. Aber lest selbst … Mein Name ist Niklas und Saiten-Umbruch erzählt dir meine Geschichte.“

Hallo Melanie, danke, dass du dir Zeit nimmst für dieses Interview. Was hat dich zu deinem Debütroman bzw. der entsprechenden Trilogie inspiriert?

Ich möchte dir danken für die Möglichkeit. Es war eine Schlüsselszene, die auf einer Bergtour, in meinem Kopf entstand. Gedanklich habe ich diese weiter gesponnen und zu schreiben begonnen.

Im Roman ist vor allem Niklas die perspektivtragende Figur. Weitere Perspektive haben Tristan und sein Bruder, aber sie stehen nicht im Vordergrund. Kannst du schon verraten, aus welcher Perspektive Band 2 in erster Linie geschildert wird?

Es bleibt natürlich weiterhin Niklas Geschichte, aber auch Tristan und Deniz werden mehr in den Vordergrund treten. Es ist etwas schwer zu erklären, ohne viel zu verraten aber, alle sind sehr schön eingebettet.

Und da wir gerade bei den Figuren sind, welche, abgesehen von Niklas, ist deine Lieblingsfigur und warum?

Das ist gar nicht so leicht zu beantworten. Ich denke nach Niklas kommt Deniz. Die Figur hat einfach Charme.

Dann bin ich gespannt, wie es mit Deniz weitergeht. Gab es beim Schreiben oder Veröffentlichungen eine besondere Herausforderung aus deiner Sicht?

Ja, eindeutig das Schreiben eines Exposé. Ich finde mich oder das, was ich mache nicht als besonders oder herausragend, aber in einem Exposé sollte man sein Manuskript ja überzeugend verkaufen. Das ist schwierig mit der Einstellung.

Es gibt einen Song zum Roman. Bitte erzähl einmal, wie ist es dazu gekommen?

Als ich die Geschichte um Niklas geschrieben habe, dachte ich mir es würde authentischer rüber kommen, wenn ich Songtexte in das Buch bringe, damit der Leser*in nachempfinden kann wie er seine Gefühle und Erlebnisse verarbeitet. Drei sind dabei entstanden und in der Story verwoben. Dann hat mich der Hafer gestochen und ich habe nach Musikern gesucht die damit richtige Lieder machen. Zum Glück habe ich die Brüder Stefan und Matthias Althaus gefunden, die beiden sind einfach mega! Und das mit dem Musikvideo war dann das Tüpfelchen auf dem i. Zu jedem Band wird es also einen Song und ein Video geben.

Link zum Song auf Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=sCW51ZZrF58

Viel Erfolg für die weiteren Songs und wie schön, dass bei dieser Trilogie Musik so eine wichtige Rolle spielt. Du warst 2024 auf der Frankfurter Buchmesse. Wie hast du das erlebt?

Ich bin von herzen dankbar das ich das überhaupt erleben durfte. Wer weiß schon ob ich noch einmal die Chance haben werde als Autorin dort zu sein. Vielleicht finden meine Projekte nie wieder einen Verlag. Also ich genieße solche Möglichkeiten in vollen Zügen. Ich durfte Kollegen/ Kolleginnen treffen, Bookstagrammer*innen und Leser*innen. So viele schöne Begegnungen und bereichernde Gespräche! Ich werde noch sehr lange davon zehren.

Das klingt wunderbar. Hast du abgesehen von der Saitenumbruch-Trilogie Pläne für weitere Bücher? Falls ja, kannst du schon etwas darüber verraten, oder ist es alles noch geheim?

Ja ein Manuskript ist fertig geschrieben und wartet auf seine Überarbeitung, damit ich es einreichen kann. Und 2025 möchte eine Idee unbedingt auf Papier gebracht werden, die mir schon eine Weile im Kopf herum schwirrt.

Nachwuchsautor*innen wird oft geraten, sich erst mal an Kurzgeschichten oder andere kürzere Texten zu wagen, bevor sie Romane schreiben. Ich habe das nicht gemacht, ich habe meinen ersten Roman mit 17 geschrieben. Wie war das bei dir? Was sind deine Schreibanfänge?

