Rund um den Roman „Francis und das Gasthaus der Geister“


Eine Geistergeschichte im Dezember, die nichts mit Weihnachten zu tun hat? Wie der Protagonist Francis bin ich ein Goth … und für uns ist im Grunde das ganze Jahr über Geistersaison. Oder Halloween. Vielleicht lest ihr ja auch gern im Winter Geistergeschichten? In den kommenden Tagen gibt es mehrere Beiträge zu diesem Roman, der im Dead Soft Verlag erscheint. Es ist übrigens kein Horrorroman, auch wenn es darin ein paar gruselige Elemente gibt. Davon handelt der Roman:

Als Francis Bailey ein altes Gasthaus in Yorkshire erbt, beschließt er, seine Zelte in London abzubrechen, um ein Bed & Breakfast zu eröffnen. Doch bald muss er feststellen, dass es in dem alten Haus spukt. Eine Zumutung für ihn – und für potenzielle Gäste.
Dazu kommt, dass einer der Geister sich offenbar zu ihm hingezogen fühlt, was es noch komplizierter macht.
Als Francis den Handwerker Aaron kennenlernt und die beiden sich näherkommen, droht die Situation zu eskalieren. Doch was soll Francis tun, wenn sich die Geister nicht vertreiben lassen?

Die Verlagsseite des Buches (es kann auch direkt dort bestellt werden, oder im Buchhandel)
https://deadsoft.de/products/francis-und-das-gasthaus-der-geister

Die Hauptfiguren

Die drei Charakterportraits habe ich selbst gemalt.


Francis ist ein Goth aus London, der selbständig als Grafikdesigner im Home Office arbeitet. Auf Umwegen kommt er zu einem Gasthaus in Yorkshire und beschließt, es zu betreiben, sowie in Teilzeit weiter als Grafikdesigner zu arbeiten. Francis hat Probleme mit sozialen Ängsten (auch bekannt als Sozialphobie). Er hat sich auf schmerzhafte Weise mit dem Thema Tod auseinandersetzen müssen. Außerdem hat er einen Hund und ist Veganer – letzteres möchte er auch für das Gasthaus umsetzen.

Aaron arbeitet in einem Handwerksberuf, auf diesem Weg lernt er Francis kennen. Schon sein ganzen Leben lang lebt er in der (fiktiven) Kleinstadt Barrowsfield in Yorkshire und hat dort einen kleinen, aber feinen Freundeskreis, mit dem er sich regelmäßig zu Spielabenden trifft. Wie Francis ist er Veganer. Aaron hat schlechte Erfahrungen mit Beziehungen gemacht und dies wirkt noch nach. Ob das wohl für die beiden zu Problemen führt, oder nicht? Das könnt ihr im Roman lesen.

Edward ist ein Geist aus der edwardianischen Ära (ja, der Vorname ist Programm). Aus bestimmten Gründen findet er keine Ruhe. Mehr verrate ich nicht über ihn, wegen Spoilergefahr. 😉

Textschnipsel

Francis wagt sich in den Keller des Spukhauses…

Die erste Begegnung von Francis und Aaron …

Francis hat eine unheimliche Begegnung …

Das Medium Cecilia spricht mit einem Geist und Francis …

Aaron und Francis kommen sich näher …

Francis und sein „Angstinator“ …

Warum eigentlich Gay Romance mit einer Geistergeschichte?

Die kurze Antwort ist: Ich habe eine Schwäche für Geistergeschichten. Die lange Antwort: Ich habe früher viel Contemporary Gay bzw. Queer Romance gelesen, bis ich mich irgendwann daran „überlesen“ habe. Mittlerweile interessiert mich diese Form von Romance nur noch, wenn sie mit einem weiteren Thema verbunden wird, das mich auch abseits der romantischen Inhalte interessiert, z.B. Schauspiel, Musik, Kunst, (Cosy-)Krimis, Thriller, Mental Health Themen oder Formen von Diversität, die über „gay“ hinausgehen, bestimmte Schauplätze, Phantastik oder eben Geistergeschichten. Nachdem ich einiges in der Richtung gelesen habe, wollte ich gern selbst einmal Gay Romance mit einem Spukhaus schreiben.

Lesungsvideo
Schnappt euch ein Heißgetränk, macht es euch gemütlich, wenn ihr könnt und mögt. Viel Spaß beim Reinhören. Das Video ist 8,5 Minuten lang. Warum ich so leichenblass wirke? Das ist Absicht, weil es zur gelesenen Szene passt. 😉
https://www.youtube.com/watch?v=vJTyN-bOUoI

Der Schauplatz Yorkshire

Der Roman spielt in Yorkshire, größtenteils in der fiktiven Kleinstadt Barrowsfield. Diese habe ich in der Nähe von Haworth und Keighley platziert (siehe die Karte „Ein Teil von Yorkshire“, dort habe ich einige Orte markiert, die in der Handlung erwähnt werden.)

Die Fotos bieten einen kleinen Eindruck der Landschaften. In einem der Fotos seht ihr das Ribblehead Viadukt, eine Eisenbahnbrücke in Northern Yorkshire. Und nein, ich war nicht selbst vor Ort, ich kann mir Fernreisen nicht leisten.

Geisterglaube in England

Meine Testleserin schrieb mir, sie fände es merkwürdig, dass die meisten Figuren im Roman die Existenz von Geistern einfach so hinnehmen. Aber das ist einfach kulturell in England anders als in Deutschland, dort ist der Glaube an Geister viel stärker verwurzelt als hierzulande.

Ich habe z.B. gelesen, dass Leute in England, die in Häusern leben, in denen es möglicherweise spukt, Gutachten von Ghosthunting-Teams erstellen lassen können, damit sie leichter umziehen oder andere Maßnahmen ergreifen können. (Das ist kein Witz.)

Ich habe die Situation in England unter anderem dem Sachbuch „Ghosthunting – Auf Spurensuche im Jenseits“ von Sebastian Bartoschek und Alexa Waschkau entnommen. In England gab es ja im 19. Jahrhundert auch eine starke Spiritismus-Bewegung und das wirkt wohl teilweise noch deutlich nach.

Ich habe also einige Infos dazu ins Buch eingearbeitet, also dass der Geisterglaube in England so verbreitet ist. Und eine der beiden Hauptfiguren wurde skeptischer als bisher, was Geister betrifft. Aber vielleicht ändert er dann doch noch seine Meinung. Das könnt ihr im Roman lesen.

Im Roman tauchen übrigens auch einige „Paranormal Investigators“ auf, die den Spuk im Gasthaus untersuchen wollen. In dieser Hinsicht hat mir das oben genannte Sachbuch für die Recherchen gut weitergeholfen.


Ihr wollt gern mehr Geistergeschichten in Kombination mit Gay Romance lesen?

Dann kann ich die dreiteilige Reihe „Valley Ghosts“ von B L Maxwell empfehlen, die in deutscher Übersetzung ebenfalls im Dead Soft Verlag erschienen ist.

Jason Thomas hat schon immer davon geträumt, zu beweisen, dass Geister real sind. Bereits als Kind war er besessen von Spukorten, und im Laufe der Zeit wurde seine Leidenschaft immer größer. So schleppte er auch seinen besten Freund Wade in verschiedene Spukhäuser und Hotels, immer in der Hoffnung, einen echten Geist zu sehen.

Wade Rivers hatte es immer geliebt, Zeit mit Jason zu verbringen, auch wenn das bedeutete, dass er einen gruseligen Ort nach dem anderen ertragen musste. Doch je länger sie sich kannten, umso stärker wurden die Gefühle für Jason. Leider wuchs auch seine Angst vor den Orten, die Jason erkunden wollte.

Das große Abenteuer beginnt, als sich die Chance bietet, ein Wochenende allein in einem berühmten Spukhaus zu verbringen. Für Jason die Erfüllung eines Traums, während es für Wade eher ein Albtraum ist. Tapfer versucht er, seine Ängste zu verdrängen.

Doch als merkwürdige Dinge passieren, ist das Eingeständnis seiner Gefühle für Jason plötzlich nicht mehr das Beängstigendste, was Wade passieren kann.

Die Verlagsseite des Sammelbandes als Taschenbuch:
https://deadsoft.de/products/valley-ghosts-1-3

Die E-Books gibt es auch einzeln beim Verlag und überall, wo es E-Books gibt.

Ein weiteres Buch, mit dem ich für den Roman recherchiert habe, ist „ TheWitch’s Guide to the Paranormal: How to Investigate, Communicate, and Clear Spirits“ des amerikanischen Autors J. Allen J. Cross. Dieser ist unter anderem mit einem Team aktiv, das paranormale Untersuchungen macht, dabei aber auch spirituelle Aspekte beachtet. In seinem Buch zeigt der Autor unter anderem verschiedene Arten von Heimsuchungen auf, z.B. das sogenannte „Poltergeist“-Phänomen und noch andere.

