Interview mit Noah Stoffers

Noah Stoffers, Foto © Marco Ansing

Interview mit Noah Stoffers

Lesezeit: ca. 7 Minuten

Amalia: Hallo Noah, danke, dass du dir die Zeit nimmst für ein Interview. Du bist als Autor*in und Lektor*in tätig. Was gefällt dir an diesen beiden Tätigkeiten besonders? Und magst du das eine lieber als das andere?

Noah: An beiden Tätigkeiten liebe ich die Arbeit mit Geschichten und mit Sprache. Was sie unterscheidet, ist die Perspektive. Beim Schreiben meiner eigenen Romane bin ich automatisch tiefer in der Geschichte. Ich kenne sie irgendwann in- und auswendig. Im Lektorat schaue ich von außen auf eine Geschichte, die jemand anderes geschrieben hat, und kann auf inhaltlicher und stilistischer Ebene Hinweise zur Überarbeitung geben.

Ich liebe es schon sehr, meine eigenen Geschichten zu schreiben. Gleichzeitig merke ich bei einem neuen Lektorat immer wieder, wie bereichernd es sein kann, an anderen Geschichten mitzuarbeiten. Das hat auch mein eigenes Schreiben verändert.

© Droemer Knaur Verlag, Buchcoverdesign: © Alexander Kopainski

Amalia: Deinen neuen Urban-Fantasy-Roman „Cage of the Moon“, der im Januar 2026 erscheint und vorbestellbar ist, durfte ich testlesen und finde ihn schön divers, du gehst auch auf unterschiedliche Kulturen ein, wie es zu einer multikulturellen Stadt wie San Francisco sehr gut passt. Wie hast du für den Roman recherchiert? Und bist du selbst schon mal in San Francisco gewesen?

Noah: San Francisco ist schon seit langem ein Traumziel von mir, aber ich war noch nicht dort. Ich habe einerseits viel zur Stadt recherchiert, durch Reiseberichte, Dokumentationen oder auch Vlogs von Bewohnern, die ihre Heimat online zeigen. Und ich wollte andererseits gerne Figuren, die San Franciscos Vielfalt widerspiegeln. Dafür habe ich zum Beispiel das Buch „American Brujeria: Modern Mexican American Folk Magic“ von J. Allen Cross gelesen oder auch Reportagen von Amerikaner*innen mit Migrationsgeschichte gesehen. Andere Sachbücher handelten zum Beispiel von der Darstellung von Vampiren im Laufe der Zeit oder von Alcatraz, das ein wichtiger Schauplatz ist. Auch Food- und Festivalblogs waren eine wichtige Inspiration. Außerdem hatte ich das Glück, dass ich von dir und auch von meiner Lektorats-Person, Lian Stollenwerk-Ganssehr wertvolle Anmerkungen bekommen habe.

Amalia: Stark, wie viel Recherche in deinem Roman steckt. Wie bist du auf die Idee zu für die Geschichte gekommen?

Noah: Den Anstoß hat ein Gespräch mit meiner damaligen Lektorin Jacqueline Wagner nach einer Lesung gegeben. Wir hatten uns über Vampir- und Werwolf-Romane unterhalten und über die Chancen, polyamore Geschichten zu schreiben. Ich wollte schon lange eine Liebesgeschichte zwischen mehr als zwei Personen schreiben und ich habe Werwölfe sehr gern. Hauptsächlich, weil ich in Pen-&-Paper-Runden regelmäßig Werwölfe gespielt habe. Vampire waren ein neues Feld für mich, aber ich wollte gern eine Heldin haben, die mindestens genauso stark ist, wie die beiden männlichen Hauptfiguren.

Gabhán, Honora und Dan. Charkterportraits
© @jessamyart

Amalia: Das ist dir aus meiner Sicht fantastisch gelungen. Welche Figur im Roman, abgesehen von deinen drei Hauptfiguren, magst du besonders, und warum?

Noah: Es hat tatsächlich Spaß gemacht, den Antagonisten Ryder Mallroy zu schreiben, der ein ziemliches Ekelpaket ist. Und ich bin ein großer Fan von Dans Kollegin, einer Art magischer Polizistin, die alleinerziehende Mutter ist, Mode liebt und sich von niemandem herumschubsen lässt.

Amalia: Mit deinem Dark-Academia/Fantasy-Roman „A Midsummer’s Nightmare“, den ich sehr empfehlenswert finde, warst du auf der Spiegel-Bestseller-Liste. Was war das für ein Gefühl für dich?

Noah: Vielen Dank für das liebe Kompliment! Die Nachricht von der Platzierung auf der Bestseller-Liste habe ich im ersten Moment überhaupt nicht geglaubt. Ich fragte sogar zurück, ob da nicht vielleicht ein Irrtum vorliegen würde, weil ich es für ausgeschlossen gehalten habe. Danach war ich aber ungeheuer glücklich. Obwohl der orange Bestseller-Sticker ja nichts über die Qualität eines Buches aussagt, tut er einiges für die Sichtbarkeit. Deshalb war das schon lange ein großer Traum von mir. Die Nachricht kam am Nachmittag meines Geburtstags an: Ich habe sehr aufgeregt meine Eltern angerufen und war dann noch eine Weile völlig aus dem Häuschen.

Amalia: Das freut mich sehr für dich. Was steht als nächstes für dich an? Schreibst du an einem neuen Projekt (falls du schon etwas darüber verraten kannst) oder arbeitest du eher an Lektoraten oder etwas anderem?

Noah: Ich habe schon zwei Romanideen, die ich sehr gerne schreiben würde, da ist aber im Augenblick noch nichts spruchreif. Außerdem habe ich im Dezember das nächste Lektorat, vorher noch eine Lesung und hoffentlich ein Seminar. Als Selbstständig*er habe ich meistens mehrere Bälle in der Luft und arbeite oft an mehr als einem Projekt.

Amalia: Du gibst auch manchmal Workshops für Autor*innen zum Thema Schreiben von trans und nichtbinären Figuren, bzw. queere Repräsentation. Was für Erfahrungen hast du damit gemacht? Schreibe auch gern, wo man deine Workshops finden kann.

Noah: Das ist eine Arbeit, die ich sehr gern mag. Gerade durch den Austausch in den Workshops. Ich gestalte sie in der Regel so, dass es einen Vortrag gibt und danach oder zwischen zwei Vortragsblöcken Diskussionen und gemeinsame Aufgaben. Meistens kommen da Menschen mit unterschiedlichen Vorkenntnissen und Lebenserfahrungen zusammen – was oft zu spannenden Gesprächen führen kann. Besonders oft werde ich zur Darstellung von queeren Figuren gebucht. Aber ich gebe auch sehr gern Fortbildungen rund um den Weltenbau.