Saiten-Umbruch ist mein Schreibanfang. Ich bin Legastheniker und mir wurde immer eingetrichtert zu dumm für alles zu sein. Ich habe sehr sehr lange daran geglaubt. Verständlich das ich nie im Sinn hatte zu schreiben. Es war aus der Not heraus, weil mich diese Szenen im Kopf nicht mehr losgelassen haben. Ich dachte, wenn ich es aufschreibe, kann ich wieder schlafen.

Ja, das kenne ich so ähnlich, manche Geschichten haben auch mir keine Ruhe gelassen, bis ich sie aufgeschrieben habe. Kann man dich in den nächsten Monaten irgendwo live erleben, vielleicht mit einer Lesung?

Ja, schon am nächsten Wochenende beim art:festival in Berchtesgaden. Ich betreue den Buchstand und werde nicht nur mein Buch vorstellen, sondern auch eines von Jan Michalsky. Auch andere Autoren aus der Bubble sind mit dabei. Sandra Kandler, Mark Fear, Lovis Park, Nadine Schwager, É.R. Aranyos, die übrigens auch meine Songcover zeichnet, und viele mehr.

Link zum art:festival: https://www.freihaendig-berchtesgaden.de

Viel Erfolg und Freude dir auf dem Festival. Danke für das Interview.

Die Verlagsseite des Romans:
https://deadsoft.de/products/saiten-umbruch-ein-richtig-mieses-date

Melanies Webseite: https://www.love-is-art-360.de/

Meine Rezension des Buches gibt es u.a. hier.

Meine Bücher mit bi und pan Figuren

#queereleseliste von Lizzys Leseliste (https://www.instagram.com/lizzys.leseliste/): Lizzy sucht diese Woche nach Büchern mit bi oder pan Figuren

Ich habe mehrere Bücher mit solchen Figuren:
Oliver aus „Die Rolle seines Lebens“ und „An seiner Seite“ ist bisexuell und kommt mit einem schwulen Mann zusammen.

Leo und Ashley aus „Regency Park“ sind beide bi oder pan, ohne ein spezielles Label für sich zu verwenden.

Mehr über diese Bücher: https://amalia-zeichnerin.net/contemporary-queer-romance/

In meinem Kurzgeschichtenband „Die vielen Farben der Liebe“ gibt es ebenfalls einige Figuren auf diesem Spektrum.

Link zum Buch: https://amalia-zeichnerin.net/kurzgeschichten/

Die Hauptfiguren in „Ein göttliches Paar“ sind beide pan. Link zum Buch:
https://amalia-zeichnerin.net/queer-fantasy/



In meiner kommenden Neuerscheinung „Liebeswirren und Sommerwind“ ist Benjamin bi und kommt mit der heterosexuellen Nina zusammen. In diesem Zusammenhang schaut sich Nina einige typische Vorurteile gegenüber bisexuellen Menschen an.

Link zum Roman: https://amalia-zeichnerin.net/liebesromane/

Ich habe übrigens ein Update zu diesem Blogbeitrag gemacht:

Love is Love. Oder?

Heute ist wieder der internationale Tag gegen Queerfeindlichkeit. Und am 1. Juni beginnt der Pride Month. In diesem Zusammenhang hatte ich schon im vergangenen Jahr einen Instagrambeitrag geschrieben, den ich gern noch hier in meinen Blog übertragen und bei der Gelegenheit auch aktualisieren wollte.

Es geht mir um den beliebten Spruch „Love is love“. Ich muss ganz ehrlich sagen, ich finde ihn zwiespältig, denn: Wir sind als Gesellschaft noch lange nicht da, dass Liebe einfach Liebe ist, ganz egal, wer wen liebt. Wäre ja schön, wenn es so wäre, aber noch ist das eine Utopie.

Weil es immer noch an allen Ecken und Enden überall auf der Welt Queerfeindlichkeit gibt. Siehe z.B. diesen aktuellen Artikel von Queer.de.Teilweise flammt sie auch dort wieder auf, wo sie teilweise schon zumindest in politischen Beschlüssen überwunden war – man schaue sich nur mal die transfeindlichen neuen Gesetze in einigen Staaten der USA an. Weil es immer noch teilweise mit der Gleichberechtigung queerer Menschen erheblich hapert. Auch der Entwurf zum Selbstbestimmungsgesetz, der nun öffentlich einsehbar ist, sorgt für Kritik (siehe z.B. diesen Artikel.)
Weil sich viel zu viele Menschen über inklusive Sprache (Gendern) oder über Neopronomen aufregen. Weil „Love is love“ Teile der queeren Community nicht berücksichtigt, z.B. aromantische Menschen, bzw. auch andere Leute auf dem a_sexuellen Spektrum. Der Spruch berücksichtigt übrigens auch nicht, dass Queerness sich nicht nur auf die sexuelle Orientierung beziehen muss, sondern auch trans, genderqueere, nichtbinäre Menschen meint.