In meinem Roman gibt es eine Hexe, die auch als Medium tätig ist und sich mit diesen verschiedenen Formen von Heimsuchungen auskennt. Ob sie Francis helfen kann, die Geister in seinem Gasthaus zu vertreiben? Das könnt ihr im Roman lesen.

Vegan auf Reisen?
Im Roman möchte Francis ein veganes Bed & Breakfast aufziehen. Entsprechend wird es bei ihm vegane Speisen/Getränke zum Frühstück geben. Yorkshire ist mit seinen beeindruckenden rustikalen Landschaften eine beliebte Gegend für den Tourismus, unter anderem für Leute, die gern wandern.

Vegan sein und auf Reisen gehen, das ist oft gar nicht so einfach.

Aber es gibt Webseiten und Apps, die für Reisende vegane Hotels und Restaurants/Cafés anzeigen, z.B. diese (alles unbezahlte Werbung):
https://veganaufreisen.de/

https://www.vegane-hotels.de/land/deutschland

https://love-veggie.com/vegetarisch-vegan-essen-gehen/deutschland

Eine weitere einfache Möglichkeit: Bei Google Maps „vegan Restaurant“ in die Suchleiste eingeben, dann werden euch entsprechende Lokale angezeigt.

Ein Rezept zum Buch
Vegane Scones (britisches Teegebäck)

Zutaten
500 g Weizenmehl (je nach Vorliebe Weißmehl oder Vollkornmehl, es geht beides)
1 TL Salz
2 EL Zucker
1 Päckchen Backpulver
60 g Margarine oder 60 ml Pflanzenöl
300 ml veganen Drink, z.B. Haferdrink

Zubereitung
Alle Zutaten gründlich mischen und zu einem glatten Teig verkneten. Diesen im Kühlschrank ca. 15 Minuten ruhen lassen. Dann aus dem Teig die Scones formen (wie kleine Brötchen). In den vorgeheizten Ofen auf die mittlere Schiene stellen.

Backzeit
Ca. 20 Minuten Elektroherd, Ober- & Unterhitze 220 °C. Bzw. bis die Scones goldbraun sind

Serviervorschlag
Die Scones etwas abkühlen lassen, aber noch warm servieren. Jeweils in zwei Hälften schneiden. Traditionell werden Scones mit Clotted Cream und Marmelade gegessen. Statt Clotted Cream nehme ich gern einen veganen Frischkäse.

Zum Abschluss noch einmal die Verlagsseite des Buches (es kann auch direkt dort bestellt werden, oder im Buchhandel):
https://deadsoft.de/products/francis-und-das-gasthaus-der-geister

Interview mit Simon Rhys Beck vom Dead Soft Verlag

(ca. 4 Minuten Lesezeit)
Der Dead Soft Verlag ist spezialisiert auf Gay Bücher (aka schwule Literatur, m/m, achillean) und feiert in diesem Jahr sein 25jähriges Jubiläum. Aus diesem Anlass wollte ich gern ein Interview mit dem Verleger, Simon Rhys Beck machen.

Wie bist du vor 25 Jahren auf den Namen Dead Soft gekommen und warum die Giraffe?

Vor 25 Jahren war der Name noch ein anderer, Alter Ego, den musste ich leider ändern. Aber „dead soft“ stand dann relativ schnell fest. Ich hatte den Ausdruck, als Steigerung von „soft“ in einem Interview in der Attitude gelesen und habe sofort gedacht, dass dieser Ausdruck perfekt zu den Büchern passt, die ich veröffentlichen möchte. Die Giraffe ist auch „dead soft“, außerdem gibt es unter den Giraffen häufiger mal queere Verpaarungen – und Giraffen sind schon echt cool.

Hat sich aus deiner Sicht viel verändert in der Buchbranche, seit du den Verlag gegründest hast? Und sind Gay Bücher immer noch (oder wieder) eher ein Nischenthema? Wie schätzt du das ein?

Ja, es hat sich unheimlich viel geändert in der Branche; abgesehen von den technischen Möglichkeiten. In der Anfangsphase von dead soft gab es weder Digitaldruck noch Social Media. Erst war „gay“ ein Nischenthema, dann gab es auf einmal eine riesige, positive Welle mit viel Beachtung. Dieses Hoch wurde dann von Amazon wieder „eingedampft“ durch die Einführung von Kindle Unlimited mit einer unüberschaubaren Anzahl von Neuveröffentlichungen. Und nun haben wir eine Verlagskrise, die sowohl große als auch kleine Verlage betrifft. Ein Nischenthema ist Gay Unterhaltungsliteratur allerdings immer noch. Da ist noch Luft nach oben.

In diesem Jahr gebt ihr eine Jubiläums- und Benefizanthologie mit winterlichen und weihnachtlichen Kurzgeschichten heraus. Worauf kann sich eure Leserschaft freuen und an welches Tierschutzprojekt spendet ihr die Einnahmen?

Die Jubiläumsanthologie „Raue Nächte & (be-) sinnliche Zeit“ enthält 13 winterliche oder weihnachtliche Kurzgeschichten mit bereits bekannten und beliebten Protagonist*innen. Es sind Geschichten mit Figuren, von denen die Leser*innen gern mal wieder etwas lesen wollten. Allerdings ist es auch durchaus möglich, die Geschichten zu lesen, ohne die Vorgeschichten zu kennen. Vielleicht wird der ein oder die andere auch neugierig auf die entsprechenden Romane.

Wir haben noch nicht entschieden, an welchen Verein gespendet wird (es stehen 2-3 zur Auswahl). Auf jeden Fall haben alle Autor*innen auf ihre Tantiemen verzichtet zugunsten des Tierschutzes, was mich sehr freut.

Ihr seid genremäßig sehr vielfältig aufgestellt: Contemporary Romance, Erotik / BDSM / Kink, Fantasy (z.B. Urban, Low und High Fantasy), Krimis/Thriller, New Adult, Dystopie … kürzlich ist außerdem das Jugendbuch „Das Geheimnis des siebten Hundes“ von Bianca Nias bei euch erschienen, das ab 12 Jahren empfohlen wird. Gibt es denn bei euch bei all diesen Genres einen Schwerpunkt auf ein bestimmtes, oder verteilt sich das ungefähr gleich? Und wird es eventuell weitere queere Jugendbücher bei euch geben?

Nein, es gibt keinen speziellen Schwerpunkt. Ich versuche, das Programm so weit gefächert wie möglich zu halten. „Das Geheimnis des siebten Hundes“ ist auch nicht das einzige Jugendbuch, das wir im Programm haben. Es gibt auch noch meinen Roman „Ares Geheimnis“. Ich persönlich würde es begrüßen, weitere Titel in diesem Bereich zu veröffentlichen. Außerdem haben wir eine Kategorie für New Adult Romane, also mit jüngeren Protagonisten, da geht es oft auch um Coming of Age und Coming Out. Was mir allerdings wichtig ist bei der Auswahl, dass es sich um Unterhaltungsliteratur mit einem Happy End handelt.

Welche Bücher erscheinen demnächst bei euch, wenn du schon etwas darüber verraten kannst?

Ich plane das Programm immer recht flexibel, im Gegensatz zu anderen Verlagen wahrscheinlich, bei denen das 2025er Programm schon steht. Als Nächstes erscheinen auf jeden Fall der High Fantasy Roman „Anhaga“ von Lisa Henry, Band 6 der Nothing Special Reihe von A.E. Via, Band 3 der Snow & Winter Reihe von C.S. Poe, Band 3 der Starfig Investigations von Megan Maslow und Bitten by Her von Annabella Jacobs.

Gibt es in der nächsten Zeit Lesungen mit Büchern aus eurem Verlag, und falls ja, wo?

Es gibt immer mal wieder Lesungen, aber ich habe da im Moment keine konkreten Termine vorliegen. Am besten informiert ist man, wenn man uns auf Social Media (Instagram und Facebook) folgt.

Wo kann man eure Bücher kaufen, bzw. wie kann eure Leserschaft euch als Kleinverlag am besten unterstützen?

Am besten unterstützt man uns durch den Kauf über unsere Website www.deadsoft.de – ansonsten kann man alle Bücher über den Buchhandel bestellen, oder natürlich im Online-Buchhandel. Eine große Hilfe sind natürlich immer Rezensionen und Erwähnungen auf Social Media.

Gibt es noch etwas, das du gern ansprechen möchtest?

Ich möchte mich gern bei Dir für die Interviewanfrage bedanken und bei allen Leser*innen, die uns schon so lange begleiten und uns immer wieder so wertschätzende Rückmeldungen geben. Bleibt achtsam im Umgang mit anderen, Menschen wie Tieren. Wir leben hier alle miteinander und sollten versuchen, kein Lebewesen auszunutzen.

