Schreibtipp: Mythologie in der Belletristik, aus paganer Sicht

Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus (c.1484)


Ich sage es heute mal ganz offen: Ich bin seit einigen Jahren eine pagane Polytheistin, d.h. ich verehre einige Gottheiten, die bereits in der Antike verehrt wurden.

Neulich kam auf Twitter eine Unterhaltung auf dazu, wenn sich Autor*innen an antiken Mythologien bedienen, z.B. an der nordischen, keltischen, altägyptischen, römischen, griechischen oder noch anderen. Ich schreibe dazu nun etwas aus meiner pagan Perspektive, das ich bereits auf Twitter in einem Thread geschrieben habe und hier noch um einige Überlegungen ergänze.

Für viele pagane oder polytheistische Menschen sind antike Mythologien nicht einfach nur alte Geschichten, die man nach Belieben nehmen und nach eigenem Gutdünken verändern kann. Diese alten Mythen haben für viele pagane Menschen eine religiöse Bedeutung.

Wenn sich nun Autor*innen daran machen, diese Mythen neu zu interpretieren, gibt es im Grunde zwei Möglichkeiten:

Methode 1
Die Autor*innen bleiben dicht am Original. Oder an einem der Originale, denn oft ist es so, dass es unterschiedliche Mythen zu ein und derselben Gottheit oder einem Wesen gibt, je nach regionaler (oft zunächst mit mündlicher und erst Jahrzehnte oder Jahrhunderte später schriftlich festgehaltener) Überlieferung, und ja, manche dieser Mythen widersprechen sich auch.

Die Autor*innen adaptieren dann den vorhandenen Stoff so, dass das Original gewissermaßen noch durchscheint, aber neu interpretiert wird. Damit erweist man den historischen Überlieferungen und der Kultur, in der diese Mythen entstanden sind, einen gewissen Respekt aus meiner Sicht.

Methode 2
Die Autor*innen nehmen sich, was sie wollen aus der mythologischen Vorlage und drehen ihr ganz eigenes Ding draus, ohne Rücksicht auf die Eigenschaften der verwendeten Wesen/Gottheiten oder der historischen Quellen. Zum Beispiel nehmen sie den Namen einer Gottheit und verleihen diesen einem Dämon.

Oder sie versetzen Figuren aus einer bestimmten Region oder einem bestimmten Pantheon ganz ans andere Ende der Welt, ohne das näher zu begründen. Im schlimmsten Fall werden hier historische Mythen gewissermaßen ausgebeutet und das geht in Richtung kulturelle Aneignung.

Diese Gefahr besteht auch, wenn man sich an den Mythen einer Kultur bedient, in der man nicht selbst aufgewachsen ist. Zum Beispiel wenn eine Autorin aus Deutschland sich mit japanischer Mythologie oder Folklore befasst und dann Methode 2 anwendet.

Und man kann es sich schon denken, ich würde immer zur ersten Methode raten.

In der Twitter Unterhaltung kam das Gegenargument zu meiner Position, dass ja auch zahlreiche Motive aus der christlichen Religion auf unterschiedlichste Weise Einzug in die Popkultur gefunden haben und da auch viele Autor*innen einfach machen, was ihnen gefällt (z.B. in der Phantastik Engel, Teufel, Dämonen, im Horror-Genre Exorzismen, oder auch neue Interpretationen biblischer Geschichten in verschiedenen Genres).

Ich möchte allerdings zu Bedenken geben, dass die christliche Religion im Gegensatz zu heutigen paganen Glaubensgemeinschaften seit Jahrhunderten weltweit bestens etabliert ist. Christ*innen werden eher nicht diskriminiert (oder in einigen Fällen nur dort, weltweit gesehen, wo sie eine Minderheit bilden). Von daher haben Christ*innen größtenteils, zumindest was ihren Glauben betrifft, eine privilegierte Position.

Pagane/heidnische Menschen sind dagegen überall eine Minderheit und müssen sich oft mit Vorurteilen oder diskriminierendem Verhalten herumschlagen, wenn sie offen von ihrer Religion sprechen – das zeigt z.B. dieser englischsprachige Bericht über eine Umfrage der Pagan Federation in Schottland:
https://wildhunt.org/2021/03/scottish-pagan-federation-to-release-results-of-discrimination-survey.html

Insofern tut man aus meiner Sicht als Autor*in diesen Menschen einen großen Gefallen, wenn man die alten Mythen, die vielen von ihnen heilig sind, mit Respekt behandelt. Und deshalb würde ich wie gesagt, immer zur ersten Methode raten.

#DiverserDonnerstag: Inklusiver ins Neue Jahr

Die Aktion #DiverserDonnerstag ist von @equalwritesde ins Leben gerufen worden, mit dem Thema „Inklusiver ins Neue Jahr“

(Diesen Blogbeitrag schreibe ich schon am 23. Dezember.)
Ich blicke erst einmal zurück. Ich sehe mittlerweile klar eine Entwicklung bei mir. Vieles, was mir heute bewusst ist in Sachen Diversität, Repräsentation und Inklusion, gab es in meinen ersten Büchern noch nicht, einfach weil ich das nötige Wissen damals noch nicht hatte. Wer also z.B. noch nie ein Buch von mir gelesen hat und mit meinem Debütroman „Der Stern des Seth“ (von 2015, überarbeitete Neuauflage 2018) anfängt, wird dort wohl einiges vermissen, worüber ich heute so oft in Social Media und in meinem Blog schreibe.

Ich habe leider nicht die zeitlichen Kapazitäten, um sämtliche meiner bisher veröffentlichen Bücher zu überarbeiten. Stattdessen schreibe ich lieber neue Bücher, in denen ich Diversität, Inklusion und Repräsentation berücksichtige. Ich verwende mittlerweile auch zunehmend gendergerechte Sprache, soweit es mir möglich ist.

Seit 2019 pflege ich die Buchliste „Phantastik mit Diversität“ Die Liste ist ein erster Versuch, Diversitätsthemen in Phantastikbüchern sichtbarer zu machen, denn Klappentexte verrate diese oft nicht oder nur in Andeutungen. Mittlerweile sind über 230 Bücher/Buchreihen auf dieser Liste, von deutschsprachigen und internationalen Autor*innen (bei letzteren nur Bücher, die ins Deutsche übersetzt wurden). Wenn ihr ein Buch veröffentlicht habt, das auf diese Liste passt, und ihr darauf vertreten sein wollt, schreibt mich gern an.

Übrigens, wer englischsprachige Phantastik mit Diversität sucht, dem sei diese starke Datenbank mit zahlreichen Suchfunktionen empfohlen: https://queersff.theillustratedpage.net/

Wenn ihr gern mit mehr Diversität und Inklusion schreiben möchtet und Tipps für den Einstieg sucht, schaut gern mal in diese Linksammlung: https://diversitaetinderliteratur.carrd.co/

Falls ihr ein kurzes Buch mit Essays zu diesem Thema lesen mögt, schaut euch gern einmal „Diversity in der Literatur“ an.