Weil „Love is love“ all die Unterschiede zwischen cis/hetero/allosexuellen/dyageschlechtlichen Menschen und queeren Menschen ausblendet. Unterschiede, die es nun mal gibt und die man auch anerkennen sollte, anstatt sie unsichtbar zu machen.

Das ist ein bisschen so, als wenn ich zu einer Person of Color sagen würde, „Ich sehe keine Hautfarben“ oder zu einer behinderten Person: „Ich sehe deine Behinderung nicht“ oder „Du siehst für mich nicht behindert aus“. Menschen sind nun einmal unterschiedlich, in all ihrer Vielfalt.

Last but not least: Ich bin mir ziemlich sicher, dass es queere Menschen gibt, die den Spruch gern mögen, die ihn vielleicht auf angenehme Weise empowernd finden. Das ist eine individuelle Entscheidung. Aber ich würde nicht als gegeben voraussetzen, dass alle queeren Leute diesen Spruch gern lesen oder selbst verwenden, aus oben genannten Gründen.

Viktorianisch und queer schreiben…

ein viktorianisches Portrait, das mich inspiriert hat

… das ist für mich immer wieder eine Herausforderung, aktuell in „Die mysteriösen Fälle der Miss Murray“. Für mich geht das nur, wenn einige Charaktere dabei sind, die progressive Ansichten haben, die ihrer Zeit weit voraus sind. Denn ansonsten fürchte ich, wäre wohl arg viel Queerfeindlichkeit darin, einfach weil es damals die gesellschaftliche „Norm“ war.
Miss Murray ist lesbisch und transgender. Ihre Freundin Constance ist cisgender und lesbisch. Nach heutigem Verständnis. Miss Murray begegnet immer mal wieder Leuten, die irritiert auf ihr Äußeres reagieren bis hin zu offener Feindseligkeit. Auf der anderen Seite gibt es in ihrem Umfeld aber auch progressive Menschen wie die bisexuelle Lady Thelma und deren Lebensgefährtin oder ihr Verleger, Mister Bostwick, der sie so akzeptiert wie sie ist und einfach ihre Arbeit als Autorin schätzt.
Mir ist bewusst, dass all das manche Freunde historischer Romane für ganz und gar abwegig oder unrealistisch halten würden. Aber historische Romane sind kein 100 % authentisches Abbild historischer Gegebenheiten. Das können sie gar nicht sein. Sie sind eine historische Imagination, ein „so hätte es sein können“.
Und da ich keine Zeitreisemaschine habe und meine Leser*innen auch keine Viktorianer*innen von damals sind, sondern heutige Menschen, möchte ich sensible Themen wie Queerness auch sensibel und modern behandeln.

Ein Text dazu:
https://geekgefluester.de/historische-korrektheit-fantasy

Mehr zur Buchreihe „Die mysteriösen Fälle der Miss Murray“:
https://amalia-zeichnerin.net/miss-murray/

Queer und auf Zeitreise – das etwas andere Protagonisteninterview

Anlässlich des heutigen 48. Jahrestages der Stonewall Riots, an die bis heute auf den jährlichen Gay Pride Paraden und Veranstaltungen erinnert wird, gibt es heute ein etwas anderes Protagonisten-Interview.

Zum Verständnis vorab:
In der Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ geht es nicht, wie sonst oft in Gay Romance Romanen üblich, um eine queere Hauptfigur und deren Partner. Berlingtons Geisterjäger bilden ein Team aus 5 bis 6 Personen mit vier unterschiedlichen sexuellen Orientierungen: lesbisch, schwul, hetero- und bisexuell. Das Ganze ist angesiedelt in einem historischen Urban Fantasy/Steampunk-Setting, im Jahr 1887 in England.