Vielen Dank für das Interview.

Der Verlag auf Instagram und auf Facebook.

Der Dead Soft Verlag ist auch auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse, in Halle 1.2. am Stand G48 und ihr könnt dort auch mehrere der Autor*innen dort treffen.

Interview mit Anna Zabini und Eleanor Bardilac

Anna und Eleanor, am 11.10. 2024 erscheint euer gemeinsamer Roman „Love Education – Wo gehobelt wird, fallen Spä(h)ne“, unter dem Pseudonym Elana Bardini.

Was hat euch zu diesem Roman inspiriert?

Anna: Horny, sexy, messy Ü30-Menschen … da will ich nicht lügen.

Elli: Und ein Fandom, das wir nicht verraten. Lesende sind aber herzlich eingeladen, ihr Rateglück während des Lesens zu versuchen!

Wie habt ihr euch das Schreiben aufgeteilt? Im Roman wechselt die Perspektive zwischen den Protagonisten Adam und Leo. Hat jede von euch jeweils eine dieser Perspektiven geschrieben, oder habt ihr anders gearbeitet?

Anna: Wir haben die Perspektive nicht aufgeteilt, sondern beide alles und jede*n geschrieben, wie es sich ergeben hat (bzw. haben Elli oder ich manche Szenen für uns reserviert). Damit wir auf verschiedenen Endgeräten sowohl live bei der anderen mitlesen und kommentieren als auch gleichzeitig Text schreiben konnten, haben wir zum Schreiben Google Docs verwendet. Das war eine sehr dynamische Sache, die darauf hinausgelaufen ist, dass wir praktisch 24/7 im Austausch waren – und der Roman nach einem guten Monat in der Erstfassung fertig war. Figuren, Plotpoints und den ungefähren Ablauf haben wir auf Telegram gebrainstormt, im jeweiligen Google Doc – wir hatten wegen der Wortmenge insgesamt drei verschiedene – haben wir am Ende immer die Punkte, die wir noch inkludieren wollen, aufgelistet. Durch Elli und die Love Edu bin ich zum chronologischen Schreiben bekehrt worden; anders hätte das in diesem Fall wahrscheinlich auch nicht funktioniert.

Elli: Es hat gut gepasst, dass meine und Annas Herangehensweisen sowie Stärken und Schwächen gerade unterschiedlich genug sind, dass sie sich in diesem Fall zu einem guten Gesamtpaket ergänzt haben.

Welche Figur im Roman, abgesehen von Adam und Leo, ist eure persönliche Lieblingsfigur und warum?

Anna: Ich liebe leider alle Figuren, aber wenn ich mich entscheiden müsste, sind es Judith und Wolfgang. Judith ist – meiner Meinung nach – eine Frauenfigur, die es eher selten als positive Figur gibt, dabei braucht die Welt mehr grantige, kantige Jüdinnen Mitte Vierzig mit Butch Energy und geringer Bullshit-Toleranz. Wolfgang hingegen könnte mit seiner Extravaganz eine Witzfigur sein, ist es aber nicht, und das ist uns – meiner Meinung nach – gut gelungen. Beide verkörpern in gewisser Weise gelebte „Klischees“ des queeren Spektrums, und das ist auch richtig und wichtig so. (Selbstverständlich stehen die Schülis außer Konkurrenz.)

Elli: Definitiv Judith, die so viele Layer hat, die wir (noch) gar nicht alle zeigen konnten. Und dann noch Kamala, die autistisch ist und auf eine Weise von den Lehrkräften abgeholt wird, die ich mir auch gewünscht hätte – obwohl ich im Gegensatz zu vielen anderen neurodivergenten Kids eine ziemlich gute Schulzeit hatte.

Eine Person auf Instagram bezeichnete den Roman als (Unter-)Haltungsliteratur. Wie seht ihr das, bzw. was können wir uns darunter vorstellen?

Anna: Danke an dieser Stelle erstmal an die begriffsstiftende Person! Ich denke, dass (Unter-)Haltungsliteratur das beschreibt, was auf einen hohen Prozentsatz der sogenannten Unterhaltungsliteratur zutrifft: nicht nur der Anspruch zu unterhalten, sondern das Bewusstsein, dass Unterhaltung eine politische Dimension hat. Die Love Education ist eine alberne kleine RomCom – und die Love Education ist ein Roman mit behinderten Leads und „schwierigen“ Themen.

Elli: Genau deshalb ist die Unterscheidung in U-Literatur und E-Literatur („ernste“ Literatur) einfach nur albern.

Ihr seid Mitglied im Schreibkollektiv Wiener Schrei(b)salon, gemeinsam mit anderen Autor*innen. Warum ist das „b“ darin stumm?

Anna: Weil wir oft mehr (metaphorisch) schreien als schreiben. Gemeinsames Schreien ist halbes Schreien, oder so.

Wenn ihr mögt, erzählt gern mal von euren Erfahrungen mit dem Buchmarkt, oder vielleicht auch, was sich aus eurer Sicht in den letzten Jahren verändert hat.

Anna: Der Buchmarkt ist tot, lang lebe der Buchmarkt!! Nein, im Ernst, auch der Buchmarkt ist selbstverständlich kein Monolith, aber er funktioniert entlang von Verwertungsstrukturen, die zu Ein/Kauftendenzen führen; es hat einen Grund, warum die Love Edu im SP erscheint und nicht in einem Verlag.

Elli: Nicht, dass wir es nicht versucht hätten, da möchte ich ganz offen sein. Meine Agentur war leider nicht interessiert, weil die Protagonisten über 30 marktschwierig sind, und bei diversen Ausschreibungen hat es auch nie geklappt. Weil wir diese Geschichte aber so lieben und überzeugt davon sind, dass sie ihre Fans finden wird, haben wir uns fürs SP entschieden. Im Genderswapped-Podcast in der Folge zu progressiver Phantastik sprechen Judith Vogt und Lena Richter davon, dass der ursprüngliche Aufschwung progressiverer Phantastik-Bearbeitungen vor ein paar Jahren fast komplett abgeflaut ist, und den Eindruck würde ich unterschreiben, auch wenn es in allen Bereichen unheimlich engagierte Menschen gibt, die sich für diese Texte einsetzen. Grundsätzlich ist die Marktlage momentan schwierig, in vielen Genres wartet man auf den nächsten Trendsetter-Roman, ohne aber Risiken zu Neuem einzugehen. Das ist natürlich eine Katze, die sich in den Schwanz beißt. Und eine, die es für gewagtere Texte (sowohl formal als inhaltlich) schwieriger macht. Da bleibt einem fast nur der Rückzug in die sogenannte E-Literatur, aber die wiederum hat öfter mal Antipathie für alles, was Spaß macht.

Ihr habt beide einiges an Phantastik veröffentlicht. Habt ihr weitere Pläne in dieser Hinsicht, bzw. könnt ihr darüber schon etwas verraten?

Anna: Ja. Ich schreibe momentan #AlexTheGreatWarlock (ein Dark Fantasy Reimagining der Figur und Biografie Alexanders des Großen), und im Hintergrund schwirren weitere phantastische Projekte herum, von denen mindestens eines wieder eine Kollaboration ist.

Elli: Jein. Ich möchte Anfang 2025 in konkretere Planungen für ein Projekt gehen, über das der Verlag ohneohren und ich schon seit einer ganzen Weile reden. Ansonsten hoffe ich, vielleicht bald wieder ein Großverlagsprojekt zu haben und bin dafür in der Konzeptphase für zwei Ideen (eins davon die #Sonnendrache Story …). Und in der bald anstehenden Planung für 2025 werde ich festlegen, welche der laufenden Projekte ich da wirklich zu Ende schreiben werde – neben einem eher (familien)historischen, nichtfiktionalen Projekt wird das vermutlich mein arthurianisches Cyberpunk-Projekt #RoterGeist sein. Falls da ein schöner neuer Vertrag dazwischenkommt, kann sich das natürlich ändern.

Habt ihr weitere Ideen, gemeinsam als Elana Bardini zu schreiben?

Anna: SO. VIELE. IDEEN.

Elli: Konkret: Eines der Projekte erwähnen wir schon im Abspann der Love Education, das andere hat den liebevollen Arbeitstitel „Brokeback Weitra“. Wann die jedoch fertig sein werden, ist noch unklar. Wir lassen uns da auch bewusst Zeit: die bardinischen Romane sind in erster Linie Leidenschaftsprojekte, für die wir so wenig wie möglich leiden wollen.

Habt ihr Lesungen für „Love Education“ geplant, vielleicht als Live-Lesung auf Instagram oder live vor Ort?