Ich biete mittlerweile Sensitivity Reading an, für folgende Themen:

Queerness (panromantisch, grauasexuell, gender-nonconforming)
Polyamorie
bipolare Störung (Depressionen, Manien, Psychosen)
Angststörung, soziale Ängste
Erfahrung mit Armut, Klassismus
Dicksein (z.B. Erfahrungen mit Fatshaming)

Falls jemand von euch in der Hinsicht Bedarf hat, schreibt mich gern an.

Ich habe auch schon mehrfach selbst Sensitivity Reading für eigene Manuskripte genutzt und ich kann das einfach nur immer wieder empfehlen, wenn man diskriminierungssensibel schreiben möchte, für ein bestimmtes Thema oder mehrere aber keine eigene Lebenserfahrung mitbringt. Meine Erfahrung damit? Die Sensitivity Readings waren eine große Bereicherung für meine Texte, ich wurde z.B. auf problematische Plotpoints oder verletzende Formulierungen hingewiesen, die mir vorher nicht bewusst waren.

Einige Probleme in der deutschsprachigen Literaturszene

Die Literaturszene in Deutschland hat einige Probleme und hier und da zeigen sich dieselben Muster, z.B. dass so einige buchige Events keinen Safe Space für marginalisierte Menschen darstellen. Mit anderen Worten: Es gibt Veranstaltungen, auf denen sich marginalisierte Menschen nicht rundum sicher und wertgeschätzt fühlen können.

Dieser Blogbeitrag handelt von dem, was mir in den letzten Monaten so aufgefallen ist. Da ich natürlich bei weitem nicht die gesamte Literaturszene überblicke, handelt es sich um einen mehr oder weniger subjektiven Bericht.

Es gibt zum einen ein grundsätzliches Problem, das genreübergreifend ist. Manche Autor*innen sehen angesichts eines innovativen Umgangs mit Sprache, zum Beispiel gendergerechter Formulierungen, aber auch angesichts von Triggerwarnungen/Content Notes oder Sensitivity Reading (noch immer) den Untergang des Abendlandes heraufziehen und beklagen sich über angebliche Zensur. Sie pochen auf die Freiheit der Kunst. Und meinen damit meistens vor allem die Freiheit, verletzende, herabwürdige Formulierungen oder Handlungen in ihren Texten unterzubringen (Beispiel), oder generell problematische Inhalte. Sie meinen oft auch die Freiheit, vor entsprechenden Inhalten nicht mit Triggerwarnungen o.ä. zu warnen.

Funfact: In einigen Ländern sind Autor*innen und der Literaturbetrieb schon wesentlich weiter, wenn es um Diversität, Repräsentation und Inklusion in der Literatur geht. Da könnten wir uns im deutschsprachigen Raum die eine oder andere Scheibe abschneiden. Hier reden sich marginalisierte Menschen oft den Mund fusselig, leisten oftmals kostenlose Aufklärungsarbeit in Social Media oder Blogs und stoßen dabei immer wieder auf unbelehrbare Zeitgenoss*innen, denen die eigenen Privilegien nicht bewusst sind und auch nicht bewusst werden wollen und die Probleme oder problematische Inhalte kleinreden.

Der größte deutschsprachige Phantastikautor*innen Verein, das Phantastik Autoren Netzwerk e.V.(PAN e.V), hatte im Programm seiner Veranstaltung für 2020 (die wegen der Pandemie letztendlich abgesagt wurde) den Programmpunkt „Retten wir die Kunst vor den Moralaposteln“. Wohlgemerkt, nachdem sich mehrere Leute im Verein für Diversität und Inklusion stark gemacht hatten und sich nun fragten, warum eine solche kontroverse, polarisierende Position – anders formuliert: „Die Kunst ist frei und darf alles! Meinungsfreiheit!!“ – wieder und wieder zur Diskussion gestellt werde. Es hagelte Kritik in den Social Media, der Programmpunkt wurde gestrichen. Mehrere Leute traten aus dem Verein aus – ich ebenfalls, was in meinem Fall übrigens noch andere persönliche Gründe hatte, die nichts direkt mit dem Verein zu tun hatten.

Und es gab noch weitere Probleme, die ich persönlich nicht überblicke. Unter anderem kündigte die neue multimediale Phantastik-Veranstaltung MetropolCon an, für ihre erste Con im Jahr 2023 eng mit PAN e.V. zusammenarbeiten zu wollen. Auch das führte zu einiger Kritik auf Twitter, unter anderem gab es auch Bedenken, wie die MetropolCon mit ihrem Team ihre Veranstaltung diskriminierungssensibel gestalten möchte, angesichts ihrer Vision,
MetropolCon versteht sich als inklusive, barrierefreie, diverse und nachhaltige Veranstaltung. Sie ist ein safe space für alle Teilnehmenden. Austausch, Diskussion und Vernetzung finden auf Basis von Respekt, Offenheit und einem generell wertschätzenden Umgang miteinander statt.„(1)

Ich war sehr angetan, als ich von dieser Vision gelesen habe und hoffe, dass diesen guten Worten auch Taten folgen.

Edit am 14.12.:
Die MetropolCon hat folgendes Statement veröffentlicht:
https://www.metropolcon.eu/2021/12/14/statement-diversitaet-pan-und-unsere-vision/

PAN e.V. hat übrigens in einer Kurzstellungnahme am 13.12. 2021 auf Twitter angekündigt:

Wir haben die Diskussionen der letzten 24 Stunden aufmerksam verfolgt. Es wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, die es sich zum Ziel gemacht hat, die Vorwürfe an den Verein aufzuarbeiten und Lösungen für vorhandene Probleme zu entwickeln. Für konkrete Hinweise zu rassistischen Übergriffen wären wir sehr dankbar, denn ein solches Verhalten wird von PAN nicht geduldet. Es war unser Versäumnis, dass die Betroffenen der im Raum stehenden Vorfälle sich nicht sicher genug gefühlt haben, um sich direkt bei uns zu melden. Wir stehen für ein vielfältiges Miteinander und Diversität. Dass uns nicht gelungen ist, das auch deutlich zu kommunizieren, tut uns aufrichtig leid. Wir wollen es besser machen. Informationen zu weiteren Schritten folgen in den nächsten Tagen.“ (2)

Ich hoffe, das sich dieses Vorhaben konstruktiv und positiv entwickelt.