Am 8. November 2025 gebe ich zum Beispiel ein Seminar für die Bücherfrauen zu queerer Repräsentation in den Medien.
https://www.buecherfrauen.de/termine/artikel/diversitaet-in-romanen-queere-repraesentation-1

Und zusammen mit Victoria Linnea und Nora Bendzko arbeite ich gerade im Hintergrund an einer Seminarreihe. Dafür gibt es hier eine unverbindliche Warteliste:
https://www.victorialinnea.de/diversitaet101-warteliste

Amalia: Apropos Diversität – sprechen wir kurz über progressive Phantastik und Diversität. Was hat sich aus deiner Sicht in den vergangenen paar Jahren diesbezüglich auf dem Buchmarkt verändert? Ist die Phantastik zumindest teilweise progressiver geworden oder war mehr Diversität in der Literatur nur eine Art kurzer Trend?

Noah: Ich habe schon den Eindruck, dass Bücher mehr Diversität zeigen als vor zehn Jahren und dass die Repräsentation auch immer besser gelingt. Sowohl bei deutschsprachigen Autor*innen als auch bei Übersetzungen sehe ich mehr Own-Voice-Romane und auch viele Autor*innen, die sich sichtlich um gute Repräsentation bemühen. Ich glaube, das ist die stärkste Veränderung. Gleichzeitig ist Progressivität in den Medien generell eher ein Marathon als ein Sprint. Die Strukturen in den Verlagen verändern sich nicht so schnell und der Markt ist nicht von jetzt auf gleich ein komplett anderer.

Er ist gefühlt in den letzten Jahren sogar noch härter, noch schnelllebiger geworden – was natürlich gerade mit zum Beispiel chronischen Erkrankungen, geringem Einkommen oder als Alleinerziehende kaum zu stemmen ist. Also können Marginalisierte härtere Produktionsbedingungen im Zweifel noch schlechter wegstecken.

Und natürlich schreibt auch nicht die gesamte Buchbranche nur noch Romane voller Diversität. Viele Alteingesessene bleiben seit Jahren ihren Themen treu und haben schlicht kein Interesse an progressiven Büchern. Manche lehnen sie sogar regelrecht ab, vielleicht weil sie sich von dieser Entwicklung bedroht fühlen.

Also ich würde sagen, es gibt einen merklichen Fortschritt – aber eben auch noch Luft nach oben.

Amalia: Wenn du zwei Wünsche frei hättest, was würdest du dir von Leser*innen und dem deutschsprachigen Buchmarkt wünschen?

Noah: Von den Lesenden würde ich mir wünschen, dass sie sich auf Bücher einlassen, die die Lebensrealität von Marginalisierten oder schlicht anderen Kulturen abbilden – gerade auch dann, wenn es mit Gewohnheiten bricht und vielleicht mal herausfordernd ist. Bitte gebt diesen Büchern eine Chance! Und wenn sie euch gefallen, dann feiert sie genauso, wie berühmte Titel.

Vom Buchmarkt würde ich mir wünschen, dass er anfängt, seine Strukturen aufzubrechen. Wir stecken alle in finanziellen Zwängen, aber wenn Autor*innen unter dem Druck, gleichzeitig im Akkord zu schreiben und ihre Bücher zu bewerben, zusammenbrechen, dann hat der Buchmarkt dauerhaft nichts davon. Gebt uns mehr Zeit und mehr Unterstützung beim Marketing. Gerade auch bei ungewöhnlichen Ideen, die vielleicht ein Risiko darstellen.

Amalia: Danke für deinen Aufruf an die Lesenden und den Buchmarkt. Gibt es noch etwas, was du gern ansprechen möchtest?

Noah: „Cage of the Moon“ ist mein erster romantischer Fantasy-Titel. Ich habe großen Respekt davor, über Liebe, Romantik und Bettgeflüster zu schreiben. Gerade, weil es keine Kleinigkeit ist, diese Gefühle in Worte zu packen. Aber natürlich wird es auch wieder Geheimnisse, Verbrechen und einen magischen Weltenbau geben. Der Roman erscheint Mitte Januar 2026 und ich bin schon sehr gespannt darauf, wie er den Lesenden gefällt.

Herzlichen Dank, dass du ihn noch in der ersten Fassung gelesen hast. Das hat definitiv Spuren auf den Seiten hinterlassen. Und vielen Dank für das Interview!

Amalia: Vielen Dank auch von mir für das Vertrauen beim Testlesen und dass du dir die Zeit für das Interview genommen hast. Last but not least: Wo kann man dich online finden? (Deine Webseiten und/oder Social Media Profile)

Noah:

Am ehesten auf Instragram: https://www.instagram.com/noah.stoffers

Aber auch hier:

Threads: https://www.threads.com/@noah.stoffers

TikTok: https://www.tiktok.com/@noah.stoffers

Lektorats-Webseite: https://www.textpfade-lektorat.de/

Bücher
Die Verlagsseite von „A Midsummer’s Nightmare“
https://www.droemer-knaur.de/buch/noah-stoffers-a-midsummer-s-nightmare-9783426530177

Die Verlagsseite von „Cage of the Moon“
https://www.droemer-knaur.de/buch/noah-stoffers-cage-of-the-moon-9783426564752

Bücher von Noah Stoffers im Amrûn Verlag:
„Berlin – Rostiges Herz“ https://amrun-verlag.de/produkt/berlin/

„Berlin – Magische Knochen“ https://amrun-verlag.de/produkt/berlin-magische-knochen-band-2/

Vorstellung der Aktion #DiversityDienstag

Jüngst gab es einen Skandal mit dem rechtskonservativ ausgerichteten „Aktionsbündnis Fantastik und Gesellschaft“. Die betreffende Webseite wurde mittlerweile vom Netz genommen wurde, aber das Manifest und die Erstunterzeichnenden sind immer noch auf einem Yopad und im Web Archive online lesbar – das Internet vergisst nicht.

Das alles hat mich zum Nachdenken gebracht und ich habe mir folgende Hashtag-Aktion überlegt: den #DiversityDienstag.

Ich schreibe seit 7.10. 2025 dienstags über progressive Phantastik, andere Genres sowie progressive Sachbücher und gebe Tipps oder teile Blogbeiträge von mir.

Nach dem Motto, wir müssen lauter sein als rechtskonservative und rechtsextreme Autor*innen, Verleger*innen und andere Leute mit diesen Einstellungen.

Aber ich möchte die Aktion gern noch weiter fassen. Von daher, wenn euch die Themen Diversität, Inklusion und Repräsentation in irgendeiner Form beschäftigen, macht gern ebenfalls dienstags mit und nutzt den Hashtag in euren Social Media.

Bitte beachten: Anders als bei mehreren Hashtag-Aktionen in Social Media gibt es KEIN vorgegebenes wöchentliches Thema. Schreibt bitte einfach dienstags mit dem Hashtag zu den Themen rund um Diversität, Inklusion, Repräsentation, progressive Bücher und Verwandtes, was euch in dieser Hinsicht bewegt.

Diesen Beitrag sehr gern teilen. Ihr könnt auch das Bild aus diesem Beitrag gern verwenden.

5 Strategies Against Fascism

Reading time: 4 minutes.
This is a summary I have written of part of the (German) podcast episode “What if there is fascism tomorrow?“ by Marina Weisband, Podcast “Wind und Wurzeln“ (“Wind and Roots“). There are several quotes of Marina (in italics). With kind permission from Marina Weisband, I have translated this summary from German into English.

Stay Human.
Always think about the human rights; they apply to all humans.
Keep your love deep inside your heart, for your family, for the world, for the animals, for nature, for whatever ignites love and joy inside of you.“

Check whether what you are being told (including in the news, on social media, etc.) is consistent with your values or whether it violates human dignity. Reflect on yourselves; view the world with a critical eye.

Create Beautiful Things.
Create poems, art, literature, music, or stories. Go pick some flowers. Invite your friends to a meal. Think of the children’s book “Frederick“ by Leo Lionni.
It is the beautiful things that help us through dark times, often small things (…) Dance. Laugh.“

Organize.
If there is one antidote against fascism, it is solidarity.“
Show solidarity to other people, also and especially to marginalized folks.
Solidarity is not only one of the best antidotes against fascism, but also against neoliberal ideologies, which like to have us as individualistic lone fighters. Everywhere where people support each other in solidarity, they show already now that there is a better future for everyone. Every form of solidarity, be it small or big, improves life immediately.“

Community spirit and trust in each other play a big part in this, whereas fascism thrives when everyone mistrusts everyone else.

Form “non-movements“, who act in unsuspicious places, exchanging goods and ideas – in associations, congregations, synagogues, mosques, while playing music together or other activities. Using small codes, other anti-fascists might recognize each other, for instance a rainbow-colored bracelet, a hairstyle, or something else.

You do in private what you can’t do publicly anymore, sharing banned books, music, art, and, essential, also humor.“ For this, you need “places that the fascist regime cannot control or enter. Where it cannot monitor what the people are doing there.“ This is why protest against mass surveillance (like of Palantir) is so important.

Create alternative channels of information.
The internet as we know it today won’t be like that in fascism. It will be censored. Whole platforms will be shut down. Just look at China, if you want to get an idea.“

An obvious method is word-of-mouth information sharing, or stickers and flyers with hidden messages. There are various technical possibilities for alternative channels of information.

That is why Marina Weisband suggests that you contact your local hacker spaces (“Embrace the hackers whom you trust.“) Another method is “decentralized ad-hoc networks where information is transported from one mobile end device to the next and so on.“

Sabotage.
You could call it hacking fascism.“
The hacker collective Anonymous launched a cyberwar against the Kremlin following the invasion of Ukraine. But also in your everyday life, you can do small things without much time and effort and without putting yourself at risk.

You could, for instance take your time looking for your ticket when the conductors on public transportation try to find fare dodgers. You could feign comprehension difficulties or clumsiness at authorities or stay longer at the restroom than necessary. Small things that disturb agencies, bureaucratic processes, police officers, or other representatives of the regime in their work. Also take a look at the appendix, at “The Simple Sabotage Field Manual“.

A conclusion by Marina that gives me hope: “Fascism always destroys itself, it is not a stable political system.“

About Marina Weisband
(translated from her website)
Marina Weisband is a certified psychologist and participatory educator. She runs the [German] “Aula Project“ on student participation and speaks at events and in public media about her work and topics such as political participation, digital society, media, and crises.

Appendix
The podcast episode in German, “Was, wenn morgen Faschismus ist?“
https://wind-und-wurzeln.podigee.io/2-new-episode

Marina Weisband’s Website (also in German): https://marinaweisband.de/

“The Simple Sabotage Field Manual“
https://en.wikipedia.org/wiki/Simple_Sabotage_Field_Manual
A quote from the wikipedia page: „The “Simple Sabotage Field Manual“ is a document written by the Office of Strategic Services in 1944. The manual was declassified by the Central Intelligence Agency in 2008. The manual was distributed to OSS officers in foreign countries in order to help them train “citizen-saboteurs” in German-occupied Europe.“

At the time I am writing this in late October 2025, you can read and download the manual here:
https://www.cia.gov/static/5c875f3ec660e092cf893f60b4a288df/SimpleSabotage.pdf

#DiversityDienstag: Solarpunk

eine von vielen verschiedenen Solarpunkflaggen. Bildbeschreibung: Die Flagge ist grün und gelb, mit einer austrebenden Diagonale. Darin eingebettet ist eine runde, halbierte Form, oben mit einer stilisierten gelben Sonne, unten mit einem stilisierten Zahnrad auf grünem Untergrund

Lesezeit: ca. 3 Minuten

Solarpunk ist nicht nur ein literarisches und künstlerisches Genre, irgendwo zwischen Science-Fiction und Utopie mit positiven Zukunftsvisionen, sondern auch eine wachsende gesellschaftliche Bewegung weltweit, die nicht zentral organisiert ist. Das hat sie übrigens gemeinsam mit dem Paganismus/Heidentum und der Hexen-Community, aber ich schweife ab. Solarpunk-Beiträge finde ich viele im Fediverse – zumindest für den deutschspr. und englischspr. Raum, andere sind für mich persönlich wegen der Sprachbarrieren nicht accessible.

Was die Fiktion und auch Kunst angeht, aber auch weitere Informationen zu Solarpunk, kann ich die Story Seed Libary empfehlen. Diese wurde in mehrere Sprachen übersetzt, hoffentlich auch später ins Deutsche: https://storyseedlibrary.org/

Dort gibt es Kunst und Ideen für Geschichten. Die Kunst ist von menschlichen Künstler*innen gemacht, frei von KI-generiertem Slop und darf unter bestimmten Bedingungen genutzt werden. Mehr darüber hier: https://storyseedlibrary.org/pages/about/

Ein englischsprachiges Video mit vielen schönen Bildern, das gut erklärt, was Solarpunk ist, stammt von Andrewism (4,5 Minuten):

Lesenswert ist auch dieses „Solarpunk Manifesto“:
https://storyseedlibrary.org/essays/solarpunk-manifesto/

Ich zitiere daraus:
„Solarpunk embraces a diversity of tactics: there is no single right way to do solarpunk. Instead, diverse communities from around the world adopt the name and the ideas, and build little nests of self-sustaining revolution.“

Übersetzung: „Solarpunkt umarmt eine Vielfalt an Taktiken: Es gibt nicht die eine richtige Art, Solarpunk zu sein oder zu machen. Stattdessen gibt es vielfältige Communities weltweit, die den Begriff und die Ideen für sich nutzen und kleine Nester einer selbstversorgenden Revolution bauen.“

Einige Beispiele für Möglichkeiten, wie sich das umsetzen lässt:

  • Foodsharing
  • Tauschbörsen und -partys, bzw. Tauschgeschäfte allgemein
  • Visible Mending
  • Reparaturcafés
  • Upcycling und DIY (letzteres vor allem mit recycelten Materialien, bzw. nicht alles neu gekauft)
  • Guerilla Gardening
  • Permakulturen
  • eher Second-Hand-Kleidung, nachhaltige oder selbstgenähte Kleidung anstatt von Fast Fashion
  • Antikapitalistische und antifaschistische Aktivitäten
  • Materialien oder Werkzeuge verleihen
  • Vegetarisch oder vegan leben
  • Selbstversorgung: im eigenen Garten oder auf dem Balkon Obst, Gemüse oder Kräuter anbauen und mit seiner Community teilen (wenn die Ernte gut ausfällt und etwas übrig bleibt zum Teilen)
  • Solarpanele und Wärmepumpen, sowie andere Formen erneuerbarer Energie
  • generell Nachhaltigkeit aller Art
  • Alternativen zu großen Konzernen (z.B. Meta, Amazon, Spotify …) nutzen
  • Nachbarschaftstreffen, bei denen man schaut, welche Nachbar*innen Hilfe benötigen oder wie man sich gegenseitig unterstützen kann
  • Umwelt- und Tierschutzaktivitäten
  • Demonstrationen und andere politische Tätigkeiten für Social Justice, Klima- und Umweltschutz

Vielleicht macht ihr selbst auch einiges davon? Wer weiß, vielleicht schlummert auch in euch ein Solarpunk …

Ein weiteres Zitat aus dem Manifest: „Solarpunk culture includes all cultures, religions, abilities, sexes, genders and sexual identities.“

Übersetzung: „Die Solarpunk-Kultur schließt alle Kulturen, Religionen, Fähigkeiten, (Menschen aller) sexuellen Orientierungen, Gender und sexuellen Identitäten mit ein.“

Ihr seht, Solarpunk ist ein Diversitätsthema. Und das alles macht mir Hoffnung. Apropos Hoffnung, es gibt im Solarpunk auch Überschneidungen zum Genre Hopepunk (1)

Zum Thema belletristische Bücher:
Im deutschsprachigen Raum weiß ich bisher von zwei Anthologien, die sich mit Solarpunk befassen:
„Sonnenerwachen – Facetten des Aufbruchs“ hrsg. von Karl-Heinz Zimmer und Saskia Dreßler
und „Sonnenseiten – Streetart trifft Solarpunk“ https://muenchnerschreiberlinge.com/anthologie/sonnenseiten/

Im englischsprachigen Raum hat z.B. Susan Kaye Quinn mehrere Solarpunk-Romane geschrieben, siehe: https://susankayequinn.com/

Susan ist auch im Fediverse sehr aktiv: @susankayequinn@wandering.shop

Fußnote:
(1) Was Hopepunk ist, wird z.B. hier erklärt:
https://www.vox.com/2018/12/27/18137571/what-is-hopepunk-noblebright-grimdark

Ein Zitat über Hopepunk, das aus meiner Sicht auch zu Solarpunk passt:
„Hopepunk is about fighting for a better future and taking action and doing radical kindness.“
(Alexandra Rowland)
Beispiele für Hopepunk-Romane im deutschsprachigen Raum ist „Wasteland“ von Judith und Christian Vogt, sowie die Fortsetzung „LayLayLand“.

Warum wird die LGBTIAQ*-Community von Verfechtern des Patriarchats so sehr als Bedrohung gesehen?

Die Disability Progressive Pride Flagge

Ein Beitrag für die Aktion #DiversityDienstag
Lesezeit: ca. 8 Minuten

Inhaltswarnung: Queerfeindlichkeit, auch Transfeindlichkeit, normative Vorstellungen, Gewalt gegenüber queeren Menschen in der Vergangenheit und heute.

Die kurze Antwort auf meine Ausgangsfrage lautet: Weil die LGBTIAQ*-Community mit traditionellen Rollenbildern/Genderrollen bricht.

Nun etwas ausführlicher:

Heteronormativität
Wir leben in einer Gesellschaft, in der Heterosexualität als das „Normale“ betrachtet wird, der „Standard“. Alles, was davon abweicht, wird von Verfechtern des Patriarchats häufig mit Misstrauen betrachtet, sanktioniert, lächerlich gemacht, diskriminiert oder Schlimmeres.
Auf dem Papier haben wir alle die gleichen Rechte, aber die sexuelle Orientierung und die Gender-Identität sind immer noch nicht entsprechend im Grundgesetz verankert. Ich zitiere aus einem aktuellen Artikel: „Die Grünen und der Bundesrat wollen Artikel 3 des Grundgesetzes um das Merkmal der „sexuellen Identität“ ergänzt wissen. Eine Mehrheit dafür ist aber nicht in Sicht.“ (1)

Breaking the binary
Nichtbinäre Menschen sprengen nicht nur die althergebrachten Vorstellungen über Männer und Frauen, sondern auch das binäre System von „Mann“ und „Frau“. Einfach völlig unvorstellbar für viele cis Menschen, leider.

Smash the Cistem
Trans Menschen brechen ebenfalls aus diesem System aus, zum Beispiel, aber nicht nur, mit geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Sie fügen sich also, wie auch nichtbinäre Leute, nicht in die Geschlechterrolle, die das Patriarchat ihnen vorschreibt.
Ich wage mal die Vermutung zu äußern, dass viele TERFs (2) unbewusst oder bewusst sehr frustriert sind mit dem Ausleben ihrer starren Geschlechterrollen und was das für sie bedeutet – sie projizieren dann ihre Frustration auf andere und so suchen sie sich Sündenböcke, an denen sie sich abarbeiten können, insbesondere trans Frauen und trans Männer.

Feminine Männer, maskuline Frauen?
Der Ausdruck von Queerness ist vielfältig und viele Queers sind gender-nonconforming,
das heißt, sie präsentieren sich ihrer Umwelt nicht so, wie es traditionelle Genderrollen vorschreiben. Beispiele: Frauen und FLINTA* (3)-Personen mit kurzen Haaren und „maskulin“ erscheinender Kleidung, Männer, die langes Haar und Nagellack oder auch Make-up tragen, Röcke anziehen … Aber auch manche cis heterosexuelle Menschen sind auf diese oder andere Weise gender-nonconforming.

Von Verfechtern des Patriarchats (ich lasse das mal so gegendert) wird aber all das schon als eine Bedrohung betrachtet. Entsprechend geraten z.B. auch Drag Queens und Drag Kings unter Beschuss.

Und ich spreche hier nicht nur vom Äußeren, sondern auch vom Verhalten.
Männern, die weinen und sich nicht dafür schämen, sondern einen guten Zugang zu ihren Gefühlen haben? Frauen, die eine Kampfsportart machen oder aggressiv auftreten? Das gilt im Patriarchat als unmännlich bzw. unweiblich. Stattdessen versuchen uns Influencer*innen zu verkaufen, was ein „richtiger Mann“ sei oder wie Frauen zu sein hätten. In esoterisch-spirituellen Kreisen wird das dann auch als „devine feminine“ und „devine masculine“ angepriesen, aber mit einer tiefgründigen spirituellen Entwicklung haben die entsprechende Ratschläge wenig zu tun, sondern eher mit völlig überholten Rollenbildern wie aus den 1950ern.

