Alles ist politisch

Heute ein politischer Beitrag von mir. In Deutschland gibt es seit wenigen Jahren eine Partei, die sich bürgerlich-konservativ gibt und die eigentlich am rechtsäußeren Rand des politischen Spektrums angesiedelt ist. In dieser Partei gibt es Menschen, die die Demokratie abschaffen wollen. Diese Partei mischt mittlerweile in der Politik mit. (1) Wenn andere Parteien sie nicht daran hindern.

Zeitgleich gibt es in der Kultur die Debatte um Meinungsfreiheit – und die Freiheit der Kunst.

Der Konzeptkünstler Peter Kees schreibt in „Meinungsfreiheit – Rettet die Kunst vor den Moralaposteln”(2):

Kunst ist per se nicht demokratisch. Sie muss frei sein und bleiben dürfen, wie in unserer Verfassung verankert. Dabei darf sie durchaus auch undemokratisch und moralisch nicht integer sein.”

Eine Kunst, die undemokratisch sein darf? Schauen wir uns einmal den Begriff Demokratie genauer an.

Die Demokratie, (vom altgriechischen δημοκρατία ‚Herrschaft des Staatsvolkes‘) steht für politische Ordnungen oder politische Systeme, in denen Macht und Regierung vom Volk ausgehen. Und damit ist das gesamte Volk gemeint. Nicht nur eine privilegierte Mehrheit. Sondern auch Minderheiten und marginalisierte Menschen (auch wenn letztere häufig genug noch strukturell diskriminiert werden, aber das ist ein eigenes Thema für sich, auf das ich in diesem Beitrag nicht weiter eingehen werde). Die Demokratie steht letztendlich auch für eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben.

Ein Gegenstück zur Demokratie sind Diktaturen, totalitäre Systeme, wie z.B. der Faschismus. Diesen Systemen ist bei aller Unterschiedlichkeit immer gemeinsam, dass sie bestimmte Menschengruppen für „höherwertig” erachten und andere Gruppen als minderwertig betrachten. Es sind Systeme, die systematisch Menschenverachtung betreiben, eine Menschenverachtung, die bereits zu Millionen Todesopfern geführt hat.

Eine Kunst, die sich nicht um Demokratie schert, nicht um eine Teilhabe aller am gesellschaftlichen Diskurs, ist fatal in einer Zeit, in der seit langem Unsagbares wieder sagbar gemacht wird, in der sich Diskurse erschreckend verschieben. In einer Zeit, in der sich neue undemokratische Gruppierungen bilden.

In einer Zeit, in der Phrasen wie „Das wird man doch wohl noch sagen dürfen” oder auch „Ich bin nicht gegen (marginalisierte Menschen), aber…” salonfähig gemacht werden.

Eine Zeit, in der sich manche Mörder offen zu Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus bekennen. (3, 4)

Und was fällt unter die Meinungsfreiheit, könnte man fragen?
Rassismus und Antisemitismus sind keine Meinungen, sondern Menschenverachtung.
Queerfeindliches Verhalten ist keine Meinung, sondern Menschenverachtung.
Gleiches gilt auch für Ableismus, Sexismus, Anti-Femininismus und andere -ismen, die sich gegen marginalisierte Menschen richten.

Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Das sollte anhand der deutschen Geschichte eigentlich vollkommen klar sein und keinerlei Optionen für eine Diskussion offen lassen.

Alles ist politisch. Auch die Kunst. Auch die Literatur, ja sogar die Phantastik.

Wer dafür eintritt, dass die Kunst alles darf, dass in der Kunst alles getan und gesagt werden darf, auch unmoralisches, undemokratisches (und das möglicherweise auch ganz unreflektiert, unkritisch), der muss mit Kritik rechnen. Der muss damit rechnen, dass sich Menschen von dieser Kunst abwenden.

Der muss aber auch damit rechnen, dass unmoralische, undemokratische Menschen solche Kunst feiern, weil diese ihnen auf die metaphorische Schulter klopft, weil diese sie bestärkt in ihren unmoralischen, undemokratischen Weltanschauungen.
Es gibt Studien, die zeigen, dass sich auch fiktive Inhalte nachhaltig auf Menschen und deren Handeln, Fühlen, Empfinden und deren Weltanschauungen auswirken können. (5)

In den letzten Monaten beobachte ich die öffentliche Debatte um Meinungsfreiheit und was die Kunst alles darf mit zunehmender Sorge. Außerdem bin ich der Ansicht, dass man nicht allem und jedem eine Bühne bieten sollte, und das gilt sowohl im politischen Bereich als auch in der Kunst.

(1) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/thueringen-die-fdp-hat-sich-von-faschisten-ins-amt-waehlen-lassen-a-12efca47-e6ab-4d93-9e4b-e74a6c849f9e

(2) https://www.deutschlandfunkkultur.de/meinungsfreiheit-rettet-die-kunst-vor-den-moral-aposteln.1005.de.html

(3) https://www.spiegel.de/panorama/justiz/walter-luebcke-stephan-ernst-was-wir-ueber-den-taeter-wissen-a-1274385.html

(4) https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2019-10/jeremy-borovitz-halle-anschlag-synagoge-antisemitismus-ueberlebender

(5) Mehr darüber in Eleas Brandt Essay „Fantastisch politisch“:
https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-unpolitisch/

Natscha Strobel: „Warum man nicht mit Rechten reden sollte“
https://mosaik-blog.at/strategien-neue-rechte-mit-rechten-reden/

„Du kommst hier nicht rein!“ – Gatekeeping in Hobbys

Abbildung: Lothar Dieterich, Creative Commons Lizenz

Ich möchte heute ein bisschen über Hobbies, schreiben z.B. Cosplay. Larp. Steampunk. Fandoms. Games. Wer als enthusiatischer Newbie neu in eine entsprechende Community einsteigt, wird früher oder später auf die Gatekeeper stoßen. Der Begriff leitet sich u.a. ab von jener mystisch-mythologischen Torwächterin, die Reisenden Rätsel oder Aufgaben stellt, ehe sie den Weg (vielleicht) freigibt.

Wikipedia schreibt über Gatekeeper im Bereich der Nachrichtenforschung:
„Als Gatekeeper (deutsch: Torwächter, Schleusenwärter oder Türsteher) bezeichnet man in den Sozialwissenschaften metaphorisch einen (meist personellen) Einflussfaktor, der eine wichtige Position bei einem Entscheidungsfindungsprozess einnimmt. ”

Gatekeeper, das sind Leute, die das Hobby schon seit Annodazumal betreiben oder schon seit Urzeiten im Fandom sind und die als selbsternannte Expert*innen genau wissen, wie es geht, was nicht geht, was „man darf”, was nicht und so weiter. Und die auch ungefragt anderen Leuten ihre Meinung aufdrängen, wie sie ihr Hobby zu betreiben haben oder wie sie ihr Fansein ausleben sollten.

Vielen Hobbyist*innen ist eines gemeinsam: Ihre einzige Gemeinsamkeit ist das Hobby. Darüber hinaus können sie als Menschen sehr, sehr unterschiedlich sein und dank Internet auch quer über den Globus verteilt sein. Sie haben unterschiedliche politische Ansichten und Weltanschauungen, verschiedene Glaubenszugehörigkeiten (oder auch keine), sind straight oder queer, cis oder trans, weiß oder Schwarz, People of Color, sind wohlhabend oder eher weniger, haben Kinder oder auch nicht, sind Single oder in Beziehungen und so weiter.
Und so verschieden, wie sie im Alltagsleben sind, so verschieden sind auch die Heransgehensweisen der einzelnen Individuen an ihr Hobby.

Nicht jede Person, die ein Hobby betreibt, erhebt dies zum Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens.

Nicht jede Person verbringt Stunden und Tage damit, Kostüme zu nähen, Accessoires und Requisiten zu gestalten, nicht jede spielt jeden Tag ihre Lieblingsgames rauf und runter oder besucht Game-Conventions. Nicht jeder Mensch verbringt täglich Zeit in Online-Fandom-Foren oder hat die Zeit oder das Talent, um Fanart zu gestalten oder Fanfictions zu schreiben oder zu lesen. Nicht jede Person reist mehrfach jährlich zu vielen Veranstaltungen (z.B. am Wochenende), die mit dem Hobby zu tun haben.

Gatekeeper erwecken allerdings gern den Eindruck, all das sei aber zwingend notwendig, weil man ja sonst das Hobby nicht ernsthaft betreibe.

Gatekeeper maßen sich auch gern die Deutungshoheit darüber an, was ein gelungenes Outfit ist und was nicht – besonders wichtig bei Cosplay, Larp, Steampunk. In der deutschsprachigen Steampunk Community wird immer wieder darüber diskutiert – ist das Steampunk? Was ist Steampunk? Ist mein gekauftes Kleid, weil ich nicht nähen kann, Steampunk? Sind die aufgeklebten Zahnräder und die Goggles Steampunk, oder muss das alles auch eine Funktion haben, wie manche Geräte von Steampunk-Makern? Wie historisierend muss Steampunk sein? Muss er das überhaupt sein? Und wie ist es eigentlich mit Überschneidungen zu Cyberpunk, Gothic, Science-Fiction und anderen?

Gatekeeper reißen auch hier gern die Deutungshoheit an sich: So, wie sie Steampunk sehen, so ist es und nicht anders. Es gab mal eine Social Media Gruppe mit dem Namen „Ich mag meinen Steampunk undefiniert” und auch das Gegenstück dazu, „Ich mag meinen Steampunk definiert” existierte.

Genau das ist das Lieblingshobby der Gatekeeper: Sie definieren, was das Hobby ausmacht. Sie sind die selbsternannten Expertinnen.

Und vergessen gern darüber eines: Dass es hier nicht um eine exakte Wissenschaft geht. Auch nicht um geschichtliche Fakten oder um ein möglichst authentisches Reenactment. Ein Hobby ist ein Hobby ist ein Hobby. Es soll Spaß machen. Auch wenn dieser Spaß für unterschiedliche Leute nicht exakt gleich aussieht. Weil Menschen nun mal unterschiedlich sind. Auch die Geschmäcker sind verschieden. Was dir im Hobby Spaß macht, das ist vielleicht nichts für mich. Und was mir gefällt, damit kannst du vielleicht nichts anfangen. Trotzdem ist es für uns beide ein Hobby.

Mittels (erfolgreichem) Gatekeeping wird aus eine Gruppe von Hobbyist*innen allerdings schnell ein elitärer Club, der nur andere Mitglieder akzeptiert, wenn sie das Gatekeeping und die damit verbundenen, selbst auferlegten Normen verinnerlicht haben.

Im Cosplay-Bereich sagen einem manchen Gatekeeper, richtiges Cosplay setze immer eine Eins-zu-Eins-Umsetzung von Kostümen voraus und am besten eine besondere hohe persönliche Ähnlichkeit mit dem dargestellten Charakter. Wer in dieses enge Bild nicht hineinpasst, aufgrund von Hautfarbe, Haarfarbe, Körpertyp oder gar Behinderungen und ähnliches, oder wer einfach schlichtweg nicht den Geldbeutel hat, um ein perfektes Cosplay sein Eigen zu nennen, dem werden Gatekeeper möglicherweise die Freude an diesem Hobby schnell vermiesen. Neulich las ich außerdem ein Interview, dass sich mit Mobbing im Cosplay beschäftigt, was teilweise auch wieder mit Gatekeeping-Haltungen zu tun hat:
https://www.teilzeithelden.de/2020/01/08/interview-eine-kampagne-gegen-mobbing-im-cosplay/

Im Gaming kenne ich mich persönlich nicht aus, aber ich habe einiges durch meinen Bekanntenkreis gehört. Auch hier gibt es Gatekeeper, die schon seit Annodazumal gamen und zum Beispiel alles, wirklich alles über Spiel XYZ wissen. Anfänger*innen werden da schon mal belächelt, oft auch ob der Wahl ihrer Spiele, manche von ihnen dürfen sich Mansplaining anhören und können froh sein, wenn sie überhaupt in der Gamingcommunity akzeptiert werden. Zu diesem Thema hat Aurelia in ihrem Blog Geekgeflüster vieles geschrieben:
https://geekgefluester.de/category/alle-themen/gaming

Zum Beispiel hier: https://geekgefluester.de/von-gamer-girls-romance-und-internalisierter-misogynie

Ich kenne einige Leute, die in Fandoms unterwegs sind und die sich aus entsprechenden Social Media Gruppen komplett zurückgezogen haben, weil sie den Umgang der Gruppenmitglieder untereinander als toxisch empfunden haben. Ob das dann auch mit Gatekeeping zu tun hatte, mag sein, aber in dem Bereich fehlen mir die entsprechenden Erfahrungen, deshalb kann ich dazu wenig sagen. Ich habe allerdings einen englischsprachigen Text von Rachael Lefler gefunden, der teilweise nahelegt, dass auch hier Gatekeeping eine Rolle spielt:
https://reelrundown.com/misc/5-Factors-that-Can-Cause-Toxic-Fandom-to-Arise

Ein Zitat daraus (von mir übersetzt):

„Es gibt dieses Gefühl von Überlegenheit. Toxische Fans können sich gegenüber anderen Fans, die weniger intensiv/obsessiv sind und oft als „Casuals” bezeichnet werden, überlegen fühlen. Wehe, wenn du ein Shirt von einer Serie trägst, aber nicht obsessiv über diese Serie nachdenkst. (…) Toxische Fankultur entwickelt sich in einem Bereich, der als Internet Echokammer bekannt ist. Eine Echokammer ist ein Raum (oft in Internet-Foren oder Social Media Gruppen), in dem widersprechende Meinungen nicht geduldet werden. Das bedeutet, die Gruppe hat eine konformistische, herdenartige Mentalität. Alles was sie sagen und tun, füttert ihre Vorlieben und ihre Voreingenommenheit gegenüber Outsidern. Wenn eine Außenseiterin hereinkommt und versehentlich einen Fauxpas in einer solchen Gruppe begeht, wird sie in der Regel unhöflich darüber aufgeklärt oder sogar einfach aus der Gruppe verbannt.
Das heizt den oftmals fast kultischen Fanatismus toxischer Fans an. Es empowert sie und ermutigt sie, denn sie fühlen sich als große Gruppe an Leuten, die mit ihren Ansichten übereinstimmen. Und egal wie klein diese Ansichten innerhalb eines Fandoms sind, wird man darin Nischen finden mit Menschen, die derselben Ansicht sind.”

Im LARP gibt es in Social Media Gruppen und Foren, in denen man seine Outfits (im LARP „Gewandung” genannt) vorstellen oder auch Fragen rund um die Gestaltung stellen kann. Und auch da stehen oft die Gatekeeper ganz schnell vor dem virtuellen Tor und erklären auch enthusiatischen Newbies gern ungefragt, was sie alles mit ihrer Gewandung verkehrt machen und wie sie es gefälligst besser machen (mit dem Subtext: „Wenn das nicht besser wird, wirst du hier bei uns nicht als ernsthafte LARPer*in akzeptiert“). Mit anderen Worten: Hier wird, ähnlich wie im Cosplay und Steampunk, nicht selten Costume-Shaming betrieben.

Gatekeepern ist dabei meistens auch egal, ob die betreffende Person vielleicht gar nicht nähen kann, nicht die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten hat, sich ein (hochwertiges, aber teures) Outfit zu leisten oder ähnliche Schwierigkeiten bestehen.

LARP ist übrigens tendenziell ein teures Hobby, denn nicht nur Outfits, Requisiten, Accessoires, sondern in vielen Fällen auch eine Camping-Ausstattung mit Zelt und natürlich die Con-Gebühr sowie die Anreise wollen finanziert werden. In vielen Fällen ist es schwierig, ohne eigenes Auto überhaupt anzureisen, da entsprechende Veranstaltungen meistens auf dem Land bzw. eher an abgelegenen Orten stattfinden. Es gibt zwar auch LARP-Formen, die den Einstieg einfacher machen, auch kann man quasi als Nichtspieler*incharakter, (abgekürzt NSC) auf Cons fahren, aber grundsätzlich sind die Hürden für Neueinsteiger*innen nicht gerade niedrig.

Ich war längere Zeit Admin in einigen Gruppen bei Facebook, darunter auch Hobbygruppen zu LARP und Steampunk. Immer wieder fragen dort Neueinsteigerinnen nach Tipps für den Anfang. Dahinter steckt natürlich zum einen Neugier, zum anderen aber vielleicht auch die Angst, etwas falsch zu machen, anzuecken, weil man das Hobby nicht „richtig” betreibt.

Aber wer bestimmt das denn bitte schön? In den Social Media bestimmen es die Gatekeeper, die am lautesten sind. Oder zumindest versuchen sie es, indem sie Neulinge mitunter solange in Diskussionen zutexten, bis diese mit dem metaphorischen Rücken zur Wand stehen. Ich möchte nicht wissen, wie viele Interessierte sich enttäuscht aus einem Hobby zurückgezogen haben, weil sie an solche Gatekeeper geraten sind.

Deshalb möchte ich gern zu folgendem aufrufen:
Auch wenn du ein Hobby schon seit Annodazumal betreibst, überlege dir bitte gut, ob du Neulingen wirklich ungebetene Ratschläge geben möchtest. Erinnere dich bitte einmal daran, wie du selbst in das Hobby oder Fandom eingestiegen bist.

Frag Einsteigerinnen bitte erst mal, ob sie deinen Rat hören möchten, oder nicht. Und wenn nicht, das akzeptiere das bitte. Vielleicht haben sie auch einfach gerade keine Zeit für eine längere Diskussion.

Akzeptiere bitte, dass Menschen Hobbies unterschiedlich betreiben, je nach ihren Möglichkeiten und ja, auch nach Lust und Laune. Das gilt auch für Fandoms.
Du musst dich ja nicht mit jeder Person beschäftigen, die zufällig dasselbe Hobby hat wie du oder die im selben Fandom ist.

Und wenn dir etwas Kritisches gegenüber anderen auf der Zunge liegt, denk bitte daran: Hobbys sind Freizeitbeschäftigungen, die Spaß und Erholung bieten sollen. Für dich und für andere.

Und wenn du trotzdem allem Kritik anbringen möchtest, dann bitte konstruktiv, so dass
die Kritisierte etwas damit anfangen kann. Damit hilfst du der Person sicher mehr, als z.B. mit einem „Dein Outfit ist sch***ße!“

Denk bitte inklusiv: Alle dürfen mitmachen. Nicht nur die mit langjährigen Erfahrungen, sondern auch diejenigen, die gerade erst anfangen. Auch diejenigen, die nur hin und wieder das Hobby betreiben. Auch diejenigen, die aufgrund von Aussehen, Körpertyp, Behinderungen nicht in die gängigen Schönheitsnormen passen. Oder um es ganz allgemein zu sagen: Auch diejenigen, die anders sind als du.

Mit Gatekeeping in Medien und der Rollenspielcommunity befasst sich auch eine Episode des Genderswapped Podcast:
https://genderswapped-podcast.podigee.io/35-episode-26

Sehenswertes Video auf YouTube: „Feedbackkultur am Arsch? Das 2. GESICHT vom LARP / Ninas LARP Guide“
https://www.youtube.com/watch?v=4pTLXc31YBY

Triggerwarnungen in der Literatur

Dieses Thema spaltet Teile der deutschsprachigen Literaturszene und wird kontrovers diskutiert. Teilweise machen sich Leute (auch Autor*innen) lustig darüber.

Hier dazu einige Argumente, die immer wieder dagegen genannt werden – und was ich darauf gern antworte:

»Ich weiß doch als Autorin gar nicht, was meine Leser*innen alles triggern könnte. Wo soll ich denn da anfangen?«

Es ist natürlich richtig, man kann selbstverständlich nicht alle Trigger dieser Welt identifizieren und benennen, denn die sind enorm vielfältig bzw. von Person zu Person unterschiedlich. Es geht also gar nicht darum, sämtliche möglichen Trigger zu finden. Es reicht schon, wenn man einigste gröbste Trigger benennt, falls diese im eigenen Werk auftauchen. Mehr dazu weiter unten.

»Manche Leute stellen sich einfach viel zu sehr an!«

Manche Menschen werden nie in ihrem Leben von etwas getriggert, für diese Glücklichen sind Inhaltswarnungen unerheblich.

Manche Leute verwenden das Wort „Trigger“ sehr umgangssprachlich für alles, was sie nervt oder für Inhalte, die sie aus den unterschiedlichsten Gründen nicht sehen wollen.

Diese verfälschende Bedeutung von Trigger meine ich nicht, sondern Trigger in einen medizinisch-klinischem Sinne, die gravierende psychische Auswirkungen haben können, zum Beispiel einen Rückfall in eine depressive Phase, einen verstörenden Flashback aufgrund einer posttraumatischen Belastungsstörung oder ähnliches.

Trigger können übrigens auch, je nachdem wie stabil eine Person gerade psychisch ist, mal sehr triggernd wirken und mal wieder eher nicht. Auch das ist sehr individuell unterschiedlich.
Einige Beispiele: Ich selbst habe Bücher schon abbrechen müssen in depressiven Phasen, weil mich Inhalte darin massiv getriggert haben, insbesondere das Thema Suizid. Ich habe neulich von einer Person gehört, die ein einziger Begriff in einem Gespräch so sehr getriggert hat, dass sie einen nervösen Zusammenbruch und Suizidgedanken hatte.

»Triggerwarnungen sind doch immer Spoiler!«

Nein. Eigentlich ist es immer möglich, spoilerfrei die gröbsten Trigger zu benennen, als Inhaltswarnungen. In manchen Fällen können solche Inhaltswarnungen sogar dazu dienen, dass Leser*innen, die gerade über solche Themen gern lesen, entsprechende Bücher leichter finden, das gilt z.B. für Fetische, Kinks, oder auch Gewalt oder manche Inhalte in der Horror-Literatur, z.B. Body-Horror.

Mit „gröbste Trigger“ und Content Warnings (Inhaltswarnungen) meine ich z.B.

Vergewaltigung, sexuelle Gewalt
Brutalität/Gewalt (oder noch spezieller: gegen Menschen, Tiere, Kinder)
sexuelle Belästigung
psychische Erkrankung bzw. Symptome, im Speziellen Suizid oder Suizidgedanken
lebensbedrohliche Erkrankungen
Phobien
Kindesmissbrauch oder Missbrauch allgemein
Mord, Totschlag
Krieg
Trauma und entsprechende Folgen, z.B. posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
Drogensucht, Alkoholismus oder andere Suchterkrankungen
Folter, Verstümmelung
Selbstverletzendes Verhalten
Mobbing
(explizite) Sexszenen – Begründung: es gibt Menschen, die sich von Sex abgestoßen fühlen („sex-repulsed“) und keine Sexszenen lesen möchten, oder die dies aus anderen Gründen nicht möchten.

Dass diese Begriff in einer Inhaltswarnung genannt werden, spoilert dennoch nicht die Handlung, denn, um einige Beispiele herauszugreifen: Wir wissen nicht, wer wann und wie vergewaltigt wird und was für Folgen das hat. Wir wissen nicht, wann und in welchem Ausmaß der Missbrauch in der Handlung eine Rolle spielt. In mehreren Genres sind Themen wie Gewalt, Mord oder auch Krieg ohnehin häufig zu finden, entsprechende Begriffe sind dort keine Spoiler. Wir wissen nicht, welche Person in einem Roman über Suizid nachdenkt und warum. Und so weiter.
Zu diesem Thema hat die Psychologin und Autorin Elea Brandt übrigens einen sehr lesenswerten Beitrag verfasst:
https://eleabrandt.de/…/mythbusting-triggerwarnungen…/

Abschließend sei noch gesagt: Es steht allen Autor*innen und Verlagen natürlich völlig frei, inwieweit sie Rücksicht auf Leser*innen nehmen wollen, wenn es um Inhaltswarnungen geht. Ich für meinen Teil möchte Rücksicht auf alle meine Leser*innen (oder potentielle Leser*innen) nehmen, gerade auch diejenigen, die sich keinen triggernden Inhalten aussetzen mögen. Auch wenn das bedeutet, dass sie manche meiner Bücher nicht lesen werden.

Update:
Die Inhaltswarnungen zu meinen Büchern sind hier zu finden, außerdem in allen E-Books und in mehreren, nicht allen, Taschenbüchern.
https://amalia-zeichnerin.net/inhaltswarnungen-zu-meinen-buechern/

Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen

Überarbeitet im August 2024

Inhaltshinweise zu diesem Artikel
Erwähnung von: Queerfeindlichkeit, Rassismus, Ableismus, Suizid, Diskriminierung von marginalisierten Menschen, Gewalt gegen marginalisierte Menschen, Misgendering, psychische Erkrankungen, Neurodivergenz
, Islamfeindlichkeit, Mobbing, Bodyshaming

Es gibt Leute, die von marginalisierten Menschen sagen, diese würden immer jammern und behaupten, die Welt sei so gemein zu ihnen. Gerade heute las ich solch einen Kommentar in einem sozialen Netzwerk.

Dieses sogenannte „Jammern” hat seinen Grund und ist in meinen Augen gerechtfertigt. Denn die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen.

Lasst mich euch mehr darüber erzählen…

People of Color, Black People of Color (oft abgekürzt Bl_PoC), Migrant*innen, Menschen mit Migrationshintergrund, sie erleben ständig Alltagsrassismus. Der ist vielleicht nicht mal beabsichtigt oder tarnt sich gar als nettgemeintes Kompliment, ist aber dennoch Rassismus. Sie erleben auch Rassismus bei der Jobsuche, der Wohnungssuche, bei Ausweiskontrollen und vielem mehr. Manche werden Opfer von verbaler oder auch körperlicher Gewalt.

Muslimische Frauen werden, wenn sie Kopftuch tragen, in vielen beruflichen und auch anderen Bereichen, diskriminiert.

Queere (LGBTIAQ*) Menschen müssen sich immer wieder in ihrem Leben entscheiden, ob sie sich outen, wo und wie und vor wem, oder lieber doch nicht, um ihre Sicherheit oder einfach ihr Wohlbefinden nicht zu gefährden. Für manche ist es eine Strategie, als heterosexuell oder cisgender durchgehen zu können, um beides nicht in Gefahr zu bringen. Manche können oder wollen diese Art von Versteckspiel nicht. Oftmals ist selbst eine simple Zuneigungsbezeugung zu gleichgeschlechtlichen Partner*innen in der Öffentlichkeit, wie Händehalten oder ein einfacher Kuss, etwas, das manche andere Menschen als Provokation betrachten und mit Aggression bis hin zu körperlicher Gewalt beantworten.

Genderqueere oder nonbinäre Menschen müssen immer wieder erklären, dass sie weder Männer noch Frauen sind, wenn sie als das eine oder andere von ihren Mitmenschen gelesen werden. Oft müssen sie immer wieder an ihre Pronomen erinnern – was von manchen Menschen vehement abgelehnt wird, so dass es für betroffene Personen zu schmerzhaftem Misgendering kommt. Dabei sind diese Pronomen häufig ein wichtiger Teil ihren genderqueeren Identität.

Misgendering, das erleben auch trans Menschen immer wieder. Sie müssen für die Transition, wenn sie diese erreichen wollen, einen langen und steinigen Weg durch Ämter, Behörden, Therapiepraxen etc. gehen, zumal das entsprechende Transsexuellengesetz noch immer unzureichend ist. Das kostet eine Menge Kraft.

Die Identität von trans Menschen werden außerdem von TERFs (trans excluding radical feminists) angezweifelt, z.B. werden sie mit Argumenten des sogenannten Gender Essentialismus in Frage gestellt.

Trans Menschen sind wie viele queere Menschen oft außerdem Gewalt ausgesetzt, bis hin zu Mord. Deshalb gibt es jährlich den Trans Remembrance Day, der an die Opfer von Transfeindlichkeit erinnert.

Viele queere Menschen werden strukturell diskriminiert, z.B. wenn es um Fragen des Familienrechts geht, um Namens- und Personenstandsänderungen und noch einiges mehr.

Menschen mit Behinderungen werden in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens nicht „mitgedacht”, was auch eine Form struktureller Diskriminierung sein kann – überall gibt es Barrieren, sei es für Menschen mit Gehbehinderungen, Gehörlöse, Menschen mit Sehbehinderung, Lernbehinderungen, geistige Behinderungen oder noch andere.
Entsprechend haben diese Menschen in ihrem Alltag immer wieder mit allerhand Problemen zu kämpfen, die sich viele Menschen aus der Mehrheit der Bevölkerung kaum vorstellen können. Sie erleben außerdem oft Ableismus, manche von ihnen tagtäglich.

Menschen mit Neurodivergenz (z.B. Autismus, ADHS oder andere) erleben oft Probleme im Umgang mit anderen Menschen, und Alltagssituationen, die für neurotypische Leute vollkommen einfach sind, erleben diese mitunter als sehr stressig, z.B. mit einer starken Reizüberflutung oder anderen Wahrnehmung und Empfindungen, die sich mitunter deutlich von denen neurotypischer Menschen entscheiden.

Menschen mit chronischen Erkrankungen oder auch chronischen psychischen Erkrankungen kämpfen häufig ihr ganzes Leben lang gegen die Auswirkungen ihrer Erkrankung an, was unglaublich viel Kraft kosten kann. Zugleich werden sie oft von ihrem Umfeld oder von Arbeitgeber*innen stigmatisiert, falls sie überhaupt längerfristig arbeiten können. Manche von ihnen leben mit ständigen Schmerzen, körperlicher oder seelischer Art.

Menschen, die offen einer heidnischen Religion (Paganismus) anhängen, werden oft belächelt, lächerlich gemacht oder gar von manchen Menschen mit anderer Religionszugehörigkeit einer schweren Sünde bezichtigt, als ob ihre Glaubensrichtung nicht ebenso valide sei wie eine der großen Weltreligionen.

Menschen, die mit Aussehen oder Körpertyp nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, erleben Bodyshaming, werden gemobbt, beschimpft, ausgelacht …

Und das sind bei weitem nicht alle marginalisierten Gruppen, die es gibt. Denken wir z.B. mal an obdachlose Menschen, an Menschen in dauerhaft prekären Lebensverhältnissen oder Alleinerziehende, oder indigene Menschen, Sinti und Roma (bzw. gegendert: Sinti*zze und Rom*nja) und noch viele mehr. Und von mehrfach Marginalisierten fange ich jetzt mal nicht an.

Eines möchte ich betonen: All solche Formen von Diskriminierungen, von Mikroaggressionen im Alltag, Vorurteile oder auch offen feindseligem Verhalten, das erleben viele marginalisierte Menschen nicht nur ein paar Mal, sondern immer wieder und wieder. Nicht jeder Mensch kann oder will das alles einfach „wegstecken“, ignorieren, weglächeln oder einfach schweigend erdulden.

Diskriminierung, Vorurteile, Hatespeech und feindliches Verhalten, in ihren vielseitigen Ausprägungen, verletzen, machen wütend, traurig, enttäuschen, lassen mitunter Zweifel an sich selbst aufkommen, an der eigenen Identität, oder sind auf andere Weise destruktiv.

Ich lade dich zu einem Gedankenspiel ein.
Nimm einmal an, du bist in einer vollkommen privilegierten Position.
Das heißt in diesem Fall: Du bist Weiß. Männlich und cisgender. Nicht intersexuell. Heterosexuell. Christlich oder konfessionslos. Außerdem hast du Idealgewicht, bist neurotypisch und psychisch gesund.
Und nun geht es weiter …
Jeden Tag sagen Leute Dinge zu dir, die du nicht mit deinem Selbstbild in Einklang bringen kannst.
„Du bist krank.“
„Du bist pervers.“
„Dein Hautton ist zu hell.“
„Mit deiner Figur stimmt etwas nicht.“
Sie mögen es nicht, wenn du deine Freundin küsst oder mit ihr Hände hältst. Das solltest du besser sein lassen, sagen sie dir, sonst kriegst du Ärger. Oder Prügel.
Sie sagen: „Deine Religion ist nicht die wahre.“ Oder: Ihre Religion sei die einzig wahre.
Sie sagen verletzende Dinge über deine Männlichkeit, über deine Art, dich zu zeigen oder die Art, wie du dich bewegst oder kleidest. Sie lästern über deine Herkunft.

Vielleicht bist du erst irritierst. Fängst an, dagegen anzureden. Oder du schweigst und wunderst dich nur. Aber die Leute hören nicht auf, diese Dinge über dich zu sagen, hinter deinem Rücken (aber so, dass du es hören kannst) oder dir ins Gesicht. Und sie hören nicht damit auf. So geht das Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Jahr für Jahr. Wie würdest du dich damit auf Dauer fühlen? Was würdest du tun?

Nicht jede Person hat ihr Leben lang die Resilienz, ständige Diskriminierungen, verletzende Bemerkungen oder gar physische Gewalt unbeschadet an Körper, Geist und Seele zu überstehen. Wie kann man da als marginalisierter Mensch anders reagieren als zu „jammern“?

Übrigens: Die meisten marginalisierten Gruppen haben eines gemeinsam: Die Suizidraten dieser Gruppen sind, statistisch gesehen, um einiges höher als in der nicht-marginalisierten Mehrheit der Bevölkerung. Viele marginalisierten Menschen erkranken auch häufiger an psychischen Erkrankungen.

Und noch etwas: In Social Media lese ich immer wieder, dass manche marginalisierte Menschen keine Lust haben, wieder und wieder den „Erklärbär” für ihre nicht-marginalisierten Mitmenschen zu spielen – um zu erklären, wie sich dieses oder jenes in ihrer marginalisierten Gruppe verhält oder bei ihnen persönlich, oder was für Probleme sie in ihrem Leben haben. Denn auch dieses ständige Erklären kostet Kraft.

Und angesichts all dessen ist es vielleicht auch nicht verwunderlich, dass sich manche dieser Menschen lieber in einen „safe space” (oder „safer space“, wie manche mittlerweile sagen) zurückziehen und unter ihresgleichen bleiben, weil sie dort mehr Verständnis finden, als bei vielen Nicht-Marginalisierten.

Die Welt ist gemein zu marginalisierten Menschen. Und es wäre schön, wenn sie es ein bisschen weniger wäre.

Einige weitere Texte:

Über rassistische Diskriminierung in der Arbeitswelt
https://www.zeit.de/arbeit/2020-01/rassismus-job-arbeitsplatz-alltag-diskriminierung-kollegen

Über verschiedene Diskriminierungsformen, darunter auch strukturelle und institutionelle:
https://www.humanrights.ch/de/menschenrechte-themen/diskriminierungsverbot/konzept/formen/?gclid=Cj0KCQiA0ZHwBRCRARIsAK0Tr-oaR9hBNHMp53rPcxnUa8ULqmwtMvtOJiFvbiYgGY20fnWxM4cFFS0aAghmEALw_wcB

Stigmatisierung, Diskriminierung und Exklusion psychisch kranker Menschen https://www.kerbe.info/files/Kerbe_ausgaben/2010-10-22_Kerbe4_10-Artikel-Kardorff.pdf

Studie: Fast 40 Prozent der Europäer sind psychisch krank
https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/studie-fast-40-prozent-der-europaeer-sind-psychisch-krank-a-784400.html

Was man gegen Alltagsrassismus tun kann
https://www.fluter.de/was-man-gegen-alltagsrassismus-machen-kann

Transidentität – ein Erfahrungsbericht
https://ze.tt/transidentitaet-wie-viktoria-nach-ihrem-zwangsouting-ihre-familie-verlor/

Über transidente Kinder
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-05/transidente-kinder-trans-maedchen-forschung

Transfeindlichkeit unter Frauen: Besorgte Feministinnen
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/transfeindlichkeit-unter-frauen-besorgte-feministinnen/24182500.html

Ein Kummerkastenbrief zum Thema Queerfeindlichkeit
https://queer-lexikon.net/tag/queerfeindlichkeit/

Ein rassismuskritischer Leitfaden
https://www.elina-marmer.com/wp-content/uploads/2015/03/IMAFREDU-Rassismuskritischer-Leiftaden_Web_barrierefrei-NEU.pdf

Der Kopftuchstreit
https://de.wikipedia.org/wiki/Kopftuchstreit

Studie zur Diskriminierung muslimischer Frau auf dem Arbeitsmarkt
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-09/arbeitsmarkt-kopftuch-musliminnen-bewerbung-diskriminierung-studie

Wie queere Menschen diskriminiert werden
https://www.tagesspiegel.de/gesellschaft/queerspiegel/alltag-von-homosexuellen-wie-queere-menschen-in-berlin-diskriminiert-werden/22810292.html

Minderheitenstress – so ungesund ist unsere Gesellschaft für queere Menschen
https://www.vice.com/de/article/bvgvyw/minderheitenstress-so-ungesund-ist-unsere-gesellschaft-fur-queere-menschen

Jeder vierte Migrant beklagt alltägliche Diskriminierung
https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2013-08/diskriminierung-schulen-universitaeten-migranten

Der Mediendienst Integration über Diskriminierung:
https://mediendienst-integration.de/desintegration/diskriminierung.html

Viktorianisch und queer schreiben…

ein viktorianisches Portrait, das mich inspiriert hat

… das ist für mich immer wieder eine Herausforderung, aktuell in „Die mysteriösen Fälle der Miss Murray“. Für mich geht das nur, wenn einige Charaktere dabei sind, die progressive Ansichten haben, die ihrer Zeit weit voraus sind. Denn ansonsten fürchte ich, wäre wohl arg viel Queerfeindlichkeit darin, einfach weil es damals die gesellschaftliche „Norm“ war.
Miss Murray ist lesbisch und transgender. Ihre Freundin Constance ist cisgender und lesbisch. Nach heutigem Verständnis. Miss Murray begegnet immer mal wieder Leuten, die irritiert auf ihr Äußeres reagieren bis hin zu offener Feindseligkeit. Auf der anderen Seite gibt es in ihrem Umfeld aber auch progressive Menschen wie die bisexuelle Lady Thelma und deren Lebensgefährtin oder ihr Verleger, Mister Bostwick, der sie so akzeptiert wie sie ist und einfach ihre Arbeit als Autorin schätzt.
Mir ist bewusst, dass all das manche Freunde historischer Romane für ganz und gar abwegig oder unrealistisch halten würden. Aber historische Romane sind kein 100 % authentisches Abbild historischer Gegebenheiten. Das können sie gar nicht sein. Sie sind eine historische Imagination, ein „so hätte es sein können“.
Und da ich keine Zeitreisemaschine habe und meine Leser*innen auch keine Viktorianer*innen von damals sind, sondern heutige Menschen, möchte ich sensible Themen wie Queerness auch sensibel und modern behandeln.

Ein Text dazu:
https://geekgefluester.de/historische-korrektheit-fantasy

Mehr zur Buchreihe „Die mysteriösen Fälle der Miss Murray“:
https://amalia-zeichnerin.net/miss-murray/

Ein „Best of“ lustiger Tippfehler

Ich habe einige skurrile Tippfehler und Verschreiber aus diversen Manuskripten gesammelt, just for fun. Hier sind sie, mit Kommentaren (in kursiv):

Vor ihm lag eine mit Marmelade beschmierte Toastschreibe.
Also, liebe Autor*innen, schreibt mehr Toast!

„Lassen Sie uns ein Stück gehen, ja? Ich könnte etwas frische Lust vertragen.”
Ja, nee … wobei das in einem Erotikroman vielleicht passend wäre.

„Ich wollte gern heute Abend noch etwas weiterfroschen.”
Da musste ich an René Mariks Comedyprogramm mit dem „Froschen” denken:

Die Beschreibung einer historischen Inneneinrichtung:
„Allerhand Bric-à-Brac zierte die Wände, zusammen mit Holzschnitten und antiken Schwestern.“
Ob deren Brüder wohl auch an der Wand hängen?

Der Tod hatte vom ihm Begriff ersitzen.

Er biss die Szene zusammen.

Er schaltete die Stereoanklage ein.

Eine Kriegerin ruft einer Elfenmagierin zu: „Hast du mal Feuer?“
Viel zu modern für epische High Fantasy. Außerdem machen die keine Raucherpause.

In einem Gegenwartsroman:
„Beziehungsweise, was hältst du davon, wenn wir eine Runde jobben?”
„Dir fehlt dein tägliches Kaufen, oder?“ (Gemeint waren „joggen” und „Laufen”.)

„Der Morderator”
Das kommt davon, wenn man Krimis schreibt. Der Morderator tauchte allerdings in einem ganz anderen Manuskript auf. Was der wohl verbrochen hat?

„Schnappschnuss“.
Was immer das sein soll… Vielleicht eine beschwipste Nuss?

Der Krimikrieg
Gemeint war der Krimkrieg. Allerdings wird er in einem Krimi erwähnt.

Ein Protagonisten-Interview mit Cilana aus „Der Orden der Geweihten: Die Veräterin“ von Jan Gießmann

Hallo Cilana, erzähle uns doch bitte ein bisschen von dem Land, aus dem du kommst. Wie lebt es sich dort, was sind seine Besonderheiten? Oder was würdest du Fremden raten, die dort zum ersten Mal hinkommen?

Hallo. Also so viel kann ich über Silam gar nicht sagen. Ich habe einen Großteil meines Lebens in Legas Des, der Festung meines Ordens verbracht. Silam ist ein Königreich, wobei die Macht des Hofes nicht bis in die Dörfer dringt. In den Städten kämpfen Kirche, König und Militär um Macht und Einfluss. Die kleinen Dörfer hingegen bleiben davon verschont und sind zumeist autark. Die Obrichtkeit bleibt meist unter sich, hat im Moment genug damit zu tun die Grenzen zu sichern und ihre kleinen Spiele zu spielen. Silam ist eher länglich, es regnet viel und eigentlich geht es den Menschen nicht schlecht. Die Abwesenheit der Königstruppen auf dem Land macht das Reisen aber nicht gerade sicher. Der beste Rat, den ich einem Fremden geben kann, ist ,nicht unbewaffnet zu kommen, die Umgebung im Auge zu behalten und entweder über einen schnellen Schwertarm oder noch schnellere Beine zu verfügen.

Und wie kann man sich den Orden der Geweihten vorstellen? Darfst du mir darüber etwas verraten, oder ist das ein Geheimorden?
Unsere Macht kommt daher, dass man zu wenig weiß, um uns einschätzen zu können, aber genug um uns zu fürchten. Wir wurden während des letzten großen Krieges gegründet, als sich der ganze Kontinent bekämpfte und Silam vor dem Untergang stand. Wir sind autark und keiner Macht unterstellt. Es ist unsere Aufgabe ein Gleichgewicht der Mächte herzustellen und Silam vor Feinden von innen und außen zu schützen. Wir sind ein Kriegerorden, der seit drei Jahrhunderten den Frieden wahrt. Weiter möchte ich mich nicht dazu äußern.

Was würdest du jemandem als erstes raten, der Schwertkampf erlernen möchte? Worauf sollte man besonders achten?
Schwertkampf lebt von Distanz und der Aktion und Reaktion im richtigen Augenblick. Sei nah an deinem Gegner dran oder weit von ihm weg, aber lass ihn das niemals bestimmen. Anfangen sollte man aber wahrscheinlich damit die Grundtechniken zu lernen. Ich weiß, das klingt nicht nach einem eindrucksvollen Rat, aber es ist die Grundlage für alles Weitere. Jeder kann mit einem Schwert herumfuchten, es wirklich zu meistern ist da schon etwas anderes.

Hast du Freunde oder Begleiter? Und falls ja, was magst du an ihnen?
Ich habe Tyrgarn. Er hat mir das Leben gerettet und ich war kurz davor ihn zu töten. Aber er war bei mir und er ist mir ein guter Freund, fast ein Bruder geworden. Ich schätze an ihm seine Offenheit, seinen Humor und durchaus seine Fähigkeiten mit dem Bogen. Er gehört zu den wenigen Menschen, denen ich mein Leben anvertrauen würde. Genauso die Drigorn, der uns begleitet. Er hat mir damals meine Geweihte Klinge geschmiedet. Er hat mich viel gelehrt und ist eine Art Vaterfigur für mich, denke ich. Er hat mich zum Nachdenken gebracht. Er mag nach außen grob und hart wirken, aber er ist der loyalste und tugendreichste Mann, dem ich je begegnet bin.

Und wie würden sie dich jemandem beschreiben, der dich nicht kennt?
Ich glaube sie würden mich unterschiedlich beschreiben. Tyrgarn würde mich wohl als etwas abweisend und vorsichtig charakterisieren. Als jemanden, der seine Gedenken nur teilt, wenn es nicht anders geht. Drigorn kennt mich schon länger. Er kennt meinen Tatendrang, meinen Willen das Richtige zu tun und auch die nachdenkliche, hinterfragende Art, die beim Orden nicht immer gut ankommt.

In „Der Orden der Geweihten – die Verräterin“ kann man ja einiges über dich lesen. Wird deine Geschichte danach noch weitergehen?
Ähm … nun, das … will ich ehrlich hoffen. Ich weiß, dass der Orden jemanden geschickt hat, der mich jagt, aber ich werde mich nicht ergeben oder töten lassen. Es gibt noch Schlachten zu schlagen und ob der Orden mich nun als Verräterin sieht, oder nicht – sie werden mich brauchen.

Mehr über das Buch erfahrt ihr hier: http://www.geweiht-roman.de/

Ein Plädoyer für Diversität, Triggerwarnungen, Political Correctness und Sensitivity Reading in der Literatur

CN: Rassismus, Ableismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Mord, Todesstrafe, Suizid, psychische Erkrankungen, Behinderungen, Misogynie, Gewalt

In letzter Zeit habe ich häufiger Diskussionen in den sozialen Netzwerken über Triggerwarnungen, Diversität, Political correctness, gendergerechte Sprache, Sensitivity Reading in Medien verfolgt und mich teilweise ebenfalls beteiligt. Sei es, dass ein Autor in der Glosse eines Autorenmagazins über Triggerwarnungen herzog, oder ein anderer Autor in einem Literatur-Online-Magazin sich polemisch über Triggerwarnungen, Diversität, Political correctness, gendergerechte Sprache und Sensitivity Reading ausließ. Die Autorin Theresa Hannig und noch andere setzten sich für gendergerechte Sprache in der deutschsprachigen Wikipedia ein und ernteten mehr als einen Shitstorm. Sachliche Argumente gegen all diese Dinge waren in diesen Texten und auch in so mancher Diskussion übrigens kaum zu finden.

All diesen Themen ist eines gemeinsam – bezogen auf Literatur gibt es zahlreiche Autor*innen und Leser*innen, die genervt aufstöhnen und fragen, „darf man denn jetzt gar nichts mehr schreiben/sagen?”

Hier sei eine Entwarnung gegeben: Man darf. Auch dürften Kabarettist*innen und Comedians weiterhin Witze über Minderheiten machen. In der Kunst ist alles erlaubt, was nicht gegen bestehende sonstige Gesetze verstößt, wie ich bereits neulich in einem anderen Blogbeitrag erwähnt habe (siehe: http://www.kunst-ist-frei.de/).

Und natürlich ist Kunst auch immer eine subjektive Angelegenheit, sie ist keine Wissenschaft, sondern liegt ganz im Ermessen der Kunstschaffenden und gegebenfalls noch mehr oder weniger von deren Auftraggeber*innen. Die Frage nach einem „dürfen” stellt sich also gar nicht. Sondern eher danach, ob gewisse Inhalte denn empfehlenswert sind. Denn Kunstschaffende kreieren ihre Werke ja in der Regel nicht allein für sich selbst, sondern für andere Menschen.

Wer sich allerdings zu rassistischen, sexistischen, ableistischen, queerfeindlichen und anderen Inhalten entschließt, die Minderheiten negativ darstellen, ins Lächerliche ziehen oder diskriminieren, der muss mit Kritik von Menschen rechnen, die eben zu diesen Minderheiten oder marginalisierten Gruppen zählen – und auch von Menschen, welche diese Minderheiten unterstützen, z.B. die „Allys” der queeren Community.

Mitunter geht es hier um marginalisierte Menschen, die über Jahrhunderte nicht gehört wurden oder aus verschiedenen Gründen zum Schweigen gezwungen waren – ein Beispiel: männliche Homosexualität war in Deutschland bis 1968 und teilweise noch bis 1994 strafbar.
Es handelt sich um Menschen, die sich nicht zuletzt dank sozialer Netzwerke wie Facebook und Twitter (diese gibt es beide seit Ende 2006) erst seit relativ kurzer Zeit öffentlich Gehör verschaffen können und die das auch tun.

Aber anstatt sich nun anzuhören, was diese Minderheiten zu sagen haben und was sie sich von der Mehrheit der Menschen für den Umgang miteinander wünschen, regen sich viele auf über ein angebliches Übermaß an Political Correctness. Vermutlich, weil es unbequem ist und weil man sich dann Gedanken über Dinge machen müsste, die nicht der eigenen Komfortzone entsprechen.

Kommen wir noch einmal zurück auf die Kabarettist*innen und Comedians. Terry Pratchett hat einmal gesagt: „Satire soll Macht verspotten. Wenn du dich über marginalisierte Menschen lustig machst, ist das keine Satire, es ist Schikane.”

Anstatt sich aber Politiker, Reiche und Mächtige vorzunehmen, macht so mancher Comedian lieber Witze über marginalisierte Gruppen, tritt also nach unten anstatt nach oben.

Ich selbst bin mehrfach marginalisiert – ich habe von Geburt an eine Behinderung, seit über 20 Jahren eine chronische psychische Erkrankung und ich identifiziere mich als queer. Ich kann nicht darüber lachen, wenn Außenstehende Witze machen über Menschen mit psychischen Erkrankungen, Behinderungen, über queere Menschen, wenn sie Sexistisches von sich geben oder Bodyshaming betreiben. Aus meinem Bekanntenkreis weiß ich, dass es anderen marginalisierten Menschen ähnlich geht. Schon allein aus Solidarität kann ich auch nicht über rassistische Witze lachen – und vermutlich würde es mir auch bei Witzen über andere marginalisierte Gruppen so gehen, selbst wenn ich nicht zu diesen gehören würde.

Etwas anderes ist es dagegen, wenn Betroffene selbst Witze über ihre eigene Minderheit machen – und selbst das kann je nach Kontext und Aussage grenzwertig sein. Zumal viele Witze auf Klischees und Vorurteilen herumreiten, anstatt diese abzubauen.

In einer Diskussion dazu gab jemand den offenbar ernstgemeinten Rat, man solle doch bitte die Größe haben, auch als Betroffener über solche Witze zu lachen. Ein solcher Rat ist allerdings nichts anderes als das Vorschreiben von Gefühlen, im Sinne eines „Nun lach doch mal, ist doch halb so wild.”

Viele marginalisierte Menschen erleben weltweit eine Menge Leid, nicht wenige Tag für Tag. Hier einige Beispiele: Es gibt noch immer Länder, in denen die Todesstrafe auf Homosexualität steht oder in denen queere Menschen verfolgt werden. Auch im deutschsprachigen Raum gibt es immer wieder gewalttätige Übergriffe auf queere Menschen. Jahr für Jahr werden überall auf der Welt transgender Menschen ermordet. People of Color haben tagtäglich mit Alltagsrassismus zu tun, Frauen und als Frauen gelesene erleben Misogynie und hören sexistische Sprüche oder werden Opfer von sexueller Übergriffigkeit oder Schlimmerem. Menschen mit Behinderungen erleben ableistisches Verhalten und Menschen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, sehen sich Bodyshaming ausgesetzt. Menschen mit psychischen Erkrankungen werden nicht selten stigmatisiert und nicht wenige von ihnen kämpfen häufig oder ständig mit Suizidgedanken (Zwischen 0,5 % und 1,4% der Weltbevölkerung begehen Suizid, im Jahr 2014 starben in Deutschland 10.209 Menschen daran, wobei die Dunkelziffer noch höher sein dürfte).

