Was macht für mich einen guten Weltenbau bezogen auf Queerness aus?

DreamyArt, Pixabay

Lesezeit: 4 Minuten

Inhaltswarnung: In diesem Beitrag erwähne ich Queerfeindlichkeit.

Saskia Dreßler hat die Aktion #Queergelesen ins Leben gerufen, vielen Dank dafür. Ich beteilige mich heute mit diesem Blogbeitrag.
In der Phantastik beobachte ich da teilweise die Tendenz zu Queer-Positivität. Das bedeutet, in dem betreffenden Weltenbau sind die Figuren ganz selbstverständlich queer und das wird in der Gesellschaft völlig akzeptiert. Es findet keine oder kaum Diskriminierung statt, gleichgeschlechtliche Paare (oder auch andere Gender abseits von männlich und weiblich) können ohne Probleme heiraten oder einfach so zusammenleben, vielleicht Kinder adoptieren oder selbst welche bekommen.

Auf der anderen Seite gibt es natürlich weiterhin Phantastik, die Queerfeindlichkeit thematisiert. Das betrifft dann natürlich auch Themen wie internalisierte Queerfeindlichkeit, Coming-Out, Freundschaften, romantische Beziehungen, Sexualität, wie eine Person ihr Gender nach außen hin auslebt (Verhalten, Kleidung, Frisur, Berufswahl oder noch anderes) und noch mehr.

Ich finde beides sehr wichtig. Auch oder gerade queere Menschen haben einen Bedarf an wholesome oder vielleicht auch cosy Eskapismus – Geschichten, in denen sie sich durch Figuren repräsentiert finden, die keine Probleme mit Queerfeindlichkeit haben. Figuren, die andere Probleme und Konflikte statt Queerfeindlichkeit erleben. Beziehungsweise auch einfach vielschichtige Figuren, die nicht auf ihre Queerness reduziert werden.

Auf der anderen Seite ist auch Phantastik, wie jede Kunstform, politisch. Wer das nicht glaubt, lese bitte nach bei Elea Brandt (1). Und in der Realität ist die schiere Existenz queerer Menschen politisch, da wir immer noch bzw. schon wieder um unsere Rechte kämpfen müssen. Man denke nur an die aktuelle Diskussion um das Selbstbestimmungsgesetz, das die rechtskonservativen und rechtsextremen Parteien in Deutschland wieder abschaffen wollen, mit ewig gestrigen Narrativen wie dem, dass es angeblich nur zwei Geschlechter gibt.

Literatur ist ein Spiegel der Realität, sie erforscht die menschliche Existenz und wie wir als Menschen zusammenleben. Entsprechend lassen sich literarisch auch all die Missstände erforschen, die es in unserer Welt gibt. Und dazu zählt natürlich auch Queerfeindlichkeit in all ihren Formen.

In meinem aktuellen Work in Progress, einem High-Fantasy-Roman, der von einer mörderischen Sekte handelt, habe ich beides untergebracht: In der fortschrittlich ausgerichteten Gesellschaft des Landes ist Queerness völlig selbstverständlich und weithin akzeptiert. In der Sekte allerdings ist das nicht der Fall. Dort sind gleichgeschlechtliche Beziehungen aus Gründen verboten und Menschen/Wesen, die weder Frauen noch Männer sind, werden nicht als Mitglieder für die Sekte zugelassen. Das sorgt dann natürlich bei dem queeren Protagonisten und einer anderen queeren Figur für so einige innere und äußere Konflikte.

Ihr möchtet über Queerness in eurem Phantastik-Werk schreiben? Hier ein Schreibtipp, in dem ich auf einige Fallstricke hinweisen möchte:

Wenn ihr nur eine einzelne queere Figur in eurem Phantastik-Werk unterbringt, lasst nicht ausgerechnet diese auf dramatische Weise sterben, während alle heterosexuellen Figuren überleben. Warum? Auch hierzu kann ich wieder einen Blogbeitrag von Elea Brandt empfehlen (2).

Schreibt am besten nicht nur eine queere Figur. In der Realität suchen sich Queers gern andere Queers, nicht nur für Beziehungen, sondern auch für Freundschaften oder als Found Family.