Eine Zeitreise von 1887 bis ins Jahr 2017
Die 5 Hauptcharaktere aus Berlingtons Geisterjäger machen für dieses Interview eine Zeitreise ins Jahr 2017: Lord Victor Berlington, der amerikanische Privatdetektiv Eliott, die irische Hexe Fiona, die französische Spiritistin Giselle und die englische Künstlerin Nica.  Dort haben sie sich einen Abend lang im Schnelldurchgang weitergebildet, was gesellschaftliche Veränderungen angeht in Sachen sexueller Orientierung und Identität. Sie haben auch erfahren, dass es im Jahr 2017 für all die unterschiedlichen Orientierungen jeweils spezielle Begriffe gibt.

Bei einem Sekt-Frühstück in einem Londoner Café spreche ich mit ihnen anschließend über die LGBTQ-Menschen im Jahr 1887 und warum sie sich nicht outen konnten, über staatliche Verfolgung Homosexueller damals und heute und einiges mehr.

Das folgende Interview enthält leichte Spoiler zur Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ (nicht zur Handlung an sich, sondern zu den Charakteren und ihren Beziehungen zueinander). Es wird ergänzt durch Links über LGBTQ+-Geschichte und der heutigen Situation (teilweise englischsprachig).

Interview

Lord Berlington, darf ich offen fragen – wie haben Sie eigentlich herausgefunden, dass Sie schwul sind?

Lord Berlington: Nennen Sie mich einfach Victor. Also… ich bin jetzt sechsundzwanzig, und ich muss gestehen, ich wusste es nicht. Ehrlich nicht. Eigentlich hat es sich schon in meiner Kindheit bemerkbar gemacht, aber in unserer Zeit gibt es dafür keine Begrifflichkeiten. Bzw. es gibt sie schon, aber es sind allesamt Schimpfworte.
Ich meine, natürlich gibt es – wie sagt man heute? – queere Menschen auch in unserer Zeit, also im 19. Jahrhundert, aber es war gesellschaftlich nicht existent. Oder nein, das ist falsch ausgedrückt. Es wurde in der breiten Öffentlichkeit totgeschwiegen. Und Menschen, die nicht heterosexuell waren, haben meistens – wie würden Sie heute sagen? Im Schrank gelebt? Und sie sind nie herausgekommen. Ein Coming Out, das wäre einfach zu gefährlich gewesen, verstehen Sie?

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang bitte einmal über das Labouchere Amendment sprechen. Was genau war das und wie hat es das Leben für Schwule damals beeinflusst?

Victor: Das war eine schlimme Geschichte. 1885 wurde es beschlossen und ein Jahr später in England eingeführt, in erster Linie, um männliche Prostitution zu unterbinden. Also, im Grunde wurde damit schwuler Sex unter Strafe gestellt. Aber im Grunde auch Liebesbeziehungen zwischen Männern. Das Problem war allerdings, dass dieses Gesetz mehr oder weniger zu Hexenjagden geführt hat. Die Situation für Schwule war aber auch vorher schon ziemlich gefährlich.

Victor Berlington sieht die Hexe Fiona entschuldigend an.

Und das mit der Hexenjagd soll nun kein Wortspiel sein. Zu Zeiten der Inquisition war es ja so, dass irgendwelche Leute einfach den Verdacht aussprechen konnten, jemand sei eine Hexe, und schon war deren Leben in Gefahr. Weil solche Denunzianten oftmals keine Beweise anbringen mussten.

Und ähnlich war das auch mit dem Labouchere Amendment und den Schwulen. Das hat unter anderem massiv zu Erpressungen geführt. Im Grund konnte jeder zur Polizei gehen und behaupten, dieser oder jener Kerl begehe „Buggery“ bzw „Gross Indecency“ * mit einem anderen, und diejenigen damit ins Gefängnis bringen. Und damit Sie das genau verstehen: Das Verbot galt sogar für erwachsene Männer, die im Konsens miteinander waren.

Durch dieses Gesetz sind manche Schwule sogar im Zuchthaus gelandet und mussten Zwangsarbeit leisten. Das war ja nach unserer Zeit, aber das ist sogar dem Dichter Oscar Wilde 1895 passiert, habe ich gestern abend gelesen. Aber ich schweife ab, verzeihen Sie.