Die Aktion „Fair Lesen“

… führte zu zahlreichen Diskussionen um Bibliotheken und die Onleihe. Dazu hat sich auch der Deutsche Bibliotheksverband (DBV) geäußert und ist darin auf einige Fehlinformationen der Aktion eingegangen:

https://dbv-cs.e-fork.net/sites/default/files/2021-10/PM_dbv%20zur%20Kampagne%20Fair%20Lesen_20210118_final_1.pdf

Ein deutscher Literaturpreis sorgte mehrfach für Kritik angesichts eines queerfeindlichen Beitrags und es wurde nicht besser, als es im September 2021 um das Thema Trennung von Werk und Autor ging. (3)

Bereits 2017 kam es auf der Frankfurter Buchmesse zu Gewalt, die in Zusammenhang mit Rechtsextremismus stand. (4)

In diesem Jahr sagten mehrere Schwarze Autor*innen, der Aktivist Raul Krauthausen und weitere marginalisierte Personen ihre Teilnahme an der Frankfurter Buchmesse ab, weil dort an prominenter Stelle ein rechtsextremer Verlag ausstellen durfte und generell unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit dort rechtsextremen, menschenverachtenden Verlagen der Zugang gewährt wird.

Die Mitteilung der Buchmesse dazu liest sich aus meiner Sicht recht fadenscheinig und zeigt, dass hier offenbar privilegierte weiße Menschen nicht verstehen, was das eigentliche Problem ist: Dass diese Haltung dazu führt, dass sich marginalisierte Menschen auf der Messe nicht wohl, geschweige denn sicher fühlen können. (5)

Ich zitiere einen Tweet von mir:

„Man stelle sich nur mal vor, es gäbe eine Buchmesse dieser Größe, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, inklusiv zu sein und zwar so, dass sich auch marginalisierte Menschen dort uneingeschränkt sicher fühlen können. Das wäre doch mal was. (Utopischer Gedanke, ich weiß.)“

Um diesen Blogbeitrag nicht völlig pessimistisch enden zu lassen, möchte ich auch auf einige positive Entwicklungen eingehen. Mittlerweile kommt es auch in großen Verlagen an, dass die Repräsentation von marginalisierten Menschen von der Leserschaft erwünscht ist, z.B. gibt es mehr Romane mit queeren Figuren, die nicht nur eine Nebenrolle spielen. Einige Verlage arbeiten bereits mit Sensitivity Readern zusammen, das finde ich sehr gut. Ebenso gibt es engagierte Kleinverlage (und auch einige größere Verlage), die ganz selbstverständlich Content Notes/Triggerwarnungen in ihre Bücher einbinden. Der Publikumspreis „Goldener Stephan“ verfügte in diesem Jahr über sehr viele nominierte Bücher mit Diversitätsthemen. Engagierte Kleinverlage und auch Selfpublisher*innen machen sich wie schon seit mehreren Jahren oft besonders stark in Sachen Diversität, das ist klasse.

(1) https://www.metropolcon.eu/vision/

(2) https://twitter.com/PAN_eV_DE/status/1470362885847146499

(3) https://skoutz.de/autor-und-werk-ist-das-wirklich-unzertrennlich/

(4) https://www.zeit.de/kultur/literatur/2017-10/frankfurt-am-main-buchmesse-bjoern-hoecke-rechte-gewalt

(5)
Die Statements von Jasmina Kuhnke und Raul Krauthausen zu ihren Absagen:

und

https://twitter.com/raulde/status/1450874151691034628

Das Statement der Messe:

Eine lesenswerte Kolumne zu diesem Thema von Margarete Stokowski: https://www.spiegel.de/kultur/literatur/frankfurter-buchmesse-boykott-wir-muessen-gar-nichts-aushalten-kolumne-a-b28c47c0-9d03-45f6-bf29-27de62d83bc3

Was darf ich denn überhaupt noch schreiben?

Foto: Pixabay

Diese und ähnliche Aussagen machen gerade mal wieder die Runde in den Autor_innenbubbles in Social Media, zum Beispiel auch „Ich traue mich gar nicht mehr zu schreiben…“

Im Grunde ist es ganz einfach: Die Kunst ist frei, dazu zählt auch die Literatur. Hier übrigens das entsprechende Gesetz in Deutschland. Du darfst über (fast) alles schreiben. Es gibt einige Grenzen dabei, z.B. können volksverhetzende Texte strafrechtlich verfolgt werden. Deshalb das „fast“.

Mit der Freiheit, über alles schreiben zu können, geht aber auch eine Verantwortung einher.
Du bist für das, was du schreibst, verantwortlich. Diese Verantwortung kannst du auch nicht an ein Lektorat oder einen Verlag abwälzen. Du musst außerdem immer damit rechnen, dass dein Text, dass deine Geschichte auf Kritik stößt – nicht nur stilistisch, sondern auch inhaltlich. Wer damit nicht umgehen kann, sollte sich stark überlegen, ob das Veröffentlichen von Geschichten das Richtige für einen ist.

Wir leben nicht mehr in einer Welt, in der Kritik an Belletristik allein in den Zeitungsspalten, z.B. in einem Feuilleton, in Literaturmagazinen, oder in literarischen TV-Sendungen zu finden ist. Jede Person, die Zugang zum Internet und Social Media hat, kann ihre Meinung zu einem Buch oder einer Kurzgeschichte kundtun. Entsprechend gibt es auch generell mehr Kritik (und sei es lediglich eine reine Sterne-Bewertung bei Amazon).

Marginalisierte Menschen hat es schon immer gegeben, aber erst seit dem Aufkommen der Social Media sind ihre Stimmen weithin hörbar. Aus diesen Stimmen spricht oft eine Menge Wut, Ärger, Traurigkeit, Verzweiflung oder Frustration. Und ja, das kann sich auch auf eine schlechte, unrealistische oder destruktive Repräsentation ihrer marginalisierten Gruppe in fiktiven Werken beziehen. Manche von ihnen outcallen solche Werke, oft laut und verärgert.

Viele Menschen, die privilegierter sind, verstehen das oft nicht und dazu zählen oft auch Autor_innen. Einige von ihnen fangen dann in Diskussionen mit Tone Policing an (1) oder wehren kategorisch alle Kritik ab, fühlen sich persönlich angegriffen und sind nicht zu einem Dialog bereit. Sie fragen sich dann, woher kommt all diese Wut oder andere als negativ gesehene Reaktionen marginalisierter Menschen? Diese Frage kommt meistens dann auf, wenn sie keine entsprechenden Diskriminierungserfahrungen selbst erlebt haben und sich nicht vorstellen können, wie sehr betroffene Menschen unter solchen Erfahrungen leiden. (2)

Was heißt das nun? Wer über sensible Themen, über marginalisierte Menschen oder über gesellschaftskritische Themen (wie Rassismus, Sexismus, Misogynie, Queerfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, Ableismus, Saneismus, Klassismus oder noch andere Formen von Diskriminierung) schreiben möchte, der tut gut daran, gründlich zu recherchieren und mit Menschen zu sprechen, die davon betroffen sind. Idealerweise sollte man sich entsprechend erfahrene Sensitivity Reader suchen.