Anna: Zum Release wird es am 11. Oktober 2024 eine Lesung auf Instagram geben, die Infos folgen!

Elli: Vielleicht machen wir vor Weihnachten auch nochmal was. Und natürlich dürfen sich Leute gerne noch mehr wünschen, wir schauen dann, was möglich ist.

Gibt es noch etwas, was ihr gern ansprechen möchtet?

Anna: Von meiner Seite aus nicht, aber ich möchte mich an dieser Stelle für deine Zeit und die Fragen bedanken!

Elli: Was Anna sagt: Und es missfällt mir, darum zu bitten, aber leider leben wir in wirtschaftlich orientierten kapitalistischen Strukturen, daher: Wenn ihr möchtet, dass Leute weiterhin die Kunst machen, die ihr gut findet – wenn ihr möchtet, dass wir weiterhin diese Kunst machen, überlegt euch doch, ob ihr uns supporten möchtet. Bei mir kann man das über Ko-Fi machen, das fast genauso wie Patreon funktioniert, aber auch einmalige Spenden zulässt. Oder ihr kauft einfach unsere Bücher und empfehlt sie weiter, das ist uns sogar am liebsten und ihr habt am meisten davon. <3

Amalia: Vielen Dank für das Interview.

Link zu „Love Education“: https://www.amazon.de/dp/B0DCP4MDKG

Phantastik von Anna und Eleanor

Verlagsseite: https://www.ohneohren.com/sanguen-daemonis

Verlagsseite: https://www.droemer-knaur.de/buch/eleanor-bardilac-knochenblumen-welken-nicht-9783426527160

Verlagsseite: https://www.ohneohren.com/knochenasche-rottet-nicht

Verlagsseite: https://www.droemer-knaur.de/buch/eleanor-bardilac-die-magie-goldgewebter-herzen-9783426530344


Onlinepräsenzen der Autorinnen:
Eleanor Bardilac: https://linktr.ee/EleanorBardilac
Auf Instagram: https://www.instagram.com/eleanor.bardilac/

Anna Zabini: https://annazabini.carrd.co/
Auf Instagram: https://www.instagram.com/anna_zabini/

Ein Protagonisteninterview von Amalia Zeichnerin und Ester D. Jones

… mit den Protagonisten aus „Frei und doch verbunden“ sowie „Das verbotene Verlangen des Earls / Die verlorene Liebe des Earls“

»Danke, dass du dir Zeit genommen hast, mich zu besuchen.« Bettina Kiraly (alias Ester D. Jones) lässt ihre Kollegin Amalia Zeichnerin eintreten, die in der Dunkelheit vor der Tür steht. »Du hast einen weiten Weg nach Niederösterreich auf dich genommen, um mit mir über Historic Gay Romance zu plaudern.«

Bettina bittet Amalia ins Wohnzimmer. »Darf ich dir etwas anbieten? Eine Tasse Kaffee vielleicht? Oder trinkst du lieber Tee?«

Amalia: »Danke, ich trinke beides gern. Was ist dir denn lieber?«

Bettina: »Ich vertrage Kaffee nicht so gut. Darum trinke ich lieber Tee. Ich habe da auch eine ganz besondere Sorte mit dem Namen „Love“. Passender geht es nicht.«

Bettina: »Können wir gleich zum eigentlichen Thema kommen? Ich will dich nicht zu lange aufhalten. Kannst du mir erzählen, wie du das mit der Recherche für deine Bücher machst? Gay Romance in historischen Romanen richtig darzustellen, ist aus meiner Sicht sehr schwierig.«

Amalia: »Ich habe schon für frühere Bücher viel recherchiert, vor allem über das 19. Jahrhundert. Auch, was Themen wie Homosexualität in dieser Zeit angeht. Es ist ja so, dass es schon seit dem 18. Jahrhundert und auch schon davor in den größeren europäischen Städten bereits Vorläufer queerer Communities gab, die aber im Verborgenen bleiben mussten, weil (männliche) Homosexualität verboten war. Natürlich ist vieles verloren gegangen, weil es ein Tabuthema war, aber einiges davon konnte doch überliefert werden. Meine Bücher spielen fast alle in England und für mich ist es ein Segen, dass ich auf Englisch recherchieren kann. Ich habe auch schon englische Bibliotheken oder Archive mit Recherchefragen angeschrieben und dort hilfreiche Antworten erhalten. Und wie machst du es mit der Recherche?«

Bettina: »Ich habe als Ester mit historischen Liebesromanen begonnen. Mein Grundwissen stammt also aus Dutzenden von Regencyromanen. Als ich selbst in diesem Genre zu schreiben begonnen habe, war das Internet meine Hauptinformationsquelle. Ich versuche, historisch möglichst genau zu sein. Aber klar ist, dass sich die Ladys zur damaligen Zeit lange nicht so selbstbewusst, selbstbestimmt oder gar rebellisch verhalten haben. Um eine überzeugende Handlung zu schreiben, die heutige Leser anspricht, muss man als Autor die damalige Realität ein wenig zurechtbiegen. Ich habe bei meiner zweiteiligen Romanreihe gemerkt, dass es Spaß macht, gleich für zwei Helden zu schwärmen. Ich liebe das historische Ambiente. Geht es dir genauso? Was macht für dich den besonderen Reiz aus, diese Art von Büchern zu schreiben?«

Amalia: »Ich hatte schon als Jugendliche ein Interesse an Geschichte und auch an historischen Settings. Ich schätze, da kommt bei mir so eine nostalgische Ader durch. Ich bin auch ein bisschen im Steampunk-Bereich unterwegs, der ja auch viel von Historischem inspiriert ist. Es erfordert eine andere Art zu schreiben, als ein Gegenwartsroman. Man muss ein bisschen altmodisch klingen, aber auch nicht zu sehr.«

Bettina: »Genau. Die Sprache liebe ich auch sehr. So ein bisschen verschnörkelt ist schon toll. Deine Geschichte um Jacob und Nicholas hat mir übrigens sehr gut gefallen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie verwirrend es für einen Mann in der damaligen Zeit gewesen sein muss, das erste Mal mit seiner Sehnsucht nach einem anderen Mann konfrontiert zu werden. Diese Überlegung hat mich auf die Idee zu meiner Geschichte gebracht. Was hat bei dir den Ausschlag gegeben?«

Amalia: „Das weiß ich heute gar nicht mehr so genau. Die Idee zur Geschichte von Jay und Nicholas ist mir schon vor etwa drei Jahren gekommen. Ich glaube, damals kam das zustande als eine Art Variante zu der klassischen Robinson-Crusoe-Geschichte. Ich hab mich damals gefragt, was könnte mit zwei Männern passieren, die auf einer einsamen Insel stranden?“

Link zu den historischen Gay Romance Novellen von Amalia Zeichnerin:
https://amalia-zeichnerin.net/historische-gay-romance/

Die beiden schwärmen den restlichen Abend von ihren Protagonisten und den Geschichten, die nur darauf warten, noch geschrieben zu werden. Die beiden Autorinnen vergessen über ihrer Fachsimpelei die Zeit. Und irgendwann schlafen sie einfach ein.

Ein Geräusch weckt Amalia ein paar Stunden später. Abrupt schreckt sie hoch. Sie kann nicht sagen, was genau sie gehört hat. Aber sie will Ester nicht wecken und schleicht sich in die Küche, um sich etwas zu trinken zu holen.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkommt, hat sich Ester aufgesetzt. »Ich wusste nicht, dass du weitere Gäste eingeladen hast.«

Amalia runzelte die Stirn. »Welche Gäste?«

Ester zeigt in die Ecke, in der vier Männer in historischen Kostümen stehen. Mit einem Kopfschütteln versucht Amalia, den Nebel in ihren Gedanken loszuwerden. Vermutlich spielt ihr ihre Fantasie einen Streich.

Dann kneift sie die Augen zusammen. Nanu? Der junge Mann dort sieht doch genau aus wie … aber natürlich! Bei dem Mann handelt es sich um Sebastian, den Earl of Broomfield aus dem Roman »Das verbotene Verlangen des Earls«. Der Mann Anfang zwanzig mit den blonden Haaren und den grünen Augen ist unverkennbar. Der Mann daneben scheint Mitte dreißig zu sein und hat schwarzes Haar und blaue Augen. Das muss Lucian, der Earl of Westminster, sein.

»Darf ich bekannt machen?«, ergreift dieser das Wort und deutet auf den jüngeren Mann neben ihm. »Dies ist Sebastian, Earl of Broomfield.«

Amalia deutet einen Knicks an und stellt sich vor.