Küche, Kinder, Kirche?
Während es den wachsenden, toxischen Trend der „Trad Wives“ (vor allem, aber nicht nur, in USA) gibt, entziehen sich Queers auch hier den klassischen Rollenbildern. Einige gründen Regenbogenfamilien und das wird, ihr könnt es euch schon denken, auch als Bedrohung gesehen, denn wo kommen wir denn dahin, wenn zwei Frauen oder zwei Männer oder nichtbinäre Personen gemeinsam ein Kind aufziehen, oder ein trans Mann ein Kind gebärt? (Ja, das war Sarkasmus.)
Andere Queers wollen gar keine Kinder haben – und, Überraschung, es gibt auch cis heterosexuelle Menschen, die keine Kinder haben möchten oder generell lieber Single sein wollen. In authoritären Regimes und im Kapitalismus ist das unerhört, und ich werde nun polemisch – Regimes und der Kapitalismus brauchen schließlich ständigen Nachschub an Leuten, die sie ausbeuten können: z.B. als Soldat in Kriegen oder als billige Arbeitskraft und natürlich auch Menschen – häufig, nicht immer, cis Frauen –, die unbezahlte Care-Arbeit machen.
In der Popkultur wird die heteronormative, mononormative Kernfamilie – Mutter, Vater, Kind(er) –als das einzig Wahre propagiert. Immer wieder geht es in Filmen und Serien darum, dass die Familie das Wichtigste sei, dass sich Paare nach Konflikten wieder zusammenraufen, weil sie ihre Familie zusammenhalten „müssen“. Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien oder andere alternative Familienformen werden so gut wie nie gezeigt.

Internalisierte Queerfeindlichkeit
Einige queere Menschen, insbesondere cis Männer, haben eine so starke internalisierte Queerfeindlichkeit, dass sie gewalttätig oder aggressiv gegenüber anderen Queers werden. Das ist ein psychologisches Phänomen, zu dem sich ein eigener Blogbeitrag schreiben ließe. Als im Jahr 2016 im Club Pulse in Orlando, Florida 49 Menschen ermordet wurden, kam die Frage auf, ob der Täter möglicherweise seine internalisierte Queerfeindlichkeit durch dieses Verbrechen ausagierte. (4)

Amatonormativität
In einer Welt, in der Romantik als das höchste der Gefühle verkauft wird und als absolut erstrebenswert gilt, stellen aromantische Menschen den Status Quo in Frage. Und dass Romantik keineswegs nur eine private, sondern auch eine gesellschaftliche Angelegenheit ist, zeigt unter anderem dieses Video von Ace Dad Advice: „WTF is Romance anyway?“ (5)

Allosexualität bzw. Allonormativität
In einer Welt, in der angeblich alle Menschen ein starkes Interesse an Sex haben, bzw. eine starke Libido (solche Menschen werden auch als allosexuell bezeichnet) … ihr könnt es euch schon denken, Leute auf dem asexuellen Spektrum stellen auch hier den Status Quo in Frage.
Und dass etwas so Privates wie Sex auch eine gesellschaftliche und politische Dimension hat, zeigt sich unter anderem an Fragen wie: Wer darf Sex mit wem haben? Ich erinnere daran, dass queere Sexualität, insbesondere cis-männliche Homosexualität, in vielen Ländern lange Zeit als Straftat galt oder bis heute gilt. Oder entsprechende Strafen wurden wieder eingeführt. Weitere Fragen könnten sein: Wie darf Sexualität dargestellt werden? Wie sind die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen – falls sie überhaupt dieser Tätigkeit nachgehen dürfen? Zu diesem Thema gibt es ganze Bücher.

Mononormativität
Für Verfechter des Patriarchats wird alles als Bedrohung betrachtet, dass das Konzept „Eine (Liebes-)Beziehung oder Ehe besteht aus zwei Personen“ in Frage stellt. Alles andere – offene Beziehungen, Polyamorie, Beziehungsanarchie ist im Patriarchat undenkbar und wird dahingehend sanktioniert, dass Menschen z.B. nur eine Person heiraten können.

Toxische Maskulinität
Im Patriarchat wird an toxischer Maskulinität festgehalten. Dabei schadet diese allen, nicht nur Frauen und FLINTA*s, sondern auch den Männern selbst. Einen guten Beitrag über dieses Thema gibt es z.B. von Rising Gaze auf Instagram. (6)

Und leider wird toxische Maskulinität immer noch in der Popkultur massiv beworben sozusagen: In der Dark Romance und in anderen Genres werden toxische Beziehungen (oft mit Stalking, Entführung und ähnliches) oft ohne differenzierte Betrachtung romantisiert (7). Im weiten Feld von Thrillern, Actionfilmen und entsprechenden Games wird praktisch immer Gewalt, bis hin zu Mord, als das oftmals einzige Lösungsmittel für Konflikte dargestellt.

Auch werden Männer in der Popkultur häufig als hypermaskulin dargestellt. Schauspieler, die sich wochenlang quälen müssen, damit sie Muskeln aufbauen bzw. einen Sixpack bekommen, können vermutlich ein Lied davon singen. Dass dieses hypermaskuline Aussehen in den meisten Fällen ein unrealistisches Bild zeichnet, muss ich hoffentlich nicht erklären. Männer hingehen, die irgendwie „feminin“ wirken, sei es im Verhalten, innerliche Befindlichkeit oder Aussehen, werden als unmännlich betrachtet und ihnen wird häufig mit queerfeindlichen Slurs begegnet.

Das Sonderregister
In den letzten paar Jahren gab es weltweit einen massiven rechten Backlash gegenüber queerem und queerfeministischem Aktivismus, da erzähle ich euch nichts Neues. Patriarchale Strukturen sind gewalttätig, sie drehen sich sehr stark um Macht und Kontrolle. Eine Form dieser Kontrolle war das von der Bundesregierung ursprünglich geplante Sonderregister. Ich zitiere aus einer Campact-Petition, die sich gegen das Sonderregister wandte und über eine Viertelmillion Unterschriften erzielte:

Hallo, ich bin Penelope Alva Frank, Transfrau, queerfeministische Aktivistin und Gründerin der queerfeministischen Bewegung Queermany.

Ich weiß, wie es ist, jeden Tag Blicke, Sprüche und Angriffe auszuhalten, nur weil ich trans bin. Ich erlebe Queerfeindlichkeit auf der Straße, online und sogar in meinem Aktivismus wie bei, Polizei Gewahrsam 2023 und ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert, wenn falsche Polizisten oder Behördenmitarbeiter Zugriff auf mein früheres Geschlecht haben.

Die geplante Verordnung bedeutet: Trans*, inter* und nicht-binäre Menschen sollen dauerhaft markiert bleiben – bei jeder Behörde, bei jeder Abfrage, unabhängig davon, ob wir das wollen. Während bei Heirat oder Adoption der frühere Name oft keine Rolle mehr spielt, soll hier ein Sonderregister etabliert werden, das gezielt Informationen speichert und weiterleiten darf. 