Dies und noch mehr sorgt für eine Menge Leid, die marginalisierte Menschen auf der ganzen Welt erleben. Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, wie privilegiert sie im Vergleich sind. Angesichts all dieser leidvollen Erfahrungen erscheint es mir als blanker Hohn, auf Kosten dieser Leidtragenden Witze zu machen und sich über Kritik an solchen Witzen oder über angeblich überzogene Political Correctness aufzuregen.

Eine weitere Meinung, die ich in diesem Zusammenhang mehrfach gelesen habe: Man solle sich nicht so anstellen, nicht so empfindlich sein. Aber das wirkt angesichts des oben genannten Leids ebenfalls wie Hohn und ist auch wieder ein Vorschreiben von Gefühlen. Auch die Meinung, früher hätten die Menschen noch ganz andere Dinge ausgehalten, geht in diese Richtung. Dies erscheint mir allerdings verfehlt, weil es ausblendet, dass sich die Gesellschaft in einem ständigen Wandel befindet. Früher wurde es z.B. auch als selbstverständlich angesehen, dass Eltern ihre Kinder als erzieherische Maßnahme mit Schlägen straften und man war damals der Ansicht, dass dies den Kindern nicht schaden würde. Das gilt schon lange als überholt, auch aus psychologischer Sicht, und ist in Deutschland seit 19 Jahren verboten.

In so manchen Zusammenhängen gilt in Gruppen, dass die schwächste Person darin das Tempo vorgibt. Dass die anderen Rücksicht auf diese Person nehmen. Das ist letztendlich auch eine Form von Inklusion – alle können am Gruppengeschehen partizipieren, auch die schwächste Person. Natürlich steht es jedem Kunstschaffenden frei, reißerische Werke voller Stereotypen zu erschaffen oder solche, die andere Menschen verletzen. Aber wie wäre es denn mit ein bisschen mehr Rücksichtnahme? Kunst muss weder reißerisch, noch verletzend und sie muss auch nicht durch den Einsatz von Stereotypen bestehende Vorurteile weiter zementieren.

Übrigens: Triggerwarnungen und Diversität in Medien nehmen niemandem etwas weg, sie sind viel mehr eine Erweiterung, ein Angebot. Wer Triggerwarnungen nicht lesen will, kann sie einfach ignorieren, während Menschen, die davon profitieren, sich ein genaueres Bild von einem Buch oder einem anderen Medium machen können. Diversität wiederum erweitert die Möglichkeiten für Geschichten erheblich, was Charaktere, deren persönlichen Hintergrund, Figurenkonstellationen und Beziehungen betrifft.

Nun mögen manche Autor*innen vielleicht sagen: „Das ist mir egal – alles was ich schreibe, ist doch Fantasie und hat gar nichts mit der realen Welt zu tun.” Das ist ein Trugschluss, denn auch Fiktion hinterlässt nachweislich Eindrücke bei denen, die sie konsumieren. Dazu möchte ich gern aus einem Artikel der Autorin Elea Brandt zitieren:

Verschiedene Studien konnten zeigen, dass fiktionale Literatur die Einstellung der Leser*innen zu bestimmten Themen oder Personengruppen beeinflussen kann. Dieser Effekt tritt vor allem dann auf, wenn sich die Leserschaft intensiv in das Buch „hineingezogen“ fühlt, d.h. wenn eine starke Identifikation mit den Figuren und der Welt existiert.
Charakteristika von Mitgliedern bestimmter Personengruppen werden sogar besonders von Leser*innen verinnerlicht, wenn diese Mitglieder ihrer Lebenswelt sehr fremd sind. In einer Studie von Michael Slater bekamen amerikanische Studierende Texte zu lesen, die ihnen entweder als Fiktion (Romanausschnitt) oder als Sachtext präsentiert wurden. Ein Teil erhielt zudem Texte über eine vertraute Personengruppe (z.B. Kleinstädter aus Mississippi), ein Teil über eine nicht vertraute (z.B. Partisanen aus Eritrea). Es zeigte sich, dass die Studierenden ihre Einstellung zur dargestellten Personengruppe vor allem dann änderten, wenn sie einen fiktionalen Text lasen und wenn ihnen die Gruppe nicht vertraut war.
Eine andere Studie konnte zeigen, dass Teilnehmer*innen, die mit stereotypen afro-amerikanischen TV-Figuren konfrontiert wurden, im Nachhinein mehr reale Vorurteile gegen Afro-Amerikaner*innen besaßen als Teilnehmer*innen in einer Kontrollbedingungmit nicht-stereotypen Zuschreibungen. Zugleich funktioniert der Effekt aber, erfreulicherweise, auch in die andere Richtung: Werden Personen in Medien mit Aspekten konfrontiert, die bekannten Stereotypen zuwiderlaufen, kann dies zu einem Abbau von Vorurteilen beitragen. Auch die Verwendung geschlechtergerechter Sprache hilft dabei, nicht nur Jungen und Männer, sondern auch Mädchen oder non-binäre Menschen anzusprechen und einzuschließen.
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich verschiedene Implikationen ableiten. Zum einen sollten sich Autor*innen bewusst sein, dass ihre Texte die Meinung von Leser*innen über dargestellte Personengruppen oder Szenarien beeinflussen können, auch dann, wenn es sich nachweislich um einen fiktionalen Text handelt. Worte sind eine machtvolle Waffe – deswegen sollten wir sie bewusst einsetzen. Zum anderen wird aus diesen Studien auch deutlich, wie wichtig die (positive) Repräsentation von marginalisierten Gruppen innerhalb fiktionaler Literatur ist. Menschen lernen aus Fiktion, sie nehmen Informationen mit ins Hier und Jetzt und leiten sogar Handlungsoptionen oder individuelle Einstellungen daraus ab.” (Quelle: https://eleabrandt.de/2019/05/06/fantastisch-unpolitisch/)

Dass der Einsatz von gendergerechter Sprache sich positiv auf Frauen, als Frauen gelesene und queere Personen auswirken kann, zeigt dieser Artikel: https://www.derstandard.at/story/2000107213910/geschlechtsneutrale-sprache-hat-tatsaechlich-erwuenschte-wirkungen

Das alles bedeutet nicht, dass man als Autor*in sämtliche problematischen Inhalte aus seinen Geschichten verbannen sollte. Literatur bietet schließlich auch die Möglichkeit, gesellschaftliche Missstände aufzuzeigen. In diesem Zusammenhang wäre es aber in jedem Fall empfehlenswert, sich bewusst zu machen, inwiefern etwas problematisch ist und inwiefern z.B. Charaktere darüber kritisch reflektieren können oder ob man sich beispielsweise in einem Vorwort von problematischen Inhalten distanziert, die z.B. in einem schwierigen historischen Kontext stehen.

Beziehungsweise man könnte auch überlegen, ob es wirkliche diese problematischen Handlungsmuster (Tropes) sein müssen, oder ob man nicht auf andere Weise Spannung und Konflikte in seinen Geschichten erzeugen könnte – was mitunter um einiges origineller und kreativer sein könnte als ein schon hinlänglich bekanntes Handlungsmuster, das es in ähnlicher Form schon tausendfach gibt, in einer weiteren Variante darzustellen.

Auch Sensitivity Reading kann helfen, problematische Inhalte als solche zu identifizieren. Das mögen Dinge sein, die den Autor*innen selbst gar nicht bewusst sind, die unabsichtlich in einen Text gelangen, aber einer betroffenen Person sehr schnell auffallen. Natürlich kann ein Sensitivity Reader allein nicht für die Gesamtheit seiner marginalisierten Gruppe sprechen, zumal es da je nach Thema große Unterschiede geben kann. Psychische Erkrankungen beispielsweise äußern sich bei jeder Person ein wenig anders, auch wenn es grundlegende Symptome gibt, die ähnlich sind. Aber Sensitivity Reader können in jedem Fall auf grobe Recherchefehler oder ähnliches hinweisen. Ich habe selbst schon Sensitivity Reading für meine eigenen Texte genutzt und möchte diese Möglichkeit nicht missen, denn immerhin wende ich mich damit letztendlich an Expert*innen für ein bestimmtes Thema. Und das tue ich ja auch sonst, wenn ich für ein schriftstellerisches Projekt recherchiere. Und ich sehe noch etwas Positives im Sensitivity Reading:
Manche Autor*innen befürchten eine (Zensur-)Schere im Kopf und haben Angst, dass sie sich vor lauter Gedanken darüber, was sie nun nicht mehr schreiben sollten, gar nicht mehr kreativ ausleben können. Dabei ist es doch im Grunde ganz einfach: Man kann erst mal alles schreiben, ganz ohne „Schere im Kopf” – und dann Testleser*innen und Sensitivity Reader den Text lesen lassen und diese fragen, ob sie darin problematische Inhalte gefunden haben oder nicht.

Auf Political Correctness zu achten, vielleicht zumindest ansatzweise Diversität in seine Geschichten zu bringen, auf problematische Tropes zu verzichten oder diese zumindest innerhalb der Handlung kritisch zu reflektieren, seine Werke mit Triggerwarnungen zu versehen und den Wunsch nach all dem nicht als überzogene Forderungen zu sehen, zeugt letztendlich auch von einem gewissen Feingefühl und Empathie.

Einige weitere Texte:

https://eleabrandt.de/2019/04/12/mythbusting-triggerwarnungen-in-buechern/

https://alpakawolken.de/ein-plaedoyer-fuer-mehr-ruecksichtsnahme/

https://www.tor-online.de/feature/und-der-ganze-rest/2017/04/can-we-talk-ein-plaedoyer-fuer-mehr-diversitaet-in-der-fantastik/

https://katlike.de/2018/11/25/diversity-101-wieso-wir-alle-divers-schreiben-sollten/

https://sensitivity-reading.de/nicht-nur-nazis-sind-rassistisch

https://skepsiswerke.de/repraesentation-in-der-literatur-warum-ist-repraesentation-so-wichtig/

Wer mir für kostenlose Inhalte wie diesen Artikel einen Kaffee (oder Tee)
spendieren möchte, kann das gern hier tun: [kofi]

6 Fakten zur Entstehung einiger meiner Bücher

Manchmal ist die Entstehungsgeschichte eines Romans fast ebenso spannend wie der Roman selbst. Autorin Melanie Vogltanz (http://www.melanie-vogltanz.net/) interessiert sich sehr für die Geschichten hinter der Geschichte und findet es immer ein wenig schade, wenn diese irgendwo hinten in einem Nachwort versauern oder gar nie erzählt werden können. Deswegen hat sie letztes Jahr den Hashtag #6fakten ins Leben gerufen – sechs spannende, skurrile oder witzige Fakten über ein Buch, die man nicht einfach in der Produktbeschreibung findet.