Ester streckt die Hand aus, zieht sich dann aber zurück und verbeugt sich stattdessen. »Wie aufregend. Ich bin ganz aus dem Häuschen, euch … ähm … Sie zu sehen.«

»Es freut mich, Sie kennenzulernen«, sagt ein ebenfalls etwas älterer Mann, der nun aus dem Schatten heraustritt. Er hat dunkles Haar und scharfgeschnittene Gesichtszüge. »Mein Name ist Nicholas Aldersmith. Darf ich vorstellen, mein Freund Jacob Ealing.« Er deutet auf einen braungebrannten Mann mit zerzaustem Haar, der eine Verbeugung andeutet.

»Was ist denn jetzt mit dem Interview?«, drängelt Sebastian. »Wir haben nicht ewig Zeit.«

»Interview?« Amalia schaut verdutzt.

»Sie haben uns doch herbestellt, weil Sie uns einige Recherchefragen stellen wollten«, erklärt Sebastian. »Wir haben uns extra hierherbemüht.«

»Äh… ja, selbstverständlich. Natürlich«, stottert Amalia und versteht kein Wort. »Das Interview.«

Sie bittet ihre Gäste, sich zu setzen. Dann räuspert sie sich. »Ähm, habe ich Ihnen vorab genaue Informationen gegeben, worüber ich mich mit Ihnen unterhalten will?«

»Über unser … nun, ja … außergewöhnliches Privatleben. Können Sie sich nicht mehr daran erinnern? Fühlen Sie sich vielleicht nicht wohl?«

»Nein, nein. Alles gut.« Amalia bemüht sich um ein Lächeln. » Ester, magst du vielleicht mit den Fragen beginnen, während ich uns Tee aufsetze?«

»Eine großartige Idee«, meint der Earl of Westminster. »Mein Mund ist ganz trocken.«

Ester nickt. »Dann lege ich gleich mal los. Earl of Westminster, sind Sie auf der Suche nach der Dame fürs Leben? Oder sind Sie gar schon verlobt?«

Der Earl of Westminster errötet. »Dieses Thema breite ich eigentlich nicht in der Öffentlichkeit aus. In Wahrheit habe ich meine Gedanken dazu erst einem Menschen anvertraut. Aber ich verstehe, dass Ihr die Information für Eure Recherche benötigt. Darum vertraue ich Euch an, ich habe das Thema Heirat für mich abgeschlossen. Offen gesagt ist mir bewusst, einer Ehefrau nicht die Verbundenheit bieten zu können, die sie verdient hat. Ich glaube nicht, dass Liebe in einer Ehe unbedingt eine Rolle spielen muss. Doch meine dunklen Gelüste … In Eurer Zeit ist so etwas tatsächlich nicht verboten? Es fällt mir dennoch schwer, es zu gestehen. Ich fühle mich zu Männern hingezogen. Ich wäre nicht in der Lage, mit einer Frau zusammenzusein. Im biblischen Sinne. Ich könnte keinen Nachfahren zeugen. Warum sollte ich also eine Frau an mich binden und sie damit unglücklich machen?«

Amalia kommt mit dem Tee zurück und stellt ihn auf dem Tisch ab. Bevor sie vier Tassen vollschenkt und weiterreicht. »Earl of Broomfield, ich hörte, Sie haben eine Schwäche für Kunst. Mögen Sie etwas darüber erzählen?«

Earl of Broomfield: »Ich liebe die Arbeiten Devonos, genauso wie der Earl of Westminster, wenn ich Euch darauf hinweisen darf. Wir haben gemeinsam eine Ausstellung dieses außergewöhnlichen Künstlers besucht. Seine Werke … Ich weiß gar nicht, wie ich es beschreiben soll. Sie berühren mein Herz, wärmen mich bis in die Fingerspitzen. Ich male selbst, müsst Ihr wissen. Mir fehlt es an Talent, um mich mit Devonos zu vergleichen. Ich bemühe mich um größtmöglichen Realismus. Dennoch fürchte ich, dass meine Kunst nicht ausreicht, um andere Menschen dadurch zu erreichen.«

Der Earl of Westminster legt dem Earl of Broomfield eine Hand auf die Schulter. Wärme leuchtet in seinem Blick. Ein sanftes Lächeln liegt auf seinem Gesicht. »Deine Gemälde strahlen eine unglaubliche Kraft aus. Die Bilder, die du von mir gemalt hast … ich habe mich niemals so lebensfroh, so weich, so perfekt gesehen wie auf deinen Kunstwerken. Du schaffst damit etwas Besonderes. Zweifle niemals an dir.«

Earl of Broomfield: »Dein Vertrauen in mich macht mich zu einem besseren Künstler. Aber ich glaube, so genau wollte die junge Lady das gar nicht hören.«

Link zu Bettina Kiralys Veröffentlichungen:
http://bettina-kiraly.at/veroeffentlichungen/

Amalia: »In unserer Zeit dürfen Homosexuelle ihre Orientierung frei ausleben. Wenn man als Gentleman solche Tendenzen bei sich selbst entdeckt, muss das wohl ein wahrer Schock sein. Wie habt Ihr herausgefunden, wonach es Euch verlangt? Könnt Ihr Eure Bedürfnisse auf irgendeine Art und Weise ausleben?«

Nicholas Aldersmith nimmt einen Schluck vom Tee: »Nun, einen Schock würde ich es nicht nennen. Ich meine, man wacht schließlich nicht eines Tages auf und stellt fest, dass man sich zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, nicht wahr? Es war für mich eine längere Entwicklung, Beobachtungen meiner Gefühle über Wochen und Monate hinweg – reichlich Gefühlsverwirrungen in meiner Jugendzeit. Irgendwann wurde mir schließlich klar, dass ich anders bin als andere Männer. Ich bin ein rationaler, praktisch veranlagter Mensch. Ich sah für mich zwei Möglichkeiten. Entweder konnte ich mich nun mein Leben lang dafür martern, dass ich nicht wie andere Männer bin. Oder das Beste daraus machen. Ich habe mich für Letzteres entschieden.  Und ich habe bald festgestellt, dass ich nicht allein bin mit solchen Gefühlen und auch zu meiner Zeit gibt es bereits Wege, diese etwas andere Sexualität auszuleben, wenn auch im Verborgenen. In meinem Fall war das zum Beispiel ein Molly House

Jacob Ealing: »Nennen Sie mich gern Jay, wenn Sie möchten. In meinem Fall ist es noch komplizierter. Ich habe erst durch meine Begegnung mit Nicholas begriffen, dass ich mich nicht nur zu Frauen, sondern auch zu Männern hingezogen fühlen. Bis wir uns kennenlernten, war das nie ein Thema für mich. Ich meine, natürlich gab es Männer, die ich mochte, z.B. andere Matrosen auf den Schiffen, auf denen ich zur See gefahren bin. Aber ich habe das immer für rein freundschaftliche Gefühle gehalten. Oder vielleicht habe ich auch verdrängt, dass vielleicht mehr dahinterstecken könnte. Ich war sehr naiv, fürchte ich. Aber dass zwei Männer einander lieben können, das ist zu unserer Zeit etwas, über das nicht gesprochen wird. ich hatte also niemanden, mit dem ich jemals über meine verwirrten Gefühle sprechen konnte. Bis ich Nicholas getroffen habe.«

Earl of Westminster: »Für mich hat es einen echten Schock dargestellt, als ich gemerkt habe, dass ich mich in meinen jungen Jahren in meinen besten Freund verliebt habe. Ich habe es erst nicht verstanden, habe dagegen angekämpft und mich für diese Verwirrung gehasst. Es war von Anfang an klar, dass dieser andere Mann nicht das Gleiche für mich empfindet. Doch später habe ich jemanden gefunden, der mir erklärt hat, wie und wo ich meine Gelüste ausleben kann. Es existieren Häuser, in denen sich Männer für Geld dafür zur Verfügung stellen. Erst in letzter Zeit ist mir klargeworden, dass das nicht ansatzweise mit der Nähe zu einem Menschen zu vergleichen ist, der einem etwas bedeutet.«

Earl of Broomfield: »Ich dachte, ich hätte mich in Lady Rose verliebt. Ich bin davon ausgegangen, eine Ehefrau an meiner Seite wäre mir vorbestimmt. Aber dann habe ich den Earl of Westminster näher kennengelernt. Wir haben Zeit miteinander verbracht, weil ich von ihm die Erlaubnis wollte, um seine Schwester zu werben. Sobald Lucian, also der Earl of Westminster, sich mir gegenüber nicht mehr ablehnend verhalten hat, haben wir festgestellt, wie viel wir gemeinsam haben. Ich habe begonnen, ihn zu mögen. Und schließlich wurde aus unserer Zuneigung noch etwas Größeres. Ich kann mich unendlich glücklich schätzen, diese Erfahrung mit ihm teilen zu dürfen.«

Ester: »Vielen Dank, meine Herren, dass Sie sich die Zeit für dieses Interview genommen haben.«

