Ich schreibe Wohlfühl-Eskapismus

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Ich bin jetzt seit rund 7 Jahren als Autorin unterwegs und dabei ist mir eines aufgefallen: Ich tue mich sehr schwer mit dem Schreibratgebertipp: „Jedes Kapitel (oder jede Szene) muss einen Konflikt beeinhalten.“ Weil es sonst angeblich langweilig sei.(1)

Ich zähle nicht zu den Autor*innen, die ihre Figuren gern quälen. Einer meiner Grundsätze lautet, dass es bei mir kein „Bury your gays“ (2) gibt: Das heißt, gibt es in einer Geschichte von mir nur eine oder wenige queere Figuren, werden diese nicht sterben.

Ich lese immer wieder, dass Leute gern beim Lesen auf eine „emotionale Achterbahnfahrt“ gehen wollen: Sie wollen mit den Figuren mitfiebern, mitleiden, mitzittern und ganz viel Dramatisches miterleben. Das ist natürlich auch ein Nervenkitzel und ich kann diesen Wunsch verstehen.

Aber ich für meinen Teil schreibe so etwas nicht so gern. Beziehungsweise, ja, ich habe auch schon Dramatisches, Martialisches und Düsteres geschrieben, unter anderem in „Das Herz eines Rebellen“ und „Vanfarin – Von Untoten und Totems“.

Aber im Grunde meines Herzens neige ich zu Wohlfühl-Eskapismus. Mein Alltag steckt voller Probleme, die mit meinen intersektionalen Marginalisierungen zu tun haben. Schreiben wirkt für mich letzendlich therapeutisch, aber nicht in dem Sinne, dass ich über all meine Probleme in einer fiktionalisierten Form als Own Voices Autorin berichten möchte, um sie zu verarbeiten. Stattdessen ist Schreiben für mich ein „Happy Place“ – ein Ort zum Wohlfühlen. Die Autorin Louisa May Alcott wird übrigens zu Beginn der Neuverfilmung von „Little Women“ so zitiert: „Ich hatte viel Kummer in meinem Leben, also schreibe ich heitere Geschichten.“

Von mir wird es auch in Zukunft eher Wohlfühl-Eskapismus geben. Was meine ich damit? Ich möchte über Folgendes schreiben und habe das auch schon immer mal in der Vergangenheit gemacht:

  • Freundschaft und „found families“
  • Zusammenhalt einer Gruppe, auch unter schwierigen Bedingungen oder Konflikten, die von außerhalb kommen
  • Konsens ist sexy
  • Liebes- und andere Beziehungen, die nicht toxisch sind
  • Menschen/Wesen, die sich gegenseitig unterstützen
  • … und so einige Diversitätsthemen, z.B. Queerness, Body Positivity, Polyamorie und noch manches mehr

Und natürlich werde ich in kommenden Geschichten nicht ganz auf Konflikte oder Probleme verzichten. Aber wenn ihr gern ganz viel „Drama“ lesen möchtet, seid ihr bei mir an der falschen Stelle.

Fußnoten
(1)
Dass es auch andere Erzählkulturen und Geschichten gibt, die nicht von einem Konflikt zum nächsten führen, zeigt das japanische Kishōtenketsu, siehe diesen englischsprachigen Artikel:

(2) Elea Brandt hat einen lesenswerten Beitrag zum Trope „Bury your gays“ geschrieben:
https://eleabrandt.de/2020/12/09/dont-bury-your-gays/

Schreibtipp: Mythologie in der Belletristik, aus paganer Sicht

Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus (c.1484)


Ich sage es heute mal ganz offen: Ich bin seit einigen Jahren eine pagane Polytheistin, d.h. ich verehre einige Gottheiten, die bereits in der Antike verehrt wurden.

Neulich kam auf Twitter eine Unterhaltung auf dazu, wenn sich Autor*innen an antiken Mythologien bedienen, z.B. an der nordischen, keltischen, altägyptischen, römischen, griechischen oder noch anderen. Ich schreibe dazu nun etwas aus meiner pagan Perspektive, das ich bereits auf Twitter in einem Thread geschrieben habe und hier noch um einige Überlegungen ergänze.