Wir wissen aus der deutschen Geschichte:

  • Jüdinnen und Juden wurden systematisch erfasst, um sie sichtbar zu machen, auszugrenzen und zu verfolgen.
  • Queere Menschen standen jahrzehntelang auf Listen, wurden mit § 175 kriminalisiert, eingesperrt und erpresst.
  • Listen machen Minderheiten verletzlich – damals wie heute.

Mir ist wichtig: Ich setze diese grausamen Verbrechen nicht gleich mit heute. Aber ich weiß, wohin Sonderregister führen können, wenn Gesellschaften kippen und Hass stärker wird. Und gerade jetzt, in Zeiten täglicher queerfeindlicher Hetze, macht mir das Angst: Solche Listen könnten Missbrauch ermöglichen und als Transfrau wäre ich dann noch weniger sicher.“ (8)

Im rechten Backlash und von den Verfechtern des Patriarchats werden gezielt Feindbilder aufgebaut, Sündenböcke gesucht und queeren Menschen, die einfach nur friedlich auf ihre persönliche Weise existieren wollen, werden ihre Menschenrechte abgesprochen.

Und deshalb brauchen wir weiterhin Pride-Demos und müssen weiter für unsere Rechte kämpfen. Danke fürs Lesen. Dieser Beitrag darf gern geteilt werden.

Fußnoten

(1) siehe: https://www.das-parlament.de/inland/recht/sexuelle-identitaet-soll-ins-grundgesetz

(2) TERF ist eine Abkürzung für Trans Exclusionary Radical Feminist, also Feminist*innen, die trans Menschen aus ihrem Feminismus ausschließen. Ein sehr prominentes Beispiel dafür ist die Autorin und anti-trans Aktivistin JK Rowling.

(3) Die Abkürzung FLINTA* steht für Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Nichtbinäre, Trans, Agender. Der Genderstern steht für weitere Identitäten, die nicht cis-männlich sind.

(4) siehe zum Beispiel:
„Orlando Shooting Raises Questions About Internalized Homophobia and Violence
von April Dembosky
https://www.kqed.org/stateofhealth/199502/orlando-shooting-raises-questions-about-internalized-homophobia-and-violence

(5) https://www.youtube.com/watch?v=KC8i6buRMJ4

(6) siehe https://www.instagram.com/p/DPru2FFCIXn/ oder meinen Thread auf Mastodon:
https://mastodon.social/@amalia12/115368656708375210

(7) Zu diesem Thema habe ich einen eigenen Blogbeitrag:
https://amalia-zeichnerin.net/ueber-die-fatale-romantisierung-von-toxischen-beziehungen-und-anderen-problematischen-tropes-in-der-fiktion/

(8) siehe: https://weact.campact.de/petitions/kein-sonderregister-fur-trans-personen-nie-wieder-listen-gegen-minderheiten

Weiteres:
„Archaische Männerbilder als Kriegstreiber“ interessantes Interview mit Alexander Yendell, Soziologe. Audiobeitrag ca. 12 min:

https://www.deutschlandfunk.de/archaische-maennerbilder-als-kriegstreiber-alexander-yendell-soziologe-100.html

© Amalia Zeichnerin

Ich stelle meine Tätigkeit als Illustratorin ein

Nach längerer Überlegung beende ich meine selbstständige Tätigkeit als Illustrator*in.
Ich hatte mich in den letzten Jahren auf größtenteils handgezeichnete Fantasylandkarten und Charakterportraits spezialisiert. Meine Arbeitsproben könnt ihr auf Deviantart sehen:

Fantasylandkarten
Portraits aller Art

Aber es hat sich einiges geändert: In der buchigen Community werden leider zunehmend KI-generierte Bilder für Buchcover und Charakterportraits verwendet. Fantasylandkarten können ebenfalls ganz oder teilweise mit KI generiert werden oder mit entsprechenden Softwares hergestellt werden. Dabei wäre gerade bei mittelalterlich oder antik inspirierter High Fantasy eine handgezeichnete Karte besonders passend aus meiner Sicht. Aber gut, ich kann den Buchmarkt nicht als Einzelperson ändern, ich kann nur ändern, wie ich mit all dem umgehe. In diesem Jahr hatte ich keinen einzigen Auftrag für eine Fantasylandkarte oder ein Charakterportrait. Und deshalb höre ich nun auf.

Ich werde weiterhin in meiner Freizeit illustrieren, z.B. Fanart-Portraits, oder vielleicht wage ich mich mal an Solarpunk-Illustrationen ganz ohne Gewinnabsicht, wie es sie in der Story Seed Library gibt (ein starkes Projekt, finde ich):
https://storyseedlibrary.org/

An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an alle, die bei mir Fantasylandkarten oder Charakterportraits in Auftrag gegeben haben. Das hat mir viel Freude gemacht und es hat mich auch sehr gefreut, eure Buchprojekte auf diese Weise begleiten zu können.

Ich arbeite weiterhin als Autor*in und biete Lektorate und Sensitivity Readings an.
(Aktuell habe ich aber keine freien Kapazitäten.)

Ich wünsche mir mehr Solidarität mit Menschen, die mit Existenzminimum leben.

Am Montag, den 13.10. habe ich auf Instagram geschrieben:

Ein politischer Beitrag
Aktuell gibt es eine Petition von Innit: „Nein zu schärferen Sanktionen beim Bürgergeld: Das Existenzminimum ist nicht verhandelbar“. Diese Petition hat mittlerweile über 56.000 Mitzeichnungen erzielt. Das ist sehr gut.
Leider reicht das nicht. Aus folgendem Grund: Ein Bekannter von mir, der politisch tätig ist, schrieb mir: „allerdings wäre die Petition beim Bundestag nach meiner Kenntnis nicht nur besser, sondern auch der einzige Weg, überhaupt an eine Befassungspflicht zu gelangen. Andere Portale haben keinerlei Bindung gegenüber dem Parlament.

Was wir also brauchen, ist eine entsprechende Petition direkt für den deutschen Bundestag. Ich habe am Montag nachgeschaut, es gibt noch keine solche Petition dort. Ich würde selbst eine schreiben, aber dafür fehlt mir das Knowhow. Deshalb meine Frage in die Runde: Gibt es hier jemanden, der eine solche Petition schreiben kann, wenn der entsprechende Gesetzesentwurf vorliegt?
Mein Bekannter möchte das machen, aber eventuell schafft er es zeitlich nicht. Falls doch, teile ich seine Petition überall, wo es mir möglich ist.

Warum schreibe ich darüber? Ich selbst lebe mit Existenzminimum. Zwar beziehe ich kein Bürgergeld, sondern Grundsicherung (aufstockend zu meiner selbständigen Tätigkeit) und eine Erwerbsminderungsrente. Aber ich habe jahrelang Bürgergeld bekommen (als es noch Hartz IV hieß), weil ich aus gesundheitlichen Gründen nicht Vollzeit arbeiten konnte. Und ich könnte ein Buch darüber schreiben, was ich mit dem Jobcenter erlebt habe. Aber das wäre kein heiteres Buch, ganz im Gegenteil.