Amalia springt auf. »Müssen Sie schon gehen? Wie schade! Es hat sehr viel Spaß gemacht, sich mit Ihnen zu unterhalten. Vielleicht können Sie noch ein wenig bleiben?«

Nicholas Aldersmith: »Es ist an der Zeit. Auch wenn wir Ihre Gastfreundschaft sehr genossen haben.«

Earl of Westminster: »Sie beide sind sehr interessante Damen. Natürlich dürfte ich so etwas in der Vergangenheit nicht aussprechen. Aber wenn ich nach Ihren enthusiastischen, lebhaften Charakteren gehe, ist das in Ihrer Zeit anders.«

Ein Poltern lässt Amalia herumfahren. Vor dem Haus scheint ein Unwetter zu toben. Warum hat sie das Toben des Sturms zuvor noch nicht wahrgenommen? »Ich hätte noch so viele Fragen. Haben Sie vielleicht noch ein paar Augenblicke, damit ich mich nach Ihren Zukunftsplänen erkundigen kann?«

Der Earl of Broomfield schüttelte den Kopf. Er wirkt nervös. »Es ist Zeit für unseren Aufbruch. Ich wünschte tatsächlich, wir können in dieser Zeit der unendlichen Möglichkeiten für Männer wie uns noch ein wenig bleiben. Doch das können wir leider nicht in die Realität umsetzen.«

Jacob Ealing: »Möglicherweise gelingt es uns, Ihnen den Fortgang unserer Geschichte irgendwie zu übermitteln. Auch wenn unser Besuch nur kurz gedauert hat, so hat er dennoch bleibenden Eindruck bei uns hinterlassen. Vielen Dank für die Hoffnung, die Sie uns für die Zukunft gemacht haben.«

Amalia will sich bei den Männern noch für ihre Offenheit bedanken, doch das Unwetter wird stärker. Das Heulen des Windes ist nun so laut, dass sie nichts anderes als das Klopfen ihres Herzens hören kann. Die vier Männer nickten sich zu und gehen Richtung Ausgang. Sie öffnen die Tür und lassen einen kalten Luftstoß ins Haus.

Während einer nach dem anderen nach draußen tritt, kneift Amalia die Augen zum Schutz vor dem Sturm zusammen. Plötzlich wird sie von einem Lichtstrahl von draußen geblendet. Er ist viel zu hell, um von einer Straßenlaterne zu stammen. Sie dreht den Kopf weg.

»Tut mir leid«, hört sie Bettinas Stimme sagen. »Ich wollte dich nicht wecken. Leider habe ich den falschen Lichtschalter erwischt.«

Amalia blinzelt gegen das Licht. Plötzlich sitzt sie wieder auf der Couch und entdeckt Bettina an der Wohnzimmertür. Der Autorenkollegin ist das schlechte Gewissen deutlich anzusehen. »Kein Problem. Ich hatte gerade einen seltsamen Traum.«

»Hoffentlich habe ich dich nicht zu einem ungünstigen Zeitpunkt geweckt.«

»Wie man es nimmt.« Amalia lächelt. »Unsere Helden haben mich besucht. Ich konnte mich mit deinen Earls und mit Jacob und Nicholas unterhalten. Gerne hätte ich noch länger mit ihnen über ihr Leben geplaudert. Aber ich glaube, ich darf von Glück sagen, sie überhaupt persönlich getroffen zu haben.«

»Jetzt bin ich tatsächlich etwas neidisch.« Bettina dimmt das Licht und kommt wieder zur Couch. »Eigentlich sollten wir ja schlafen gehen. Es ist kurz vor vier. Vermutlich kann ich jedoch kein Auge zutun. Erzählst du mir von deiner Begegnung?«

»Sehr gerne. In meinem Traum warst du bei dem Gespräch anwesend. Schade, dass du dich nicht mehr daran erinnern kannst.«

»Stimmt. Aber du bist eine tolle Geschichtenerzählerin. Ich bin mir sicher, in wenigen Minuten habe ich das Gefühl, tatsächlich dabei gewesen zu sein.«

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Zur Zeit gibt es übrigens bei Lovelybooks eine Verlosung mit Taschenbüchern zu „Frei und doch verbunden“.

Queer und auf Zeitreise – das etwas andere Protagonisteninterview

Anlässlich des heutigen 48. Jahrestages der Stonewall Riots, an die bis heute auf den jährlichen Gay Pride Paraden und Veranstaltungen erinnert wird, gibt es heute ein etwas anderes Protagonisten-Interview.

Zum Verständnis vorab:
In der Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ geht es nicht, wie sonst oft in Gay Romance Romanen üblich, um eine queere Hauptfigur und deren Partner. Berlingtons Geisterjäger bilden ein Team aus 5 bis 6 Personen mit vier unterschiedlichen sexuellen Orientierungen: lesbisch, schwul, hetero- und bisexuell. Das Ganze ist angesiedelt in einem historischen Urban Fantasy/Steampunk-Setting, im Jahr 1887 in England.

Eine Zeitreise von 1887 bis ins Jahr 2017
Die 5 Hauptcharaktere aus Berlingtons Geisterjäger machen für dieses Interview eine Zeitreise ins Jahr 2017: Lord Victor Berlington, der amerikanische Privatdetektiv Eliott, die irische Hexe Fiona, die französische Spiritistin Giselle und die englische Künstlerin Nica.  Dort haben sie sich einen Abend lang im Schnelldurchgang weitergebildet, was gesellschaftliche Veränderungen angeht in Sachen sexueller Orientierung und Identität. Sie haben auch erfahren, dass es im Jahr 2017 für all die unterschiedlichen Orientierungen jeweils spezielle Begriffe gibt.

Bei einem Sekt-Frühstück in einem Londoner Café spreche ich mit ihnen anschließend über die LGBTQ-Menschen im Jahr 1887 und warum sie sich nicht outen konnten, über staatliche Verfolgung Homosexueller damals und heute und einiges mehr.

Das folgende Interview enthält leichte Spoiler zur Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ (nicht zur Handlung an sich, sondern zu den Charakteren und ihren Beziehungen zueinander). Es wird ergänzt durch Links über LGBTQ+-Geschichte und der heutigen Situation (teilweise englischsprachig).

Interview

Lord Berlington, darf ich offen fragen – wie haben Sie eigentlich herausgefunden, dass Sie schwul sind?

Lord Berlington: Nennen Sie mich einfach Victor. Also… ich bin jetzt sechsundzwanzig, und ich muss gestehen, ich wusste es nicht. Ehrlich nicht. Eigentlich hat es sich schon in meiner Kindheit bemerkbar gemacht, aber in unserer Zeit gibt es dafür keine Begrifflichkeiten. Bzw. es gibt sie schon, aber es sind allesamt Schimpfworte.
Ich meine, natürlich gibt es – wie sagt man heute? – queere Menschen auch in unserer Zeit, also im 19. Jahrhundert, aber es war gesellschaftlich nicht existent. Oder nein, das ist falsch ausgedrückt. Es wurde in der breiten Öffentlichkeit totgeschwiegen. Und Menschen, die nicht heterosexuell waren, haben meistens – wie würden Sie heute sagen? Im Schrank gelebt? Und sie sind nie herausgekommen. Ein Coming Out, das wäre einfach zu gefährlich gewesen, verstehen Sie?

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang bitte einmal über das Labouchere Amendment sprechen. Was genau war das und wie hat es das Leben für Schwule damals beeinflusst?

Victor: Das war eine schlimme Geschichte. 1885 wurde es beschlossen und ein Jahr später in England eingeführt, in erster Linie, um männliche Prostitution zu unterbinden. Also, im Grunde wurde damit schwuler Sex unter Strafe gestellt. Aber im Grunde auch Liebesbeziehungen zwischen Männern. Das Problem war allerdings, dass dieses Gesetz mehr oder weniger zu Hexenjagden geführt hat. Die Situation für Schwule war aber auch vorher schon ziemlich gefährlich.

Victor Berlington sieht die Hexe Fiona entschuldigend an.

Und das mit der Hexenjagd soll nun kein Wortspiel sein. Zu Zeiten der Inquisition war es ja so, dass irgendwelche Leute einfach den Verdacht aussprechen konnten, jemand sei eine Hexe, und schon war deren Leben in Gefahr. Weil solche Denunzianten oftmals keine Beweise anbringen mussten.

Und ähnlich war das auch mit dem Labouchere Amendment und den Schwulen. Das hat unter anderem massiv zu Erpressungen geführt. Im Grund konnte jeder zur Polizei gehen und behaupten, dieser oder jener Kerl begehe „Buggery“ bzw „Gross Indecency“ * mit einem anderen, und diejenigen damit ins Gefängnis bringen. Und damit Sie das genau verstehen: Das Verbot galt sogar für erwachsene Männer, die im Konsens miteinander waren.