Ihr seid selbst nicht queer und habt wenig persönlichen Kontakt mit der LGBTIAQ+ Community? Wenn ihr über queere Figuren schreiben wollt, sucht euch queere Testlesende, Lektor*innen oder Sensitivity Reader. (3)

Schaut euch generell mal queere Tropes an, die klischeehaft oder stereotyp sind – und vermeidet es, diese zu schreiben. Hier sind zwei Beispiele:

„Sissy Villain“ https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/SissyVillain

„Depraved Bisexual“ https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/DepravedBisexual

Einen Überblick über viele queere Tropes mit Stereotypen gibt es hier:
https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/QueerAsTropes

Fußnoten:

(1) Eleas Blogbeitrag „Fantastisch Politisch“
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-unpolitisch/

(2) Eleas Blogbeitrag „Don’t bury your Gays“

(3) Sensitivity Reader könnt ihr zum Beispiel hier finden:
https://sensitivity-reading.de/themen

Warum Weltenbau in der Phantastik so wichtig ist

Neulich las ich einen Low Fantasy Roman, der in einer eigenen Welt angesiedelt ist. Die Geschichte war spannend, die Charaktere hatten ihre Ecken und Kanten und es gab überraschende Wendungen. So weit, so gut. Aber wenn es um die Welt an sich ging, geriet ich ins Schwimmen. Oder vielleicht sollte ich sagen, ich tappte quasi im Nebel herum.
Ich bin mir sicher, der Autor hat sich einiges an Gedanken gemacht zu dieser Welt. Allerdings hat er es nicht geschafft, mir diese wirklich nah zu bringen. Orte wurden genannt, ohne sie näher zu beschreiben. Es ging unter anderem um einen Orden, über dessen Hintergrund man jedoch kaum etwas erfuhr. Hier und da wurde ein König erwähnt, aber dabei blieb es dann auch.

Wer sich schon die Mühe macht, eine eigene Welt zu kreiieren, der sollte sie dem Leser so anschaulich wie möglich machen. Zum Beispiel kann man sich folgenden Fragen widmen:

Wie ist das Regierungssystem in dieser Welt?
Ich schätze, in circa 90 % der Low und High Fantasy ist dies ein feudales, mit einem König oder einer Königin an der Spitze. Das hängt häufig damit zusammen, dass hier das europäische Mittelalter als Vorbild genommen wird. Ich habe aber auch schon Fantasyromane gelesen, in denen es andere Regierungssysteme gibt, z.B. mit verschiedenen Parteien und einer Demokratie.

Städte und Dörfer
Gibt es in dem Fantasyland große Städte, oder eher kleinere, oder fast nur Dörfer? Wie sind die Transportwege zwischen unterschiedlichen Orten? Gibt es größere Flüsse, die auch befahren werden.

Die Völker
Gibt es „nur“ Menschen, oder auch Fantasywesen? Und wie kommen diese untereinander und mit anderen Völkern zurecht? Haben die Völker jeweils eigene Führungspersönlichkeiten oder unterstehen sie alle einem König, oder gibt es eine andere Regierungsform? Und wie sehen die Menschen in dieser Welt aus?
In vielen Fantasyromanen, die sich am europäischen Mittelalter orientieren, sind die Menschen weiß. Und zwar alle. Das muss aber nicht sein, zumal man ja auch verschiedene menschliche Völker erfinden könnte, die eventuell aus verschiedenen Gegenden stammen.

Religion
Nicht in jedem Fantasy-Roman spielt Religion überhaupt eine Rolle. Falls sie es tun soll, kann man sich Gedanken über Gottheiten machen, über ihre Priesterschaft, über Tempel oder andere Gebäude, in denen die Gläubigen zusammen kommen. Auch über Gebete, Festtage, Rituale und Jenseitsvorstellungen kann man sich Gedanken machen. Viele Fantasy-Religionen sind mehr oder weniger an reale Religionen angelehnt, aber das muss nicht so sein. Wer Spaß daran hat, hat hier etwas ganz Eigenes kreiieren.

Magie
Falls es in der Welt Magie gibt, zieht das mehrere Fragen nach sich. Wie funktioniert die Magie? Basiert sie auf den Elementen, oder etwas Anderem? Welche Stellung haben Magier in der Welt, werden sie verachtet, gefürchtet oder sind sie im Gegenteil angesehen? Oder werden sie gar gejagt oder auf andere Weise bedroht. Gibt es Magier-Akademien, oder lernen angehende Magier bei einem Meister oder einer Meisterin? Sind magische Fähigkeiten angeboren, oder kann man sie erlernen?
Können Menschen überhaupt Magie wirken, oder ist das Fantasywesen vorbehalten?

Handel und Handwerk
Auch hierzu kann man Gedanken machen. Gibt es Gilden oder Zünfte? Womit wird gehandelt, welche Handwerke sind besonders wichtig? Wie lernen angehende Handwerker*innen? Bei Meister*innen, oder anders? Gibt es reisende Handelstreibende oder große Handelsstraßen? Welche Stellung haben Handwerksleute und Händler*innen in der Gesellschaft?