Ich wiederhole es noch einmal. Du darfst (fast) alles schreiben. Hier ein persönliches Beispiel.
Ich habe vor kurzem eine Kurzgeschichte geschrieben, in der BDSM eine wichtige Rolle spielt. Aus meiner Sicht ist das ein Diversitätsthema. (3) Ich kenne Menschen, die in der BDSM-Community aktiv sind, bin selbst aber kein Teil dieser Community. In dieser Kurzgeschichte gibt es einen Teil der Handlung, der mit dem Thema BDSM direkt verbunden ist und den ich schwierig fand. Im Sinne von, ist das problematisch? Aber ich konnte nicht genau den Finger darauf legen, ob oder wie das problematisch sein könnte. Vor kurzem habe ich ein sehr ausführliches Feedback von meiner Sensitivity Reader-Person erhalten, die mir in deutlichen Einzelheiten erklärt hat, warum diese Sache in der Kurzgeschichte in der Tat problematisch und ein No-Go ist. Bald werde ich das alles überarbeiten und alle ihre Vorschläge dabei berücksichtigen.

Mit diesem Beispiel möchte ich gern zeigen: Du kannst erst einmal wirklich frei heraus schreiben, was du möchtest. Und es danach am besten von entsprechend erfahrenen Personen auf sensible Themen hin überprüfen lassen, wenn du über solche Themen schreibst.

Eine weitere Möglichkeit ist es natürlich, mit betroffenen Personen schon vorab deine Plotidee durchzusprechen, um herauszufinden, ob es darin etwas Problematisches gibt. In manchen Fällen wird das bereits beim Plot an sich deutlich, z.B. destruktive Tropes wie „Bury your gays“ (4), in anderen Fällen erst im Verlauf der individuellen Ausarbeitung, also erst nach dem Schreiben.

Zensur?

Ich habe mehr als einmal das Vorurteil gehört, Sensivity Reader würden Texte zensieren. Das stimmt nicht. Ich habe nun mehrfach Erfahrungen mit Sensitivity Readern sammeln dürfen und auch selbst schon mehrere Sensitivity Readings durchgeführt. Sensitivity Reader machen Verbesserungsvorschläge. Sie schreiben nicht vor, wie man seinen Text zu gestalten hat. Wie Autor*innen oder Verlage diese Vorschläge umsetzen, bleibt diesen überlassen.

Wenn du keine Lust oder keine Kapazitäten hast, sensible Themen zu recherchieren, mit Betroffenen zu sprechen, dir Sensitivity Reader zu suchen – dann überlege dir am besten, worüber du schreiben kannst und möchtest, in dem all das nicht notwendig ist.

Wenn du gern mit mehr Diversität schreiben möchtest und Tipps für den Anfang suchst, schau gern mal auf diese Linksammlung, da findest du viele Anregungen.

Fußnoten:

(1) Ein Artikel über Tone Policing:
https://feminismus-oder-schlaegerei.de/2019/02/09/tone-policing-lasst-mich-verdammt-noch-mal-wuetend-sein/

(2) Hier dazu ein weiterführender Blogbeitrag von mir:
Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

(3) BDSM wird noch heute pathologisiert und oftmals in Medien der Popkultur verfälscht dargestellt.

(4) Einen lesenswerten Beitrag zu diesem Trope hat Elea Brandt geschrieben:
https://eleabrandt.de/2020/12/09/dont-bury-your-gays/

Ein persönlicher Beitrag zum Tag der mentalen Gesundheit



Inhaltswarnungen: psychische Erkrankung, bipolare Störung, suizidale Gedanken, Suizid, Depression, Manie, Psychose

Lesezeit: ca. 12 Minuten

Teile dieses Textes habe ich bereits im vergangenen Jahr veröffentlicht, anlässlich der Aktion „Seelenoktober“ auf Facebook.

Am 10. Oktober ist jedes Jahr Tag der mentalen Gesundheit (Mental Health Day). Dieses Thema geht mir schon seit rund zwei Jahrzehnten nah, denn ich habe die bipolare Störung. Was das ist und was für Erfahrungen ich damit gemacht habe, davon handelt dieser Beitrag.

Zuerst einmal zum Begriff: Früher wurde dies als manisch-depressive Erkrankung bezeichnet. Manche Betroffene sprechen heute gern von bipolarer Neurodivergenz oder Neurodiversität (ähnliches gilt auch z.B. für AD(H)S, Asperger Syndrom, Autismus). Mir ist dieser Begriff übrigens auch lieber als „Störung”, weil letzteres zu sehr an das Schimpfwort „gestört” erinnert. Der Begriff „Neurodivergenz” soll das Phänomen zum einen aus einem ausschließlich medizinischen Blickwinkel lösen, zum anderen zeigen, dass das Gehirn der entsprechenden Personen gewissermaßen dauerhaft anders funktioniert als bei neurotypischen Menschen. Von einer Neurodivergenz zu sprechen, macht auch insofern Sinn, da die Erkrankung als unheilbar gilt. Mit Therapien und passenden Medikamenten kann man im günstigsten Fall lernen, damit langfristig zu leben.

Die Erkrankung äußert sich sehr unterschiedlich, es gibt verschiedene Formen, darunter das sogenannte „Rapid Cycling”, bei dem sich depressive und manische Phasen sehr schnell ablösen. Bei anderen Menschen sind eher die manischen Phasen ausgeprägt, bei einigen stehen die depressiven im Vordergrund. Übergänge zu anderen psychischen Erkrankungen sind hier oft fließend, bzw. manche Menschen mit der bipolaren Störung haben auch noch zusätzliche psychiatrische Diagnosen. Einige mit dieser Erkrankung neigen zu Suizidalität, andere eher nicht. Ich gehöre zu letzteren, auch wenn mir suizidale Gedanken ebenfalls nicht fremd sind.

Es gibt übrigens mehrere Kunstschaffende, die diese Erkrankung haben/hatten und offen darüber sprechen/sprachen. Dazu zählen die Musikerinnen und Singer-Songwriterinnen Emilie Autumn, Macy Gray, Mary Lambert (die darüber auch in ihrem Song „Secrets” offen singt), Maria Carey, Stephen Fry (u.a. tätig als Schauspieler, Autor, Quizshow-Host), die Schauspielerinnen Carrie Fisher und Linda Hamilton, der Schauspieler Richard Dreyfuss, Demi Lovato (Schauspieler*in, Sänger*in, Autor*in), die Musiker*innen und Singer-Songwriter*innen Lou Reed und Amy Winehouse, der Comedian, Schauspieler, Radio-Host, Aktivist und Autor Russell Brand, der Künstler und Fotograf David LaChapelle und noch viele andere.