Einen ersten Beitrag dazu gab es im letzten Jahr auf meiner Autorenseite bei Facebook:
https://www.facebook.com/amaliazeichnerin/posts/1890805287655742

Hier nun ein zweiter…

1. „Vanfarin – von Untoten und Totems”

Ich befand mich weit hinter der Frontlinie eines Schlachtfeldes und vor mir lag ein verwundeter, blutender Krieger. Mir zitterten die Hände vor Aufregung und Nervosität, als ich mich um seine Verwundung kümmerte, denn dieser hier durfte auf gar keinen Fall sterben. Natürlich sagte ich mir das bei jedem Patienten, doch dieser war ein Freund von mir. Das ist mir tatsächlich passiert – im Jahr 2016 spielte ich eine schamanische Heilerin auf einem der größten Liverollenspielcons der Welt, mit mehr als 8000 TeilnehmerInnen. Ein Freund von mir spielte einen Totemkrieger, der gerade im Kampf verwundet worden war. Unsere Begegnung hier war nicht außerhalb des Spiels abgesprochen, sondern zufällig. Unmittelbar nach diesen dramatischen Momenten auf dem Schlachtfeld kam mir eine erste Szene für diesen Fantasyroman in den Sinn. Natürlich habe ich unsere beiden Charaktere nicht eins zu eins übernommen, sondern eher als grobe Inspiration betrachtet, nachdem ich die Erlaubnis von diesem Freund erhielt, seinen Charakter als Vorbild für Brynjar zu nehmen.
(Text aus meinem Nachwort zum Roman)

2. Der Stern des Seth
Liverollenspiel und Pen & Paper Rollenspiel hat mich immer mal wieder für meine schriftstellerischen Projekte inspiriert. Die Journalistin Gemma Hawthorne, eine aus dem Team der ProtagonistInnen, basiert auf meinem allerersten, gleichnamigen Pen & Paper Rollenspielcharakter, den ich ab 2004 ca. 3 Jahre lang in einer „Call of Cthulhu”-Runde regelmäßig gespielt habe (viktorianisches Setting mit Horror- und Fantasy-Elementen).

3. An seiner Seite
Zu „Die Rolle seines Lebens” war eigentlich gar keine Fortsetzung von mir geplant. Im Gespräch mit Leserinnen hörte ich allerdings mehrfach den Wunsch nach einer, und mir kamen selbst auch weitere Ideen für Esteban und Oliver. Diese Fortsetzung schließt allerdings nicht an den Epilog von „Die Rolle seines Lebens” an. Dort wird erwähnt, dass seit der bisherigen Handlung über ein Jahr vergangen ist. Was in dieser Zeit passiert, habe ich allerdings nur angedeutet. „An seiner Seite” erzählt nun ausführlicher, was Esteban und Oliver in diesem Jahr erlebt haben … und geht noch darüber hinaus.
(Text aus der Vorbemerkung zum Roman)

4. „Die mysteriösen Fälle der Miss Murray: Mörderische Ostern”
Die Idee zu diesem Krimi kam mir, weil ich schon länger einen Krimi mit einen geschlossenen Schauplatz schreiben wollte. Die Charaktere sitzen an einem Ort fest (in diesem Fall wurden sie in einem abgelegenen Herrenhaus auf dem Land eingeschneit) und kommen weder von dort weg, noch können sie Hilfe von außen anfordern. Um wem das bekannt vorkommt – geschlossene Schauplätze haben in der Kriminalliteratur schon eine längere Tradition.

5. „Frei und doch verbunden”
Die Geschichte, sehr lose inspiriert von Daniel Defoes „Robinson Crusoe” und anderen Robinsonaden, ist mir rund zwei Jahre lang immer mal wieder durch den Kopf gespukt, aber ich habe mich damals nicht getraut, sie aufzuschreiben. Ich wusste zu dem Zeitpunkt auch noch nicht, dass queere Bücher und insbesondere welche mit schwulen Liebesgeschichten zunehmend im deutschsprachigen Raum populärer werden. Erst Facebook-Gruppen wie „Queere Lektüre für alle”, „Queere Literatur” und andere haben mir das gezeigt und mich ermutigt, die Geschichte zu schreiben und zu veröffentlichen.

6. „Orangen und Schokolade”
Wenn Protagonistinnen in Liebesromanen Übergewicht haben, hadern sie meistens damit, machen die xte Diät, quälen sich durch Sportprogramme etc. Ich wollte gern mal eine Geschichte schreiben, in der das nicht so ist. Sarah ist Plus-size-Trägerin, genießt aber ihr Leben und tritt für Body Positivity ein. Außerdem hat es mich gereizt, eine Geschichte über zwei sehr unterschiedliche Menschen zu schreiben, zumindest, was ihren Lifestyle betrifft.

Diversität und Repräsentation in der Literatur

In der deutschsprachigen Phantastikszene verfolge ich seit längerem Diskussionen über Diversität und Repräsentation. Auch in anderen Genres wird das inzwischen diskutiert.

Zunächst einmal: Was ist Diversität?
Sie ist ein Spiegel unserer vielfältigen, multikulturellen Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der auch Minderheiten und marginalisierte Gruppen leben: Menschen mit Migrationshintergrund. Menschen mit Behinderungen. Queere Menschen (LGBTQ+). Menschen mit psychischen oder chronischen Erkrankungen. Menschen mit Neurodiversität**. Menschen mit Körperformen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen. Menschen, die alternative Beziehungsformen leben, z.B. Polyamorie oder Patchworkfamilien. Diversität bietet die Möglichkeit, auch solchen Menschen eine Stimme zu leihen, sie zu repräsentieren – als Protagonist*innen oder Nebencharaktere. Das ist letztendlich eine Form der Inklusion. Auch in der Phantastikliteratur.

@DieKatzenhai schrieb neulich auf Twitter:
Wer ein rein weißes, dya, allo, cishet Cast schreibt, kann einfach nicht gut schreiben. Diversität *ist* Realismus.

Wer sich angesichts der Abkürzungen fragt, was das bedeutet:
dya = Das Geschlecht eines Menschen ist klar, entweder weiblich oder männlich – das Gegenteil zu intersexuellen Menschen
allo(sexuell) = Das Gegenteil zu asexuell
cis(gender) = Das Gegenteil zu transgender; cisgender Menschen identifizieren sich mit dem Geschlecht, das bei ihrer Geburt vorlag.
het(erosexuell) = das Gegenteil zu queer

Ich würde zwar nicht unbedingt sagen, dass man nicht gut schreiben kann, wenn man nicht auf Diversität achtet. Aber Diversität ist auch aus meiner Sicht Realismus.
In vielen westlichen Ländern bilden weiße, dya/allo/cis/hetero Menschen zwar die Mehrheit der Gesellschaft. Wer aber nur solche Menschen in seinen Texten abbildet, blendet damit viele andere kleinere Gruppen aus, die ebenfalls zu unserer Gesellschaft gehören.

Warum ist Diversität überhaupt wichtig?

Menschen, die keiner Minderheit angehören, sind in gewisser Weise privilegiert, während marginalisierte Menschen in ihrem Leben oft negative Erfahrungen machen, z.B. Diskriminierung, fremdenfeindliches Verhalten, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus oder noch andere und zwar verbal oder auch physisch, bis hin zu Gewalttaten. Oftmals hat das noch dazu historische Gründe (z.B. Kolonialismus, Sklaverei, Illegalität von Homosexualität, massivste Menschenrechtsverletzungen im Nationalsozialismus und anderen totalitären Regimen u.a.).

Was hat das nun mit der Literatur zu tun? Belletristik, wie auch Theaterstücke, Comics/Graphic Novels, Filme, Serien und Spiele, also alle Medien, die Geschichten erzählen, bieten Leser*innen die Möglichkeit, sich mit den handelnden Charakteren mehr oder weniger zu identifizieren. Manche Charaktere können Mut machen, als Vorbild dienen, andere eher nicht. Manche können Probleme erleben, die auch marginalisierte Menschen im Alltag haben und damit deren Realität widerspiegeln. Sie können in fiktionaler Form zeigen, wie man solche oder auch andere Probleme überwinden kann oder damit umzugehen lernt. Damit bieten solche Charaktere letztendlich auch die Möglichkeit, Leser*innen Wege zu einer Art Empowerment (Handlungsfähigkeit) zu zeigen.

Wenn in Büchern aber alle Charaktere wie oben beschrieben weiß, dya/cis/allo/hetero, und neurotypisch** sind, finden sich Menschen, die das nicht sind, darin nicht wieder. Natürlich können sie die Geschichte trotzdem lesen, aber sie werden sich weniger mit den Charakteren identifizieren können, weil diese andere Lebensentwürfe, andere Weltanschauungen oder einen anderen Sozialisationshintergrund als sie selbst haben.

Man könnte auch sagen, wer ausschließlich weiße, dya/cis/allo/hetero, neurotypische** Charaktere ohne Behinderungen oder Erkrankungen schreibt, wendet sich damit letztendlich im Grunde nur an Leser*innen, die das auch sind. Und das ist zwar die Mehrheit unserer Gesellschaft im deutschsprachigen Raum, aber halt nicht die gesamte.

Ein weiteres Problem: Es gibt unzählige Bücher, die genau so gestaltet sind, es ist die Mehrheit an Publikationen. Bücher, die Diversität thematisieren – und das auf gelungene Weise – die muss man im deutschsprachigen Raum meistens noch immer suchen.

Aber das ist doch alles Fantasie. Das hat doch sowieso keinen Einfluss auf das reale Leben”
Auf den ersten Blick mag das stimmen. Allerdings gibt es Studien, die zeigen, dass der Konsum von fiktiven Inhalten sich durchaus auf Menschen, ihre Gedanken und ihr Verhalten auswirken kann.

Siehe: The Psychology of Entertainment Media – Blurring the Lines Between Entertainment and Persuasion
https://numerons.files.wordpress.com/2012/04/14psychology-of-entertainment-media.pdf

Entsprechend wird sich auch eine positive Repräsentation sich auf die eine oder andere Weise auf Leser*innen auswirken, die sich durch einen Charakter repräsentiert sehen.

Ein Beispiel: Falls du eine Frau* bist und dir die Superheldinnen-Filme „Captain Marvel“ oder „Wonder Woman“ gut gefallen haben, könnte es zum Teil daran liegen, dass du dich hier als Frau* durch eine Superheldin als Titelheldin repräsentiert gefühlt hast. Bis zu diesen beiden Filmen waren es fast ausschließlich männliche Superhelden, die auf der Leinwand und in Serien als Titelhelden agierten.

Darf man denn gar nicht mehr frei schreiben, was man will?”

Während in anderen Ländern, z.B. UK und USA mittlerweile größtenteils etabliert ist, dass Diversität wichtig und wünschenswert ist, wird hierzulande noch viel diskutiert, ob das so ist. Ich habe mehrfach die Frage gelesen, ob man denn nun nicht mehr frei schreiben dürfe, was man wolle. Natürlich darf man das. Die Kunst ist frei. (Artikel 5 des Grundgesetzes, hier nachlesbar: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_5.html)

Entsprechend dürfen Autor*innen natürlich auch weiterhin Literatur ganz ohne Diversität schreiben, also mit den oben erwähnten weißen, dya/cis/allo/hetero, neurotypischen Menschen (oder Wesen) als Protagonist*innen und Nebenfiguren.

Man muss allerdings dann damit rechnen, dass manche Leser*innen und Rezensent*innen bei solchen Büchern auf einen Mangel an Diversität hinweisen. Zumal dieses Thema auch in anderen Medien, z.B. Games, Comics/Graphic Novels, Serien und Filmen einen immer größeren Stellenwert gewinnt.

Foto: Sweetlouise, Pixabay

Die Sexualität meiner Charaktere interessiert mich nicht.”

Oft höre ich dieses Argument in Bezug auf queere Charaktere, oder auch: „Es gibt sowieso keinen Sex in der Geschichte”. Allerdings führt das zu folgendem Problem: Wenn man die sexuelle Identität und Orientierung seiner Charaktere nicht einmal ansatzweise andeutet, wird ein Großteil der Leser*innen sie einfach heteronormativ als cisgender/hetero wahrnehmen – weil dass die Mehrheit an Menschen nun einmal ist und weil man es aufgrund diversitätsarmer Literatur gewohnt ist, über solche Charaktere zu lesen. Selbst wenn Sex keine Rolle spielt – Charakter sind auf die eine oder andere Weise aufgewachsen, haben ihre Erfahrungen gemacht, hatten eventuell schon mal Sex (oder auch nicht), hatten eine Beziehung (oder auch nicht). Es ist ein Teil ihrer Sozialisation, möglicherweise sogar ein wichtiger. All das prägt sie, auch das Verhalten gegenüber ihren Mitmenschen und das Zusammenspiel mit dem eigenen oder dem anderen Geschlecht bzw. anderen Geschlechtern. Oft reichen schon wenige Sätze in einem Buch, um zumindest anzudeuten, welche sexuelle Identität und Orientierung ein Charakter hat. Übrigens: Queere Charaktere müssen in einer Geschichte keinen Sex haben, um queer zu sein.
Siehe auch:
https://alpakawolken.de/mein-charakter-hat-keine-sexualitaet/
https://alpakawolken.de/der-fluch-der-heteronormativitaet/
https://alpakawolken.de/repraesentation-geht-auch-ohne-sex/

Aber ich kenne keine marginalisierten Menschen. Wie soll ich dann über sie schreiben?”

Für die meisten Geschichten muss man recherchieren, das gilt auch für den Phantastikbereich. Also warum nicht auch über das Leben von Minderheiten recherchieren? Es gibt Erfahrungsberichte, Biografien, Blogs und vieles mehr, was sich dazu lesen lässt oder auch Dokumentarfilme und Leute bzw. Gruppen in sozialen Netzwerken, in denen man Fragen stellen kann. Ja, das macht mehr Arbeit und man muss dafür eventuell seine Komfortzone ein Stück weit verlassen – aber es lohnt sich. Außerdem gibt es Sensitivity Reader: Menschen, die selbst zu einer Minderheit gehören und einen Text aus Betroffenensicht beurteilen können. Solche Leser*innen können auf problematische Mikroaggressionen, Klischees und Stereotypen oder andere Probleme hinweisen.Eine hilfreiche Webseite dafür: https://sensitivity-reading.de/

Und damit es keine Missverständnisse gibt: Niemand verlangt, dass Autor*innen in ihren Werken sämtliche marginalisierte Gruppen abbilden, die es gibt. Es müssen auch nicht direkt die Protagonist*innen sein, schließlich können auch Nebenfiguren eine Minderheit repräsentieren.

Und noch etwas: Immer wieder lese ich darüber, dass Klischees, Stereotypen und problematische Tropes im Zusammenhang mit Charakteren verwendet werden, die aus einer marginalisierten Gruppe stammen. Wer sich fragt, was Tropes sind, das sind typische Handlungsmuster, die innerhalb eines Genres, oder auch genreübergreifend häufig in verschiedenen Varianten auftauchen. Hier eine englischsprachige Seite dazu: https://tvtropes.org/pmwiki/pmwiki.php/Main/GenreTropes

Einige Beispiele für problematische Tropes:

  • Der einzige behinderte Charakter in einer Geschichte wird ausschließlich über sein Leid und seine Behinderung definiert.
  • Der einzige schwarze Charakter ist Mitglied einer üblen Gang, ein Drogendealer oder auf andere Weise kriminell.
  • Die einzige Person of Color (nicht-weiß) dient ausschließlich als „Funny sidekick” für den Protagonisten oder die Protagonistin
  • Der einzige queere Charakter stirbt auf dramatische Weise (Trope „Bury your gays”)
  • Der einzige neurodiverse Charakter wird nur über seine „Andersartigkeit” und seine Probleme mit sozialer Interaktion definiert, oder als einsames, verschrobenes „Wunderkind” dargestellt (z.B. Autismus, Asperger-Syndrom, Hochbegabung)
  • Der einzige schwule Charakter ist der beste Freund der Protagonistin. (Trope „Gay best friend”)
  • Ein eigentlich heterosexueller Charakter „wird” für diese eine ganz besondere Person schwul (Trope „Gay for you”) – was eigentlich auch noch zum Problem der Unsichtbarkeit von Bisexualität führt (Trope: „No bisexuals”)

Diversität bedeutet nicht, einen marginalisierten Charakter in seine Geschichte einzubauen und diesen einfach um des Drama willens leiden zu lassen. Wenn solche Charaktere einfach als Plotdevice benutzt werden, um Spannung oder Emotionalität zu erzielen, ist das falsch verstandene Diversität.

Viele marginalisierte Menschen möchten in Büchern auch nicht mit Klischees und Vorurteilen über ihre Gruppe konfrontiert werden, denn das erleben sie ohnehin viel zu häufig in ihrem Alltag, bis hin zu Diskriminierungen, Übergriffigkeit oder Gewalt.
Viele von ihnen wollen dann nicht auch noch Geschichten darüber lesen. Vor allem nicht von Autor*innen, die davon nicht selbst betroffen sind. Deshalb gibt es die „Own Voices”-Bewegung, bei der betroffene Autor*innen über ihre eigene Erfahrungen schreiben oder diese in ihre Bücher mit einfließen lassen.
Siehe z.B. https://alpakawolken.de/ownvoices-sind-wichtig/

Du möchtest diverser schreiben? Hier ein paar Tipps:

  • Schreibe lebensnahe, realistische Charaktere, die nicht einfach als Plotdevice dienen und auch nicht nur als (lustiger) Sidekick.
  • Mach sie authentisch und menschlich, gib ihnen eigene Motivationen (eine eigene Agenda) und mehr Eigenschaften als nur das, was sie als Mitglied einer Minderheit kennzeichnet. Definiere sie nicht allein über ihr „Anders-Sein“, denn das ist Othering.
  • Und keine Sorge, natürlich dürfen sie auch Schwächen und Macken haben, das macht sie menschlich.
  • Vermeide aber Klischees und Stereotypen.
  • Sprich mit Leuten, die zu dieser Minderheit gehören oder suche nach Sensitivity Readern


Diversität und Repräsentation in der Literatur stecken im deutschsprachigen Raum noch in den Kinderschuhen.
Entsprechend ist es nicht verwunderlich, dass Verlage kaum damit werben, dass ihre Bücher divers sind und auch aus Klappentexten und Leseproben ist das selten ersichtlich.

Deshalb kann ich nur dazu aufrufen, was auch die Bloggerin Katriona schon schrieb: Wenn ihr Rezensionen schreibt oder wenn ihr selbst divers schreibt, und die Möglichkeit dazu habt, weist darauf hin, z.B. im Klappentext oder zumindest in der Buchbeschreibung. Das geht in den meisten Fällen auch ohne Spoiler.

Wer mehr über Diversität und Repräsentation erfahren möchte ohne darüber zu diskutieren, ob sie sinnvoll sind oder nicht – speziell dafür habe ich auf Facebook diese Gruppe gegründet:
https://www.facebook.com/groups/DiversitaetundRepraesentation/

Hier gibt es außerdem eine Liste mit Phantastikbüchern, in denen Diversität und Repräsentation eine wichtige Rolle spielt – die jeweiligen Diversitätsthemen sind bei den Büchern genannt.
https://docs.google.com/document/d/1VQHMAOkYWz-4d-scnGkCd6jyO1FA3m0eabdDRYb6W7Q/

Weitere Texte zum Thema:
https://www.tor-online.de/feature/und-der-ganze-rest/2017/04/can-we-talk-ein-plaedoyer-fuer-mehr-diversitaet-in-der-fantastik/

https://katlike.de/2018/11/25/diversity-101-wieso-wir-alle-divers-schreiben-sollten/

** neurotypisch ist das Gegenstück zu neurodivers. Menschen mit Neurodiversität können z.B. AD(H)S haben, autistische Züge, das Asperger-Syndrom, Hochsensibilität oder noch etwas anderes haben. Neurotypische Menschen haben keine solchen Varianten und bilden die Mehrheit der Gesellschaft.