Durch dieses Gesetz sind manche Schwule sogar im Zuchthaus gelandet und mussten Zwangsarbeit leisten. Das war ja nach unserer Zeit, aber das ist sogar dem Dichter Oscar Wilde 1895 passiert, habe ich gestern abend gelesen. Aber ich schweife ab, verzeihen Sie.

Jedenfalls habe ich 1887 einen Mann kennengelernt, der mich gefühlsmäßig völlig verwirrte. Was da genau passiert ist, das steht in unseren Memoiren**. Ich dachte damals zuerst, er sei daran schuld – ich dachte, er habe mich so stark beeinflusst oder manipuliert, dass ich mich plötzlich dem eigenen Geschlecht zuwandte.

Im Radio des Cafés hinter uns singt Lady Gaga gerade „Born this way.

Victor fährt fort: Aber dann hatte ich eine längere Unterhaltung mit Alec – einem Künstlerkollegen von Nica – und er hat mit mir Klartext geredet. Er selbst hat sich sein Leben lang nur in Männer verliebt und hat mir gesagt, dass es für ihn normal ist und keine Krankheit.

Er lauscht einen Moment auf den Text des Songs und schmunzelt schließlich.

Es scheint, dass sich die Dame, die dort singt, auch einige Gedanken dazu gemacht hat. Wir werden so geboren.

Jedenfalls, nach dem Gespräch zwischen Alec und mir hat es noch lange gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Und heute, an diesem Tag hier im 21. Jahrhundert kann ich endlich offen sagen: Ich liebe diesen Mann. Einen Mann. Und ich stehe dazu. Ich darf ihn hier auf unserer Zeitreise sogar in der Öffentlichkeit küssen, ohne dass wir angezeigt werden. Das wäre bei uns im Jahr 1887 undenkbar gewesen.

Heute vor 48 Jahren (1969) gab es in New York übrigens Aufstände, der als die „Stonewall Riots“ in die Geschichte einging. Damals haben sich Schwule, Lesben und Transgender Menschen gegen eine Polizei-Razzia zur Wehr gesetzt und darauf hat sich dann ein Aufstand entwickelt. Daran erinnern noch heute die Gay Pride Paraden jedes Jahr auf der ganzen Welt. Allerdings muss ich dazu sagen, es gibt es noch immer Länder, in denen dies aus politischen Gründen nicht möglich ist.

Eliott: Erstaunlich. Bevor ich Privatdetektiv wurde, war ich Polizist in New York. Aber das war eine ganz andere Zeit mit ganz anderen Verhältnissen...

In sieben Ländern steht selbst heute noch immer die Todesstrafe auf Homosexualität, in einigen anderen weiterhin Gefängnisstrafen.
Ein weiteres Beispiel: In  Tschetschenien werden Schwule seit Monaten massiv verfolgt und sogar ermordet.

Victor (verzieht das Gesicht): Das ist furchtbar. Und sogar schlimmer als in unserer Zeit, zumindest was England betrifft. Das klingt eher nach 1840*** oder früher.

Veronica „Nica“ Chester und Fiona O‘Reilly sitzen nebeneinander, Nica hat einen Arm um ihre Freundin gelegt.

Nica: Das macht mich wütend und traurig zugleich. Das Labouchere Amendment galt damals übrigens nur für schwule Männer, nicht für Frauen, die Frauen lieben. Ich rätsele noch bis heute, warum das so war. Ich denke, unsere Zeitgenossen konnten sich einfach nicht vorstellen, dass zwei Frauen sich sehr gut miteinander vergnügen können. Ohne… na, Sie wissen schon. Ohne einen Mann und seinen…

Nica wird rot und verstummt. Eliott Breeches errötet ebenfalls und unterbricht sie.

Eliott: Schon klar. In unserer Zeit, da spricht man nicht offen über so etwas. Nicht in Anwesenheit von Damen, meine ich. Sogar Unterwäsche wird nur als „die Unaussprechlichen“ bezeichnet.

Fiona: Da ist so eine Sache, die ich nicht verstehe: Was hat es mit diesem Begriff „queer“ auf sich? In meiner Zeit heißt das soviel wie „sonderbar“, „verschroben“ oder sogar „verrückt“. Warum nennen sich denn Leute im 21. Jahrhundert selbst so?

Sie haben Recht, ursprünglich wurde „queer“ als Schimpfwort verwendet. Aber irgendwann haben Menschen aus der LGBT-Community begonnen, den Begriff für sich positiv umzudeuten, und heute wird er sogar mit Stolz verwendet. Er ist heute ein Überbegriff für alle Menschen, die von der Heteronormativität abweichen. Damit schließt er übrigens nicht nur Schwulen, Lesben und Bisexuelle ein, sondern auch Transgender, Intersexuelle, Asexuelle, Genderqueer, Bigender und noch andere. Das erklärt übrigens auch die Abkürzung LGBTQ+. Das Plus nach dem Q steht dabei für alle, die sich nicht oder nur teilweise in den ersten vier Buchstaben wiederfinden.

Fiona: Was, es gibt sogar noch mehr?

Ja, aber viele davon sind noch nicht so allgemein in der Öffentlichkeit bekannt wie Schwule, Lesben und Transgender. Bisexuelle begegnen selbst innerhalb der LGBTQ+Community gelegentlich Vorurteilen, und ähnliches gilt auch für Asexuelle. Ich muss gestehen, Begriffe wie Genderqueer und Bigender sind mir selbst erst vor kurzem zum ersten Mal begegnet.

Ich wende mich an den Amerikaner.

Und wie ist es mit Ihnen, Eliott?

Eliott: Ich bin… heute würde man sagen, straight. Durch und durch. Ich verstehe auch nicht, wie sich zwei Männer oder zwei Frauen ineinander verlieben können. Also ich meine, ich weiß schon, wie sie … naja, Sie wissen schon. Also so von der Anatomie her, meine ich. Ich war auch gelegentlich mal in Freudenhäusern, gebe ich zu. Ich weiß, wie sich zwei Frauen miteinander…

Er räuspert sich und runzelt die Stirn.

Also, wie gesagt, wir sprechen nicht öffentlich darüber. Sehen Sie es mir also nach, wenn ich nicht ins Detail gehe. Ich denke, es ist klar, was ich meine.
Sagen wir mal so, ich kann es nicht persönlich nachvollziehen. Mir ist das fremd. Aber durch Victor, seinen Freund und die beiden Damen hier hab ich einiges erfahren, was an meinem Weltbild gerüttelt hat. Also zum Beispiel, dass eine Frau sich dazu entschließen kann, eher mit einer anderen Frau zusammen zu sein, als eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen.

Heute können sogar lesbische oder schwule Paare zusammen Kinder groß ziehen – das wird dann Regenbogenfamilie genannt.

Der Amerikaner sieht mich mit großen Augen an.

Eliott: Was Sie nicht sagen… da wird mein Weltbild ja noch mehr durcheinander geschüttelt. (Er zuckt mit den Achseln). Naja, aber ich muss ja nicht alles in dieser großen, weiten Welt verstehen… Manche unserer Zeitgenossen im 19. Jahrhundert halten das ja für krank. Also dass Menschen, die sich in ihr eigenes Geschlecht verlieben, krank seien.

Ich muss leider sagen es gibt auch heute noch Länder und Gruppen von Menschen, die das auch heute, im 21. Jahrhundert, noch als krank betrachten. Es werden sogar immer noch angebliche Therapien dagegen angeboten. Aber die Mehrheit sieht es heute anders, einfach als eine weitere Form menschlicher Sexualität.

Eliott: Das ist interessant. Ich denke ja, es gibt noch so vieles in der Medizin, was unerforscht ist. Zumindest in unserer Zeit.

Das ist heute nicht anders, auch wenn es große Fortschritte gegeben hat seit dem 19. Jahrhundert. Aber es sind auch neue Krankheiten aufgetaucht. Aber das würde nun zu weit führen… (Ich verzichte darauf, von AIDS und dem HIV Virus oder weiteren Viren wie Ebola zu berichten, weil es den Rahmen des Interviews sprengen würde.)

Eliott: Der Punkt ist doch: Wenn noch nicht alles erforscht und bewiesen ist, wer kann sich dann anmaßen, Schwulsein oder auch andere sexuelle Orientierungen zu einer Krankheit zu erklären? Unsere Zeitgenossen tun das leider. Weil sie es ihnen fremd ist und weil sie Angst davor haben, vermute ich.

Giselle Butler meldet sich zu Wort. Sie ist die älteste in der Runde, fast fünfzig, und spricht mit einem französischen Akzent.