Jedenfalls habe ich 1887 einen Mann kennengelernt, der mich gefühlsmäßig völlig verwirrte. Was da genau passiert ist, das steht in unseren Memoiren**. Ich dachte damals zuerst, er sei daran schuld – ich dachte, er habe mich so stark beeinflusst oder manipuliert, dass ich mich plötzlich dem eigenen Geschlecht zuwandte.

Im Radio des Cafés hinter uns singt Lady Gaga gerade „Born this way.

Victor fährt fort: Aber dann hatte ich eine längere Unterhaltung mit Alec – einem Künstlerkollegen von Nica – und er hat mit mir Klartext geredet. Er selbst hat sich sein Leben lang nur in Männer verliebt und hat mir gesagt, dass es für ihn normal ist und keine Krankheit.

Er lauscht einen Moment auf den Text des Songs und schmunzelt schließlich.

Es scheint, dass sich die Dame, die dort singt, auch einige Gedanken dazu gemacht hat. Wir werden so geboren.

Jedenfalls, nach dem Gespräch zwischen Alec und mir hat es noch lange gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Und heute, an diesem Tag hier im 21. Jahrhundert kann ich endlich offen sagen: Ich liebe diesen Mann. Einen Mann. Und ich stehe dazu. Ich darf ihn hier auf unserer Zeitreise sogar in der Öffentlichkeit küssen, ohne dass wir angezeigt werden. Das wäre bei uns im Jahr 1887 undenkbar gewesen.

Heute vor 48 Jahren (1969) gab es in New York übrigens Aufstände, der als die „Stonewall Riots“ in die Geschichte einging. Damals haben sich Schwule, Lesben und Transgender Menschen gegen eine Polizei-Razzia zur Wehr gesetzt und darauf hat sich dann ein Aufstand entwickelt. Daran erinnern noch heute die Gay Pride Paraden jedes Jahr auf der ganzen Welt. Allerdings muss ich dazu sagen, es gibt es noch immer Länder, in denen dies aus politischen Gründen nicht möglich ist.

Eliott: Erstaunlich. Bevor ich Privatdetektiv wurde, war ich Polizist in New York. Aber das war eine ganz andere Zeit mit ganz anderen Verhältnissen...

In sieben Ländern steht selbst heute noch immer die Todesstrafe auf Homosexualität, in einigen anderen weiterhin Gefängnisstrafen.
Ein weiteres Beispiel: In  Tschetschenien werden Schwule seit Monaten massiv verfolgt und sogar ermordet.

Victor (verzieht das Gesicht): Das ist furchtbar. Und sogar schlimmer als in unserer Zeit, zumindest was England betrifft. Das klingt eher nach 1840*** oder früher.

Veronica „Nica“ Chester und Fiona O‘Reilly sitzen nebeneinander, Nica hat einen Arm um ihre Freundin gelegt.

Nica: Das macht mich wütend und traurig zugleich. Das Labouchere Amendment galt damals übrigens nur für schwule Männer, nicht für Frauen, die Frauen lieben. Ich rätsele noch bis heute, warum das so war. Ich denke, unsere Zeitgenossen konnten sich einfach nicht vorstellen, dass zwei Frauen sich sehr gut miteinander vergnügen können. Ohne… na, Sie wissen schon. Ohne einen Mann und seinen…

Nica wird rot und verstummt. Eliott Breeches errötet ebenfalls und unterbricht sie.

Eliott: Schon klar. In unserer Zeit, da spricht man nicht offen über so etwas. Nicht in Anwesenheit von Damen, meine ich. Sogar Unterwäsche wird nur als „die Unaussprechlichen“ bezeichnet.

Fiona: Da ist so eine Sache, die ich nicht verstehe: Was hat es mit diesem Begriff „queer“ auf sich? In meiner Zeit heißt das soviel wie „sonderbar“, „verschroben“ oder sogar „verrückt“. Warum nennen sich denn Leute im 21. Jahrhundert selbst so?

Sie haben Recht, ursprünglich wurde „queer“ als Schimpfwort verwendet. Aber irgendwann haben Menschen aus der LGBT-Community begonnen, den Begriff für sich positiv umzudeuten, und heute wird er sogar mit Stolz verwendet. Er ist heute ein Überbegriff für alle Menschen, die von der Heteronormativität abweichen. Damit schließt er übrigens nicht nur Schwulen, Lesben und Bisexuelle ein, sondern auch Transgender, Intersexuelle, Asexuelle, Genderqueer, Bigender und noch andere. Das erklärt übrigens auch die Abkürzung LGBTQ+. Das Plus nach dem Q steht dabei für alle, die sich nicht oder nur teilweise in den ersten vier Buchstaben wiederfinden.

