Ich wünsche mir mehr Solidarität mit Menschen, die mit Existenzminimum leben.

Am Montag, den 13.10. habe ich auf Instagram geschrieben:

Ein politischer Beitrag
Aktuell gibt es eine Petition von Innit: „Nein zu schärferen Sanktionen beim Bürgergeld: Das Existenzminimum ist nicht verhandelbar“. Diese Petition hat mittlerweile über 56.000 Mitzeichnungen erzielt. Das ist sehr gut.
Leider reicht das nicht. Aus folgendem Grund: Ein Bekannter von mir, der politisch tätig ist, schrieb mir: „allerdings wäre die Petition beim Bundestag nach meiner Kenntnis nicht nur besser, sondern auch der einzige Weg, überhaupt an eine Befassungspflicht zu gelangen. Andere Portale haben keinerlei Bindung gegenüber dem Parlament.

Was wir also brauchen, ist eine entsprechende Petition direkt für den deutschen Bundestag. Ich habe am Montag nachgeschaut, es gibt noch keine solche Petition dort. Ich würde selbst eine schreiben, aber dafür fehlt mir das Knowhow. Deshalb meine Frage in die Runde: Gibt es hier jemanden, der eine solche Petition schreiben kann, wenn der entsprechende Gesetzesentwurf vorliegt?
Mein Bekannter möchte das machen, aber eventuell schafft er es zeitlich nicht. Falls doch, teile ich seine Petition überall, wo es mir möglich ist.

Warum schreibe ich darüber? Ich selbst lebe mit Existenzminimum. Zwar beziehe ich kein Bürgergeld, sondern Grundsicherung (aufstockend zu meiner selbständigen Tätigkeit) und eine Erwerbsminderungsrente. Aber ich habe jahrelang Bürgergeld bekommen (als es noch Hartz IV hieß), weil ich aus gesundheitlichen Gründen nicht Vollzeit arbeiten konnte. Und ich könnte ein Buch darüber schreiben, was ich mit dem Jobcenter erlebt habe. Aber das wäre kein heiteres Buch, ganz im Gegenteil.

Soweit mein Instagram-Beitrag. Und hier weitere Überlegungen.

Nun sollen die Bürgergeldsanktionen so weit gehen, dass einem bei einer vollen Sanktion auch die Miete nicht mehr gezahlt wird. Damit droht mehr Menschen Obdachlosigkeit. Schon jetzt „waren zum Stichtag 31. Januar 2025 (…) in Deutschland nach den Meldungen von Kommunen und Einrichtungen rund 474 700 Personen wegen Wohnungslosigkeit untergebracht.“ (1) Das ist fast eine halbe Million und diese Zahl dürfte sich erhöhen, wenn die geplanten Änderungen tatsächlich umgesetzt werden.

Was das System Bürgergeld und die Jobcenter bzw. Agentur für Arbeit für Auswirkungen auf Betroffene hat, zeigt u.a. eine dreijährige Studie des Verein Sanktionsfrei e.V., siehe
https://sanktionsfrei.de/studie25

Diese gibt es auch als Kurzfassung zu lesen auf 3 Seiten.
Ich zitiere hier daraus einige Headlines.
1: Der Regelsatz von monatlich 563 € reicht laut großer Mehrheit der Befragten (72 %) nicht aus, um ein würdevolles Leben zu führen.
2: Der Wunsch vom Bürgergeld unabhängig zu werden ist stark ausgeprägt (74 %). Jedoch
sind nur Wenige zuversichtlich, dass sie auch eine Stelle finden werden, mit der sie den
Bürgergeldbezug beenden können (26 %).
3: Gesellschaftliches Stigma und Scham sind unter den Befragten sehr präsent.
Nur 12 % fühlen sich zur Gesellschaft zugehörig und 42 % geben an, dass sie sich schämen, Bürgergeld zu beziehen.“


Mit sozialer Gerechtigkeit haben die Pläne zu den Bürgergeldsanktionen nicht mehr viel zu tun.