Für viele pagane oder polytheistische Menschen sind antike Mythologien nicht einfach nur alte Geschichten, die man nach Belieben nehmen und nach eigenem Gutdünken verändern kann. Diese alten Mythen haben für viele pagane Menschen eine religiöse Bedeutung.

Wenn sich nun Autor*innen daran machen, diese Mythen neu zu interpretieren, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten:

Methode 1
Die Autor*innen bleiben dicht am Original. Oder an einem der Originale, denn oft ist es so, dass es unterschiedliche Mythen zu ein und derselben Gottheit oder einem Wesen gibt, je nach regionaler (oft zunächst mit mündlicher und erst Jahrzehnte oder Jahrhunderte später schriftlich festgehaltener) Überlieferung, und ja, manche dieser Mythen widersprechen sich auch.

Die Autor*innen adaptieren dann den vorhandenen Stoff so, dass das Original gewissermaßen noch durchscheint, aber neu interpretiert wird. Damit erweist man den historischen Überlieferungen und der Kultur, in der diese Mythen entstanden sind, einen gewissen Respekt aus meiner Sicht.

Methode 2
Die Autor*innen nehmen sich, was sie wollen aus der mythologischen Vorlage und drehen ihr ganz eigenes Ding draus, ohne Rücksicht auf die Eigenschaften der verwendeten Wesen/Gottheiten oder der historischen Quellen. Zum Beispiel nehmen sie den Namen einer Gottheit und verleihen diesen einem Dämon.

Oder sie versetzen Figuren aus einer bestimmten Region oder einem bestimmten Pantheon ganz ans andere Ende der Welt, ohne das näher zu begründen. Im schlimmsten Fall werden hier historische Mythen gewissermaßen ausgebeutet und das geht in Richtung kulturelle Aneignung.

Diese Gefahr besteht auch, wenn man sich an den Mythen einer Kultur bedient, in der man nicht selbst aufgewachsen ist. Zum Beispiel wenn eine Autorin aus Deutschland sich mit japanischer Mythologie oder Folklore befasst und dann Methode 2 anwendet.

Und man kann es sich schon denken, ich würde immer zur ersten Methode raten.

In der Twitter Unterhaltung kam das Gegenargument zu meiner Position, dass ja auch zahlreiche Motive aus der christlichen Religion auf unterschiedlichste Weise Einzug in die Popkultur gefunden haben und da auch viele Autor*innen einfach machen, was ihnen gefällt (z.B. in der Phantastik Engel, Teufel, Dämonen, im Horror-Genre Exorzismen, oder auch neue Interpretationen biblischer Geschichten in verschiedenen Genres).

Ich möchte allerdings zu Bedenken geben, dass die christliche Religion im Gegensatz zu heutigen paganen Glaubensgemeinschaften seit Jahrhunderten weltweit bestens etabliert ist. Christ*innen werden eher nicht diskriminiert (oder in einigen Fällen nur dort, weltweit gesehen, wo sie eine Minderheit bilden). Von daher haben Christ*innen größtenteils, zumindest was ihren Glauben betrifft, eine privilegierte Position.

Pagane/heidnische Menschen sind dagegen überall eine Minderheit und müssen sich oft mit Vorurteilen oder diskriminierendem Verhalten herumschlagen, wenn sie offen von ihrer Religion sprechen – das zeigt z.B. dieser englischsprachige Bericht über eine Umfrage der Pagan Federation in Schottland:
https://wildhunt.org/2021/03/scottish-pagan-federation-to-release-results-of-discrimination-survey.html

Insofern tut man aus meiner Sicht als Autor*in diesen Menschen einen großen Gefallen, wenn man die alten Mythen, die vielen von ihnen heilig sind, mit Respekt behandelt. Und deshalb würde ich wie gesagt, immer zur ersten Methode raten.