Mary Lambert: „Secrets“

Auch einige bekannte historische Persönlichkeiten litten höchstwahrscheinlich unter dieser Erkrankung, darunter Ernest Hemingway, Vincent van Gogh, Zelda Fitzgerald, Ada Lovelace, Gustav Mahler, Virginia Woolf, möglicherweise auch Sylvia Plath und Edgar Allan Poe.

Ich war jahrelang in Psychotherapie, früher auch mit Klinikaufenthalten, und ich nehme Medikamente. Aber auch das alles ist kein Heilmittel. Wenn es in meinem Leben zu einer größeren Krise kommt, kippe ich höchstwahrscheinlich aus einer stabilen Phase in eine instabile, ich werde dann entweder manisch oder depressiv. Mittlerweile meistens letzteres, aber nicht nur.

Ich habe einmal von einem Künstler gelesen, der schrieb, dass er seine manischen Phasen nicht missen möchte, da sie ihm zu kreativen Schüben verhelfen würden. Diese Erfahrung habe ich selbst ebenfalls gemacht, z.B. über einen längeren Zeitraum sehr wenig Schlaf zu haben und dennoch ein Gefühl, als ob ich Bäume ausreißen könnte. Oder mich stundenlang ohne Pause mit kreativen Tätigkeiten beschäftigen zu können und dabei alles um mich herum zu vergessen.
Von daher würde ich persönlich aufgrund dieser Erfahrungen sagen, diese Neurodivergenz bringt nicht ausschließlich Negatives mit sich, zumindest nicht bei mir. Aber auch das ist ganz individuell unterschiedlich. Die Kehrseiten von Manien können die folgenden sein: ein völlig sorgloser Umgang mit Geld, wortwörtlich ver-rückte Ideen, ständige Gedankensprünge, Verlust der Konzentrationsfähigkeit, zunehmende Gereiztheit, die bei manchen Betroffenen auch zu Aggressionen führen kann und noch andere Probleme.

Die Frage ist, wie bei allen psychischen Erkrankungen und Beschwerden, wie hoch ist der persönliche Leidensdruck? Den manischen Phasen gegenüber stehen die depressiven, und die kommen bei mir mit allem daher, was Depressionen ausmachen: Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Schlafstörungen, Existenz- und Versagensängste, bis hin zu suizidalen Gedanken, krampfhaftes Weinen schon aus dem geringsten Anlass heraus. Auch alltägliche Dinge nicht mehr oder kaum noch bewältigen können: Hausarbeit, Körperpflege, einkaufen gehen, das Haus verlassen.

Bei mir kamen außerdem noch Psychose-Erfahrungen hinzu, die letzte hatte ich vor dreizehn Jahren. Psychosen sind durch einen Realitätsverlust gekennzeichnet, mitunter gibt es auch das Gefühl, mit allem verbunden zu sein, die eigenen Grenzen scheinen sich aufzulösen, außerdem kann es auch Halluzinationen aller Art geben, die als real empfunden werden. Psychosen können sehr verstörend wirken, manchmal sind sie auch mit starker Paranoia verbunden. Und wem das im Zusammenhang mit Schizophrenie bekannt vorkommt: Ja, auch bei dieser Erkrankung sind Psychosen häufig. Aber nicht jeder Mensch mit der bipolaren Neurodivergenz erlebt Psychosen.

Ich habe einen Großteil meines Lebens über all das geschwiegen. Ich habe mich selbst lange Zeit stigmatisiert, mich bei jeder kleinsten Gefühlsregung gefragt: Ist das nun ein „normales” Gefühl, oder ist es depressiv oder manisch?
Irgendwann habe ich damit aufgehört. Ich akzeptiere mich nun mehr so wie ich bin, mit dieser Erkrankung. Mit allem, was dazu gehört. Ich bin nachsichtiger mit mir selbst geworden. Wenn ich mal eine Nacht schlecht schlafe, mache ich mir weniger Sorgen als früher, dass nun wieder eine instabile Phase anbricht. Ich mache mir auch selbst weniger Druck. Einfach ist es dennoch nicht, das zeigt auch mein beruflicher Patchwork-Lebenslauf.

Ich habe mir vorgenommen, weniger über meine Erkrankung zu schweigen. Ich bin auch als Sensitivity Reader aktiv geworden und helfe Autor*innen aus Sicht einer Betroffenen, über diese Erkrankung zu schreiben. Im vergangenen Jahr habe ich eine intersektionale Kurzgeschichte über eine Frau geschrieben, die an der bipolaren Störung leidet. Diese Geschichte, „Kein Allheilmittel“, findet ihr in der Anthologie „Urban Fantasy: going intersectional“.

Ich habe gelernt, mit meiner Erkrankung zu leben. Sie ist ein Teil von mir und wird mich wohl mein gesamtes Leben lang begleiten. Und ich hoffe, etwas gegen Stigmatisierung tun zu können, u.a. indem ich in jener Kurzgeschichte und den unten genannten Romanen aufzeige, dass es möglich ist, trotz einer psychischen Erkrankung und all der Schwierigkeiten, die sie mit sich bringt, ein erfülltes Leben zu führen.

Und wie sieht es mit der Repräsentation aus?

In Medien aller Art, auch in der Literatur, kommen Figuren mit psychischen Erkrankungen meistens nicht gut weg: Sie leiden viel, werden oft einzig und allein auf ihre Erkrankung reduziert, alles dreht sich nur darum. Oft wird die betreffende Erkrankung auch für sehr viel „Drama“ oder Schockeffekte verwendet, z.B. einen dramatisch inszenierten Suizid oder entsprechende Versuche.

In Krimis und Thrillern sind oft Menschen mit psychischen Erkrankungen die Täter*innen und die Darstellung von psychiatrischen Einrichtungen sorgen mitunter für Grusel. Dabei sieht die Realität anders aus, nur ein geringer Anteil an psychisch erkrankten Menschen wird gewalttätig. In vielen Fällen ist eine psychische Erkrankung so belastend für Körper und Geist, dass die Betroffenen eine Gewalttat gar nicht planen und durchführen könnten.***

Immer wieder habe ich außerdem Bücher gelesen, in denen psychisch erkrankte Nebenfiguren den Protagonist*innen das Leben schwer machen oder ihnen im Weg stehen, z.B. Elternteile oder Menschen im Bekanntenkreis. Sie dienen damit im Grunde als Plotdevice ohne eigene Agenda, um die Entwicklung der Protagonist*innen voranzutreiben.