Soweit mein Instagram-Beitrag. Und hier weitere Überlegungen.

Nun sollen die Bürgergeldsanktionen so weit gehen, dass einem bei einer vollen Sanktion auch die Miete nicht mehr gezahlt wird. Damit droht mehr Menschen Obdachlosigkeit. Schon jetzt „waren zum Stichtag 31. Januar 2025 (…) in Deutschland nach den Meldungen von Kommunen und Einrichtungen rund 474 700 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht.“ (1) Das ist fast eine halbe Million und diese Zahl dürfte sich erhöhen, wenn die geplanten Änderungen tatsächlich umgesetzt werden.

Was das System Bürgergeld und die Jobcenter bzw. Agentur für Arbeit für Auswirkungen auf Betroffene hat, zeigt u.a. eine dreijährige Studie des Verein Sanktionsfrei e.V., siehe
https://sanktionsfrei.de/studie25

Diese gibt es auch als Kurzfassung zu lesen auf 3 Seiten.
Ich zitiere hier daraus einige Headlines.
1: Der Regelsatz von monatlich 563 € reicht laut großer Mehrheit der Befragten (72 %) nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen.
2: Der Wunsch vom Bürgergeld unabhängig zu werden ist stark ausgeprägt (74 %). Jedoch
sind nur Wenige zuversichtlich, dass sie auch eine Stelle finden werden, mit der sie den
Bürgergeldbezug beenden können (26 %).
3: Gesellschaftliches Stigma und Scham sind unter den Befragten sehr präsent.
Nur 12 % fühlen sich zur Gesellschaft zugehörig und 42 % geben an, dass sie sich schämen, Bürgergeld zu beziehen.“


Mit sozialer Gerechtigkeit haben die Pläne zu den Bürgergeldsanktionen nicht mehr viel zu tun.

Stattdessen werden hier Menschen zu Sündenböcken gemacht – obwohl es in Deutschland nur ca. 16.000 bis 17.000 Totalverweigerer gibt, die nicht mit den Jobcenter wie gewünscht mitarbeiten. Ich zitiere den Verein Für Soziales Leben e.V.:
„Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Zahl der „Totalverweigerer“ verschwindend gering ist. Zwischen Januar und November 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. In diesem Zeitraum wurden in 13.838 Fällen Leistungen gemindert, weil eine Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildung verweigert wurde. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr ergibt das etwa 16.000 bis 17.000 Fälle – also lediglich 0,4 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden.
Die große Mehrheit der Leistungsminderungen (über 80 Prozent) erfolgte nicht wegen Arbeitsverweigerung, sondern wegen Meldeversäumnissen – zum Beispiel, wenn Empfängerinnen oder Empfänger einen Termin beim Jobcenter versäumten.“ (2)

Betroffene werden außerdem auch der Willkür von Sachbearbeiter*innen in den Jobcentern ausgesetzt. Sie werden darüber hinaus teilweise in Arbeitsverhältnisse gezwungen, die langfristig nicht für sie geeignet sind.

Eine Bekannte von mir schrieb, dass sie solche Angst habe, wieder arbeitslos und damit dem Jobcenter ausgeliefert zu sein, dass sie lieber bei ihrer aktuellen Arbeitsstelle bleibe, obwohl dieser Job sie nicht ausfülle.

Und ich könnte hier nun noch mehr Erfahrungen teilen.
Eine eigene: Mitten in einer schwer depressiven Phase vor rund 10 Jahren musste ich zu einem Termin beim Jobcenter. Ich habe aufgrund der Depression während des gesamten Termins geweint und konnte mich kaum beruhigen. Die Sachbearbeiterin sagte mir: „Aber Sie brauchen doch nicht zu weinen.“
Ich habe ihr dann erklärt, dass ich gar nicht anders kann, weil ich eine Depression habe.
Ich mag mich irren, aber ich gehe davon aus, dass Sachbearbeiter*innen in den Jobcenter nicht darin geschult werden, wie sie mit kranken Menschen umgehen sollten.

Ich bin online in einer diversen, bunten, buchigen Bubble unterwegs und kenne dadurch mehrere marginalisierte Menschen. Gerade marginalisierte Menschen sind überdurchschnittlich oft davon betroffen, arbeitslos zu sein, nicht in Vollzeit arbeiten zu können, viele haben Schwierigkeiten, überhaupt eine Arbeit zu finden oder erleben Diskriminierung am Arbeitsplatz oder es gibt noch andere Probleme. Das kann gesundheitliche oder andere Gründe haben, z.B. Sexismus, Rassismus, Ableismus oder anderes.

Aber nicht nur marginalisierte Menschen sind potenziell betroffen, grundsätzlich kann eine Arbeitslosigkeit jede Person vorübergehend oder langfristig treffen, unter anderem weil wir in unsicheren Zeiten leben, um es ganz grob zu sagen. Hinzu kommen oft befristetete Arbeitsverträge, so dass manche Leute immer wieder neu nach Arbeit suchen müssen und zwischendurch ebenfalls auf das Bürgergeld angewiesen sind.

Deshalb hier mein Aufruf: Im Sinne der Social Justice, seid solidarisch mit Menschen, die langfristig oder auch nur vorübergehend mit Existenzminimum leben, seien sie marginalisiert oder nicht.
Und wenn ihr könnt, schreibt euren Abgeordneten, was ihr von den Plänen zu den Bürgergeldsanktionen haltet.

Danke fürs Lesen. Diesen Beitrag gern teilen.


Fußnoten:
(1) siehe: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/07/PD25_246_229.html
(2) siehe: https://www.buerger-geld.org/news/buergergeld/buergergeld-und-der-mythos-ueber-die-totalverweigerer-fakten-statt-vorurteile/

Wie geht es hier weiter? – Pläne für meine schriftstellerische Tätigkeit

Ich habe zurückgeblickt auf meine schriftstellerische Tätigkeit, seit 2014. Mein Debütroman „Der Stern des Seth“ erschien 2015. Viel hat sich seit damals verändert, auch der Buchmarkt für Genreliteratur, u.a. durch BookTok, den Trends wie Romantasy und Dark Romance, der wachsenden Beliebtheit von Young Adult und New Adult und ich könnte hier noch viel mehr darüber schreiben, aber ich belasse es mal dabei.

Viele meiner Bücher waren und sind größtenteils eine Nische in der Nische der queeren Literatur, entsprechend ist meine Zielgruppe nie groß gewesen. Ich habe Versuche gemacht, mainstreamiger zu schreiben, aber auch das war nicht so erfolgreich wie erhofft.