Die Landschaft(en):
Ist diese eher gleichförmig, oder gibt es verschiedenes, z.B. Gebirge, Sümpfe, Wälder, Brachland, Weiden, Meer, Seen, Dschungel…

Flora und Fauna
Gibt es besondere Tiere und Pflanzen in dieser Welt? Haben einige davon eine wichtige Bedeutung für die Handlung? Was gibt es für Haus- oder Nutztiere?

Wie ist das Klima?
Auch hier orientieren sich viele Romane an Europa, es gibt aber auch andere, die zum Beispiel ein eher subtropisches bis tropisches Klima als Vorbild nehmen. Und in diesen Zusammmenhang sind auch Stürme und andere Unwetter interessant, sofern sie für die Handlung eine Rolle spielen. Oder auch Naturkatastrophen wie zum Beispiel Erdbeben.

Wie sind die gesellschaftlichen Normen?
Auch hier orientieren sich viele am europäischen Mittelalter. Oftmals, aber nicht immer, haben Frauen eine schlechtere Stellung als Männer, und sei es nur, dass sie typische „Frauenarbeit“ verrichten, anstatt zum Beispiel als Kriegerin in die Schlacht zu ziehen. Häufig haben eine oder mehrere Religionen eine starke Bedeutung. In manchen Fantasyromanen wird eine Art fiktiver Rassismus behandelt, oft anhand von Fantasywesen wie Elfen, Zwergen, Orks oder anderen. Auch Sexismus oder Queerfeindlichkeit spielen mitunter eine Rolle oder noch andere gesellschaftliche Probleme.
Aber auch ein utopisches Gegenteil mag auftreten, so habe ich schon Gay Fantasy gelesen, in denen es in der entsprechenden Welt völlig normal und akzeptiert war, dass zwei Männer (oder zwei Frauen, oder andere gleichgeschlechtliche Personen) heiraten. Gesellschaftliche Normen lassen sich meistens gut durch die Interaktion verschiedener Charaktere verdeutlichen. Weitere Fragen hier können sein: Wie ist das Verhältnis zwischen den Geschlechtern? Welche Beziehungsformen gibt es – und welche sind gesellschaftlich akzeptiert?

Der Info-Dump
Wenn es um den Weltenbau geht, gibt es allerdings ein Problem, über das manche Autor*innen stolpern – den sogenannten „Info-Dump“. Der Info-Dump vermittelt mitten im Text einen Haufen an Informationen, ohne gleichzeitig die Handlung weiter voran zu bringen. Bei den meisten Lesenden kommt das nicht gut an, außerdem besteht die Gefahr, dass man damit aus dem Fluss der Handlung gerissen wird. Es ist eine hohe Kunst, Wissenswertes zur Welt dosiert einzubringen, so dass sich Lesende nicht von all den Fakten erschlagen fühlen.

Einige andere Möglichkeiten:
Ein kurzer geschichtlicher Abriss zur Welt, der dem eigentlichen Text vorangestellt wird, ähnlich wie ein Prolog.

Zwei Charaktere unterhalten sich und in diesem Gespräch wird einiges über die Welt deutlich. Zum Beispiel könnte sich ein Charakter über Rassismus beschweren, über die hohen Zölle, mit denen Waren belegt werden, über den unfähigen König. Oder jemand schwärmt von den Sehenswürdigkeiten in der Hauptstadt. Und das sind nur einige Beispiele.

Darüber hinaus kann man wohldosierte Beschreibungen auch zwischendurch erklärend im Text einfließen lassen, oder vielleicht denkt ein Charakter über etwas Entsprechendes nach.

Zuviel des Guten
Manchmal übertreiben es Autor*innen mit ihren Beschreibungen zur Welt. Dann wird seitenweise erzählt über die wunderbaren Speisen, die es in der Taverne XY gibt, oder es gibt ellenlange Beschreibungen der Landschaft, die aber nichts zur Handlung beitragen. Oder jemand denkt sich sämtliche Tiere neu aus, die es in der Welt gibt und beschreibt sie in aller Länge und Breite, obwohl sie nur kurz an den Protagonisten vorbeihuschen. Und das sind nur einige Beispiele.
Entsprechende Romane wirken dann in der Regel langatmig, da solche Beschreibungen meistens wie gesagt die Handlung nicht voranbringen.

Und es gibt noch eine andere Gefahr: Man kann sich im Weltenbau unter Umständen verlieren. Ich kenne z.B. eine angehende Autorin, die seit einigen Jahren einen Roman schreiben möchte. Als ich sie neulich traf, war sie immer noch in der Phase Weltenbau, hatte sich aber noch kaum Gedanken zum Plot ihrer Geschichte gemacht. Das ist vielleicht ein Extrembeispiel, aber es zeigt, dass Weltenbau aufwändig ist und manche es damit eventuell übertreiben.