Ich habe bisher kaum Beispiele für eine positive Repräsentation von Menschen mit psychischen Erkrankungen gefunden. Ein gelungenes Beispiel ist aus meiner Sicht die männliche Hauptfigur aus „Wasteland“ von Judith und Christian Vogt. Zeeto hat die bipolare Störung/Neurodivergenz und hat gelernt, damit zu leben. Er hat ganz praktische Bewältigungsstrategien gefunden, um mit dem Auf und Ab von Depressionen und manischen Phasen gut umgehen zu können. Er hat auch Unterstützung in seinem Umfeld. Und trotz seiner gesundheitlichen Schwierigkeiten unternimmt er allerhand Dinge, die ich nun wegen Spoilergefahr nicht verraten möchte. Und all das sendet eine gute Message: Betroffene sind mehr als ihre Erkrankung. Und man kann lernen, mit einer psychischen Erkrankung zu leben.

Ich wollte ebenfalls eine positive Repräsentation kreieren. Deshalb habe ich die Romane „Die Rolle seines Lebens“ und „An seiner Seite“ geschrieben.

Der Protagonist Esteban hat Depressionen, aber das führt in seiner Geschichte nicht zu einem Riesendrama. Stattdessen lernt er in Oliver jemanden kennen, der ihn unterstützt, der wortwörtlich an seiner Seite ist und zu ihm hält. Für beide ist das ein Lernprozess. Und nein, Liebe oder eine Liebesbeziehung ist kein Heilmittel gegen Depressionen, wie es in manchen Geschichten gern heraufbeschworen wird. Das mag eine schöne Fantasie sein, aber es geht an der Realität vorbei.
Eine stabile Beziehung oder andere unterstützende Beziehungen können einem Menschen mit Depressionen allerdings sehr helfen, mit der Erkrankung besser zurechtzukommen, zumindest habe ich diese Erfahrung in meinem eigenen Leben machen dürfen, denn ich bin seit 2010 in einer stabilen Beziehung. Mein Protagonist Esteban holt sich Hilfe, er macht eine Therapie. Und erkennt am Ende, dass die Depression immer ein Teil seines Lebens sein wird. Und dass man damit leben kann.

Fußnote und mehr

*** Zu diesem Thema kann ich einen Blogbeitrag von Elea Brandt sehr empfehlen, am Beispiel der Schizophrenie:
https://eleabrandt.de/2020/01/30/schizophrenie-in-den-medien/

Der oben genannte Stephen Fry hat übrigens eine zweiteilige Dokumentation über die bipolare Störung gemacht: „The Secret Life of the Manic Depressive”
https://en.wikipedia.org/wiki/Stephen_Fry:_The_Secret_Life_of_the_Manic_Depressive

Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) erzählt gemeinsam mit dem Schriftsteller und Zeichner Matthew Johnstone die Geschichte „I had a black dog, his name was depression“.
Hier das kurze Video in deutscher Übersetzung: „Ich hatte einen schwarzen Hund, sein Name war Depression“

Weiterführende Literatur
„Achterbahn der Gefühle – Mit Manie und Depression leben lernen“
von Thomas Bock, 2007

„Meine ruhelose Seele: Die Geschichte einer bipolaren Störung“
von Kay Redfield Jamison, 2014

„Die bipolare Störung: Ein Ratgeber aus Angehörigensicht“
von Rolf Wenzel, 2015

„Ratgeber Bipolare Störungen: Hilfe für den Alltag“
von Daniel Illy, 2021

Meine Empfehlungen für mehr Vielfalt im Bücherregal

Dieses Thema gibt es im Rahmen des #Autor_innensonntags von Justine Pust.

Wenn ihr gern Phantastik lest, schaut gern mal auf diese Liste – die dort aufgelisteten Autor*innen sind queer, BI_PoC oder auf andere Weise divers, zum Teil auch intersektional (Teil mehrerer marginalisierter Gruppen):
https://bit.ly/diversePhantastikAutor_innen (oder den QR Code im Bild nutzen).

Und hier folgen einige weitere Empfehlungen:

Tommy Herzsprung schreibt Gay Bücher und Thriller

Der Buchblog »Like a dream« berichtet seit über 15 Jahren über queere Literatur, darunter auch Jugendbücher.

Linus Giese hat ein Buch über seine Lebensgeschichte als trans Mann veröffentlicht (»Ich bin Linus«) und ist als Buchblogger aktiv.

Schwarzrund ist Autor*in der Bücher »Biskaya« und »Quasi«.

Abschließend einige empfehlenswerte (nonfiction) Bücher zum Thema Antirassismus:

exit RACISM: rassismuskritisch denken lernen
von Tupoka Ogette
Unrast Verlag
ISBN: 978-3897712300

Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus
von Noah Sow
Books on Demand
ISBN: 978-3746006819

Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten
von Alice Hasters
Hanserblau Verlag
ISBN: 978-3446264250

Unter Weißen – Was es heißt, privilegiert zu sein
von Mohamed Amjahid
Hanser Literaturverlage
ISBN: 978-3-446-25472-5

Der weiße Fleck. Eine Anleitung zu antirassistischem Denken
von Mohamed Amjahid
Piper Verlag, München 2021
ISBN: 978-3-492-06216-9

Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche
Von Reni Eddo-Lodge 
Tropen-Verlag 
ISBN: 978-3608504194

Aktion: #QueerBuchMontag

In den Social Media, vor allem auf Instagram, gibt es verschiedene wöchentliche oder monatliche Beitragsaktionen für Autor*innen oder Buchblogger*innen, die über Hashtags gefunden werden können. (Hier ist eine Auflistung zu finden, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt: https://bit.ly/Autor_innen_Aktionstage.)

Ich möchte ebenfalls eine Aktion starten, speziell für queere Literatur, unter dem Hashtag #QueerBuchMontag. Die Aktion läuft vorerst vom 28. Juni bis 22. November, immer montags. Die Themen gebe ich vor. Manche davon richten sich speziell an Autor*innen, aber auch für Leser*innen ist etwas dabei.

Die Teilnahme verpflichtet zu nichts, man muss auch nicht jede Woche teilnehmen. Ich kündige das jeweilige Thema für den Montag sonntags um 15 Uhr an, auf meinem Twitterprofil – https://twitter.com/AZeichnerin (das ist öffentlich sichtbar, also auch für Leute, die nicht bei Twitter registriert sind).
Wenn euch etwas zum jeweiligen Thema einfällt, zeigt ein Bild und schreibt etwas dazu. Nutzt unbedingt den Hashtag #QueerBuchMontag, damit man euren Beitrag leicht und zeitnah finden kann. Ihr könnt eure Beiträge z.b. auf Instagram, Facebook, Twitter oder im eigenen Blog schreiben.