Stattdessen werden hier Menschen zu Sündenböcken gemacht – obwohl es in Deutschland nur ca. 16.000 bis 17.000 Totalverweigerer gibt, die nicht mit den Jobcenter wie gewünscht mitarbeiten. Ich zitiere den Verein Für Soziales Leben e.V.:
„Statistiken der Bundesagentur für Arbeit zeigen, dass die Zahl der „Totalverweigerer“ verschwindend gering ist. Zwischen Januar und November 2023 erhielten rund 5,5 Millionen Menschen Bürgergeld. In diesem Zeitraum wurden in 13.838 Fällen Leistungen gemindert, weil eine Arbeit, Ausbildung oder Weiterbildung verweigert wurde. Hochgerechnet auf das gesamte Jahr ergibt das etwa 16.000 bis 17.000 Fälle – also lediglich 0,4 Prozent aller Bürgergeldbeziehenden.
Die große Mehrheit der Leistungsminderungen (über 80 Prozent) erfolgte nicht wegen Arbeitsverweigerung, sondern wegen Meldeversäumnissen – zum Beispiel, wenn Empfängerinnen oder Empfänger einen Termin beim Jobcenter versäumten.“ (2)

Betroffene werden außerdem auch der Willkür von Sachbearbeiter*innen in den Jobcentern ausgesetzt. Sie werden darüber hinaus teilweise in Arbeitsverhältnisse gezwungen, die langfristig nicht für sie geeignet sind.

Eine Bekannte von mir schrieb, dass sie solche Angst habe, wieder arbeitslos und damit dem Jobcenter ausgeliefert zu sein, dass sie lieber bei ihrer aktuellen Arbeitsstelle bleibe, obwohl dieser Job sie nicht ausfülle.

Und ich könnte hier nun noch mehr Erfahrungen teilen.
Eine eigene: Mitten in einer schwer depressiven Phase vor rund 10 Jahren musste ich zu einem Termin beim Jobcenter. Ich habe aufgrund der Depression während des gesamten Termins geweint und konnte mich kaum beruhigen. Die Sachbearbeiterin sagte mir: „Aber Sie brauchen doch nicht zu weinen.“
Ich habe ihr dann erklärt, dass ich gar nicht anders kann, weil ich eine Depression habe.
Ich mag mich irren, aber ich gehe davon aus, dass Sachbearbeiter*innen in den Jobcenter nicht darin geschult werden, wie sie mit kranken Menschen umgehen sollten.

Ich bin online in einer diversen, bunten, buchigen Bubble unterwegs und kenne dadurch mehrere marginalisierte Menschen. Gerade marginalisierte Menschen sind überdurchschnittlich oft davon betroffen, arbeitslos zu sein, nicht in Vollzeit arbeiten zu können, viele haben Schwierigkeiten, überhaupt eine Arbeit zu finden oder erleben Diskriminierung am Arbeitsplatz oder es gibt noch andere Probleme. Das kann gesundheitliche oder andere Gründe haben, z.B. Sexismus, Rassismus, Ableismus oder anderes.

Aber nicht nur marginalisierte Menschen sind potenziell betroffen, grundsätzlich kann eine Arbeitslosigkeit jede Person vorübergehend oder langfristig treffen, unter anderem weil wir in unsicheren Zeiten leben, um es ganz grob zu sagen. Hinzu kommen oft befristetete Arbeitsverträge, so dass manche Leute immer wieder neu nach Arbeit suchen müssen und zwischendurch ebenfalls auf das Bürgergeld angewiesen sind.

Deshalb hier mein Aufruf: Im Sinne der Social Justice, seid solidarisch mit Menschen, die langfristig oder auch nur vorübergehend mit Existenzminimum leben, seien sie marginalisiert oder nicht.
Und wenn ihr könnt, schreibt euren Abgeordneten, was ihr von den Plänen zu den Bürgergeldsanktionen haltet.

Danke fürs Lesen. Diesen Beitrag gern teilen.


Fußnoten:
(1) siehe: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2025/07/PD25_246_229.html
(2) siehe: https://www.buerger-geld.org/news/buergergeld/buergergeld-und-der-mythos-ueber-die-totalverweigerer-fakten-statt-vorurteile/

Metaphern von Marginalisierung in Horrorfilmen und -Serien

Lesezeit: ca 3 Minuten
Ich sehe gern Horrorfilme und -serien, nicht nur in der Gruselsaison, Spuktober oder wie mensch es sonst gern nennen mag. Marginalisierte Menschen haben es schwer in der Welt (1) und mir ist in den letzten Jahren aufgefallen, dass entsprechende Probleme auch sehr gern in Horrorfilmen und -serien thematisiert werden, seien es Behinderungen, Queerness, Rassismuserfahrungen, Fluchterfahrungen oder noch andere. In diesem Blogbeitrag geht es mir nicht um Geschichten, die diese Themen dramatisch und klischeebehaftet für Schockeffekte einsetzen, sondern die damit sensibel umgehen.

Hier einige der Filme/Serien, die ich in diesem Zusammenhang sehr sehenswert finde. Ich stelle sie jeweils kurz vor.