Fiona: Was, es gibt sogar noch mehr?

Ja, aber viele davon sind noch nicht so allgemein in der Öffentlichkeit bekannt wie Schwule, Lesben und Transgender. Bisexuelle begegnen selbst innerhalb der LGBTQ+Community gelegentlich Vorurteilen, und ähnliches gilt auch für Asexuelle. Ich muss gestehen, Begriffe wie Genderqueer und Bigender sind mir selbst erst vor kurzem zum ersten Mal begegnet.

Ich wende mich an den Amerikaner.

Und wie ist es mit Ihnen, Eliott?

Eliott: Ich bin… heute würde man sagen, straight. Durch und durch. Ich verstehe auch nicht, wie sich zwei Männer oder zwei Frauen ineinander verlieben können. Also ich meine, ich weiß schon, wie sie … naja, Sie wissen schon. Also so von der Anatomie her, meine ich. Ich war auch gelegentlich mal in Freudenhäusern, gebe ich zu. Ich weiß, wie sich zwei Frauen miteinander…

Er räuspert sich und runzelt die Stirn.

Also, wie gesagt, wir sprechen nicht öffentlich darüber. Sehen Sie es mir also nach, wenn ich nicht ins Detail gehe. Ich denke, es ist klar, was ich meine.
Sagen wir mal so, ich kann es nicht persönlich nachvollziehen. Mir ist das fremd. Aber durch Victor, seinen Freund und die beiden Damen hier hab ich einiges erfahren, was an meinem Weltbild gerüttelt hat. Also zum Beispiel, dass eine Frau sich dazu entschließen kann, eher mit einer anderen Frau zusammen zu sein, als eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen.

Heute können sogar lesbische oder schwule Paare zusammen Kinder groß ziehen – das wird dann Regenbogenfamilie genannt.

Der Amerikaner sieht mich mit großen Augen an.

Eliott: Was Sie nicht sagen… da wird mein Weltbild ja noch mehr durcheinander geschüttelt. (Er zuckt mit den Achseln). Naja, aber ich muss ja nicht alles in dieser großen, weiten Welt verstehen… Manche unserer Zeitgenossen im 19. Jahrhundert halten das ja für krank. Also dass Menschen, die sich in ihr eigenes Geschlecht verlieben, krank seien.

Ich muss leider sagen es gibt auch heute noch Länder und Gruppen von Menschen, die das auch heute, im 21. Jahrhundert, noch als krank betrachten. Es werden sogar immer noch angebliche Therapien dagegen angeboten. Aber die Mehrheit sieht es heute anders, einfach als eine weitere Form menschlicher Sexualität.

Eliott: Das ist interessant. Ich denke ja, es gibt noch so vieles in der Medizin, was unerforscht ist. Zumindest in unserer Zeit.

Das ist heute nicht anders, auch wenn es große Fortschritte gegeben hat seit dem 19. Jahrhundert. Aber es sind auch neue Krankheiten aufgetaucht. Aber das würde nun zu weit führen… (Ich verzichte darauf, von AIDS und dem HIV Virus oder weiteren Viren wie Ebola zu berichten, weil es den Rahmen des Interviews sprengen würde.)

Eliott: Der Punkt ist doch: Wenn noch nicht alles erforscht und bewiesen ist, wer kann sich dann anmaßen, Schwulsein oder auch andere sexuelle Orientierungen zu einer Krankheit zu erklären? Unsere Zeitgenossen tun das leider. Weil sie es ihnen fremd ist und weil sie Angst davor haben, vermute ich.

Giselle Butler meldet sich zu Wort. Sie ist die älteste in der Runde, fast fünfzig, und spricht mit einem französischen Akzent.