Privilegierte Zerbrechlichkeit

Kira Hoffmann, Pixabay

Ich habe mich lange gefragt, warum sich manche Menschen so gegen Diversität in der Literatur (oder anderen Medien) sperren. Warum sie das entweder nicht interessiert oder sie es sogar offen ablehnen. Oder warum sie sofort genervt reagieren, wenn jemand darauf hinweist, Teil einer marginalisierten Gruppe zu sein. Eigentlich sollte es doch mehr als willkommen sein, die ganze bunte Vielfalt des Lebens in Medien abzubilden. Sollte man eigentlich meinen …

Lasst uns in diesem Zusammenhang über Privilegien reden. Und das wird jetzt einigen Leuten möglicherweise wehtun. Und damit wir das Thema nicht zu weit aufmachen, beschränke ich mich auf den deutschsprachigen Raum.

Der rundum privilegierte Mensch im deutschsprachigen Raum ist weiß, cisgender, heterosexuell und männlich, er hat keine Behinderung. Er ist neurotypisch, dyageschlechtlich (das Gegenstück zu intergeschlechtlich) und allosexuell (Auf dem Spektrum der Sexualität ganz am anderen Ende von Asexualität). Außerdem ist er nicht arm und hat auch sonst wenig Probleme.

Das gilt für eine Mehrheit an Menschen. Und diese Menschen bestimmen den Diskurs, auch in der Literatur. Sie sitzen in Feuilleton-Redaktionen und in den Jurys von Literaturpreisen. Sie sind im Journalismus tätig und pflegen die deutschsprachige Wikipedia. Viele von ihnen sind sehr gebildet, haben Karriere gemacht. Manche von ihnen sind in Vereinen, die sich um die deutsche Sprache sorgen, aber das ist ein Thema für sich und dieses Fass möchte ich nun nicht aufmachen.

Wenn sie keinen engeren Kontakt mit marginalisierten und/oder intersektionalen Menschen haben, besteht ihre Bubble, ihr Umfeld ebenfalls aus privilegierten Menschen. Und das ist ziemlich bequem. Viele dieser Männer (denn meistens sind es cis Männer, wie schon erwähnt) sind mit einer Literatur aufgewachsen, die mehrheitlich von Menschen geschrieben wurde, die ihnen gleichen: weiß, cis, heterosexuell … siehe die Auflistung oben. Sie sind damit aufgewachsen, selbst wieder und wieder in der Literatur und anderen Medien repräsentiert worden zu sein. Das hat sie geprägt, sie haben dadurch sicherlich auch einiges an Selbstbestätigung gefunden und dieses wunderbare einzigartige Gefühl, wenn man sich in sympathischen, coolen, fiktiven Figuren widergespiegelt findet. Und entsprechend erwarten viele von ihnen auch, immer wieder solche Repräsentationen in der Literatur und anderen Medien zu finden. Weil sie es so gewohnt sind, und weil es bequem ist.

Dieses von mir erwähnte wunderbare Gefühl ist eines, das viele Frauen und nichtbinäre Menschen aus ihrer Kindheit kaum oder gar nicht kennen. Ein einzelnes Beispiel: Ich kann die Euphorie kaum beschreiben, die ich verspürte, als ich zum ersten Mal ever einen Film mit einer Superheldin in der Hauptrolle sah. Das war 2017 und ich war 39.

Kommen wir wieder zurück zu den Menschen mit den Privilegien. Die meisten von ihnen konnten es sich im Laufe ihres Lebens so richtig gemütlich damit einrichten – sie mussten sich nie persönlich auseinandersetzen mit Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und anderen menschenverachtenden -ismen. Viele von ihnen umgeben sich auch gern vor allem mit Menschen, die ähnlich sind wie sie selbst, also auch ähnlich privilegierte Erfahrungen gemacht haben.

Und dann kam das Internet und ab ca. 2007 verschiedene Social Media. Man kann über beides viel Negatives sagen, aber zugleich bieten diese virtuellen Räume marginalisierten und intersektionalen Menschen den Platz, öffentlich oder halb öffentlich von ihren Erfahrungen zu erzählen, von ihren Wünschen und Bedürfnissen, und ja, auch von Wut und Enttäuschung angesichts von Diskriminierungserfahrungen.

Und das zu lesen, ist unbequem für all die Privilegierten da draußen. Denn während sie es sich in ihrer privilegierten Bubble gemütlich eingerichtet haben, werden nun andere Stimmen laut, die von ganz anderen Erfahrungen erzählen – wie ich schon erwähnte, Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus und andere menschenverachtende -ismen. Darüber hinaus auch von einem Mangel an Diversität und Repräsentation in der Literatur und anderen Medien, aber auch in der Berufswelt, in Communities aller Art und noch anderen Umgebungen.

Es dürfte für die meisten privilegierten Menschen ein unangenehmes Gefühl sein, von Perspektiven weniger privilegierter Menschen zu erfahren. Viele Privilegierte gehen dann schnell in eine Art Abwehrhaltung oder leugnen sogar das, was sie von Betroffenen hören oder reden es klein. Sie sagen vielleicht, »Du stellst dich zu sehr an.« Oder »Du willst nur Aufmerksamkeit.« Oder sie sagen von sich, »Natürlich bin ich gegen Rassismus«, aber sie hören zugleich Menschen, die von rassistischen Erfahrungen betroffen sind, gar nicht erst zu, sondern belehren diese stattdessen, was denn Rassismus sei und was nicht.

Man könnte dies zusammenfassend privilegierte Zerbrechlichkeit nennen (in Anlehnung an Begriffe wie White Fragility, also englisch: Privileged Fragility) – dies beschreibt das Phänomen, dass manche privilegierte Menschen sich schnell angegriffen fühlen, wenn man sie auf menschenverachtende, destruktive -ismen hinweist, oder dass sie diese und damit verbundene Probleme leugnen, weil sie sie nicht wahrhaben wollen.

Oft kommt es in entsprechenden Gesprächen und in Social-Media-Kommentarspalten zu Derailing (Vom Thema ablenken) oder zu Whataboutism (»Ja, aber was ist mit …, das ist doch auch ganz schlimm!«). Denn es ist für viele privilegierte Menschen offenbar zu schmerzhaft oder unangenehm, sich einzugestehen, wie privilegiert sie selbst sind, während andere Menschen in einigen oder sogar mehreren Lebensbereichen immer wieder Diskriminierungen erleben.

Ich vermute, entsprechend ist es zumindest manchen dieser privilegierten Menschen auch sehr unangenehm, über marginalisierte Figuren in der Literatur zu lesen oder sie in anderen Medien zu finden. Denn die sind ja erstens so anders als sie selbst, zweitens schlagen sich diese Figuren womöglich mit unangenehmen -ismen herum und drittens finden die privilegierten Leute sich darin nicht repräsentiert. (Welcome to my world.)