His House
erzählt die Geschichte eines geflüchteten Paares aus dem Südsudan, das in England versucht sich ein neues Leben aufzubauen. Doch in dem Haus, das ihnen zugeteilt wird, passieren mysteriöse Dinge. Hier geht es zentral um das Thema Krieg, Flucht, Tod und damit verbundene Traumata.
https://de.wikipedia.org/wiki/His_House

Still (Originaltitel: Hush)
Eine gehörlose Horrorautorin, die Gebärdensprache spricht, muss sich gegen einen Serienkiller zur Wehr setzen. Aus meiner Sicht ein empowernder und feministischer Film von Mike Flanagan, der auch zahlreiche weitere Serien und Filme im Horrorbereich entwickelt hat.
https://de.wikipedia.org/wiki/Still_(2016)

Get Out
Auf Wikipedia ist zu lesen: „Der satirische Mystery-Horror-Thriller mit Comedy-Elementen basiert auf einem Originaldrehbuch des Regisseurs [Jordan Peele].“ Ein Schwarzer Amerikaner besucht mit seiner weißen Freundin deren ebenfalls weiße Eltern zum ersten Mal, doch der schöne Schein trügt …
https://de.wikipedia.org/wiki/Get_Out

The Old Ways
Ein Folk-Horror-Film über eine mexikanisch-amerikanische Reporterin, die auf der Suche nach einer Story über Hexerei in ihre Heimatstadt in der Nähe von Veracruz (Mexiko) zurückkehrt. Dort wird sie von einer Gruppe von Einheimischen entführt, darunter eine Bruja (eine Art Hexe), die glaubt, dass die Reporterin von einem Dämon besessen sei. In diesem Film gibt es einen starken Fokus auf Folklore, Hexenglauben und alte Traditionen.
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Old_Ways

Niemand kommt hier lebend raus (Originaltitel: No One Gets Out Alive)
Ambar, eine illegale Einwanderin, zieht nach dem Tod ihrer Mutter von Mexiko nach Cleveland, Ohio. Auf der Suche nach einer Bleibe findet sie eine baufällige Pension, doch nachdem sie dort eingezogen ist, geschehen im Haus und anderswo merkwürdige Dinge mit ihr. Dieser Film thematisiert die Schwierigkeiten von Immigrant*innen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Niemand_kommt_hier_lebend_raus

In diese Serie habe ich reingeschaut, sie aber nicht zu Ende gesehen, weil ich es nicht ausgehalten habe, wie ich zugeben muss.

THEM: Covenant
spielt im Jahr 1953 und handelt von einer Schwarzen Familie, die während der zweiten großen Migration von North Carolina in ein rein weißes Viertel in East Compton zieht. Das idyllische Haus der Familie verwandelt sich langsam in ein Epizentrum böser Mächte von nebenan und aus dem Jenseits, die sie heimzusuchen, zu verwüsten und zu zerstören drohen. Was hier besonders stark thematisiert wird, ist Rassismus durch die weiße Nachbarschaft.
https://en.wikipedia.org/wiki/Them_(TV_series)


Den folgenden Film habe ich noch nicht gesehen, er ist aber auf meiner Wunschliste.
They/Them
Ein Slasher-Horrorfilm: Mehrere queere Menschen, auch eine nichtbinäre Person, kommen in ein Camp, das ihnen ihre Queerness austreiben soll (amerikanisch: Conversion Camp) … und das Ganze wird mörderisch.
https://en.wikipedia.org/wiki/They/Them_(film)

Einige weitere Filme mit Marginalisierungsthemen

Forgiveness
https://en.wikipedia.org/wiki/Forgiveness_(2021_film)

Orphan
https://en.wikipedia.org/wiki/Orphan_(2009_film)

A quiet place
https://en.wikipedia.org/wiki/A_Quiet_Place

und die Fortsetzung: https://en.wikipedia.org/wiki/A_Quiet_Place_Part_II

The Silence
https://en.wikipedia.org/wiki/The_Silence_(2019_film)

Wer sich speziell für das Thema Behinderungen in Bezug auf Horror interessiert:
Disability in Horror Films
https://en.wikipedia.org/wiki/Disability_in_horror_films

In diesem Zusammenhang kann ich auch die Folge „Horrormetaphern“ vom Genderswapped Podcast empfehlen:
https://genderswapped-podcast.podigee.io/47-episode-37

Fußnote
(1) Siehe bei Interesse meinen Blogbeitrag „Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen“