Diversität und Repräsentation in der Literatur

In der deutschsprachigen Phantastikszene verfolge ich seit längerem Diskussionen über Diversität und Repräsentation. Auch in anderen Genres wird das inzwischen diskutiert.

Zunächst einmal: Was ist Diversität?
Sie ist ein Spiegel unserer vielfältigen, multikulturellen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der auch Minderheiten und marginalisierte Gruppen leben: Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen mit Behinderungen. Queere Menschen (LGBTQ+). Menschen mit psychischen oder chronischen Erkrankungen. Menschen mit Neurodiversität**. Menschen mit Körperformen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Menschen, die alternative Beziehungsformen leben, z.B. Polyamorie oder Patchworkfamilien. Diversität bietet die Möglichkeit, auch solchen Menschen eine Stimme zu leihen, sie zu repräsentieren – als Protagonist*innen oder Nebencharaktere. Das ist letztendlich eine Form der Inklusion. Auch in der Phantastikliteratur.

@DieKatzenhai schrieb neulich auf Twitter:
Wer ein rein weißes, dya, allo, cishet Cast schreibt, kann einfach nicht gut schreiben. Diversität *ist* Realismus.

Wer sich angesichts der Abkürzungen fragt, was das bedeutet:
dya = Das Geschlecht eines Menschen ist klar, entweder weiblich oder männlich – das Gegenteil zu intersexuellen Menschen
allo(sexuell) = Das Gegenteil zu asexuell
cis(gender) = Das Gegenteil zu transgender; cisgender Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das bei ihrer Geburt vorlag.
het(erosexuell) = das Gegenteil zu queer

Ich würde zwar nicht unbedingt sagen, dass man nicht gut schreiben kann, wenn man nicht auf Diversität achtet. Aber Diversität ist auch aus meiner Sicht Realismus.
In vielen westlichen Ländern bilden weiße, dya/allo/cis/hetero Menschen zwar die Mehrheit der Gesellschaft. Wer aber nur solche Menschen in seinen Texten abbildet, blendet damit viele andere kleinere Gruppen aus, die ebenfalls zu unserer Gesellschaft gehören.

Warum ist Diversität überhaupt wichtig?

Menschen, die keiner Minderheit angehören, sind in gewisser Weise privilegiert, während marginalisierte Menschen in ihrem Leben oft negative Erfahrungen machen, z.B. Diskriminierung, fremdenfeindliches Verhalten, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus oder noch andere und zwar verbal oder auch physisch, bis hin zu Gewalttaten. Oftmals hat das noch dazu historische Gründe (z.B. Kolonialismus, Sklaverei, Illegalität von Homosexualität, massivste Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus und anderen totalitären Regimen u.a.).

Was hat das nun mit der Literatur zu tun? Belletristik, wie auch Theaterstücke, Comics/Graphic Novels, Filme, Serien und Spiele, also alle Medien, die Geschichten erzählen, bieten Leser*innen die Möglichkeit, sich mit den handelnden Charakteren mehr oder weniger zu identifizieren. Manche Charaktere können Mut machen, als Vorbild dienen, andere eher nicht. Manche können Probleme erleben, die auch marginalisierte Menschen im Alltag haben und damit deren Realität widerspiegeln. Sie können in fiktionaler Form zeigen, wie man solche oder auch andere Probleme überwinden kann oder damit umzugehen lernt. Damit bieten solche Charaktere letztendlich auch die Möglichkeit, Leser*innen Wege zu einer Art Empowerment (Handlungsfähigkeit) zu zeigen.

Wenn in Büchern aber alle Charaktere wie oben beschrieben weiß, dya/cis/allo/hetero, und neurotypisch** sind, finden sich Menschen, die das nicht sind, darin nicht wieder. Natürlich können sie die Geschichte trotzdem lesen, aber sie werden sich weniger mit den Charakteren identifizieren können, weil diese andere Lebensentwürfe, andere Weltanschauungen oder einen anderen Sozialisationshintergrund als sie selbst haben.

Man könnte auch sagen, wer ausschließlich weiße, dya/cis/allo/hetero, neurotypische** Charaktere ohne Behinderungen oder Erkrankungen schreibt, wendet sich damit letztendlich im Grunde nur an Leser*innen, die das auch sind. Und das ist zwar die Mehrheit unserer Gesellschaft im deutschsprachigen Raum, aber halt nicht die gesamte.

Ein weiteres Problem: Es gibt unzählige Bücher, die genau so gestaltet sind, es ist die Mehrheit an Publikationen. Bücher, die Diversität thematisieren – und das auf gelungene Weise – die muss man im deutschsprachigen Raum meistens noch immer suchen.

Aber das ist doch alles Fantasie. Das hat doch sowieso keinen Einfluss auf das reale Leben”
Auf den ersten Blick mag das stimmen. Allerdings gibt es Studien, die zeigen, dass der Konsum von fiktiven Inhalten sich durchaus auf Menschen, ihre Gedanken und ihr Verhalten auswirken kann.

Siehe: The Psychology of Entertainment Media – Blurring the Lines Between Entertainment and Persuasion
https://numerons.files.wordpress.com/2012/04/14psychology-of-entertainment-media.pdf

Entsprechend wird sich auch eine positive Repräsentation sich auf die eine oder andere Weise auf Leser*innen auswirken, die sich durch einen Charakter repräsentiert sehen.

Ein Beispiel: Falls du eine Frau* bist und dir die Superheldinnen-Filme „Captain Marvel“ oder „Wonder Woman“ gut gefallen haben, könnte es zum Teil daran liegen, dass du dich hier als Frau* durch eine Superheldin als Titelheldin repräsentiert gefühlt hast. Bis zu diesen beiden Filmen waren es fast ausschließlich männliche Superhelden, die auf der Leinwand und in Serien als Titelhelden agierten.

Darf man denn gar nicht mehr frei schreiben, was man will?”

Während in anderen Ländern, z.B. UK und USA mittlerweile größtenteils etabliert ist, dass Diversität wichtig und wünschenswert ist, wird hierzulande noch viel diskutiert, ob das so ist. Ich habe mehrfach die Frage gelesen, ob man denn nun nicht mehr frei schreiben dürfe, was man wolle. Natürlich darf man das. Die Kunst ist frei. (Artikel 5 des Grundgesetzes, hier nachlesbar: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)

Entsprechend dürfen Autor*innen natürlich auch weiterhin Literatur ganz ohne Diversität schreiben, also mit den oben erwähnten weißen, dya/cis/allo/hetero, neurotypischen Menschen (oder Wesen) als Protagonist*innen und Nebenfiguren.

Man muss allerdings dann damit rechnen, dass manche Leser*innen und Rezensent*innen bei solchen Büchern auf einen Mangel an Diversität hinweisen. Zumal dieses Thema auch in anderen Medien, z.B. Games, Comics/Graphic Novels, Serien und Filmen einen immer größeren Stellenwert gewinnt.

Foto: Sweetlouise, Pixabay

Die Sexualität meiner Charaktere interessiert mich nicht.”

Oft höre ich dieses Argument in Bezug auf queere Charaktere, oder auch: „Es gibt sowieso keinen Sex in der Geschichte”. Allerdings führt das zu folgendem Problem: Wenn man die sexuelle Identität und Orientierung seiner Charaktere nicht einmal ansatzweise andeutet, wird ein Großteil der Leser*innen sie einfach heteronormativ als cisgender/hetero wahrnehmen – weil dass die Mehrheit an Menschen nun einmal ist und weil man es aufgrund diversitätsarmer Literatur gewohnt ist, über solche Charaktere zu lesen. Selbst wenn Sex keine Rolle spielt – Charakter sind auf die eine oder andere Weise aufgewachsen, haben ihre Erfahrungen gemacht, hatten eventuell schon mal Sex (oder auch nicht), hatten eine Beziehung (oder auch nicht). Es ist ein Teil ihrer Sozialisation, möglicherweise sogar ein wichtiger. All das prägt sie, auch das Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen und das Zusammenspiel mit dem eigenen oder dem anderen Geschlecht bzw. anderen Geschlechtern. Oft reichen schon wenige Sätze in einem Buch, um zumindest anzudeuten, welche sexuelle Identität und Orientierung ein Charakter hat. Übrigens: Queere Charaktere müssen in einer Geschichte keinen Sex haben, um queer zu sein.
Siehe auch:
https://alpakawolken.de/mein-charakter-hat-keine-sexualitaet/
https://alpakawolken.de/der-fluch-der-heteronormativitaet/
https://alpakawolken.de/repraesentation-geht-auch-ohne-sex/

Aber ich kenne keine marginalisierten Menschen. Wie soll ich dann über sie schreiben?”

Für die meisten Geschichten muss man recherchieren, das gilt auch für den Phantastikbereich. Also warum nicht auch über das Leben von Minderheiten recherchieren? Es gibt Erfahrungsberichte, Biografien, Blogs und vieles mehr, was sich dazu lesen lässt oder auch Dokumentarfilme und Leute bzw. Gruppen in sozialen Netzwerken, in denen man Fragen stellen kann. Ja, das macht mehr Arbeit und man muss dafür eventuell seine Komfortzone ein Stück weit verlassen – aber es lohnt sich. Außerdem gibt es Sensitivity Reader: Menschen, die selbst zu einer Minderheit gehören und einen Text aus Betroffenensicht beurteilen können. Solche Leser*innen können auf problematische Mikroaggressionen, Klischees und Stereotypen oder andere Probleme hinweisen.Eine hilfreiche Webseite dafür: https://sensitivity-reading.de/

Und damit es keine Missverständnisse gibt: Niemand verlangt, dass Autor*innen in ihren Werken sämtliche marginalisierte Gruppen abbilden, die es gibt. Es müssen auch nicht direkt die Protagonist*innen sein, schließlich können auch Nebenfiguren eine Minderheit repräsentieren.

Und noch etwas: Immer wieder lese ich darüber, dass Klischees, Stereotypen und problematische Tropes im Zusammenhang mit Charakteren verwendet werden, die aus einer marginalisierten Gruppe stammen. Wer sich fragt, was Tropes sind, das sind typische Handlungsmuster, die innerhalb eines Genres, oder auch genreübergreifend häufig in verschiedenen Varianten auftauchen. Hier eine englischsprachige Seite dazu: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/GenreTropes

Einige Beispiele für problematische Tropes:

  • Der einzige behinderte Charakter in einer Geschichte wird ausschließlich über sein Leid und seine Behinderung definiert.
  • Der einzige schwarze Charakter ist Mitglied einer üblen Gang, ein Drogendealer oder auf andere Weise kriminell.
  • Die einzige Person of Color (nicht-weiß) dient ausschließlich als „Funny sidekick” für den Protagonisten oder die Protagonistin
  • Der einzige queere Charakter stirbt auf dramatische Weise (Trope „Bury your gays”)
  • Der einzige neurodiverse Charakter wird nur über seine „Andersartigkeit” und seine Probleme mit sozialer Interaktion definiert, oder als einsames, verschrobenes „Wunderkind” dargestellt (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom, Hochbegabung)
  • Der einzige schwule Charakter ist der beste Freund der Protagonistin. (Trope „Gay best friend”)
  • Ein eigentlich heterosexueller Charakter „wird” für diese eine ganz besondere Person schwul (Trope „Gay for you”) – was eigentlich auch noch zum Problem der Unsichtbarkeit von Bisexualität führt (Trope: „No bisexuals”)

Diversität bedeutet nicht, einen marginalisierten Charakter in seine Geschichte einzubauen und diesen einfach um des Drama willens leiden zu lassen. Wenn solche Charaktere einfach als Plotdevice benutzt werden, um Spannung oder Emotionalität zu erzielen, ist das falsch verstandene Diversität.

Viele marginalisierte Menschen möchten in Büchern auch nicht mit Klischees und Vorurteilen über ihre Gruppe konfrontiert werden, denn das erleben sie ohnehin viel zu häufig in ihrem Alltag, bis hin zu Diskriminierungen, Übergriffigkeit oder Gewalt.
Viele von ihnen wollen dann nicht auch noch Geschichten darüber lesen. Vor allem nicht von Autor*innen, die davon nicht selbst betroffen sind. Deshalb gibt es die „Own Voices”-Bewegung, bei der betroffene Autor*innen über ihre eigene Erfahrungen schreiben oder diese in ihre Bücher mit einfließen lassen.
Siehe z.B. https://alpakawolken.de/ownvoices-sind-wichtig/

Du möchtest diverser schreiben? Hier ein paar Tipps:

  • Schreibe lebensnahe, realistische Charaktere, die nicht einfach als Plotdevice dienen und auch nicht nur als (lustiger) Sidekick.
  • Mach sie authentisch und menschlich, gib ihnen eigene Motivationen (eine eigene Agenda) und mehr Eigenschaften als nur das, was sie als Mitglied einer Minderheit kennzeichnet. Definiere sie nicht allein über ihr „Anders-Sein“, denn das ist Othering.
  • Und keine Sorge, natürlich dürfen sie auch Schwächen und Macken haben, das macht sie menschlich.
  • Vermeide aber Klischees und Stereotypen.
  • Sprich mit Leuten, die zu dieser Minderheit gehören oder suche nach Sensitivity Readern


Diversität und Repräsentation in der Literatur stecken im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen.
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Verlage kaum damit werben, dass ihre Bücher divers sind und auch aus Klappentexten und Leseproben ist das selten ersichtlich.

Deshalb kann ich nur dazu aufrufen, was auch die Bloggerin Katriona schon schrieb: Wenn ihr Rezensionen schreibt oder wenn ihr selbst divers schreibt, und die Möglichkeit dazu habt, weist darauf hin, z.B. im Klappentext oder zumindest in der Buchbeschreibung. Das geht in den meisten Fällen auch ohne Spoiler.

Wer mehr über Diversität und Repräsentation erfahren möchte ohne darüber zu diskutieren, ob sie sinnvoll sind oder nicht – speziell dafür habe ich auf Facebook diese Gruppe gegründet:
https://www.facebook.com/groups/DiversitaetundRepraesentation/

Hier gibt es außerdem eine Liste mit Phantastikbüchern, in denen Diversität und Repräsentation eine wichtige Rolle spielt – die jeweiligen Diversitätsthemen sind bei den Büchern genannt.
https://docs.google.com/document/d/1VQHMAOkYWz-4d-scnGkCd6jyO1FA3m0eabdDRYb6W7Q/

Weitere Texte zum Thema:
https://www.tor-online.de/feature/und-der-ganze-rest/2017/04/can-we-talk-ein-plaedoyer-fuer-mehr-diversitaet-in-der-fantastik/

https://katlike.de/2018/11/25/diversity-101-wieso-wir-alle-divers-schreiben-sollten/

** neurotypisch ist das Gegenstück zu neurodivers. Menschen mit Neurodiversität können z.B. AD(H)S haben, autistische Züge, das Asperger-Syndrom, Hochsensibilität oder noch etwas anderes haben. Neurotypische Menschen haben keine solchen Varianten und bilden die Mehrheit der Gesellschaft.

Über die fatale Romantisierung von toxischen Beziehungen und anderen problematischen Tropes in der Fiktion

Foto: Pixel2013, Pixabay

Spätestens seit der Twilight-Reihe von Stephenie Meyer und „Fifty Shades of Grey“ von E.L. James (ursprünglich übrigens eine Fanfiction der Twilight-Reihe) sind Liebesgeschichten ausgesprochen populär geworden, die eine ganze Reihe an toxischen Verhaltensweisen romantisieren, darunter Grenzüberschreitungen, häusliche Gewalt, Vergewaltigung, Entführungen, Stalking und noch einiges mehr. Ähnliches findet sich auch in manchen Liebesfilmen.
Oftmals geht es auch um die „Eroberung” eines Love-Interests, die dann mit allen Mitteln durchgezogen wird, bis hin zu dem erwähnten Stalking oder noch anderen fragwürdigen Methoden. Selbst wenn Love-Interests deutlich machen, dass sie kein Interesse haben, wird ein „Nein” nicht akzeptiert. Das allein ist schon ein problematischer Trope, der die Entscheidungsfreiheit von Menschen völlig in Frage stellt.

Nicht selten geht es in solchen Büchern auch um die Annahme, man könne einen „Bad Boy” zum Guten hin ändern. Oder dass dieser sich aus Liebe zu einer bestimmten Person sich zumindest dieser gegenüber nicht wie der letzte Arsch verhalten wird.
Der Typus des „Bad Boy” als Protagonist (fast ausschließlich männlich) ist mittlerweile so beliebt, dass manche Liebesromane den Begriff direkt im Titel tragen oder ihn zumindest im Klappentext unterbringen. Glaubt ihr nicht? Gebt einfach mal in einer großen Onlinebuchhandlung den Suchbegriff „Bad Boy“ ein.
Die Liebe zu einem „Bad Boy” mag romantisch klingen, ist sie aber nicht. Weil die Realität ganz anders aussieht. Viele Opfer häuslicher Gewalt können davon ein Lied singen – sie bleiben oft lange bei einem Partner, der sie schlägt oder auf andere Weise missbraucht. Weil sie die Schuld bei sich selbst suchen. Weil sie ihn trotz allem immer noch lieben, oder sich zumindest an diese Vorstellung klammern. Weil sie Angst vor einer Trennung und den entsprechenden Konsequenzen haben. Weil sie darauf hoffen, ihn doch noch ändern zu können. Das sind aber in vielen Fällen nichts als Illusionen. Die als realitätsferne Fantasien in entsprechenden Büchern auftauchen.

Nun werden manche Lesende so argumentieren, dass das ja eben alles Fantasie sei und einfach einer nervenkitzelnden Unterhaltung diene. Mir ist durchaus bewusst, dass es viele Leser*innen gibt, für die ein solches Buch genau das ist – einfach nur ein Nervenkitzel, etwas über im Grunde verbotene oder fragwürdige Verhaltensweisen zu lesen, der aber keine spürbare Auswirkungen auf ihr reales Leben hat.

Ähnlich, wie es auch ein Nervelkitzel für manche Computerspieler*innen ist, sich mit „Baller-Spielen” zu beschäftigen – für viele eine Möglichkeit, „Dampf abzulassen”, ohne dass dies Nachwirkungen im realen Leben hat. Während wiederum andere, leicht beeinflussbare und/oder labile Menschen dadurch auch in der Realität aggressiv werden können oder andere negative Verhaltensweisen an den Tag legen.

Entsprechend gibt es auch junge, leicht beeinflussbare oder auch labile Leser*innen, die oft in Büchern nach Vorbildern und Identifikationsfiguren suchen. Diesen wird im Genre der „Dark Romance” und verwandten Genres ein äußerst fragwürdiges Weltbild präsentiert: Verhaltensweisen (häufig von cis Männern), die im realen Leben im Grunde strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen würden, werden in solchen Büchern romantisch verklärt und geschönt, und damit in gewisser Weise normalisiert. Entsprechend dürften sie vor allem von diesen Leser*innen mit wenig Lebenserfahrung dann möglicherweise als etwas relativ Normales empfunden werden. Vielleicht erkennen sie darin auch Verhaltensweisen aus ihrem eigenen Umfeld wieder und sagen sich dann, „Männer sind halt so.” Insofern finde ich es fatal, dass manche dieser angeblichen Romanzen mit toxischen Beziehungsmustern als jugendfrei eingestuft werden, und auch in entsprechenden Kategorien in Onlinebuchhandlungen zu finden sind.

Das Argument, Fiktion sei doch Fiktion und würde sich nie wirklich auf die Gedanken- und Gefühlswelt von Menschen auswirken, ist übrigens hinfällig, wenn man sich Studien wie diese ansieht, die deutlich macht, dass sich der Konsum von fiktiven Medien aller Art durchaus auf das Weltbild und die Verhaltensweisen von Menschen auswirken kann:
„The Psychology of Entertainment Media – Blurring the Lines Between Entertainment and Persuasion” ( siehe: https://numerons.files.wordpress.com/2012/04/14psychology-of-entertainment-media.pdf)

Wenn man sich die erschreckenden Zahlen aus Kriminalstatistiken ansieht, wie viele Menschen (größtenteils, aber nicht nur, Frauen) jährlich vergewaltigt oder gar ermordet werden, wird deutlich, dass diese negativen, toxischen Verhaltensweisen, wie schon gesagt, sehr real sind. Entsprechend dürften sich Opfer von häuslicher Gewalt oder anderen Straftaten von solchen Büchern, in denen all das romantisiert oder als etwas „Normales” dargestellt wird, vermutlich auf Schlimmste verhöhnt vorkommen.

Entsprechend realistisch, ohne eine Romantisierung, sollte aus meiner Sicht auch der Umgang in fiktiven Texten damit sein.

Mein persönlicher Kodex als Autorin lautet daher:
Ich verzichte in meinen Geschichten auf die Romantisierung, Normalisierung oder Idealisierung von:
– sexueller Belästigung
– Missbrauch (verbal und körperlich)
– häuslicher Gewalt
– Vergewaltigung
– Stalking
– Entführung und Stockholm-Syndrom (https://de.wikipedia.org/wiki/Stockholm-Syndrom)
– Gaslighting und anderen Formen von psychischer Manipulation
(https://de.wikipedia.org/wiki/Gaslighting)
– Grenzüberschreitungen
– ungesunde BDSM-ähnliche Beziehungen ohne Konsens und ohne Sicherheit
– sowie andere schädigende, menschenverachtende Verhaltensweisen, deren Täter keinerlei strafrechtliche oder andere Konsequenzen erfahren.

Sollten in meinen Büchern dennoch Charaktere oben genannte Verhaltensweisen an den Tag legen, werden sie dafür nicht mit der Liebe oder der erfolgreichen „Eroberung“ eines anderen Charakters „belohnt“, sondern werden stattdessen früher oder später schmerzhafte Konsequenzen auf die eine oder andere Weise erleben, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung.

Weiteres zum Thema:

Verwischte Grenzen: Wenn Literatur problematisch ist https://stuermischeseiten.de/2017/12/16/teegedanken-das-problem-mit-den-toxischen-inhalten-in-unserer-literatur/

Guilty pleasure oder Gesellschaftsproblem? https://eleabrandt.de/2018/02/05/guilty-pleasure-oder-gesellschaftsproblem/

Meine Probleme mit Pseudo-Liebesromanen https://ninahasse.wordpress.com/2017/04/26/meine-probleme-mit-pseudo-liebesromanen/

Rapefiction-Debatte: Es geht um alles, aber nicht um Sex https://geekgefluester.de/rapefiction-debatte-es-geht-um-alles-aber-nicht-um-sex

Sexuelle Gewalt im Mediengedächtnis https://buechnerwald.wordpress.com/2019/04/14/sexuelle-gewalt-im-mediengedaechtnis/

Podcast-Folge zum Thema: https://feuer-und-brot.podigee.io/46-toxische-beziehungen

Die Autorin Jenny Trout hat vor einiger Zeit den Roman „Fifty Shades of Grey” (und andere Bücher) in allen Einzelheiten analysiert, Kapitel für Kapitel. Dabei legt sie unter anderem offen, wieviele negative Verhaltensweisen darin zu finden sind (englischsprachig): http://jennytrout.com/?page_id=5720&fbclid=IwAR2Vr6r__QuRlU95QEpQ05RDxgzbFchmHK-dNzLQfWZknC-oJRzCGWeY_Eg

Aktuell ist „The Mister” von E.L. James auch in den deutschen Bestseller-Listen zu finden.
Diese und andere Rezensionen lassen kein gutes Haar an dem Roman:https://www.vice.com/de/article/vb9eqy/e-l-james-the-mister-wir-haben-den-nachfolger-von-fifty-shades-of-grey-gelesen

Das Video „Stalking for Love“ zeigt Stalking, wie es in vielen Filmen umgesetzt wurde (englischsprachig, deutsche Untertitel können eingeschaltet werden):

„Entführung als Romanze“

(englischsprachig, deutsche Untertitel können eingeschaltet werden):
https://www.youtube.com/watch?v=t8xL7w1POZ0

leider nur englischsprachig: „Rom Cons: Problematic Movie Romance Lessons“
https://www.youtube.com/watch?v=ohmWqno24cE

Autorinnen aus dem Nornennetz haben mal einen interessanten Beitrag zum Thema Stalking im Romance Genre verfasst, der aufzeigt, wie unterschiedlich Verhaltensweisen interpretiert werden können:
https://www.nornennetz.de/baddating

Update 2020
Die Vögte über die Repräsentation von Rape Culture
https://www.youtube.com/watch?v=seC6UXakDOg

eine psychologische Studie über problematische Liebes-Tropes, veraltete Rollenbilder und toxische Maskulinität in der Twilight-Saga von Stephenie Meyer: https://www.researchgate.net/publication/254075080_Deadly_Love_Images_of_Dating_Violence_in_the_Twilight_Saga

Twilights Kinder – Über toxische Beziehungsmuster in Young-Adult-Romanen:
https://www.tor-online.de/feature/buch/2020/05/twilights-kinder-toxische-beziehungsmuster/

© Amalia Zeichnerin

Über die Repräsentation von Bisexualität in Medien der Fiktion

(Update im Juni 2024)

In diesem Beitrag schreibe ich über das Thema Bisexualität, da ich mich selbst mit diesem Umbrella-Term identifiziere, und wie diese in Medien wie Büchern, Filmen, Serien dargestellt wird.

Zunächst ein paar persönliche Worte: Ich selbst habe erst mit Mitte Dreißig herausgefunden, dass ich bisexuell (bzw. genaugenommen panromantisch) bin, weil ich bis dahin populären Irrtümer über die sexuelle Orientierung geglaubt habe, z.B. die folgenden:
„Das ist nur eine Phase. Früher oder später wird einem klar, dass man eigentlich hetero- oder homosexuell ist”
„Man muss sich zu gleichen Teilen zu Männern und Frauen hingezogen fühlen, um als bisexuell zu gelten.”
„Man muss mindestens einmal eine Beziehung/und/oder Sex zu einem Mann und einer Frau gehabt haben, um sich als bisexuell identifizieren zu können.”
Erst ein Artikel der amerikanischen Organisation GLAAD hat mir diesbezüglich die Augen geöffnet, der leider nicht mehr online ist.

Nun ist es so, dass auch heute noch immer mal wieder Vorurteile über Bisexuelle in Medien verbreitet werden, was früher noch ausgeprägter war. Zum Beispiel gab es lange Zeit den Trope des „depraved bisexual”, in dem entsprechende Charaktere oft mit Stereotypen dargestellt werden, z.B. als hypersexuell, promiskuitiv, manipulativ oder, um des Dramas willen, sogar als gefährlich oder mörderisch.

Ein weiteres negatives Trope ist „Bury your gays” , von dem nicht selten auch bisexuelle Figuren betroffen sind. An dieser Stelle möchte ich gern den „Lexa Pledge” erwähnen, der sich seit 2016 im englischsprachigen Raum für eine bessere Repräsentation von lesbischen und bisexuellen Frauen einsetzte. Diese Initiative geht zurück auf den Tod des Charakters Lexa aus „The 100”. Dieser wiederum steht in der traurigen Tradition des oben genannten Tropes. Das bedeutet, dass queere Figuren in Filmen, Serien und anderen Medien häufig gewaltsam sterben, in erster Linie, um Drama zu erzeugen. Oftmals wird dieses Handlungsmuster auch verwendet, um die Charakterentwicklung des (heterosexuellen) Protagonisten voranzutreiben. Dieser Trope ist besonders dann schädlich, wenn in einer Geschichte ausschließlich einer oder mehrere queere Figuren sterben, während die heterosexuellen Charaktere überleben. Denn wer selbst queer ist, kann angesichts solcher Geschichten fast den Eindruck bekommen, dass queere Menschen meistens ein besonders schweres Schicksal haben, das selten gut endet.

Bisexuelle müssen sich von Heterosexuellen oft anhören, sie seien zu queer. Von Homosexuellen wiederum kommt häufig der Vorwurf, sie seien zu feige, um sich als homosexuell zu outen. Letzteres basiert auf den Vorurteilen, dass Bisexualität eigentlich gar nicht existiere oder lediglich eine Phase sei. Ein weiteres Problem, mit dem Bisexuelle oft zu kämpfen haben, ist ihre relative Unsichtbarkeit: Eine Person in einer gegengeschlechtlichen Beziehung wird als heterosexuell gelesen. Eine Person, die in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung ist, wird von ihrem Umfeld als homosexuell gesehen. Wer also von sich aus nicht erklärt, er sei bisexuell, wird so u. U. gar nicht als solcher wahrgenommen.

Diese Form von Unsichtbarkeit ist auch in vielen Medien zu finden und wird im englischsprachigen Raum auch als „Bisexual erasure” bezeichnet: Also ein Ausradieren der eigentlichen sexuellen Orientierung.
Ein Beispiel hierfür: Willow aus „Buffy – Im Bann der Dämonen” ist zunächst mit einem Mann (Oz) zusammen, später mit einer Frau (Tara). Das Wort Bisexualität wird in diesem Zusammenhang nie erwähnt, Willow äußert auch nie entsprechende Gedanken gegenüber anderen. Stattdessen beschreibt sie sich selbst als lesbisch. Nun gibt es durchaus Menschen, die sich zunächst unsicher sind, was ihre Sexualität betrifft, aber in Willows Fall würde das quasi bedeuten, dass die längerfristige Romanze mit Oz nicht echt war, wenn sie sich eigentlich als lesbisch sieht.

Weitere Filme, in denen Figuren nie auch nur ansatzweise über Bisexualität sprechen, obwohl es dazu einige Gründe gebe, sind z.B. „The kids are alright”, „Freier Fall” und „Chasing Amy”. Und noch ein Beispiel: Der Comic-Charakter Constantine ist in den Comics offen bisexuell, jedoch nicht in der Verfilmung von 2005 und auch nicht in der Adaption von NBC aus dem Jahr 2014. In beiden wird er als heterosexuell dargestellt. Ähnliches gilt für den Comic-Charakter Deadpool (der in den Comics offiziell pansexuell ist). Einige englischsprachige Artikel zum Thema Bisexual erasure sind am Ende des Artikels verlinkt.

Gelegentlich wird Bisexual erasure auch für Queerbaiting ausgenutzt, so zum Beispiel in der Serie „Supernatural”. Dean Winchester ist auf der einen Seite mehr oder weniger ein Womanizer, auf der anderen Seite hat er eine so innige Freundschaft mit dem Engel Castiel, dass diese schon als deutlich mehr erscheint. Zumindest wird entsprechendes immer wieder angedeutet und sei es nur über den Subtext. Aber dabei bleibt es, aus ihrer Beziehung wird nie eine richtige Romanze und keiner von ihnen outet sich. (Spoiler Alert: Am Ende der 15. Staffel erklärt Castiel schließlich dann doch seine Liebe zu Dean, aber das geht nicht gut aus.)

An der Frage, ob Dean bi ist, scheiden sich die Geister im entsprechenden Fandom und das Shipping „Destiel” war oder ist so beliebt, dass es nicht nur unzählige Fanfictions zu diesem Thema gibt, sondern 2016 sogar eine Destiel-Convention.

Im Artikel „Supernatural’s Scariest Monster: Bi Erasure” (nicht mehr online) schreibt der Verfasser: „In gewisser Weise zieht die Serie Vorteile aus dem bi erasure und benutzt es als Brennstoff für ihr Queerbaiting-Feuer”.

Und wie sieht es in der Literatur aus?
Bei einer Suche nach Büchern, in denen Bisexuelle vorkommen, stieß ich als erstes auf Erotik-Literatur, die häufig Dreiecksbeziehungen oder -Affären abbildet, wie schon auf den Covern zu sehen ist. Also ein weiteres Klischee über Bisexuelle – dass sie nur in einer Dreiecksbeziehung mit beiden Geschlechtern glücklich sein könnten.

In der Belletristik fand ich den Begriff „bisexuell” fast nie direkt im Klappentext, obwohl das eigentlich hilfreich wäre oder zumindest Andeutungen in dieser Richtung. Das hat sich mittlerweile deutlich geändert, da viele Autor*innen ihre Bücher mit Tags und Tropes versehen, in denen dann auch Bisexualität oder andere Formen von Queerness erwähnt wird.

Im Bereich der deutschsprachigen Lesbian und Gay (bzw. Sapphic und Achillean) Romance Bücher tauchen hin und wieder offen bisexuelle Charaktere auf, aber im Vergleich mit lesbischen oder schwulen Charakteren sind sie noch immer eher selten.

Wie kann denn nun eine gute Repräsentation von Bisexualität aussehen?
Eine gute Repräsentation würde meiner Meinung nach damit anfangen, dass entsprechende Charaktere offen bisexuell sind und auch darüber mit anderen sprechen. Oder sich – für den Anfang – zumindest schon mal darüber Gedanken machen, was ja auch in Form innerer Monologe geschehen kann. Ebenso wäre ein Verzicht auf Vorurteile und eine klischeefreie Darstellung wünschenswert. Oder aber, dass bisexuelle Figuren auf Vorurteile, mit denen sie konfrontiert werden, adäquat reagieren.
Außerdem sollten sie nicht allein über ihre Sexualität definiert werden und, wie andere Charaktere auch, über einzigartige Eigenschaften, Stärken, Schwächen, Macken etc. verfügen, so dass es keine blassen Figuren sind, sondern lebensechte Menschen.

Leider kenne ich selbst nur wenige Beispiele, bei denen diese Repräsentation gut gelungen ist. Das ist zum Beispiel der Fall in der in der Serie „Crazy Ex-Girlfriend”, in dem ein bisexueller Charakter (Darryl Whitefeather) sogar ein Lied über seine Orientierung singt und dabei auch gleich mit einigen Vorurteilen aufräumt: https://www.youtube.com/watch?v=5e7844P77Is

Selbst in Serien, in denen es mehrere queere Charaktere gibt, sind offen bisexuelle eher selten zu finden. Da mir selbst so wenige positive Beispiele eingefallen sind, habe ich 2019 bei Twitter eine Umfrage gemacht nach offen bisexuellen Figuren, die möglichst klischeefrei dargestellt werden.

Diese hier wurden mir genannt – eine Liste, die natürlich nicht vollständig sein kann:

Jack Harkness aus „Doctor Who” und „Torchwood” (er könnte auch pan sein)
Stella Gibson in „The Fall“
Kelly in „Black Mirror: San Junipero“
Edie und Russell aus „Six Feet Under“
Sadie im gleichnamigen Thriller von Courtney Summers
Leliana und Zevran Arainai aus „Dragon Age: Origins“
In „Dragon Age 2“: alle vier Companions (Anders, Fenris, Isabela und Merrill)
In „Dragon Age: Inquisition“: Iron Bull (bzw. eigentlich pansexuell) und Josephine Montilyet
Kyra Hare aus „Der Schleier der Welt” von R.A. Prum und S.C. Kreuer mehrere Charaktere im geschriebenen Webserien-Projekt „Mosaik”, ebenfalls von R.A. Prum und S.C. Kreuer
Toni Topaz aus der Serie „Riverdale”
Korra und Asami aus „Legend of Korra”
Amalia in der Sookie Stackhouse-Reihe, sowie Pam in der TV-Adaption „True Blood”
H.G. Wells in der Serie „Warehouse 13”
Bo aus „Lost Girl”
Magnus Bane aus „Shadowhunters”
Zeyn aus der „Sternenbrand”-Dilogie von Annette Juretzki
Askar und die Rote Dame aus „Opfermond” von Elea Brandt.
Rosa aus der Serie „Brooklyn 99”
Myoujin Araya aus dem Manga „Act-Age”
Mitsuri Kanroji aus „Kimetsu No Yaiba“
Sara Lance aus „Arrow“/ „Legends Of Tomorrow“
Waverly Earp aus „Wynonna Earp“
Henry Marley aus dem Manga „Java Bonds“ von Nana Yaa Kyere
Stephen Stills aus den „Scott Pilgrim“-Comics
Leah aus „Leah on the Offbeat“
Viola Davis in „How to get away with murder“
Amy aus „Faking it“
Zakia aus „Sense8“
Außerdem wurde das Spiel „Mass Effect” in diesem Zusammenhang erwähnt.

In meinen eigenen Büchern gibt es ebenfalls mehrere bisexuelle Figuren.

Gerade in den letzten Jahren ist das Thema Bisexualität deutlich präsenter geworden und das lässt hoffen, in der Zukunft mehr bisexuelle Charaktere in Filmen, Serien, Büchern etc. vertreten zu finden, die ohne die gängigen Klischees und Stereotypen dargestellt werden.
Übrigens: In den USA gibt es mittlerweile einen jährlichen Preis für die Repräsentation von bisexuellen Menschen in der Literatur, den „Lambda Literary Award for Bisexual Literature” siehe https://en.wikipedia.org/wiki/Lambda_Literary_Award_for_Bisexual_Literature

So etwas wäre auch im deutschsprachigen Raum wünschenswert, nicht nur für bisexuelle, sondern generell für queere Charaktere in der Literatur.

Wie sieht es in Sachmedien aus?
Mittlerweile gibt es zahlreiche Artikel und auch einige Sachbücher, die mit Vorurteilen und Klischees über Bisexualität aufräumen, z.B. das Buch „Bi – Vielfältige Liebe entdecken“ von Julia Shaw. Ein Own Voices Medium ist das Magazin Bijou. Blogger*innen und Youtuber*innen befassen sich ebenfalls mit dem Thema.
Vor wenigen Jahren noch konnte man stattdessen hier und da den Eindruck gewinnen, Bisexualität sei ein neuer „Trend“. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass sich eine Reihe an Prominenten als bisexuell geoutet haben und damit diese sexuelle Orientierung öffentlicher gemacht haben.

Einige Links:

https://www.zeit.de/lebensart/partnerschaft/2012-12/leserartikel-bisexualitaet-comingout

https://www.zeitjung.de/bisexualitaet-liebe-menschen-vorurteile-bisexualitaet/

https://gleichheitunddifferenz.wordpress.com/2015/10/28/bisexuelle-sind-das-nicht-die-die-alles-vogeln/

https://sexualitaetundmedien.wordpress.com/2018/06/15/das-ist-nur-eine-phase-%c2%ad-bisexual-erasure-in-orange-is-the-new-black/

https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/bi-visibility-day-warum-bisexuelle-auch-von-homos-diskriminiert-werden/12352558-2.html

https://www.theodysseyonline.com/bisexual-erasure-in-media-needs-to-stop


Queer und auf Zeitreise – das etwas andere Protagonisteninterview

Anlässlich des heutigen 48. Jahrestages der Stonewall Riots, an die bis heute auf den jährlichen Gay Pride Paraden und Veranstaltungen erinnert wird, gibt es heute ein etwas anderes Protagonisten-Interview.

Zum Verständnis vorab:
In der Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ geht es nicht, wie sonst oft in Gay Romance Romanen üblich, um eine queere Hauptfigur und deren Partner. Berlingtons Geisterjäger bilden ein Team aus 5 bis 6 Personen mit vier unterschiedlichen sexuellen Orientierungen: lesbisch, schwul, hetero- und bisexuell. Das Ganze ist angesiedelt in einem historischen Urban Fantasy/Steampunk-Setting, im Jahr 1887 in England.

Eine Zeitreise von 1887 bis ins Jahr 2017
Die 5 Hauptcharaktere aus Berlingtons Geisterjäger machen für dieses Interview eine Zeitreise ins Jahr 2017: Lord Victor Berlington, der amerikanische Privatdetektiv Eliott, die irische Hexe Fiona, die französische Spiritistin Giselle und die englische Künstlerin Nica.  Dort haben sie sich einen Abend lang im Schnelldurchgang weitergebildet, was gesellschaftliche Veränderungen angeht in Sachen sexueller Orientierung und Identität. Sie haben auch erfahren, dass es im Jahr 2017 für all die unterschiedlichen Orientierungen jeweils spezielle Begriffe gibt.

Bei einem Sekt-Frühstück in einem Londoner Café spreche ich mit ihnen anschließend über die LGBTQ-Menschen im Jahr 1887 und warum sie sich nicht outen konnten, über staatliche Verfolgung Homosexueller damals und heute und einiges mehr.

Das folgende Interview enthält leichte Spoiler zur Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ (nicht zur Handlung an sich, sondern zu den Charakteren und ihren Beziehungen zueinander). Es wird ergänzt durch Links über LGBTQ+-Geschichte und der heutigen Situation (teilweise englischsprachig).

Interview

Lord Berlington, darf ich offen fragen – wie haben Sie eigentlich herausgefunden, dass Sie schwul sind?

Lord Berlington: Nennen Sie mich einfach Victor. Also… ich bin jetzt sechsundzwanzig, und ich muss gestehen, ich wusste es nicht. Ehrlich nicht. Eigentlich hat es sich schon in meiner Kindheit bemerkbar gemacht, aber in unserer Zeit gibt es dafür keine Begrifflichkeiten. Bzw. es gibt sie schon, aber es sind allesamt Schimpfworte.
Ich meine, natürlich gibt es – wie sagt man heute? – queere Menschen auch in unserer Zeit, also im 19. Jahrhundert, aber es war gesellschaftlich nicht existent. Oder nein, das ist falsch ausgedrückt. Es wurde in der breiten Öffentlichkeit totgeschwiegen. Und Menschen, die nicht heterosexuell waren, haben meistens – wie würden Sie heute sagen? Im Schrank gelebt? Und sie sind nie herausgekommen. Ein Coming Out, das wäre einfach zu gefährlich gewesen, verstehen Sie?

Lassen Sie uns in diesem Zusammenhang bitte einmal über das Labouchere Amendment sprechen. Was genau war das und wie hat es das Leben für Schwule damals beeinflusst?

Victor: Das war eine schlimme Geschichte. 1885 wurde es beschlossen und ein Jahr später in England eingeführt, in erster Linie, um männliche Prostitution zu unterbinden. Also, im Grunde wurde damit schwuler Sex unter Strafe gestellt. Aber im Grunde auch Liebesbeziehungen zwischen Männern. Das Problem war allerdings, dass dieses Gesetz mehr oder weniger zu Hexenjagden geführt hat. Die Situation für Schwule war aber auch vorher schon ziemlich gefährlich.

Victor Berlington sieht die Hexe Fiona entschuldigend an.

Und das mit der Hexenjagd soll nun kein Wortspiel sein. Zu Zeiten der Inquisition war es ja so, dass irgendwelche Leute einfach den Verdacht aussprechen konnten, jemand sei eine Hexe, und schon war deren Leben in Gefahr. Weil solche Denunzianten oftmals keine Beweise anbringen mussten.

Und ähnlich war das auch mit dem Labouchere Amendment und den Schwulen. Das hat unter anderem massiv zu Erpressungen geführt. Im Grund konnte jeder zur Polizei gehen und behaupten, dieser oder jener Kerl begehe „Buggery“ bzw „Gross Indecency“ * mit einem anderen, und diejenigen damit ins Gefängnis bringen. Und damit Sie das genau verstehen: Das Verbot galt sogar für erwachsene Männer, die im Konsens miteinander waren.

Durch dieses Gesetz sind manche Schwule sogar im Zuchthaus gelandet und mussten Zwangsarbeit leisten. Das war ja nach unserer Zeit, aber das ist sogar dem Dichter Oscar Wilde 1895 passiert, habe ich gestern abend gelesen. Aber ich schweife ab, verzeihen Sie.

Jedenfalls habe ich 1887 einen Mann kennengelernt, der mich gefühlsmäßig völlig verwirrte. Was da genau passiert ist, das steht in unseren Memoiren**. Ich dachte damals zuerst, er sei daran schuld – ich dachte, er habe mich so stark beeinflusst oder manipuliert, dass ich mich plötzlich dem eigenen Geschlecht zuwandte.

Im Radio des Cafés hinter uns singt Lady Gaga gerade „Born this way.

Victor fährt fort: Aber dann hatte ich eine längere Unterhaltung mit Alec – einem Künstlerkollegen von Nica – und er hat mit mir Klartext geredet. Er selbst hat sich sein Leben lang nur in Männer verliebt und hat mir gesagt, dass es für ihn normal ist und keine Krankheit.

Er lauscht einen Moment auf den Text des Songs und schmunzelt schließlich.

Es scheint, dass sich die Dame, die dort singt, auch einige Gedanken dazu gemacht hat. Wir werden so geboren.

Jedenfalls, nach dem Gespräch zwischen Alec und mir hat es noch lange gedauert, bis bei mir der Groschen gefallen ist. Und heute, an diesem Tag hier im 21. Jahrhundert kann ich endlich offen sagen: Ich liebe diesen Mann. Einen Mann. Und ich stehe dazu. Ich darf ihn hier auf unserer Zeitreise sogar in der Öffentlichkeit küssen, ohne dass wir angezeigt werden. Das wäre bei uns im Jahr 1887 undenkbar gewesen.

Heute vor 48 Jahren (1969) gab es in New York übrigens Aufstände, der als die „Stonewall Riots“ in die Geschichte einging. Damals haben sich Schwule, Lesben und Transgender Menschen gegen eine Polizei-Razzia zur Wehr gesetzt und darauf hat sich dann ein Aufstand entwickelt. Daran erinnern noch heute die Gay Pride Paraden jedes Jahr auf der ganzen Welt. Allerdings muss ich dazu sagen, es gibt es noch immer Länder, in denen dies aus politischen Gründen nicht möglich ist.

Eliott: Erstaunlich. Bevor ich Privatdetektiv wurde, war ich Polizist in New York. Aber das war eine ganz andere Zeit mit ganz anderen Verhältnissen...

In sieben Ländern steht selbst heute noch immer die Todesstrafe auf Homosexualität, in einigen anderen weiterhin Gefängnisstrafen.
Ein weiteres Beispiel: In  Tschetschenien werden Schwule seit Monaten massiv verfolgt und sogar ermordet.

Victor (verzieht das Gesicht): Das ist furchtbar. Und sogar schlimmer als in unserer Zeit, zumindest was England betrifft. Das klingt eher nach 1840*** oder früher.

Veronica „Nica“ Chester und Fiona O‘Reilly sitzen nebeneinander, Nica hat einen Arm um ihre Freundin gelegt.

Nica: Das macht mich wütend und traurig zugleich. Das Labouchere Amendment galt damals übrigens nur für schwule Männer, nicht für Frauen, die Frauen lieben. Ich rätsele noch bis heute, warum das so war. Ich denke, unsere Zeitgenossen konnten sich einfach nicht vorstellen, dass zwei Frauen sich sehr gut miteinander vergnügen können. Ohne… na, Sie wissen schon. Ohne einen Mann und seinen…

Nica wird rot und verstummt. Eliott Breeches errötet ebenfalls und unterbricht sie.

Eliott: Schon klar. In unserer Zeit, da spricht man nicht offen über so etwas. Nicht in Anwesenheit von Damen, meine ich. Sogar Unterwäsche wird nur als „die Unaussprechlichen“ bezeichnet.

Fiona: Da ist so eine Sache, die ich nicht verstehe: Was hat es mit diesem Begriff „queer“ auf sich? In meiner Zeit heißt das soviel wie „sonderbar“, „verschroben“ oder sogar „verrückt“. Warum nennen sich denn Leute im 21. Jahrhundert selbst so?

Sie haben Recht, ursprünglich wurde „queer“ als Schimpfwort verwendet. Aber irgendwann haben Menschen aus der LGBT-Community begonnen, den Begriff für sich positiv umzudeuten, und heute wird er sogar mit Stolz verwendet. Er ist heute ein Überbegriff für alle Menschen, die von der Heteronormativität abweichen. Damit schließt er übrigens nicht nur Schwulen, Lesben und Bisexuelle ein, sondern auch Transgender, Intersexuelle, Asexuelle, Genderqueer, Bigender und noch andere. Das erklärt übrigens auch die Abkürzung LGBTQ+. Das Plus nach dem Q steht dabei für alle, die sich nicht oder nur teilweise in den ersten vier Buchstaben wiederfinden.

Fiona: Was, es gibt sogar noch mehr?

Ja, aber viele davon sind noch nicht so allgemein in der Öffentlichkeit bekannt wie Schwule, Lesben und Transgender. Bisexuelle begegnen selbst innerhalb der LGBTQ+Community gelegentlich Vorurteilen, und ähnliches gilt auch für Asexuelle. Ich muss gestehen, Begriffe wie Genderqueer und Bigender sind mir selbst erst vor kurzem zum ersten Mal begegnet.

Ich wende mich an den Amerikaner.

Und wie ist es mit Ihnen, Eliott?

Eliott: Ich bin… heute würde man sagen, straight. Durch und durch. Ich verstehe auch nicht, wie sich zwei Männer oder zwei Frauen ineinander verlieben können. Also ich meine, ich weiß schon, wie sie … naja, Sie wissen schon. Also so von der Anatomie her, meine ich. Ich war auch gelegentlich mal in Freudenhäusern, gebe ich zu. Ich weiß, wie sich zwei Frauen miteinander…

Er räuspert sich und runzelt die Stirn.

Also, wie gesagt, wir sprechen nicht öffentlich darüber. Sehen Sie es mir also nach, wenn ich nicht ins Detail gehe. Ich denke, es ist klar, was ich meine.
Sagen wir mal so, ich kann es nicht persönlich nachvollziehen. Mir ist das fremd. Aber durch Victor, seinen Freund und die beiden Damen hier hab ich einiges erfahren, was an meinem Weltbild gerüttelt hat. Also zum Beispiel, dass eine Frau sich dazu entschließen kann, eher mit einer anderen Frau zusammen zu sein, als eine Familie zu gründen und Kinder zu bekommen.

Heute können sogar lesbische oder schwule Paare zusammen Kinder groß ziehen – das wird dann Regenbogenfamilie genannt.

Der Amerikaner sieht mich mit großen Augen an.

Eliott: Was Sie nicht sagen… da wird mein Weltbild ja noch mehr durcheinander geschüttelt. (Er zuckt mit den Achseln). Naja, aber ich muss ja nicht alles in dieser großen, weiten Welt verstehen… Manche unserer Zeitgenossen im 19. Jahrhundert halten das ja für krank. Also dass Menschen, die sich in ihr eigenes Geschlecht verlieben, krank seien.

Ich muss leider sagen es gibt auch heute noch Länder und Gruppen von Menschen, die das auch heute, im 21. Jahrhundert, noch als krank betrachten. Es werden sogar immer noch angebliche Therapien dagegen angeboten. Aber die Mehrheit sieht es heute anders, einfach als eine weitere Form menschlicher Sexualität.

Eliott: Das ist interessant. Ich denke ja, es gibt noch so vieles in der Medizin, was unerforscht ist. Zumindest in unserer Zeit.

Das ist heute nicht anders, auch wenn es große Fortschritte gegeben hat seit dem 19. Jahrhundert. Aber es sind auch neue Krankheiten aufgetaucht. Aber das würde nun zu weit führen… (Ich verzichte darauf, von AIDS und dem HIV Virus oder weiteren Viren wie Ebola zu berichten, weil es den Rahmen des Interviews sprengen würde.)

Eliott: Der Punkt ist doch: Wenn noch nicht alles erforscht und bewiesen ist, wer kann sich dann anmaßen, Schwulsein oder auch andere sexuelle Orientierungen zu einer Krankheit zu erklären? Unsere Zeitgenossen tun das leider. Weil sie es ihnen fremd ist und weil sie Angst davor haben, vermute ich.

Giselle Butler meldet sich zu Wort. Sie ist die älteste in der Runde, fast fünfzig, und spricht mit einem französischen Akzent.

Giselle: Ja, das ist wirklich traurig. Denn Liebe ist schließlich Liebe, n’est-ce pas ?
Also, ich meine, ich persönlich kann mir das nicht vorstellen, mit einer Frau zusammen zu leben. Aber ich war nie in eine verliebt.
Ich war über 25 Jahre lang glücklich verheiratet und habe eine Tochter, die ebenfalls geheiratet hat. Die meisten meiner Freundinnen waren oder sind auch verheiratet. Aber ich habe einiges gelesen über… sagen wir mal… alternative Lebensstile. Manche Leute heute, in Ihrem Jahrhundert, scheinen sich zu fragen, hat es das denn immer schon gegeben?Also, ich kann natürlich nicht für alle Zeiten sprechen, aber denken Sie doch mal an Georgiana Cavendish, eine Duchess von Devonshire im ausgehenden 18. Jahrhundert, die hat zeitweilig mit einer Frau und ihrem Mann zusammengelebt. Oder kennen Sie das französische Buch „Mademoiselle de Maupin” von Théophile Gautier? Darin verlieben sich ein Mann und dessen Geliebte beide in einen androgynen abenteuerlustigen Mann verlieben, der sich dann als Frau entpuppt. Angeblich eine wahre Geschichte. Und es gab wohl auch einige Gerüchte über den Dichter Lord Byron, und wir sprachen ja auch gerade über Oscar Wilde.

Nica:
Ich war ja auch mal in einen Mann verliebt, und wir sind bis heute Freunde. Aber jetzt bin ich mit Fiona zusammen.

Fiona: Ja, was das angeht, sind wir wohl ein wandelndes Klischee – ich hatte gleich diese Schmetterlinge im Bauch, als ich sie das erste Mal gesehen habe. Das war Liebe auf den ersten Blick.

Nica (lächelt ihrer Freundin zu): Das ging mir ähnlich, muss ich sagen.

Gestern abend habe ich erfahren, dass man Menschen wie mich im 21. Jahrhundert als bisexuell bezeichnet. Für mich ist das einerlei, ob jemand weiblich oder männlich ist, es kommt einfach auf die Person an. Und als Künstlerin finde ich ebenfalls beide Geschlechter ästhetisch schön.

In dem Damenclub, in dem ich bin, haben sich übrigens alle Frauen der sapphischen Liebe verschrieben. Aber die Gründerin, Lady Thelma, war früher auch verheiratet. Heute… ich meine, 1887, war sie Witwe und lebte mit einer Frau zusammen. Also ist sie wohl auch bisexuell.

Fiona, was sagen Sie denn dazu, dass Nica mal in einen Mann verliebt war?

Fiona: Oh, das hat zu einigen Problemen geführt, muss ich gestehen. Das will ich hier nicht erzählen, aber das können Sie auch in unseren Memoiren (2) nachlesen.

Nica: Dazu möchte ich jetzt auch nichts sagen. Aber mir fällt gerade noch etwas anderes ein. In unserem Damenclub ist auch eine Frau Mitglied, die im Körper eines Mannes geboren wurde. Sie ist gewissermaßen ein Ehrenmitglied. Transgender, nennt man heute wohl? Oder Transfrau. Und vielleicht ist es schwer vorstellbar, aber solche Menschen hat es auch in unserer Zeit schon öfter gegeben, z.B. James Barry, ein englischer Arzt, der ebenfalls erwiesenermaßen als Frau geboren wurde und bis zu seinem Tod unerkannt als Mann gelebt hat.

Früher wurde Transsexualität als krankhaft angesehen. Mittlerweile wurde dies u.a. in Dänemark geändert. Dort gilt Transsexualität nicht mehr als Krankheit und es gibt in vielen Ländern die Möglichkeit zur Transition, d.h. geschlechtsan-passende Operationen. Und es gibt immer mehr Transgender Rights Aktivist*innen*.

Die fünf Zeitreisenden starren mich an.

Eliott: So etwas ist möglich im 21. Jahrhundert? Das ist erstaunlich. Da hat die Medizin ja wirklich gewaltige Forschritte gemacht, was diese Operationen angeht, meine ich.

Aber ich möchte gern noch etwas anderes ansprechen. Ich mag vielleicht straight sein, aber ich habe nicht dieses… diese… Homophobie. Ja, das war‘s. So heißt das heute. Mir persönlich ist das völlig egal, welcher Erwachsene mit welchem anderen Erwachsenen ins Bett geht und was sie da tun. Ich meine, solange sie beide übereinstimmen in dem was sie da machen. (Er grinst schief.) Und solange ich nicht dabei zu sehen muss oder gezwungen werde, mitzumachen. Das ist eine Privatsache, finde ich. Wenn Leute übereinstimmen, etwas zu tun und sich dabei glücklich fühlen, warum denn nicht?

Ich bin eigentlich sehr für Gesetz und Ordnung, das hab ich noch aus meiner Zeit als Polizist in New York so drin, darauf wurde ich gedrillt. Aber dieses Labouchere Amendment sehe ich sehr, sehr kritisch. Das richtet gewiss viel mehr Schaden als Nutzen an.

Eliott, damit sind Sie Ihrer eigenen Zeit weit voraus. Und aus Sicht heutiger LGBTQ-Menschen ein „Ally“ der Community – ein Heterosexueller, der die LGBTQ-Menschen nicht nur toleriert, sondern auch deren Gleichberechtigung fordert. Ein Verbündeter oder Freund also.

 

Eliott: Wenn Sie es so nennen wollen, von mir aus. Und wie meinen Sie das mit der Gleichberechtigung genau?

In den Ländern, aus denen Sie stammen: USA, England, Irland und Frankreich ist es seit wenigen Jahren LGBTQ-Paaren erlaubt, zu heiraten, bei gleichen Rechten wie heterosexuellen Paaren.

Die anwesenden Zeitreisen sehen mich überrascht an.

Victor: Das finde ich fast nicht vorstellbar, wenn man es mit unserer Zeit vergleicht. Aber es freut mich, das zu hören.

In Deutschland, wo ich lebe, war dies bisher nicht möglich. Es gab zwar seit 25  Jahren die Möglichkeit einer eingetragenen Lebensgemeinschaft, aber nicht mit den gleichen Rechten wie bei Ehen. Das war vor allem auf konservative politische Kreise zurückzuführen, die in dieser Sache auf dem Status Quo verharren, denn nach einer aktuellen Studie sind rund 83 % der Deutschen für eine Öffnung der Ehe für alle und rund 95% befürworten ein gesetzliches Antidiskriminierungsverbot für LGBTQ-Menschen. Aber in diesen Tagen wird in Deutschland Geschichte geschrieben, denn gerade gestern wurde bekannt, dass die Ehe für alle noch diese Woche im Bundestag beschlossen werden soll.  Und die Chancen stehen gut, dass sie tatsächlich beschlossen wird und damit ein Grundrecht für alle zugänglich wird.

Eliott: Hmm, jetzt verstehe ich, was Sie mit Gleichberechtigung meinen. Das ist ein bisschen wie die Frauenrechtsbewegung, nur halt für Menschen anderer sexueller Orientierung. Gleiche Rechte für alle Menschen.

Übrigens, falls Sie sich fragen, ich hab keine Angst, dass mich Victor irgendwie zu seinem Lebensstil bekehren wollen oder mir eine „Gehirnwäsche“ verpassen. Dazu sind sein Freund und er beide viel zu englisch, finde ich. (Er lacht.) Immer höflich und diskret. Außerdem hab ich mir in meinem ganzen Leben noch nichts aufschwatzen lassen und ich lasse mich auch nicht zu Dingen überreden, mit denen ich nichts anfangen kann. Man kann nicht dazu gemacht werden, etwas zu sein, was man nicht ist, das ist meine feste Überzeugung. Victor sagte ja auch schon, man wird so geboren. Außerdem, seit dem was wir zusammen schon erlebt und durchgemacht haben, sind wir alle Freunde geworden. Obwohl wir so unterschiedlich sind. Ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Aber ich finde, Freunde sollten zusammenhalten.

Victor hebt sein Sektglas.

Victor: Lassen Sie uns darauf anstoßen. Auf die Freundschaft, über alle Grenzen und Unterschiede hinweg!

Wir prosten ihm mit eben diesen Worten zu.

Ein gutes Schlusswort, finde ich. Vielen Dank für dieses Interview und eine gute Heimreise zurück in Ihre eigene Zeit.

Anmerkungen:
* historische englische, negativ behaftete Begriffe für schwulen Sex, z.B. Analverkehr
** Mit Memoiren ist natürlich die Buchreihe „Berlingtons Geisterjäger“ gemeint. 😉
*** 1840: Letzte bekannte Hinrichtung wegen männlicher gleichgeschlechtlicher Handlungen in Großbritannien, die Todesstrafe bleibt aber bis zur Gesetzesreform 1861 theoretisch möglich und wird erst 1861 durch Gefängnisstrafen ersetzt.
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichte_der_LGBT#Neuzeit)

Ein Kommentar vom 27.6. zur Öffnung der Ehe für alle:
http://www.queer.de/detail.php?article_id=29148