Giselle: Ja, das ist wirklich traurig. Denn Liebe ist schließlich Liebe, n’est-ce pas ?
Also, ich meine, ich persönlich kann mir das nicht vorstellen, mit einer Frau zusammen zu leben. Aber ich war nie in eine verliebt.
Ich war über 25 Jahre lang glücklich verheiratet und habe eine Tochter, die ebenfalls geheiratet hat. Die meisten meiner Freundinnen waren oder sind auch verheiratet. Aber ich habe einiges gelesen über… sagen wir mal… alternative Lebensstile. Manche Leute heute, in Ihrem Jahrhundert, scheinen sich zu fragen, hat es das denn immer schon gegeben?Also, ich kann natürlich nicht für alle Zeiten sprechen, aber denken Sie doch mal an Georgiana Cavendish, eine Duchess von Devonshire im ausgehenden 18. Jahrhundert, die hat zeitweilig mit einer Frau und ihrem Mann zusammengelebt. Oder kennen Sie das französische Buch „Mademoiselle de Maupin” von Théophile Gautier? Darin verlieben sich ein Mann und dessen Geliebte beide in einen androgynen abenteuerlustigen Mann verlieben, der sich dann als Frau entpuppt. Angeblich eine wahre Geschichte. Und es gab wohl auch einige Gerüchte über den Dichter Lord Byron, und wir sprachen ja auch gerade über Oscar Wilde.

Nica:
Ich war ja auch mal in einen Mann verliebt, und wir sind bis heute Freunde. Aber jetzt bin ich mit Fiona zusammen.

Fiona: Ja, was das angeht, sind wir wohl ein wandelndes Klischee – ich hatte gleich diese Schmetterlinge im Bauch, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Das war Liebe auf den ersten Blick.

Nica (lächelt ihrer Freundin zu): Das ging mir ähnlich, muss ich sagen.

Gestern abend habe ich erfahren, dass man Menschen wie mich im 21. Jahrhundert als bisexuell bezeichnet. Für mich ist das einerlei, ob jemand weiblich oder männlich ist, es kommt einfach auf die Person an. Und als Künstlerin finde ich ebenfalls beide Geschlechter ästhetisch schön.

In dem Damenclub, in dem ich bin, haben sich übrigens alle Frauen der sapphischen Liebe verschrieben. Aber die Gründerin, Lady Thelma, war früher auch verheiratet. Heute… ich meine, 1887, war sie Witwe und lebte mit einer Frau zusammen. Also ist sie wohl auch bisexuell.

Fiona, was sagen Sie denn dazu, dass Nica mal in einen Mann verliebt war?

Fiona: Oh, das hat zu einigen Problemen geführt, muss ich gestehen. Das will ich hier nicht erzählen, aber das können Sie auch in unseren Memoiren (2) nachlesen.

Nica: Dazu möchte ich jetzt auch nichts sagen. Aber mir fällt gerade noch etwas anderes ein. In unserem Damenclub ist auch eine Frau Mitglied, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Sie ist gewissermaßen ein Ehrenmitglied. Transgender, nennt man heute wohl? Oder Transfrau. Und vielleicht ist es schwer vorstellbar, aber solche Menschen hat es auch in unserer Zeit schon öfter gegeben, z.B. James Barry, ein englischer Arzt, der ebenfalls erwiesenermaßen als Frau geboren wurde und bis zu seinem Tod unerkannt als Mann gelebt hat.

Früher wurde Transsexualität als krankhaft angesehen. Mittlerweile wurde dies u.a. in Dänemark geändert. Dort gilt Transsexualität nicht mehr als Krankheit und es gibt in vielen Ländern die Möglichkeit zur Transition, d.h. geschlechtsan-passende Operationen. Und es gibt immer mehr Transgender Rights Aktivist*innen*.

Die fünf Zeitreisenden starren mich an.

Eliott: So etwas ist möglich im 21. Jahrhundert? Das ist erstaunlich. Da hat die Medizin ja wirklich gewaltige Forschritte gemacht, was diese Operationen angeht, meine ich.

Aber ich möchte gern noch etwas anderes ansprechen. Ich mag vielleicht straight sein, aber ich habe nicht dieses… diese… Homophobie. Ja, das war‘s. So heißt das heute. Mir persönlich ist das völlig egal, welcher Erwachsene mit welchem anderen Erwachsenen ins Bett geht und was sie da tun. Ich meine, solange sie beide übereinstimmen in dem was sie da machen. (Er grinst schief.) Und solange ich nicht dabei zu sehen muss oder gezwungen werde, mitzumachen. Das ist eine Privatsache, finde ich. Wenn Leute übereinstimmen, etwas zu tun und sich dabei glücklich fühlen, warum denn nicht?

Ich bin eigentlich sehr für Gesetz und Ordnung, das hab ich noch aus meiner Zeit als Polizist in New York so drin, darauf wurde ich gedrillt. Aber dieses Labouchere Amendment sehe ich sehr, sehr kritisch. Das richtet gewiss viel mehr Schaden als Nutzen an.

Eliott, damit sind Sie Ihrer eigenen Zeit weit voraus. Und aus Sicht heutiger LGBTQ-Menschen ein „Ally“ der Community – ein Heterosexueller, der die LGBTQ-Menschen nicht nur toleriert, sondern auch deren Gleichberechtigung fordert. Ein Verbündeter oder Freund also.

 

Eliott: Wenn Sie es so nennen wollen, von mir aus. Und wie meinen Sie das mit der Gleichberechtigung genau?

In den Ländern, aus denen Sie stammen: USA, England, Irland und Frankreich ist es seit wenigen Jahren LGBTQ-Paaren erlaubt, zu heiraten, bei gleichen Rechten wie heterosexuellen Paaren.

Die anwesenden Zeitreisen sehen mich überrascht an.

Victor: Das finde ich fast nicht vorstellbar, wenn man es mit unserer Zeit vergleicht. Aber es freut mich, das zu hören.

In Deutschland, wo ich lebe, war dies bisher nicht möglich. Es gab zwar seit 25  Jahren die Möglichkeit einer eingetragenen Lebensgemeinschaft, aber nicht mit den gleichen Rechten wie bei Ehen. Das war vor allem auf konservative politische Kreise zurückzuführen, die in dieser Sache auf dem Status Quo verharren, denn nach einer aktuellen Studie sind rund 83 % der Deutschen für eine Öffnung der Ehe für alle und rund 95% befürworten ein gesetzliches Antidiskriminierungsverbot für LGBTQ-Menschen. Aber in diesen Tagen wird in Deutschland Geschichte geschrieben, denn gerade gestern wurde bekannt, dass die Ehe für alle noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden soll.  Und die Chancen stehen gut, dass sie tatsächlich beschlossen wird und damit ein Grundrecht für alle zugänglich wird.

Eliott: Hmm, jetzt verstehe ich, was Sie mit Gleichberechtigung meinen. Das ist ein bisschen wie die Frauenrechtsbewegung, nur halt für Menschen anderer sexueller Orientierung. Gleiche Rechte für alle Menschen.

Übrigens, falls Sie sich fragen, ich hab keine Angst, dass mich Victor irgendwie zu seinem Lebensstil bekehren wollen oder mir eine „Gehirnwäsche“ verpassen. Dazu sind sein Freund und er beide viel zu englisch, finde ich. (Er lacht.) Immer höflich und diskret. Außerdem hab ich mir in meinem ganzen Leben noch nichts aufschwatzen lassen und ich lasse mich auch nicht zu Dingen überreden, mit denen ich nichts anfangen kann. Man kann nicht dazu gemacht werden, etwas zu sein, was man nicht ist, das ist meine feste Überzeugung. Victor sagte ja auch schon, man wird so geboren. Außerdem, seit dem was wir zusammen schon erlebt und durchgemacht haben, sind wir alle Freunde geworden. Obwohl wir so unterschiedlich sind. Ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber ich finde, Freunde sollten zusammenhalten.

Victor hebt sein Sektglas.

Victor: Lassen Sie uns darauf anstoßen. Auf die Freundschaft, über alle Grenzen und Unterschiede hinweg!

Wir prosten ihm mit eben diesen Worten zu.

Ein gutes Schlusswort, finde ich. Vielen Dank für dieses Interview und eine gute Heimreise zurück in Ihre eigene Zeit.

Anmerkungen:
* historische englische, negativ behaftete Begriffe für schwulen Sex, z.B. Analverkehr
** Mit Memoiren ist natürlich die Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ gemeint. 😉
*** 1840: Letzte bekannte Hinrichtung wegen männlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen in Großbritannien, die Todesstrafe bleibt aber bis zur Gesetzesreform 1861 theoretisch möglich und wird erst 1861 durch Gefängnisstrafen ersetzt.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_LGBT#Neuzeit)

Ein Kommentar vom 27.6. zur Öffnung der Ehe für alle:
http://www.queer.de/detail.php?article_id=29148