Giselle: Ja, das ist wirklich traurig. Denn Liebe ist schließlich Liebe, n’est-ce pas ?
Also, ich meine, ich persönlich kann mir das nicht vorstellen, mit einer Frau zusammen zu leben. Aber ich war nie in eine verliebt.
Ich war über 25 Jahre lang glücklich verheiratet und habe eine Tochter, die ebenfalls geheiratet hat. Die meisten meiner Freundinnen waren oder sind auch verheiratet. Aber ich habe einiges gelesen über… sagen wir mal… alternative Lebensstile. Manche Leute heute, in Ihrem Jahrhundert, scheinen sich zu fragen, hat es das denn immer schon gegeben?Also, ich kann natürlich nicht für alle Zeiten sprechen, aber denken Sie doch mal an Georgiana Cavendish, eine Duchess von Devonshire im ausgehenden 18. Jahrhundert, die hat zeitweilig mit einer Frau und ihrem Mann zusammengelebt. Oder kennen Sie das französische Buch „Mademoiselle de Maupin” von Théophile Gautier? Darin verlieben sich ein Mann und dessen Geliebte beide in einen androgynen abenteuerlustigen Mann verlieben, der sich dann als Frau entpuppt. Angeblich eine wahre Geschichte. Und es gab wohl auch einige Gerüchte über den Dichter Lord Byron, und wir sprachen ja auch gerade über Oscar Wilde.

Nica:
Ich war ja auch mal in einen Mann verliebt, und wir sind bis heute Freunde. Aber jetzt bin ich mit Fiona zusammen.

Fiona: Ja, was das angeht, sind wir wohl ein wandelndes Klischee – ich hatte gleich diese Schmetterlinge im Bauch, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Das war Liebe auf den ersten Blick.

Nica (lächelt ihrer Freundin zu): Das ging mir ähnlich, muss ich sagen.

Gestern abend habe ich erfahren, dass man Menschen wie mich im 21. Jahrhundert als bisexuell bezeichnet. Für mich ist das einerlei, ob jemand weiblich oder männlich ist, es kommt einfach auf die Person an. Und als Künstlerin finde ich ebenfalls beide Geschlechter ästhetisch schön.

In dem Damenclub, in dem ich bin, haben sich übrigens alle Frauen der sapphischen Liebe verschrieben. Aber die Gründerin, Lady Thelma, war früher auch verheiratet. Heute… ich meine, 1887, war sie Witwe und lebte mit einer Frau zusammen. Also ist sie wohl auch bisexuell.

Fiona, was sagen Sie denn dazu, dass Nica mal in einen Mann verliebt war?

Fiona: Oh, das hat zu einigen Problemen geführt, muss ich gestehen. Das will ich hier nicht erzählen, aber das können Sie auch in unseren Memoiren (2) nachlesen.

Nica: Dazu möchte ich jetzt auch nichts sagen. Aber mir fällt gerade noch etwas anderes ein. In unserem Damenclub ist auch eine Frau Mitglied, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Sie ist gewissermaßen ein Ehrenmitglied. Transgender, nennt man heute wohl? Oder Transfrau. Und vielleicht ist es schwer vorstellbar, aber solche Menschen hat es auch in unserer Zeit schon öfter gegeben, z.B. James Barry, ein englischer Arzt, der ebenfalls erwiesenermaßen als Frau geboren wurde und bis zu seinem Tod unerkannt als Mann gelebt hat.

Früher wurde Transsexualität als krankhaft angesehen. Mittlerweile wurde dies u.a. in Dänemark geändert. Dort gilt Transsexualität nicht mehr als Krankheit und es gibt in vielen Ländern die Möglichkeit zur Transition, d.h. geschlechtsan-passende Operationen. Und es gibt immer mehr Transgender Rights Aktivist*innen*.

Die fünf Zeitreisenden starren mich an.

Eliott: So etwas ist möglich im 21. Jahrhundert? Das ist erstaunlich. Da hat die Medizin ja wirklich gewaltige Forschritte gemacht, was diese Operationen angeht, meine ich.

Aber ich möchte gern noch etwas anderes ansprechen. Ich mag vielleicht straight sein, aber ich habe nicht dieses… diese… Homophobie. Ja, das war‘s. So heißt das heute. Mir persönlich ist das völlig egal, welcher Erwachsene mit welchem anderen Erwachsenen ins Bett geht und was sie da tun. Ich meine, solange sie beide übereinstimmen in dem was sie da machen. (Er grinst schief.) Und solange ich nicht dabei zu sehen muss oder gezwungen werde, mitzumachen. Das ist eine Privatsache, finde ich. Wenn Leute übereinstimmen, etwas zu tun und sich dabei glücklich fühlen, warum denn nicht?

Ich bin eigentlich sehr für Gesetz und Ordnung, das hab ich noch aus meiner Zeit als Polizist in New York so drin, darauf wurde ich gedrillt. Aber dieses Labouchere Amendment sehe ich sehr, sehr kritisch. Das richtet gewiss viel mehr Schaden als Nutzen an.

Eliott, damit sind Sie Ihrer eigenen Zeit weit voraus. Und aus Sicht heutiger LGBTQ-Menschen ein „Ally“ der Community – ein Heterosexueller, der die LGBTQ-Menschen nicht nur toleriert, sondern auch deren Gleichberechtigung fordert. Ein Verbündeter oder Freund also.

 

Eliott: Wenn Sie es so nennen wollen, von mir aus. Und wie meinen Sie das mit der Gleichberechtigung genau?

In den Ländern, aus denen Sie stammen: USA, England, Irland und Frankreich ist es seit wenigen Jahren LGBTQ-Paaren erlaubt, zu heiraten, bei gleichen Rechten wie heterosexuellen Paaren.

Die anwesenden Zeitreisen sehen mich überrascht an.

Victor: Das finde ich fast nicht vorstellbar, wenn man es mit unserer Zeit vergleicht. Aber es freut mich, das zu hören.

In Deutschland, wo ich lebe, war dies bisher nicht möglich. Es gab zwar seit 25  Jahren die Möglichkeit einer eingetragenen Lebensgemeinschaft, aber nicht mit den gleichen Rechten wie bei Ehen. Das war vor allem auf konservative politische Kreise zurückzuführen, die in dieser Sache auf dem Status Quo verharren, denn nach einer aktuellen Studie sind rund 83 % der Deutschen für eine Öffnung der Ehe für alle und rund 95% befürworten ein gesetzliches Antidiskriminierungsverbot für LGBTQ-Menschen. Aber in diesen Tagen wird in Deutschland Geschichte geschrieben, denn gerade gestern wurde bekannt, dass die Ehe für alle noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden soll.  Und die Chancen stehen gut, dass sie tatsächlich beschlossen wird und damit ein Grundrecht für alle zugänglich wird.

Eliott: Hmm, jetzt verstehe ich, was Sie mit Gleichberechtigung meinen. Das ist ein bisschen wie die Frauenrechtsbewegung, nur halt für Menschen anderer sexueller Orientierung. Gleiche Rechte für alle Menschen.

Übrigens, falls Sie sich fragen, ich hab keine Angst, dass mich Victor irgendwie zu seinem Lebensstil bekehren wollen oder mir eine „Gehirnwäsche“ verpassen. Dazu sind sein Freund und er beide viel zu englisch, finde ich. (Er lacht.) Immer höflich und diskret. Außerdem hab ich mir in meinem ganzen Leben noch nichts aufschwatzen lassen und ich lasse mich auch nicht zu Dingen überreden, mit denen ich nichts anfangen kann. Man kann nicht dazu gemacht werden, etwas zu sein, was man nicht ist, das ist meine feste Überzeugung. Victor sagte ja auch schon, man wird so geboren. Außerdem, seit dem was wir zusammen schon erlebt und durchgemacht haben, sind wir alle Freunde geworden. Obwohl wir so unterschiedlich sind. Ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber ich finde, Freunde sollten zusammenhalten.

Victor hebt sein Sektglas.

Victor: Lassen Sie uns darauf anstoßen. Auf die Freundschaft, über alle Grenzen und Unterschiede hinweg!

Wir prosten ihm mit eben diesen Worten zu.

Ein gutes Schlusswort, finde ich. Vielen Dank für dieses Interview und eine gute Heimreise zurück in Ihre eigene Zeit.

Anmerkungen:
* historische englische, negativ behaftete Begriffe für schwulen Sex, z.B. Analverkehr
** Mit Memoiren ist natürlich die Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ gemeint. 😉
*** 1840: Letzte bekannte Hinrichtung wegen männlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen in Großbritannien, die Todesstrafe bleibt aber bis zur Gesetzesreform 1861 theoretisch möglich und wird erst 1861 durch Gefängnisstrafen ersetzt.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_LGBT#Neuzeit)

Ein Kommentar vom 27.6. zur Öffnung der Ehe für alle:
http://www.queer.de/detail.php?article_id=29148