Ich möchte diesen Beitrag schließen mit einem Zitat des Historikers Patrice Poutus:
„Leute, die privilegiert sind, empfinden Gleichberechtigung als eine Art Unterdrückung“

Weiterführendes:

„Die meisten Weißen sehen nur expliziten Rassismus“
Warum reagieren Weiße so abwehrend, wenn es um Rassismus geht? Weil sie es nicht gewohnt sind, sich mit ihrem Weißsein zu befassen, sagt die Soziologin Robin DiAngelo.

https://www.zeit.de/campus/2018-08/rassismus-dekonstruktion-weisssein-privileg-robin-diangelo

Podcast-Episode: „Weiße Zerbrechlichkeit und weiße Tränen“
von den Journalisten Marcel Aburakia und Malcolm Ohanwe
https://kanackischewelle.podigee.io/21-weisse-zerbrechlichkeit-weisse-traenen

Blogbeitrag von mir: Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

https://uebermedien.de/57222/eigentlich-ist-es-ganz-leicht-nicht-ueber-menschen-sprechen-sondern-mit-ihnen/
Tipp zum Anschauen: Youtube-Reihe „Uncomfortable Conversations With A Black Man“ mit Emmanuel Acho

Autor_innensonntag: Wie können wir LGBTIAQ+ unterstützen?

Ich bin queer, entsprechend ist auch mein Blickwinkel auf dieses Thema. Hier sind einige Vorschläge von mir dazu, mit mehreren verlinkten Seiten.

An die Autor*innen unter euch:
Sensitivity Reading

Wenn ihr als Autor*innen über queere (LGBTIAQ+) Menschen schreibt, aber selbst nicht queer seid (oder auf andere Weise als eure Figuren) macht euch bitte auf die Suche nach Sensitivity Readern, die es sind. Sie können euch helfen, schädliche Stereotypen, unabsichtliche Darstellungen von Mikroaggressionen oder andere problematische Dinge zu eliminieren, die ihr möglicherweise versehentlich in euren Text bringt, einfach weil ihr nicht die entsprechende Lebenserfahrungen teilt. Auf diese Weise könnt ihr problematische Darstellungen von LGBTIAQ+ Menschen vermeiden, z.B. das fürchterliche Handlungsmuster »Bury your gays«, zu dem die Autorin Elea Brandt kürzlich einen interessanten Beitrag in ihrem Blog geschrieben hat. Auf dieser Seite findet ihr Sensitivity Reader, oder fragt in Social Media:
https://sensitivity-reading.de/

Recherchieren
Sicherlich recherchiert ihr allerhand für eure schriftstellerischen Projekte, nicht wahr? Hier gibt es Recherchematerial in Sachen Diversität – auf dieser Liste findet ihr Links zu zahlreichen Texten, z.B. Blogbeiträge, Artikel, außerdem Bücher, Podcasts u.a., die sich mit Diversität und auch mit der Repräsentation von queeren Menschen befassen (Google Doc):

http://bit.ly/literaturundlinksdiversität

Hier außerdem einige englischsprachige Texte (Google Doc):

http://bit.ly/linksandtextsdiversity

Mein Essayband »Diversity in der Literatur« beschäftigt sich ebenfalls mit vielen Diversitätsthemen, auch mit queeren Menschen.

An die Leserinnen unter euch
Werft einmal einen kritischen Blick in euer Bücherregal. Seht ihr da ausschließlich Bücher von cisgender, heterosexuellen Autor*innen? Klar, bei vielen ist das nicht auf Anhieb ersichtlich und natürlich muss jede Person ganz individuell für sich entscheiden, ob, wann oder wie sie sich outet. Aber es gibt online Listen und Buchempfehlungen zu queeren (auch genannt »Own Voices«) Autor*innen – z.B. aus Buchblogs, die sich auf queere Bücher spezialisiert haben. Zwei dieser Blogs:
QueerBuch – https://queerbuch.wordpress.com/
Like a dream – https://www.like-a-dream.de/

Der sehr engagierte Blog »Wir schreiben queer« hat einen großen Autor*innen-Katalog auf seiner Webseite: https://www.wir-schreiben-queer.de/ und ist auf Facebook und Instagram aktiv.

Auch auf dieser Liste für Phantastik findet ihr Bücher von Own Voices Autor*innen:
http://bit.ly/phantastikmitdiversität

Und hier englischsprachig für Phantastik: https://queersff.theillustratedpage.net/

Last but not least hier der Vorschlag: Lest mehr Bücher mit queeren Figuren, mit queeren Geschichten. Das bietet nicht nur eine Abwechslung zur heteronormativ geprägten Mainstream-Literatur, es könnte auch euren Horizont erweitern.


#Autorensonntag

Verantwortung als Autor*innen. Haben wir Verantwortung? Wie gehen wir damit um?

Um es vorwegzunehmen, ich finde, ja.Wir schreiben nicht nur im stillen Kämmerlein für uns allein, sondern für ein lesendes Publikum. Wir tragen Verantwortung für die Geschichten, die wir in die Welt setzen, denn es ist ja nicht so, dass irgendeine Muse ganz losgelöst von unserer Person uns Geschichten einflüstert, die wir dann vollkommen unbewusst zu Papier bringen. Jeder Plot, jegliche Gestaltung von Figuren beinhaltet viele bewusste Entscheidungen. Als Autor*innen können wir uns für oder gegen Diversität in unseren Geschichten entscheiden. Wir können uns für oder gegen problematische Tropes entscheiden. Ich habe einmal eine ganze Romanidee komplett verworfen, als mir durch einen Blogbeitrag und einen Videobeitrag einer Own Voices Bloggerin klar wurde, dass ich in jenem Fall fast ein sehr problematisches Trope als Plotdevice verwendet hätte.

In manchen Fällen reproduzieren Autor*innen unbewusst problematische Tropes und reagieren entsetzt oder überrascht, wenn Lektor*innen sie darauf aufmerksam machen. Die Autorin und Lektorin Susanne Pavlovic hat darüber einen Beitrag geschrieben:
https://www.tor-online.de/feature/buch/2020/05/twilights-kinder-toxische-beziehungsmuster/


Ich habe einen Blogbeitrag geschrieben über die fatale Romantisierung von toxischen Beziehungen.

… und darüber, dass Konsens sexy ist (denn viel zu oft fehlt Konsens zwischen zwei Figuren in einer Geschichte) https://amalia-zeichnerin.net/konsens-ist-sexy/

Ich habe mehrfach Beiträge geschrieben zum Thema Diversität in der Literatur, sowie über Triggerwarnungen (hier zu finden:
https://amalia-zeichnerin.net/category/diversitaet-inklusion-representation/) und plane dazu einen Essayband, um diese Beiträge in gebündelter Form anzubieten.