Ich verdiene mittlerweile mit Lektoraten deutlich mehr als mit meinen Büchern und möchte mich mehr darauf konzentrieren. Hinzu kommt: Meine Motivation für neue Veröffentlichungen hat leider sehr gelitten. Einfach, weil es den ganzen Aufwand und die Zeit kaum noch lohnt, wenn ich mir meine Verkaufszahlen so ansehe.

Folgendes habe ich geplant:

Band 4 meiner Urban Fantasy Reihe „Hexen in Hamburg“ erscheint 2026. Hauptfigur ist diesmal der Student Fabian, der es mit einer sektenartigen Gruppe zu tun bekommt und mit seiner Mental Health kämpft (bipolare Störung). Ein genaues Veröffentlichungsdatum habe ich noch nicht.

Ebenfalls 2026 schreibe ich den fünften, letzten Band der Reihe, mit dem Goth Jannis als Hauptfigur. Ursprünglich hatte ich sechs Bände geplant, bin aber von diesem Plan abgekommen. In diesem finalen Band wird Samhain/Halloween eine wichtige Rolle spielen und ich möchte ihn 2027 veröffentlichen.

Außerdem habe ich noch einen High-Fantasy-Roman in meiner Fantasywelt Vanfarin, dieser handelt von einem jungen schwulen Mann, der in eine Sekte gerät und sich in ein Sektenmitglied verliebt. Wann dieser Roman erscheint, kann ich euch noch nicht sagen.

Ich habe also insgesamt noch drei Veröffentlichungen geplant.

Die Lust am Schreiben ist mir trotz allem geblieben, nur das ganze Drumherum einer Veröffentlichung finde ich zunehmend schwer. Was mache ich also stattdessen? Ich werde nach meinen letzten Veröffentlichungen nach Lust und Laune gratis Kurzgeschichten und (englischspr.) Fanfictions schreiben, zumindest ist das mein Plan. Also Schreiben als reines Hobby ohne Gewinnabsicht.

An dieser Stelle ein großes Dankeschön an euch – fürs Liken, Kommentieren in Social Media, Feedback zu meinen Büchern, dass ihr Bücher von mir gekauft habt, für das Lesen meiner Blogbeiträge, Gespräche mit mir auf Veranstaltungen vor Ort und online, für eure Unterstützung und auch den Austausch unter Autorenkolleg*innen. Das weiß ich sehr zu schätzen und es bedeutet mir viel.

#DiversityDienstag: Märchen, gibt’s die auch in divers?

Lesezeit: 3 Minuten
Neulich habe ich ein Babysitting für ein viereinhalbjähriges Kind gemacht. Es wurde zu mir nach Hause gebracht, aber in meinem Bücherregal habe ich nur wenige Kinderbücher. Ich dachte mir, vielleicht finde ich etwas in einem Buch mit den Märchen der Gebrüder Grimm.

Das war sehr, sehr naiv von mir. Als ich begann, dem Kind „Aschenputtel“ vorzulesen, wurde mir nach wenigen Zeilen bewusst, wie unpassend der historische Originaltext des Märchens für den Zeitgeist und Kinder von heute ist. Ich muss dazu sagen, ich habe diesen Originaltext schon seit Jahrzehnten nicht mehr gelesen. Hier zwei Beispiele: Zunächst ging es bei Aschenputtel um Gottesfürchtigkeit und Frommheit. Bald darauf um Stiefschwestern, die zwar „schön und weiß von Angesicht waren“ aber „garstig und schwarz von Herzen“ waren. Ich hoffe, ich muss euch nicht erklären, warum der Satz mit den Stiefschwestern problematisch ist aus heutiger Sicht. Und das sind nur kurze Beispiele.

Mein nächster Gedanke war: Hat eigentlich schon mal jemand versucht, den Originaltext stilistisch so zu überarbeiten, dass er besser in eine diverse, bunte Gesellschaft passt? Ich meine keine Märchenadapationen und auch keine Disney-Verfilmungen.

Dann wurde mir allerdings schnell klar, eine solche Überarbeitung würde auch nicht reichen. Es gibt einfach zu viele Inhalte in diesen Märchen, die aus heutiger Sicht überholt, veraltet, problematisch sowie voller Vorurteile und Stereotypen sind und schon gar nicht passend für Kinder: Die böse Hexe in „Hänsel und Gretel“ stirbt den Feuertod (ein Echo auf die realen Hexenverfolgungen und deren Scheiterhaufen). Die Prinzessin oder eine junge Frau von niederem Stand muss ganz heteronormativ den Prinzen heiraten, was für zahlreiche Märchen gilt. Wer in einem Grimmschen Märchen „entstellt“ oder behindert ist, wird meistens auch als böse, hässlich und verkommen dargestellt, oder die Behinderung ist eine göttliche Strafe, die es durch tugendhaftes Verhalten zu überwinden gilt. In diesem Zusammenhang kann ich übrigens das Sachbuch „Entstellt – Über Märchen, Behinderung und Teilhabe“ von Amanda LeDuc sehr empfehlen.

Das Märchen „Frau Holle“ beginnt mit den Zeilen: „Eine Witwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul.“ Im weiteren Verlauf geht es dann u.a. um die Tugendhaftigkeit der Fleißigen. Was mich auf sehr unangenehme Weise an den Kapitalismus und die Leistungsgesellschaft erinnert, sowie an einige Strömungen im Christentum, wie den Calvinismus. (Und ich fange jetzt nicht mit dem Christofaschismus bzw. Christlichen Nationalismus in USA und anderen Ländern an, sonst sitzen wir morgen noch hier.)

Und es ließen sich sicherlich noch viele Beispiele in weiteren Märchen finden. Deshalb werfe ich mal die unpopular opinion in den Raum, dass die Grimmschen Märchen zumindest in ihrer Urform nicht in Kinderhände gehören.

Die gute Nachricht ist: Es gibt auf der ganzen Welt Märchen, aus so vielen Kulturen und darunter sind sicherlich auch viele, die sich wirklich für Kinder von heute eignen, besser als die alten Grimmschen Märchen. Und es gibt moderne, diverse Kunstmärchen von verschiedenen Autor*innen und auch Märchenadapationen für Kinder und/oder Erwachsene.

Hier zwei Beispiele:
„Die neun bunten Königinnenreiche: Queere Märchen nicht nur für Kinder“ von
Frank Thies und Martin Breuer.

https://buchshop.bod.de/die-neun-bunten-koeniginnenreiche-frank-thies-9783746099378

Christian Handel schreibt u.a. queere Fantasy und Märchenadaptionen für eine erwachsene Leserschaft, siehe: https://www.christianhandel.de/fantasy-buecher-von-christian-handel

Und stöbert gern mal hier: https://fairytales-retold.com/

Last but not least eine Eigenwerbung: Ich selbst habe ein queeres Märchen für Jugendliche und Erwachsene geschrieben: „Queer durch die Märchenwelt: Der Prinz, der mich liebte“. Darin tauchen zwar mehrere Figuren aus den Grimmschen Märchen auf, aber ich verwende sie eher für humorvolle Einlagen.